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Hilflos

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[8. August 2006]

Die Frau kam mit einem Hämoglobin von 6,4. Das ist natürlich etwas dürftig für eine Schwangere im 6. Monat. Salima hieß sie. Es war ihre dritte Schwangerschaft. Die ersten beiden Babys waren jeweils noch im Uterus gestorben und während der Schwangerschaften habe sie auch eine Anämie gehabt, hieß es. Das klang nicht gut. Aber wir machten zunächst einmal, was wir halt so machen: wir untersuchten den Stuhl auf Wurmeier und schauten nach, ob Salima HIV infiziert war. Aber Salima hatte weder Hakenwürmer noch war sie HIV infiziert. Wir gaben ihr Folsäuretabletten. Wir hatten ja noch Zeit, Salima war ja erst im 6. oder 7. Monat schwanger.

Salima hatte nur ein Auge. Ihr linkes Auge war ganz vernarbt und stand hervor. Vermutlich war es irgendwann durch eine Infektion zerstört worden. Ich fragte Salima aber nie, wann und wie das passiert war. Vielleicht war es auch eine Verletzung gewesen. Schön war Salima also nicht gerade, dabei hatte sie ein freundliches Gesicht und war nie eine von denen, die mir durch Nörgeln auf den Wecker fällt. Ich meine, wir bemühen uns doch um alle Patienten nach Kräften. Da hat es doch keinen Sinn, wenn jemand nörgelt – was auch nicht oft vorkommt.

Der Hämoglobinwert sank auf 5,9, und er sank weiter auf 4,4 und 4,1.

Salima kam aus Sofi Majiji. Früher führte die Straße nach Ifakara über Sofi Majiji, aber sie war wohl so oft unpassierbar, dass sie irgendwann den Umweg über Sofi Mission gebaut haben und den alten Weg über Sofi Majiji haben verfallen lassen. Das soll in den siebziger Jahren gewesen sein. Auf den Karten führt die Straße immer noch über Sofi Majiji. Aber wen interessiert das schon. Ich bin diesem alten Weg nur einmal mit dem Fahrrad gefolgt. Die Brücken stehen noch, aber aus der ›Straße‹ ist ein schmaler holpriger Pfad geworden. Ich habe nichts Besonderes in Sofi Majiji finden können.

Wir gaben zwei Bluttransfusionen, der Hämoglobinwert sank auf 3,9.

Salima lag in dem ersten Bett rechts in unserem Seitenzimmer, im ehemaligen TUGHE Büro. Ich sah sie immer weniger draußen mit den anderen Frauen sitzen.

Ich überlegte mir, dass Salima eine hämolytische Anämie haben müsse und begann eine Behandlung mit Prednisolon. Das ist laut Büchern die Standardbehandlung für eine hämolytische Anämie. Die Alternative ist, die Milz zu entfernen. Ich hatte dieses Jahr schon zwei Kinder, zwei Jugendliche erfolgreich mit Prednisolon behandelt, und insofern war ich immer noch guter Dinge. Prednisolon soll nach etwa drei Wochen wirken (und so war es auch bei den beiden Kindern gewesen) – und wir hatten ja noch Zeit.

Der Hämoglobinwert sank auf 3,0. Wir gaben noch eine Bluttransfusion, obwohl das natürlich sinnlos war, die roten Blutkörperchen wurden ja wohl so schnell zerstört, wie sie einliefen.

Wir hatten keine Zeit mehr.

Der Hämoglobinwert sank auf 2,4. Salima konnte nicht mehr aufstehen, sie hatte keine Kraft mehr. Irgendetwas mussten wir unternehmen, wir konnten ja nicht einfach zuschauen, wie Salima einfach so verwelkte. Ich sagte zu Mama Chogo, sie solle jetzt innerhalb von 48 Stunden wenigstens sechs Blutspender organisieren. Und dann würde ich einen Kaiserschnitt machen, während rechts und links Blut einlief. Das müsste gehen. Salima sagte nichts mehr, sie lag nur noch still in ihrem Bett mit ihrem Glubschauge. Hatten wir noch zwei Tage Zeit?

Die Verwandten kamen schon am nächsten Tag aus Sofi Majiji herbeigeströmt und bildeten eine lange Schlange vorm Labor. Ich war beeindruckt. Ließ Salima zum OP schieben. Inzwischen war sie grau. Das Baby würde natürlich sterben, es war noch zu klein. Aber das wusste Salima, und die Angehörigen hatten auch darum gebeten, dass ich gleichzeitig eine Tubenligatur machte.

Lothi und Lenna gaben die Narkose. Salima überlebte, und das Kind schrie auch. Es wog 1200 Gramm.

Salima kümmerte sich ganz liebevoll um ihr Baby. Ich sah das Baby kaum, denn Salima hielt es immerzu an ihren großen Brüsten warm, so wie ich ihr das gezeigt hatte. Fütterte es über einen Magenschlauch. Saß immer da, gegen die Wand gelehnt, und schaute auf ihr kleines Baby.

Am Tag nach der Operation war Salimas Hämoglobin 9,3.

Dann 6,9.

Dann 6,4.

Dann 5,9.

Dann 5,1.

Dann 4,9.

Mein Mut sank zusammen mit dem Hämoglobinwert. Wollte denn das Prednisolon immer noch nicht wirken?

Wir gaben eine Bluttransfusion.

Der Hämoglobinwert sank auf 4.

Und heute klang Salima zum ersten Mal resigniert: »Ich füttere und füttere das Kind, aber es will einfach nicht an Gewicht zunehmen!«

Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Wenn wenigstens sie überleben würde.

Bei abnehmendem Mond

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