Читать книгу Der Stempelschneider - Jürg und Susanne Seiler - Страница 9

Am Meer : Pagai / Korinth, 404 vor Christus ̶ Panos

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Die Stadt klebt auf einem kleinen Hügel und ist von einer Mauer umschlossen. Eine breite Strasse von Süden kreuzt sich mit einer ebenso breiten von Osten und damit von Megara her. Offensichtlich werden beide eifrig genutzt, wir können winzig kleine Fuhrwerke, eine Reihe von beladenen Eseln, Fussgänger und Händler mit kleinen Schubkarren entdecken. Aber zu unserem Schrecken sind auf beiden Strassen auch Reiter unterwegs. Nicht alle sind wohl im Dienste des Kritias, nur wie können wir sie unterscheiden? Reiter, so beschliessen wir, Reiter sind unbedingt zu vermeiden.

Der Hafen liegt etwas unterhalb der Stadt, und dort ankern auch zwei recht grosse Schiffe.

„Schaut,“ ruft Niko, „dort im Hafen liegen zwei grosse Schiffe, vielleicht geht eines davon nach Syrakus, das würde uns den ganzen langen Weg nach Korinth ersparen!“

Noch können wir aber nicht erkennen, um welche Art von Schiffen es sich handelt: Sind es Kriegsschiffe? Oder doch Handelsschiffe? Der Hafen liegt doch noch etwas zu weit weg, daher wandern wir vorerst einmal weiter. Bald aber sind wir näher, die Sicht auf den Hafen besser. Wieder meint Niko:

„Schaut, das sind doch grosse Schiffe, die können das Meer überqueren und nicht nur der Küste entlang fahren oder von Insel zu Insel rudern!“

Ariston betrachtet die Schiffe lange, dann sagt er:

„Das sind Kriegsschiffe, schaut nur die dreifachen Ruderreihen. Diese Schiffe nützen uns gar nichts, im Gegenteil, wir dürfen dort nicht in die Nähe kommen, wir müssen den Hafen der Fischer suchen, der liegt wohl etwas weiter weg!“

Alle sind enttäuscht, haben sich bereits an Bord eines grossen Schiffes auf dem Weg nach Syrakus und in Sicherheit gefühlt. Niemand sagt etwas, alle marschieren schweigend weiter, entschlossen, auch so zu unserem Ziel zu kommen.

Nach einer Weile können wir kleinere Boote in einer Bucht neben dem grossen Kriegshafen erkennen. Das muss unser Ziel sein, dort können wir hoffentlich Theophanos finden. Bald können wir Pagai in seiner ganzen Grösse betrachten. Wir alle haben einen kleinen Ort erwartet, aber was da vor uns liegt, ist eine richtige Stadt, Häuser, eine Akropolis, durch die offenen Stadttore strömen Menschen ein und aus. Auf dem grossen Markt ausserhalb der Stadt scharen sich Menschengruppen um Stände, stehen diskutierend herum oder schlendern von Stand zu Stand. Die letzten Stände grenzen an einen kleinen Hafen. Boote liegen dort, Menschen tragen Körbe von den Booten ans Land und an grossen Pfosten hängt etwas, das wir erst nicht erkennen können. Dann aber ruft Niko:

„Netze, das sind Netze, das ist der Fischerhafen, er grenzt an den Markt!“

Bis hierher haben wir es geschafft. Wie aber ist der Fischerhafen zu erreichen? Wenn wir die Stadt umgehen, müssen wir die grossen Strassen kreuzen und sogar ein Stück auf der Strasse von Megara her wandern. Das ist zu gefährlich. Daher setzen wir uns unter einen Baum und überlegen, wie wir dieses Problem lösen können.

Die Leute des Kritias suchen nach drei Männern und drei Frauen, diese Beschreibung stimmt zwar nicht mehr, aber als Fremde werden wir auffallen, und irgendjemand könnte uns doch erkennen. Was immer sich auf der grossen Strasse bewegt, ist von weit her zu sehen. Vielleicht doch besser durch die Stadt selbst? Da sind viele Menschen, enge Gassen und vielleicht doch bessere Deckung? Oder nachts? Wie ist das aber mit den Stadttoren, die sind doch nachts geschlossen? Und fällt eine Gruppe von Menschen, die nachts durch die leeren Gassen oder über die Strassen eilen, nicht noch mehr auf? Und was tun wir dann am Hafen, bis die Fischer auftauchen?

Wir entscheiden uns für den Weg durch die Stadt. Ariston möchte, dass wir alle gemeinsam zum Hafen marschieren, dann, so meint er, sind wir wenigstens zusammen. Aber ich glaube, so fallen wir zu sehr auf, und ich überlege mir rasch unsere Möglichkeiten.

