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Der Macumba-Ableger

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the feeling of an external silencer-the ritual has started

MAKUMBA is the real dark magic-while you cry evil laughs at you

Tales for the unspoken; Makumba (2011)

Ja, es gibt in den angrenzenden Regionen offenbar einige degenerierte Stämme urzeitlicher Menschen, die sich seltsamerweise komplett unterscheiden von den Stämmen in der Umgebung. Normalerweise gibt es zwischen benachbarten Stämmen oder Sippen immer irgendwelche Kontakte, einen gewissen Austausch an Informationen und Waren.Sogar genetisch gibt es immer Übereinstimmungen, da im Laufe vieler Jahrhunderte auch immer wieder Paarbildungen zwischen den verschiedenen Sippen vorkamen. Aber genau in eben jenem Grenzgebiet zwischen Peru und Brasilien gibt es einen Stamm, der offenbar jeden Kontakt mit anderen Stämmen meidet. Auch er wird von den ansässigen Stämmen selbst gemieden. Seit Hunderten von Jahren gibt es über seine Existenz nur Gerüchte, wenig mehr als leises Wispern im Wind der Geschichte. Es ist die Rede von großen anatomischen Abnormitäten bei diesen Individuen, von vielgestaltigen Missbildungen wird gesprochen. Die Gliedmaßen sollen in einem anderen Verhältnis stehen zum Körper als beim modernen Menschen. Das Gesicht ist oft deformiert, wenn man den Berichten Glauben schenken darf. Und Du darfst dabei niemals vergessen, dass diese Begegnungen nur sehr selten stattfinden. Es scheint den Eingeborenen fast so zu sein, als ob dieser Stamm nicht wirklich zur Gattung Mensch zu gehören. Aber diese Unterschiede in Anatomie und Physiologie sind offenbar nur das geringste Problem, welches alle anderen mit jenem Stamm haben. Es machen Gerüchte die Runde, in denen von Gebeten zu uralten, dämonischen Göttern die Rede ist. Götter, deren Existenz eine bloße Blasphemie darstellen soll, denen Menschenopfer gebracht werden müssen, um sie einst zurückzuholen aus ihrem Reich jenseits des uns umgebenden Universums. Götter, bei denen es uns Normal-Sterblichen schon das Leben kosten würde, bloß ihren Namen auszusprechen. Aber nein, um Deiner Frage zuvorzukommen, bei dieser Religion handelt es sich ganz sicher nicht um Macumba. Macumba ist zwar in diesem Gebiet auch relativ verbreitet und in vielen verschiedenen Spielarten vorhanden, aber im Vergleich zu den Praktiken des unnennbaren Stammes ist Macumba mehr als harmlos.“ - Richard lächelte leise in sich hinein. Nein, es war keineswegs ein freudiges Lächeln, sondern eher ein wissendes.

Macumba? Alexander durchforstete alle Winkel seines Denkens. Ja, er hatte schon von diesem Kult gehört. Und es war nicht gerade positiv, was sich da in seinen Erinnerungen verfangen hatte. Und ganz sicher war dies eine Religion, welcher er nur sehr wenig abgewinnen konnte.

Mit der Zeit kam seine Erinnerung wieder. Es war etwas, was er tief in den dunkelsten Ecken abgelegt hatte, denn es war ein destruktiver Kult. Eigentlich wollte er damit gar nicht viel zu tun haben. Es war sein Vater Richard, der ihm davon berichtet hatte. Dieser hatte bei seinen Studien zum Thema Nekromantie ja Kontakt zu den seltsamsten Kulten und religiösen Spielarten. Und er hatte ihm berichtet von einer seltsamen afro-brasilianischen Religion, die sich stark von ihren einst afrikanischen Wurzeln gelöst hatte und im Prinzip nur im Regenwald des riesigen Landes zu finden war. Nein, das war nicht ganz richtig. Richard hatte erzählt, dass es Ableger auf der ganzen Welt gab. Aber nur in Brasilien gab es eine große Volksgruppe, die sich zu dieser Religion bekannte.

