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Die Ankunft : Syrakus, 404 vor Christus ̶ Panos

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Ismene hat sich immer grosse Sorgen gemacht. Werden wir in der fremden Stadt einen Platz zum Leben finden und auch arbeiten können? Nach der Erzählung von Ariston ist sie nun etwas beruhigt. Sicher ist nichts, aber es sieht doch so aus, als ob ein gutes neues Leben möglich wäre.

Syrakus ist zwar noch in weiter Ferne, aber das Wetter ist meist gut, und so erwarten wir, unser Ziel noch vor dem Einsetzen der Winterstürme zu erreichen.

Wir gewöhnen uns an die Wellen, den Wind, bald ist nur noch Anisa seekrank, und wir anderen fangen an, die Seereise richtig zu geniessen. Nach einigen Tagen legen wir in Katane an, dem letzten Hafen vor Syrakus. Bald wird unser neues Leben beginnen, alle hoffen das Beste, aber es ist für uns alle ein sonderbares Gefühl, in einer fremden Stadt mit einer ungewissen Zukunft an Land zu gehen.

Dunkle Wolken drohen am Himmel, der Wind peitscht über das Meer, als wir Syrakus ansteuern. Der Steuermann hat grosse Mühe, das Boot in den Hafen zu bringen und anzulegen. Aber dann sind wir sicher gelandet und verabschieden uns von dem guten Menos.

„Mögen die Götter euch beschützen!“ wünscht er und winkt uns zu, als wir im strömenden Regen am Kai stehen.

Wir sind augenblicklich patschnass, alle betrachten etwas mutlos die nassen grauen Mauern rund um uns herum. Ariston aber marschiert zielsicher auf eine schmale Gasse zu. In den kleinen Läden werden Haushaltgeräte, Töpfe und auch allerlei Krimskrams verkauft. Ein paar Läden aber sind verschlossen. Bei einem bleibt Ariston unschlüssig stehen, dann fragt er den Besitzer des Ladens nebenan:

„Wo ist Simon, er hat doch hier Schuhe verkauft? Du kennst ihn doch sicher.“

„Ach der Simon,“ seufzt der Mann, „der ist auch gestorben bei der grossen Seuche, er und seine ganze Familie, darum steht der Laden ja leer!“

„Was für eine Seuche?“ will Ariston nun wissen.

„Hat du nicht davon gehört? Es war ganz schrecklich, so viele Leute sind ganz plötzlich krank geworden und in kurzer Zeit gestorben, schau dich mal um, da und dort ist ein Haus unbewohnt, ein Laden leer, einfach fürchterlich. So viele Menschen sind der grausamen Krankheit zum Opfer gefallen. Wir haben die Götter angefleht, uns zu helfen, aber sie haben sich von uns abgewandt, wir haben sie wohl verärgert!“

Ariston wird bleich. Er wollte doch zu Eukleidas, seinem alten Meister, was, wenn der auch der Seuche zum Opfer gefallen ist? Ariston scheucht uns weiter, wir müssen das Haus des Eukleidas finden. Unser Weg führt uns durch ein Gewirr von Gassen und Gässchen, aber Ariston geht unbeirrt voran, er kennt den Weg. Dann plötzlich bleibt er vor einem grossen, alten Gemäuer stehen und sagt leise:

„Wir sind da.“

Das Haus sieht verlassen aus, das Tor ist geschlossen. Ariston klopft, wir warten. Nichts passiert. Ariston klopft energischer, aber auch dies bringt keine Antwort. Jetzt versuchen wir, das Tor zu öffnen und siehe da, es lässt sich aufstossen. Wir treten in einen idyllischen kleinen Hof ein, blühende Ranken hängen über die Mauern, eine kleine Bank unter einem Baum lädt zum Ausruhen ein. Aber kein Lebenszeichen ist zu entdecken. Vorsichtig stossen wir die Türe zum ersten Zimmer auf, aber auch dieses ist leer, genauso wie das zweite. Ismene steigt die Treppe zum oberen Stock hoch und schaut dort um sich. Plötzlich ruft sie:

„Kommt, rasch!“

Wir alle rennen die Treppe hoch, und da zeigt sie auf einen alten Mann, der auf einer Matte am Boden liegt. Ariston kniet sich nieder, nimmt seine Hand und fragt:

„Eukleidas, wie geht es dir? Bist du krank?“

Der alte Mann öffnet die Augen:

„Ariston,“ flüstert er, „dich haben die Götter gesandt.“

„Was ist denn passiert?“ will Ariston nun wissen.

„Die Seuche hat meine ganze Familie dahingerafft, ich bin noch übrig, ich allein habe die Krankheit überstanden, aber wozu?“

„Damit du deine Kunst weiterführen kannst, natürlich, ich bin da mit meiner ganzen Familie, und wir werden dir helfen.“

Erst jetzt bemerkt Eukleidas uns alle, die um ihn herumstehen. Er lächelt:

„Da haben mir die Götter wohl eine ganze Familie gesandt!“

Ismene aber kniet sich nun neben Eukleidas nieder:

„Du musst wieder zu Kräften kommen, du braucht etwas zu essen. Wir werden für dich sorgen, bald wirst du wieder auf den Beinen sein!“

Eukleidas versucht aufzustehen, seine zittrigen Beine wollen ihn aber nicht tragen. Er protestiert zwar, als wir ihn einfach aufheben, aber ist dann doch froh, auf einem weichen Bett liegen zu können. Der Rest des Hauses ist offensichtlich leer, Eukleidas weiss wohl, dass seine ganze Familie von der Suche dahingerafft worden ist, ob die Sklaven auch gestorben oder einfach weggerannt sind, kann er nicht sagen.

Ismene übernimmt gleich das Zepter im Haushalt, zaubert ein Essen auf den Tisch, sorgt für saubere Schlafplätze und für frische Luft im Haus. Am Abend liegt Eukleidas auf einer bequemen Liege und erkundigt sich, wie es Ariston in den letzten Jahren ergangen ist.

„Du warst mein bester Schüler, ich hoffe, du hast auch in Athen deine Kunst ausgeübt, es wäre doch jammerschade, wenn all das, was ich dir beigebracht habe, verloren gegangen wäre!“

Ariston meint: „Ich erzähle dir gerne alles was passiert ist, aber es ist eine lange Geschichte!“

„Umso besser!“ strahlt jetzt Eukleidas, „ich liebe lange Geschichten!“

Es ist schon erstaunlich, was etwas Fürsorge und ein gutes Essen aus dem zittrigen alten Mann gemacht haben. Er scheint Jahre jünger geworden zu sein und bittet Ariston nun, mit seiner Erzählung zu beginnen.



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