Dann erkläre ich meinen Plan:

„Wir müssen uns aufteilen. Auf den kleineren Wegen durch die Stadt und durch die Märkte bis zum Hafen sind wir sicherer als auf den breiten Strassen, aber als grosse Gruppe werden wir bestimmt trotzdem auffallen. Auch dürfen wir nicht durch die Gassen hasten wie erschreckte Schafe und uns immer wieder umschauen. Wir müssen uns benehmen, als ob wir normale Bürger wären, die auf dem Markt ihre Einkäufe tätigen wollen. Keine Hast, keine vorsichtigen Blicke in alle Richtungen.

Wir schlendern ganz gemütlich zur Stadt, so als ob wir alle Zeit der Welt hätten. Wir spazieren beim nördlichen Tor in die Stadt hinein, beim westlichen in Richtung Hafen wieder hinaus, und wenden uns dann dem Markt vor dem Fischerhafen zu.

Wir alle haben die Marktstände gesehen. Dort können wir ohne aufzufallen stehen bleiben und aufeinander warten.“

Der Plan scheint allen gut, wir treten nicht als grosse Gruppe auf und werden so hoffentlich weniger beachtet.

Phoebe und Ariston ziehen als erste los. Beim Stadttor stehen zwei Wächter, die sie aufhalten.

„Was wollt ihr in der Stadt? Woher kommt ihr?“

„Wir wohnen dort oben in den Hügeln und wollen zum Markt. Heute ist doch Markttag, oder?“

„Sicher, sicher, geht nur, ach, ich möchte mir auch lieber dort die Waren ansehen, als hier die Beine in den Bauch zu stehen, aber so ist das Leben! Geh nur, Bruder, und kauf deinem Sohn was Schönes!“

„Das werde ich tun!“ versichert Ariston, und sie ziehen weiter.

Bei der nächsten Biegung bleiben sie stehen und wagen einen Blick zurück. Ismene und Anisa sind offenbar nicht aufgehalten worden, sie sind schon hinter ihnen. Niko und ich sind etwas unsicher. Als junge Männer werden wir wohl mit Argwohn betrachtet. Glücklicherweise taucht da aber eine Gruppe von Männern auf, denen wir uns still und leise anschliessen. Sie sind so in ihre Gespräche vertieft, dass sie uns gar nicht bemerken. Die Wachen hingegen kennen die Leute offenbar und winken die ganze Gruppe und damit auch uns ehrerbietig durch.

Nach dem Tor biegen wir sofort ab und warten bei einem Hauseingang, bis die Gruppe weiter gezogen ist. Enge, verwinkelte Gässchen nehmen uns nun auf, winden sich hügelaufwärts und abwärts, um alle Ecken herum. Bei jeder Kreuzung halten wir Ausschau nach Ariston oder Ismene, das Gewimmel von Menschen wird aber immer dichter. Wir vertrauen einfach darauf, dass alle den Weg zum westlichen Tor finden. Bald haben wir aber das Gefühl, dass wir uns hoffnungslos verlaufen haben, wir sind mitten in einem Menschengewühl, das sich durch die Gassen schiebt nach links, nach rechts, um eine Ecke und wieder um eine Ecke. Vom Rest der Familie ist weit und breit nichts zu erkennen. Wir beeilen uns, wir müssten sie doch längst eingeholt haben.

Und da endlich sehen wir vor uns Ariston und Phoebe in die nächste Gasse einbiegen. Wir folgen ihnen, schauen vorsichtig nach links und rechts, denn irgendwo müssten ja auch Anisa und Ismene sein. Haben wir die verloren? Und wo nur ist das westliche Tor? Wir schlendern langsamer und langsamer, aber auch mein nächster vorsichtiger Blick in die Runde ist ohne Erfolg. Sollen wir Ismene und Anisa suchen? Da bleibt Ariston stehen, Phoebe bückt sich und rückt ihre Sandalen zurecht, schaut zurück und winkt mit dem Zeigfinger. Gut, sie hat uns gesehen, bleiben noch Ismene und Anisa. Wir bleiben stehen und betrachten ein grosses Tor, das gibt uns etwas Zeit und siehe da, Ismene und Anisa biegen hinter uns um die Ecke, Ismene nickt und mir fällt ein Stein vom Herzen, die Familie ist wieder beieinander.

Glücklicherweise strahlt die Sonne unverdrossen vom Himmel, und mit ihrer Hilfe finden wir den Weg nach Westen. Nach der nächsten Biegung stehen wir vor dem Tor.

Auch da stehen Wächter, diese aber kontrollieren nur die Leute, die in die Stadt hinein kommen und beachten uns kaum. Etwas weiter unten beginnt nun der Markt, Gerüche aller Art schweben uns entgegen und bald begrüssen uns die bunten Farben der ersten Stände. Händler preisen uns sofort ihre Waren an, es gibt offenbar fast gar nichts, das wir ihrer Meinung nach nicht dringend brauchen. Immer wieder müssen wir einen gar hartnäckigen Kerl abschütteln, damit wir weiter Richtung Fischerhafen ziehen können. Zwischen den Ständen hindurch können wir bereits einen Blick auf Fischerboote erhaschen.

