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Polyphem

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[14. August 2006]

Ich ging noch auf der Entbindungsabteilung vorbei, einfach so, um zu sehen, ob alles ruhig war oder ob ich gerufen werden würde. Es war später Nachmittag. Serapia und Asha hatten Dienst. Es gab eine Neuaufnahme, die ich noch nicht gesehen hatte. Fatuma hieß die Frau. Aus Nawigo. Nawigo, das kleine Dorf zwischen Lugala und Malinyi, so man den direkten Pfad durch die Felder geht.

Es war Fatumas erste Schwangerschaft. Ein Meter dreiundfünfzig groß. Kindliche Herzfrequenz 134. Keine Wehen. Sie habe zuhause mal für eine kurze Zeit Wehen gehabt. Sie war gekommen, weil sie im rechten Oberbauch Schmerzen hatte. Nichts Besonderes, schien mir, aber ich wollte trotzdem einen Blick auf sie werfen.

Mir fiel auf, dass der Bauch sich an einer Stelle vorwölbte und ich die Füße oder irgendetwas Kindliches jedenfalls durch die Bauchdecke tasten konnte. Als wäre der Uterus geplatzt. Aber wie konnte das sein, wenn Fatuma noch keine richtigen Wehen gehabt hatte? Und außerdem reißt ein Uterus im unteren Segment ein und nicht am oberen Ende!

»Ich schaue wohl besser im Ultraschall nach, was da los ist.«

Asha brachte mir die Frau zum Ultraschallzimmer. Sie hatte Fatuma aufgenommen. Und war der Uterus nun geplatzt oder war er nicht geplatzt? Sicher war die Gebärmutter an einer Stelle ganz ganz dünn; aber ob sie geplatzt war? Ich konnte mich nicht entscheiden. Und wo war das Herz? Ich fand es nicht. Ich suchte und suchte und suchte, aber ich fand einfach kein schlagendes Herz.

»Wo haben Sie es gehört?«

»Dort«, Asha zeigte mir eine Stelle links neben dem Nabel.

Ich suchte noch einmal, ich fand kein schlagendes Herz.

»Bewegt sich Ihr Kind?«

»Ja.«

»Hm.« Während der Untersuchung hatte es sich jedenfalls kein bisschen bewegt. Der Kopfdurchmesser war 90 mm.

Ich sagte zu Asha, sie solle Fatuma wieder mit zurück auf die Station nehmen und mir dort zeigen, wo sie die Herztöne gehört hatte.

Ich folgte ihr.

Asha bemühte sich, die Herztöne zu finden.

Serapia bemühte sich die Herztöne zu finden.

Vergeblich.

Na ja, wenn es tot war, war vielleicht doch der Uterus geplatzt?

»Bewegt sich Ihr Kind wirklich noch?«

»Vor zwei Tagen hat es sich bestimmt noch bewegt.«

Ich konnte mir keinen Reim aus den Befunden machen. Hatte Asha wirklich Herztöne gehört? Und wieso waren die nun einfach nicht mehr aufzufinden? »Rufen Sie das OP-Team.«

»Kann der Uterus wirklich geplatzt sein, wenn die Frau gar keine Wehen hat«, fragte mich Lenna, die die Narkose gab.

»Eigentlich nicht; aber im Ultraschall sieht es wirklich so aus, als könnte er geplatzt sein. Und das Kind scheint tot zu sein. Aber klar ist mir das alles auch nicht!«

Längsschnitt.

Bevor ich die Gebärmutter aufschnitt, tastete ich sie ab. Ja, an einer Stelle wölbte sich die Uteruswand vor und schien sie ganz dünn zu sein. Aber geplatzt war sie nicht. Na gut, dann war es eben eine Fehlentscheidung gewesen, einen Kaiserschnitt zu machen. Das kam halt vor. Oder vielleicht war es auch keine Fehlentscheidung, denn sicher wäre der Uterus an eben der Stelle gerissen, sobald Fatuma richtige Wehen bekommen hätte. Und ein geplatzter Uterus gestaltet sich sehr sehr schnell zu einem Wettlauf mit dem Sensenmann!

Querschnitt durchs untere Segment. Fruchtwasser spritzte im Strahl durch den Saal, durchnässte das Hemd von Ndali. Wir lachten. Na ja, bei so viel Fruchtwasser würde mit dem Kind irgendetwas nicht stimmen, dachte ich. Mit der rechten Hand holte ich den Kopf aus dem unteren Segment. Das Kind lebte noch! Aber es hatte nur ein Auge. Ein Kyklop! Scheiße, es lebte noch. Ein Mädchen. Es öffnete sein eines Auge. Schrie. Sehr schrill.

Tindwa durchtrennte die Nabelschnur, ich gab das Kind Serapia.

Schweigend nähte ich den Uterus wieder zu.

Schweigend ging ich später zum Entbindungszimmer.

»Lebt das Kind noch?«

»Es atmet noch«, antwortete Serapia.

Ich ging zu dem Kind hin und legte ihm eine Decke über den Kopf.

»Es ist tot«, sagte ich.

»Wir haben bei der Morgenbesprechung gehört«, sagte Claudia (die Medizinstudentin) am nächsten Morgen, »dass gestern ein Kind mit nur einem Auge geboren wurde. Stimmt das?«

»Ja«, sagte ich. Ich hatte die Morgenbesprechung wegen eines weiteren Kaiserschnittes verpasst.

»Ich dachte, so etwas gibt es nur in Büchern!«

»Was geschah dir für Leid, Polyphemos, dass du so brülltest

Durch die ambrosische Nacht, und uns vom Schlummer erwecktest?

Raubt der Sterblichen einer dir deine Ziegen und Schafe?

Oder würgt man dich selbst, arglistig oder gewaltsam?«

Bei abnehmendem Mond

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