„Weißt Du mein Sohn“, hatte er einst in einer ihrer vielen Unterhaltungen gesagt. Sie saßen in seinem Arbeitszimmer. Der Tisch war belegt mit einer Unmenge an Heften, Katalogen, Büchern und losen Artikeln. Genau in der Mitte thronte der Bildschirm seines Arbeitsrechners, während die Tastatur unter einigen losen Blättern nur zu erahnen war. Vor sich hatten sie zwei große Töpfe dampfenden Tees, denn beide einte die Leidenschaft für dieses köstliche Getränk. Sie hatten wieder in einem langen Dialog über die Projekte geredet, mit denen sie sich gerade intensiv beschäftigten.

„Ich habe in Paris einen kleinen Kreis Menschen kennen gelernt, die sich zur Religion Macumba bekennen. Es war mir klar, dass diese afrikanischen Ursprungs sein musste und ich erahnte ziemlich schnell, dass es sich um einen durchaus destruktiven Kult handelte. Diese Menschen jedenfalls kannten mich und meine Arbeit sehr gut. Sie wollten mir etwas zeigen, so sagten sie und luden mich in ihr Haus ein. Nun, Du kennst mich, meine Neugier und mein Forschungsdrang kennt so gut wie keine Grenzen. Also nahm ich diese Einladung dankend an und begab mich auf der Suche nach der Adresse in die verschwiegensten Gassen der riesigen Stadt. Mein Weg führte mich fort von den großen Verkehrsadern des Molochs. Immer kleiner wurden die Wege, wurden tatsächlich zu Gassen, in denen schwerlich zwei Menschen aneinander vorbeigehen konnten, ohne sich zu berühren. Die Häuserwände schienen auf mich zu zu kommen und irgendwann berührten sich fast die Dachfirste. So wurde das Licht des hellen Tages fast vollständig verschluckt und ich fühlte mich unangenehm berührt. Ich bin kein ängstlicher Mensch, aber ich ging zu fremden Menschen. Diese beschäftigten sich mit Dingen, welche das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Und dann veränderte sich auch noch die Umgebung um mich herum auf eine unheimliche Art und Weise. Ja, ich spürte eine atavistische Angst heraufziehen. Und ich bekam tatsächlich eine Gänsehaut.

Dann sah es zunächst so aus, als würde es überhaupt nicht mehr weitergehen. Eine feste Wand versperrte mir den weiteren Weg. Erst als ich mich direkt vor dieser Wand befand, konnte ich erkennen, dass rechts neben mir eine Treppe aus schlecht gemauerten Steinen in die Tiefe führte. Ich musste sofort an Katakomben denken und an die merkwürdigen Ereignisse, als ich den Wahrheitsgehalt der Geschichten von Lovecraft überprüfte.

Trotz meiner Bedenken betrat ich die Treppe, welche hinab in den Untergrund führte. Es war eine Wendeltreppe und sie führte mich etwa 5 Meter unter die Erde. Dort gab es einen Gang, dessen Boden aus gestampfter Erde bestand. Ich fragte mich, ob ich mich wirklich noch in der Hauptstadt Frankreichs befand, oder eine unbemerkte Reise in arabische Länder angetreten hatte.

Dieser Gang endete an einer einfachen, primitiven Holztür, welche mehr zeigte als sie verbarg. Man schien auf mich gewartet zu haben, denn ich war noch nicht ganz an die Tür heran getreten, da wurde sie mir von innen schon geöffnet.

Es war einer der Männer, welche mich eingeladen hatten.

Ohne Höflichkeitsfloskeln oder andere Phrasen eröffnete er gleich einen langen Monolog. „Macumba ist oft nur eine Sammelbezeichnung für die vielen lebendigen Traditionen aus Afrika, die bis weit in die weiße Mittelschicht hinein praktiziert werden. Diese werden die Tatsache aber nicht zugeben, denn sie öffnen sich hin zu westlichen Staaten und wollen nicht als rückständig angesehen werden.

Kennzeichnend für unsere Religion ist das Nutzen von Fetischen, weiße und schwarze Magie gehören zur Grundausstattung. Auch der Hexenglauben spielt eine enorme Rolle.

Macumba ist in unserem Heimatland Brasilien sehr negativ behaftet. Richtige Christen meiden Menschen, von denen es heißt, sie betrieben Macumba.

