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Prolog in der Mitte der Geschichte

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In the streets of Berlin-I'll find you there

Meet you there-In the streets of Berlin

I'll take you far away from here

Wild Dogs; Streets of Berlin (1987)

Es war ein wunderschöner Herbsttag am Ende des Monats Oktober. Die Sonne erhellte die Straßenschluchten des Prenzlauer Bergs, schien den Menschen regelrecht ein Lächeln ins Gesicht zu treiben. Es blitzte und funkelte, wenn sich die Sonne in den Scheiben der Geschäfte und Restaurants sowie in den Autofenstern spiegelte. Sogar die Tristesse der steinernen Großstadt schien etwas Schönes an sich zu haben. Der Alltag, sonst eher grau und trübe, er glänzte. Das ganze Leben schien mit einer schimmernden Patina überzogen zu sein.

Alexander Perlmann stand am Straßenrand und wartete geduldig darauf, dass die Ampel auf grün schalten würde. Er war erschöpft und verschwitzt von seiner langen Forschungsreise. Aber sonst war er ganz mit sich im Reinen. Erstaunlich, wie schnell sich die Dinge manchmal ändern können, wie blitzschnell die Realität aus den Fugen geraten konnte. In diesem Moment schien für ihn alles noch in bester Ordnung zu sein. Keine Stunde später würde für ihn die Welt zerbrochen sein und er versinken in einem Malstrom aus Tod, Verderben, Verzweiflung und Verdammnis. An diesem Spätherbsttag nahm das Grauen für Alexander seinen Lauf. Als er später einmal wehmütig an diese letzten Momente des Glücks und der Geborgenheit zurückdachte, da fragte er sich: Warum? Warum ich? Warum wir? Womit habe ich diese Apokalypse denn verdient? An wen auch immer diese Frage gerichtet sein mochte, er bekam bis zur letzten Seite dieses Buches keine Antwort. Es blieb nur der Ruf Gottes, der schon aus dem brennenden Dornbusch an Mose lautete: Wo warst Du, als ich die Welt erschuf?

Alexander Perlmann; ein Name, der nicht nach großer weiter Welt klang. Aber er war in Kreisen der Wissenschaft nicht unbekannt. Er hatte schon mehrfach die entlegensten Orte der Welt bereist und Völker erforscht, von denen selbst Wissenschaftler vorher noch nicht wussten, dass sie überhaupt existierten.

Er war ein Mittdreißiger und fiel mit einer Größe von etwa 1,80 Meter nicht unbedingt in der Masse auf. Mit seinen geistigen Fähigkeiten überragte er allerdings die meisten seiner Zeitgenossen.

Man konnte ihn auf jeden Fall durchtrainiert nennen. Dies lag nicht unbedingt an einer sehr gesunden Lebensweise. Er war einfach so viel unterwegs in entlegenen Gegenden, so dass er keine Gelegenheit zu einem exzessiven Genuss von Lebensmitteln hatte.

Durch die Strapazen der Forschungsreisen war sein Körper gestählt, ohne dass er an einen Bodybuilder erinnerte. Am ehesten hätte man ihn von der Statur mit einem Zehnkämpfer vergleichen können. Irgendwie war sein wissenschaftliches Leben auch zu vergleichen mit den Leistungen dieser Könige der Leichtathletik. Es gab keine einzelne Disziplin, in welcher er zur absoluten Weltspitze zu zählen wäre. Aber er war in vielen Disziplinen wesentlich besser als die meisten seiner Kollegen und kannte sich in verschiedensten Forschungsbereichen sehr gut aus.

Alexander hatte sich niemals spezialisiert auf ein Forschungsgebiet, dies wäre seinem Naturell einfach zuwider gewesen. Er war seit Kindesbeinen an vielseitig interessiert. Unheimlich schnell gelang es ihm, Zusammenhänge herzustellen und er beherrschte perfekt die Kunst des Um-die Ecke-Denkens.

Er bewunderte die Lebensleistung seines Vaters Richard Perlmann und er hatte von ihm die Geradlinigkeit und die Halsstarrigkeit geerbt. So ließ er sich genau so wenig verbiegen wie dieser, allerdings war er bei seinem Vorgehen immer etwas höflicher bzw. diplomatischer. Doch konnte er mit Klauen und Zähnen für etwas kämpfen, wenn er es einmal als richtig und wichtig erkannt hatte.

Allerdings hatte Alexander nie ganz begriffen, weshalb sich sein Vater so auf das Thema Nekromantie innerhalb seiner Forschungen spezialisiert hatte. Richard war schon in sehr jungen Jahren ein geachteter Wissenschaftler gewesen. Allerdings hatte er sich durch seine Art der Kommunikation viele Gegner gemacht. Dies hatte im Laufe der Jahre dazu geführt, dass Richard nur noch wenige Freunde und Mitstreiter im Kollegenkreis fand und er immer weiter isoliert war. Kompromissbereitschaft war ein Fremdwort für ihn und er versuchte, seine Ziele um jeden Preis durchzusetzen. Dies führte in der Auseinandersetzung mit anderen Wissenschaftlern, aber auch mit der Politik und Sponsoren dazu, dass er kaum noch Fördergelder für seine Forschungen erhielt. Hinzu kam, dass er es in keinem Fachgebiet besonders lange aushielt und sich in immer abstrusere Forschungsthemen hinein bewegte.

Allerdings hatte Alexander durchaus den Eindruck, dass sein Vater in seinem momentanen Forschungsschwerpunkt durchaus glücklich war und ihm die Meinung der wissenschaftlichen Öffentlichkeit völlig egal war.

Dies war bei ihm, Alexander, nicht ganz so. Seine Forschungen waren so kostenintensiv, dass er sie ohne Sponsoren und ohne Ausschöpfung von Drittmitteln niemals durchführen konnte. Deshalb war er seit jeher zu einem Spagat gezwungen zwischen dem, was er eigentlich wollte und dem, was technisch und finanziell wirklich möglich war. Dies bereitete ihm oft Bauchschmerzen und er machte sich manchmal Gedanken darüber, ob das irgendwie geändert werden könnte. Deshalb genoss er es, dass er auf den Forschungsreisen, die er immer so lang wie möglich auszudehnen versuchte, weit weg war vom wissenschaftlichen Lehrbetrieb. So musste er keine Rücksicht mehr nehmen auf Menschen, die nur wenig Ahnung hatten aber dafür viel Geld.

Die verderbte Stadt

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