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Gott hat alle Kinder lieb

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[13. August 2006]

Diese Geschichte ist kurz, nur achtundvierzig Stunden lang. Sie brachten das Mädchen gegen acht Uhr abends, aus Ihowanja. Es war vielleicht zwölf Jahre alt. Zwölf Jahre ist ein seltsames Alter: Wenn die Brüste anfangen zu wachsen, ein Mädchen aber noch ganz Kind ist.

Kiua hieß das Mädchen, Kiua, kleine Blume. Ein ungewöhnlicher Name, ich hatte ihn vorher nicht gehört und ich bin ihm auch seither nicht begegnet.

Kiua lag ganz still in ihrem Bett, ganz still. Sie jammerte nicht, sie weinte nicht, dabei war ihr Bauch bretthart, und sie hatte ganz sicher eine Peritonitis, eine Bauchfellentzündung. Woher? Vermutlich von einem perforierten Blinddarm her. Was freilich zunächst einmal keine Rolle spielte. Ich musste den Bauch aufmachen. Lenna hatte Dienst und Tindwa und Ndali.

Ich wartete darauf, dass sie kamen. Das Kind tat mir leid, irgendwie rührte es mich, so wie es so still, so still in seinem Bett gelegen hatte. Und mich einfach nur angeschaut hatte.

Wie ein dunkler Engel.

Ihowanja, das ist vielleicht 25 Kilometer von Lugala entfernt. Es ist das letzte Dorf vor Kilosa kwa mpepo. Ich war mit Yoryos und Donn vor drei Jahren einmal dort gewesen und seitdem nicht wieder. Es gab einen Fahrradreparaturfritzen in Ihowanja. Am zweiten Tag auf dem Rückweg hatten wir einen Platten gehabt, und noch etwas war an meinem Fahrrad kaputt gewesen. Ja, das Pedal. Egal.

Kiua jammerte auch nicht, als Lenna ihr eine Infusion anlegte. Dann schlief sie, nachdem Lenna ihr Ketamin gespritzt hatte.

Es war ein böser Anblick, die Därme schwammen in Eiter, der ganze Bauch war voller Eiter. Ein perforierter Blinddarm. Warum war das so schnell gegangen? Meist bildet sich doch ein Abszess um einen erst entzündeten und dann perforierten Blinddarm herum, und in manchen Büchern steht, dass man in dem Stadium nicht mehr operieren sollte, um nicht beim Eröffnen der Abszesshöhle die Infektion in den Bauchraum zu verschleppen. Freilich, der Rat kam mir immer ein bisschen akademisch vor: Woher soll man wissen, dass sich ein Abszess mit einer festen Wand gebildet hat. Wenn ich so einen Abszess bei einer Laparotomie finde, lege ich einfach einen Drainageschlauch und schließe den Bauch rasch wieder.

Wir versenkten den Blinddarmstumpf und wuschen und wuschen den Bauch wieder und wieder mit Kochsalzlösung. Ob Kiua eine Chance hatte?

Später, daheim, betete ich für Kiua. Ich bat Gott, eine Ausnahme zu machen und ausnahmsweise einmal einzugreifen. Und sei es um meinetwegen.

Natürlich war das töricht. Ist Gott vielleicht jemand, der sich erweichen lässt? Ist Gott vielleicht jemand, der die Geschicke der Welt im Zickzackkurs lenkt? Je nach dem von welcher Seite die meisten Gebete wehen?

Es wurde vor nicht langer Zeit eine Studie veröffentlich, in der gezeigt wurde, dass in den an der Studie beteiligten amerikanischen Krankenhäusern sich Patienten, für die gebetet wurde, schneller erholten als Patienten, für die nicht gebetet wurde. Dass die Überlebensrate z. B. nach Operationen von solchen Patienten, für die irgendjemand betete, höher war als für Patienten, für die niemand betete.

Es folgte dann ein, ich nehme an, ironischer Leserbrief, in dem der Schreiber forderte, es müsse nun eine zweite Studie durchgeführt werden, um die Dosis Wirkung Beziehung herauszufinden. Half viel beten viel, und wenig beten wenig? Was war die minimale Bet-Dosis unterhalb derer sich Gott nicht rührte?

Freilich, ich habe immer wieder Menschen getroffen, die fest davon überzeugt waren, dass ihre Gebete halfen, dass ihre Gebete den Lauf der Dinge änderten. Peter Garland z. B. und Antje Gerlach. Peter Garland glaubte fest, dass es sogar regnen würde, wenn er nur dafür betete. Und es regnete tatsächlich einmal einen halben Tag nachdem er zusammen mit Chief Kyungu (im Karonga Distrikt, in Malawi) für Regen gebetet hatte.

Tja.

Am Morgen ging es Kiua ein klein wenig besser, der Bauch war nicht mehr ganz so hart, das Fieber war heruntergekommen. Die Mutter saß an Kiuas Bett. Auf dem Weg zu meinem Büro bat ich Gott noch einmal dringend, eine Ausnahme für Kiua zu machen. Ich hielt es für möglich, dass er das konnte.

Ob er es auch wollte?

Am Abend hatte das Fieber wieder angefangen. Der Effekt vom Auswaschen des Bauches war wohl vorüber, und all die Antibiotika, die wir gaben, halfen wohl nur begrenzt. Kiua sah mich stumm und müde an.

Und am nächsten Morgen war das Ende abzusehen. Kiua hatte wieder 40 Fieber, der Puls raste, die kleine Blume war am Verwelken, der dunkle Engel war dabei wieder fortzufliegen.

Später sagte ich zur Mutter, wie Leid es mir tue, aber wir hätten alles getan, was wir hätten tun können.

»Es war Gottes Wille«, sagte sie leise.

Bei abnehmendem Mond

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