Letztlich stammt Macumba aus Westafrika und hat seine Entsprechung in Cuba im Santeria.

Die Sprache unserer Religion ist portugiesisch und nicht in einer afrikanischen Sprache. Das höchste Wesen, an welches wir glauben, nennen wir Zumbi.

Was uns wahrscheinlich von den anderen Kulten unterscheidet, die auch in Afrika entstanden sind, ist die besondere Verbindung mit den Toten.

Macumba unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse, anders als das Christentum. Es gibt nur eine herrschende Kraft und die Wertefeststellung liegt dadurch immer im Auge des Betrachters. In einigen Seitenlinien des Kultes wird eine Grenze des Erlaubten darin gezogen, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt ist. Dies ist allerdings keine gemeinsame Grundüberzeugung. Es gibt durchaus Anhänger, welche die Auffassung teilen: der oder das Stärkere überlebt. Von anderen afrikanischen Religionen werden wir sehr schräg angeschaut. Wir gelten als niederer oder gar verbrecherischer Spiritismus. Aber dies ficht uns natürlich wenig an, denn wir sind ja wie schon erwähnt der Auffassung, dass es eben nur eine Kraft gibt. Ob diese gut oder böse ist, hängt vom Betrachter und von der jeweiligen Situation ab.

Wir arbeiten stark mit den Mitteln der Zauberei. Viele Religionen arbeiten mit einem Fetisch. Selbst das christliche Abendmahl könnte man unserer Meinung nach als einen solchen bezeichnen, wenn man den Begriff etwas weiter fasst. Aber wir verstehen Fetisch nicht nur als einen kraftgeladenen Stoff, sondern im Macumba wird eine Gottheit in den Fetisch hinein gebannt. Dies erklärt auch seine übermächtige Wirkung.

All unsere Zauberei ist ausgerichtet auf den obersten Verderber aller Welten, welchen auch ihr Christen kennt. Wir benennen ihn Luzifer oder Beelzebub oder Aschtaroth. Er wird unterstützt von ganzen Heerscharen an Dämonen, welche in seinen Diensten stehen.

Wir nennen sie Exus und Du kannst getrost davon ausgehen: Alle Dämonen, welche Du dem Namen nach kennst: Sie dienen dem bösen Gott der Macumba-Zauberei. Und ihre Lieblingsfarbe ist schwarz. Unsere rituellen Gewänder sind schwarz“ (Mein Sohn, hier wurde mir richtig Angst und Bange-diese Männer trugen alle schwarze Gewänder-hieß das, sie wollten mit mir eine rituelle Handlung beginnen?).“

An dieser Stelle stockte Richard kurz. Er starrte vor sich hin und man konnte direkt erkennen, wie er die Szene noch einmal vor dem inneren Auge sah. Alexander lauschte ihm gebannt, wie er es fast immer tat. Er war fasziniert und entsetzt von dem, was sein Vater erzählte. Manchmal hatte er einfach das Gefühl, sein Leben bestehe aus verschiedensten Puzzlestücken, welche dann erst einen Sinn ergaben, wenn sie alle zusammengesetzt waren. Hier hatte er wieder dieses Sehnen im Körper. Es zog durch ihn hindurch. Alexander konnte es objektiv nicht erklären, aber dies war einer der Zeitpunkte, wo sich einfach eins zum andern fügte. Sein Vater fuhr mit seiner Erzählung fort:

„Ich konnte meinen sorgenvollen Gedanken kaum zu Ende führen, da sprach der eine wieder: „Werde nun Zeuge einer solch mächtigen Beschwörung und sei Teil des umfassenden Netzwerkes des Bösen. Hast Du die Pakete gesehen, die draußen an Straßenkreuzungen lagen? Nein, nicht im Herzen der französischen Metropole, sondern hier in der Nähe, als die Gassen immer kleiner und enger wurden? Ja, dein Blick verrät mir, dass Du sie gesehen hast. Dies waren Gaben für die Boten der Götter, für unsere Exus. Weißt Du, wir wollen und werden sie damit gefügig machen und gleichzeitig schützen wir uns durch diese Gaben vor ihnen. Denn sie sind gefährlich und sie sind auch bösartig. Jederzeit könnten sie ausbrechen und sich auch gegen uns wenden. Dies gilt es unter allen Umständen zu verhindern. Wir gehen davon aus, dass diese Boten draußen hin- und her eilen, um die verschiedenen Aufträge auszuführen. Dabei bemerken sie unsere Opfergaben und wir können uns ihrer bedienen.“

