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Ob er noch lebt?

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[27. August 2006]

Es gibt hier viele Patienten mit Verbrennungen. Vor allem Kinder. Es liegt fast immer wenigstens ein Kind mit Verbrennungen auf Station I. Wenn Kinder sich mit heißem Wasser verbrannt haben, ist es meist nicht so schlimm und heilt die Verbrühung unter entsprechender Behandlung in zwei drei Wochen folgenlos wieder ab. Verbrennungen mit heißem Uji, Maisbrei, gehen oft sehr viel tiefer. Und wenn ein Kind ein Tuch um hatte und das an der Kochstelle Feuer fing, dann ist es immer schlimm. Dann wird immer eine Hautverpflanzung erforderlich.

Die Behandlung für Patienten mit Verbrennungen habe ich selbst gestrickt: Zunächst wird eine feuchte Wundbehandlung mit Kaliumpermanganat gemacht und dann, wenn das tote Gewebe weitgehend abgestoßen wurde, folgt die Spalthautverpflanzung. Wahrscheinlich wäre es besser, die Hautverpflanzung früher zu machen. Aber ich fürchte, bei Kindern jedenfalls, den Blutverlust, der mit einer scharfen Trennung von totem und lebendem Gewebe einhergehen würde. Wir müssen eh meist eine Bluttransfusion machen, und wenn ich dann noch das nekrotische Gewebe mit dem Skalpell entfernen würde …

Erwachsene mit Verbrennungen sind sehr viel seltener. Es sind dann fast immer Patienten mit einer Epilepsie, die während eines Anfalls in ein Feuer fielen. Das gibt entsprechend grässliche Verbrennungen, wenn der Patient bewusstlos war, und niemand zugegen war, der ihn sofort hätte aus der Glut ziehen können.

Vor ein paar Wochen wurde uns so ein Patient gebracht. Ein alter, freilich noch sehr rüstiger Mann. Er war allein auf seinem Reisfeld gewesen, hatte abends einen epileptischen Anfall bekommen und dann lange in dem kleinen Feuer gelegen, in das er gefallen war. Der linke Arm war hin, und die Verbrennungen auf Brust und Bauch gingen ganz sicher auch bis in die Muskulatur.

Der Mann klagte nicht, vermutlich gingen die Nekrosen so tief, dass alle Nerven zerstört waren. Seine Frau war bei ihm und ein Sohn.

Ich erklärte ihnen, dass ich den Arm würde amputieren müssen. Dass der nicht zu retten war.

Ich amputierte den Arm am nächsten Tag dicht unterhalb vom Schultergelenk. Vorher schaute ich noch einmal nach, ob der Arm wirklich nicht zu retten war. Er war es nicht, die Muskeln waren weiß wie die eines gekochten Huhns, und alle Blutgefäße waren tot. Nur ganz am Knochen gab es noch ein wenig rosigen Muskel, aber auch der blutete nicht mehr. Es ist immer noch ein seltsames Gefühl, einen Knochen durchsägen zu müssen.

Fast jeden Tag ging ich dann bei dem alten Mann vorbei, wunderte mich ein wenig, dass es ihm so relativ gut ging. Sein Verband war fast immer feucht, so wie es sein sollte. Und wenn ich zur Essenszeit kam, hatten seine Verwandten ihm fast immer wirklich gutes Essen gebracht. Nicht einfach nur ein bisschen Reis und ein paar gekochte Blätter sondern des Öfteren Fisch oder ein Hühnerbein. Er war aus Njassa, ein halbes Dutzend Kilometer von Lugala entfernt. Auf dem Weg nach Biro.

Irgendwann war es dann so weit, dass ich die Hauttransplantation machen konnte. Wir gaben dem alten Mann vorher noch eine Bluttransfusion. Es stand sofort ein Spender bereit.

Ich löste die Nekrosen bis fast zu den Rippen und bis tief ins Fettgewebe der Bauchwand. Hier und dort musste ich mit dem Skalpell nachhelfen. Ganz hatte sich das tote Gewebe noch nicht demarkiert. Aber der Blutverlust hielt sich in Grenzen. Es war ja kein Kind. Spalthaut entnommen, gemesht, aufgelegt. Ohne das Dermatom und ohne das Meshgraftgerät, die mir weitgehend vom Deutschen Institut für Ärztliche Mission (DIFAEM) und Kurts Freunden in Kehl spendiert worden waren, hätte ich nur zusehen können, wie der Mann entweder gestorben wäre oder furchtbare Keloidnarben entwickelt hätte. Wie man sie hier manchmal nach unbehandelten Verbrennungen sieht. Wenn dann die Eltern mit ihren verkrüppelten Kindern kommen. Wenn es zu spät ist. Rechtzeitig zu kommen, gleich nach der Verbrennung, war ihnen das Kind nicht wert. Schichtweiser Verband, und nun musste der alte Mann einfach eine Woche ruhig im Bett liegen, damit die Spalthaut anwachsen konnte.

Ich war ein wenig erstaunt, dass er keine Lungenentzündung bekam. Ich meine, er war wirklich ein alter Mann.

Verbandswechsel nach einer Woche, die Haut war weitestgehend eingeheilt. Noch einmal einen Verband, aber der alte Mann würde nun bald gehen können. Ich sagte zu ihm, dass es Zeit werde, wieder eine Hacke in die Hand zu nehmen.

»In nur eine Hand« fragte er.

Ich schwieg.

Tja, jetzt war der alte Mann ein Krüppel. Mir wurde das erst jetzt so richtig bewusst. Vorher hatte ich mich einfach nur um sein Überleben bemüht. Was konnte er noch mit nur einem Arm machen, auch wenn es der rechte war?

Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, seine Frau und sein Sohn würden ihn nun nicht einfach verhungern lassen. Nun, da der alte Mann nutzlos geworden war. Sie würden ihm sein Gnadenbrot geben, dachte ich – für eine Weile jedenfalls. Vielleicht war er ein guter Mann gewesen.

Bei abnehmendem Mond

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