Nun, mein Sohn, senkte dieser Mann weiter die Stimme, um mir Erklärungen zu liefern. Hinter ihm aber wiegten sich seine Begleiter hin und her und begannen mit einem Ritual. Ich hörte Gesänge und ich hörte auch Beschwörungsformeln. Ich kann sie nicht wiedergeben, denn ich war der Sprache nicht mächtig. Aber ich bemerkte, dass sie extrem ernsthaft waren.

Was folgte, hörte sich an wie ein alter Abzählreim. Fast so einer, wie Kinder ihn benutzen: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht...

Der Mann erklärte mir, dass nunmehr die Kulthandlung beginne. Wir beschwören nun Wesen, welche auf unserer Erde nicht existieren, sagte er. Wir sind die Speerspitze der Entwicklung. Wir beschwören Mächte von außerhalb jeder Vorstellungskraft. Sie existieren jenseits unseres Universums und wir werden ihnen helfen, unseren Makrokosmos zu erobern.

Du, so haben die Götter festgestellt, bist eine Gefahr für sie. Also werden wir Dir zeigen, worauf Du Dich im Begriff bist einzulassen.

Eine kleine Schüssel wurde hereingetragen. Diese war leer. Mein Begleiter bat mich hinzu und zeigte sie mir. Fast fühlte ich mich wie bei einem amateurhaften Zaubertrick, aber das ungute Gefühl wollte mich nicht verlassen. Einer der Männer nahm eine Handvoll Kaurimuscheln und warf sie in die Schale. Immer schön einzeln. Und bei jeder dieser Muscheln sprach er ein Wort aus in einer Sprache, die nicht von dieser Erde stammen konnte.

Krath (klack)

a`lyktm (klack)

chruktra (klack)

lyah (klack)

querff (klack)

lártyrhh (klack)

cherith (klack)

ia (klack)

Und mit jedem Wort klapperte eine neue Muschel in der Schale. Es klang so hohl wie Knochen in einem Zinksarg. Ich dachte, mir würde das Blut in den Adern gerinnen.

Dann wurden ein paar Stofffetzen hereingetragen, die alle ein rüsselartiges Aussehen hatten. Unter anderen Umständen hätte ich darüber gelacht, aber dies hätte nicht meiner damaligen Stimmung entsprochen. Immer wieder unter unheimlichen Beschwörungsritualen wurden Nadeln in diese Stofffetzen hineingestochen. Und Alexander, Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber ich verspürte an verschiedenen Stellen meines Körpers große Schmerzen.

Dann fassten sich die Männer an den Händen und füllten diese mit Schießpulver. Sie verteilten das Pulver nicht nur auf den Händen, sondern auch auf den Armen, so dass es einen geschlossenen Kreis ergab. Dann nahm mein Gesprächspartner eine Kerze und entzündete das Schießpulver. Es gab eine leichte Explosion und Flammen waren zu sehen, überall da, wo sich Schießpulver befunden hatte. Dies war zu erwarten gewesen. Was mich aber doch verblüffte, war die Tatsache, dass dies keinerlei Verletzungen hinterließ. In der Schüssel begann sich etwas zu regen.

Ich traute meinen Augen kaum, aber aus den Muscheln krochen so etwas wie Fangarme oder wie die Tentakel von Kraken. Es waren nur sehr kleine Gebilde, ich konnte sie bei der düsteren Beleuchtung kaum erkennen. Aber es gab eine eindeutige Bewegung.

Mein Gesprächspartner ließ auf einmal seinen Kopf nach hinten fallen. Er war ganz offensichtlich in Trance gefallen. Und nun begann er Worte auf portugiesisch zu sagen. Ich konnte nicht alles verstehen, dazu reichte mein Sprachschatz nicht aus. Aber den wesentlichen Inhalt kann ich hier wohl wiedergeben: Ihr, die Ihr kommt aus den Weiten hinter den Sternen. Ihr, die Ihr gewartet habt seit Äonen. Ihr, die Ihr gekommen seid, die ganze Schöpfung zu zerstören. Ihr, die Ihr als Samenkorn warten musstet auf den richtigen Moment. Ihr, die Ihr kommt, um Euch zu nehmen, was Euch seit alters her gehört. Kommet und sehet den Widersacher. Kommet und nehmet Kontakt auf zu diesem Hindernis, dieser Probe, diesem Ärgernis. Sehet, spüret, was für ein Mensch. Ein Mensch, kein Gott. Sehet. Spüret.

Dann murmelten alle Beteiligten außer mir mehrmals diesen Fluch, denn etwas anderes kann es nicht gewesen sein:

Krath a`lyktm chruktra lyah querff lártyrhh cherith ia.

Diese Tentakel erhoben sich, verließen die Schüssel. Nein, sie verließen sie nicht direkt, aber sie dehnten sich unheimlich aus und kamen mir in rhythmischen Bewegungen immer näher. In der gleichen Zeit stießen die Männer immer schneller und immer lauter seltsame Beschwörungsformeln aus.

Diese Tentakel schienen mich zu mustern, eingehend zu inspizieren. Es war wohl ein Beobachtungsposten, der das feindliche Terrain sondierte. Immer näher kamen sie meinem Gesicht und ich befürchtete, dass sie in wenigen Momenten in mich hineinkriechen könnten.

Ich riss mich los aus dieser Bannung und verließ fluchtartig die Behausung des Grauens. Hinter mir hörte ich immer noch den anschwellenden Singsang der Beschwörungsformeln. Ich rannte diese seltsame Treppe hinauf, ohne mich auch nur noch ein einziges Mal umzusehen. Ich floh diesen widerwärtigen Ort und ich habe ihn nie wieder betreten. Und eines kann ich Dir mit Sicherheit sagen. Ich werde ihn auch nie wieder betreten.

Mir war auch die ganze Zeit danach unheimlich zumute. Ich wusste nicht, worauf diese ganze Vorführung hinauslaufen sollte. Wozu hatten mich die Männer hierher bestellt? Natürlich war ihnen bekannt, dass ich einer der wenigen Menschen war, welche sich ernsthaft mit Nekromantie beschäftigten. Aber wieso verrieten sie mir hier innerste Geheimnisse ihrer Lehre, die streng gehütet waren. Dies konnte im Endeffekt doch nur heißen, dass...

Nun, es lief mir jedenfalls eiskalt den Rücken hinunter, das kann ich Dir versichern, mein Sohn.“

Wenn also eine solch fast entartete Religion dann noch als harmlos gilt, dann musste die andere Glaubensrichtung schon verderbt bis in den innersten Kern sein.

„Woher weiß man dann überhaupt etwas über diesen Stamm oder diese Sippe von Macumba-Jüngern, wenn sie keinen Kontakt zur Außenwelt haben?“ fragte Richard seinen Sohn.- „Ganz genau kann ich es Dir auch nicht sagen. Mir persönlich liegt nur der Bericht eines Jesuitenpaters vor, der dort vor 150 Jahren eine Art Krankenhaus betrieb. Dieser Pater muss eines Tages einen jener entarteten Menschen als Patient behandelt haben. Selbst schrieb er sogar, dass er lange daran Zweifel hatte, tatsächlich ein humanoides Wesen vor sich zu haben. Im Bericht steht auch noch, dass all seine eingeborenen Helfer den Kontakt zu diesem Individuum mieden. Eine Kommunikation mit diesem männlichen Wesen war kaum möglich. Er stieß tiefe, raue und kehlige Laute aus. Seine Augen flackerten wie in wildem Brand, als würde dahinter das Feuer der Hölle lodern. Sie irrten unruhig von einem Punkt zum nächsten, ohne mehr als eine Sekunde Ruhe zu finden. Nur mühsam gelang es, mit ihm in einem alten, kaum noch gesprochenen Dialekt dieser Region zu reden. Er war wohl entsetzlich zugerichtet, es muss ein gewaltiger Kampf stattgefunden haben. Dem Priester kam es so vor, als wenn ein riesiger Tintenfisch das Wesen mit seinen Tentakeln umschlossen und dann zugedrückt hätte. Überall, wo man Saugnäpfe vermuten könnte, waren große runde Hautteile aus ihm herausgerissen. Die Wunden hatten sich schlimm entzündet und das Wesen musste furchtbare Schmerzen leiden. Allerdings lehnte es jede Art von Medikamenten ab, verweigerte ebenso gekochte oder irgendwie zubereitete Nahrung. Letztlich war es so, dass der Priester ihm nachts, wenn die anderen Patienten schliefen und nur noch die beiden wach waren, rohes Fleisch zu essen (zu fressen?) gab. Darauf stürzte sich der Patient allerdings mit Heißhunger und verschlang buchstäblich alles.

Aus den Aufzeichnungen des Paters geht hervor, dass dieses menschenartige Wesen aufrecht laufen konnte, seine Hände überproportional groß waren. Sein Gesicht wirkte seltsam flach und eingefallen, die hohe Stirn schien zu fliehen. Seine Finger waren kaum in der Lage, etwas ordentlich zu umgreifen, mit einem Werkzeug umzugehen, um etwas Nützliches zu schaffen, schien nicht zu seinen täglichen Aufgaben zu gehören. Allerdings musste er ein erstaunlich gutes Gehör haben. Nachts, wenn sich der Priester zu dem Wesen setzte, um eine Unterhaltung zu versuchen, bemerkte er, wie es ganz offensichtlich seine Ohren spitzte. Im Gegensatz zu uns modernen Menschen konnte er sie auch in verschiedene Richtungen drehen. Manchmal schienen die Geräusche, welche für den Priester selbst unhörbar waren, zu beruhigen und eine Art friedlicher Ausdruck erschien auf dem Gesicht und er gab pfeifende Laute wie von einem Musikstück von sich. Manche Nacht aber weiteten sich die Augen vor Schreck und ein Ausdruck des Entsetzens und wahnsinniger Angst beherrschte das Wesen. In den wenigen Worten des uralten Dialektes erfuhr der Priester nur wenig über den seltsamen Stamm. Fest stand aber, dass sich dieser Stamm für auserwählt hielt, etwas Großes zu vollbringen. Er wäre einem höheren Wesen dienstbar, welches schon länger existierte als der Anbeginn der Zeit. Dieses Wesen umfasste in der Vorstellung des Stammes mehr als den gesamten uns bekannten Makrokosmos. Nein, es kam aus den Äonen vor der Erschaffung der Welt. Nun würde es aber in einer Art Totenruhe warten, bis die richtige Liturgie mit dem richtigen Opfer die Welt bereit machen würden für die Wiedergeburt des Wesens.

Wie gesagt, dies steht so in den Aufzeichnungen des Priesters, der sich viel davon selbst zusammengereimt hat aus dem halbmenschlichen Gestammel seines Patienten. In einer Nacht, als das Wesen offenbar etwas ruhiger schien, gestattete er sich die Frage nach der Ursache für die schwerwiegenden Verletzungen und Wunden, verstreut über den ganzen Körper.

Als Reaktion erhielt er nur einen völlig panikartigen entsetzten Aufschrei. Der Rest klang wie das Geschnatter einer ganzen Schimpansenfamilie, wenn sie aufgeregt ist. In diesem Kauderwelsch war die Rede von etwas Totem, was doch nicht ganz tot war und sich einfach die Opfer greife, die es benötige. Dann sprang das Wesen auf und rannte davon. Der Priester hat ihn nie wiedergesehen und auch kein anderes Individuum jener verderbten Art. Ich selbst konnte auch in vielen Forschungsberichten aus moderner Zeit kein weiteres Zeugnis für jenen geheimnisvollen Stamm finden. Auch historische Augenzeugenberichte, welche sowieso sehr unglaubwürdig waren, erzählten nur von seltsam aussehenden Wesen, die kehlige Laute ausstießen, die man eher einem Hund als einem menschlichen Wesen zuordnen würde.“

Die verderbte Stadt

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