Wieder bleibt Phoebe stehen und zieht ihre Sandalen fest. Wir andern schliessen auf, ohne einander zu beachten. Wir wandern in die gleiche Richtung, benehmen uns aber, als würden wir uns gar nicht kennen. Wie alle andern Marktbesucher wandern wir von Stand zu Stand, betrachten die Waren, wimmeln hartnäckige Händler ab, bis wir am Rand des Marktes angekommen sind.

Der Geruch von Fisch weist uns den Weg, der Fischerhafen liegt vor uns. Ismene und Anisa bleiben bei den letzten Ständen stehen, wir wenden uns den Schiffen zu. Ariston und Phoebe kennen ihre Rollen. Er schärft Phoebe nochmals ein: „Du bist mein Sohn und ich will dir den Fischerhafen zeigen. Du musst die Schiffe ganz interessiert ansehen und falls ein Fischer fragt, was wir tun, interessierst du dich brennend für Fische und Fischernetze und was weiss ich noch, es wird dir schon was einfallen!“

„Keine Sorge“ versichert sie, „du wirst staunen, wie sehr sich dein Sohn für die elenden Fische interessiert! Wart es nur ab!“

Sofort nähern sie sich dem ersten Boot und betrachten es aufmerksam. Ich wage einen Blick zurück. Ismene und Anisa betrachten bei einem Marktstand Stoffe, das ist gut. Wir halten uns hinter Ariston, denn jetzt müssen wir uns auf die Suche nach Theophanos machen.

Wir bleiben beim ersten Boot stehen, Ariston und Phoebe schlendern nun zum zweiten und dann zum dritten Boot. Dort flickt ein Fischer seine Netze.

„Warum hat dein Netz Löcher?“ fragt jetzt Phoebe. Der Fischer schaut auf und lacht. „Das passiert halt einfach immer wieder, wenn wir einen grossen Fang haben.“

„Verzeih!“ schaltet sich Ariston nun ein, „mein Sohn interessiert sich sehr für Boote und Fischer. Wir wohnen oben in den Hügeln, da sieht er das Meer eben nur von Ferne!“

Dem Fischer scheint das zu gefallen, er zeigt Phoebe mit Begeisterung sein Boot. Phoebe spielt mit und lässt sich alles erklären.

„Hast du denn noch nie ein Fischerboot gesehen?“ fragt der Fischer.

„Nein,“ meint Phoebe, „du weisst ja wir kommen aus den Hügeln, dort hat es nur Schafe!“

Der Fischer lacht. Ganz beiläufig erzählt Ariston nun dem Fischer:

„Unser Nachbar, der hat einen Verwandten, der hier Fischer ist. Wir sollen ihm Grüsse bringen. Kennst du ihn?“

„Da müsste ich schon wissen, wie er heisst!“

„Ach so, natürlich, er heisst Theophanos, kennst du einen Theophanos?“

Niko und ich horchen nun gespannt.

„Nicht hinüberschauen!“ schärfe ich Niko ein!

Wieder lacht der Fischer:

„Einen? Ich kenne sogar zwei, seht ihr dort drüben das Boot mit dem blauen Mast? Das gehört dem Theophanos, dem Vater und der junge Mann, der dort gerade die Netze aufrollt, das ist auch Theophanos, aber der Sohn!“

„Das freut mich, wir müssen die beiden begrüssen!“

Ariston bedankt sich bei dem freundlichen Fischer und spaziert langsam weiter bis zum Boot der beiden Theophanoi. Der Vater klettert gerade vom Boot, als sie dort ankommen. Wir rücken auch etwas näher, wir möchten die Unterhaltung mit Theophanos mitbekommen. Ariston begrüsst ihn und erzählt ihm, dass er Grüsse von Georgios bringe. Daraufhin verdüstert sich das Gesicht des Fischers, er mustert Ariston und Phoebe schweigend, und wir alle befürchten schon, einen falschen Theophanos erwischt zu haben. Dann aber schaut er in die Runde und nach einer Weile fragt er: „Bringt ihr Grüsse oder noch etwas anderes?“

Nun drückt Ariston ihm schnell die Hölzchen, die Georgios uns mitgegeben hat in die Hand. Theophanos steckt die Hölzchen in seinen Gürtel, erkundigt sich nach der Familie des Georgios, nach dem Wetter in den Hügeln, dem Honig , den Schafen, und wir wissen nicht recht, was wir davon halten sollen. Weiss er gar nicht, was die Hölzchen bedeuten? Ist er doch der falsche Theophanos? Dann aber sagt er laut:

„Schaut mal, was wir heute gefangen haben,“ zeigt auf grosse Körbe hinter dem Boot. Wir folgen ihm dort hin. Erst jetzt sagt er leise:

„Ich sehe, dass ihr Hilfe braucht. Wir sind ja weit von Athen entfernt, aber vorgestern sind sonderbare Kerle in der Stadt aufgetaucht, sie suchen nach Verbrechern, aber wir alle vermuten, die Verbrecher sind eher sie selbst. Sie suchen sogar eine ganze Familie, auf die haben sie es ganz besonders abgesehen. Ihr seid ja nur zwei,“ da sieht er Niko und mich und fragt: „oder vier? Aber sie suchen verschiedene Leute, ihr seid vermutlich auch auf der Liste. Ihr müsst deshalb so schnell als möglich verschwinden, hier seid ihr nicht sicher.“

„Wir sind die Familie, die sie suchen,“ versichere ich ihm nun, „die andern sind auf dem Markt, damit wir nicht zu sehr auffallen.“

„Das ist sehr gut, aber wie bringen wir euch jetzt von hier weg?“

Er überlegt eine Weile. Dann erklärt er:

„Wir fahren oft am Abend nochmals auf das Meer hinaus, besonders, wenn wir nur einen kleinen Fang gemacht haben. Ich nehme euch mit, bringe euch auf die andere Seite der Bucht und falls das Wetter erlaubt, um den Vorsprung dort drüben herum auf die andere Seite zur grossen Bucht, an der Korinth liegt. Das ist das Herrschaftsgebiet der Korinther, die Athener haben dort nichts mehr zu sagen. Natürlich könnte ein Meuchelmörder auch dort noch sein Unwesen treiben, aber ihr seid schon wesentlich sicherer als hier. Bis am Abend müsst ihr aber irgendwo bleiben, ihr könnt nicht so lange auf dem Markt herumstehen, das würde auffallen.“

Wieder überlegt er, dann hat er eine Idee:

„Mein Sohn bringt euch in ein Versteck und holt euch wieder ab, wenn es Abend wird.“

Wir bedanken uns bei dem hilfsbereiten Fischer, der seinen Sohn herbei ruft. Die zwei unterhalten sich eine Weile, dann nickt der Sohn.

„Wo sind eure Frauen?“ will Theophanos nun wissen.

„Dort drüben, sie bewundern die bunten Stoffe bei dem grossen Stand dort an der Ecke.“

„Gut,“ meint der Fischer, „mein Sohn geht nun mit euch voran an den Frauen vorbei. Sagt ihnen, sie sollen mit Abstand folgen. Teilt euch etwas auf, damit ihr nicht zu sehr auffällt. “

Theophanos der Jüngere zieht nun mit uns los. Zuerst wollen wir schon in einen zackigen Schritt verfallen, Theophanos flüstert aber:

„Langsam, gemütlich, wie ein gewöhnlicher Marktbesucher!“

So schlendern wir am Stand mit den bunten Stoffen vorbei, und Ariston flüstert Ismene zu:

„Folgt uns, aber nicht zu nahe!“

Sie hat verstanden, bewundert noch ein Stück Stoff, und spaziert dann mit Anisa hinter ihm und Phoebe her. Niko und ich folgen den Frauen. Zuerst führt uns Theophanos zurück zur Stadtmauer, biegt vorher aber in einen schmalen, überwucherten Weg ein, der sich zwischen ärmlichen Hütten hindurch windet, ab und zu über eine kleine Weide führt und sich dann wieder zwischen eng nebeneinander stehenden Hütten durchschlängelt. Wir sind offenbar in dem ärmsten Teil der Stadt Pagai, noch ausserhalb der Stadtmauern. Eine alte Frau trägt Wasser in eine Hütte, sie beäugt uns misstrauisch, ein Junge scheucht ein paar Ziegen vor sich her über den Pfad, ein alter Mann vor einer Hütte grüsst Theophanos freundlich, dieser grüsst zurück, geht aber unbeirrt weiter.

Weiter vorne ragt ein grösseres Haus über all die kleinen verlotterten Hütten hinaus. Beim mächtigen Tor davor bleibt Theophanos stehen, schiebt seine Hand durch ein kleines Loch am Rande des Tores, zieht an einem Riegel und das Tor schwingt auf. Ariston und Phoebe huschen hinein. Als Ismene und Anisa beim Tor angekommen sind, bleiben sie verwundert stehen. Wo sind die andern? Theophanos stösst das Tor einen Spalt breit auf und zieht die verblüfften Frauen hinein. Niko und ich folgen und so stehen wir alle in einem kleinen Hof. Theophanos aber winkt uns, überquert den Hof, öffnet die Türe zum Haus. Erst jetzt bemerken wir, dass das Gebäude sehr alt und schon fast am Zusammenbrechen ist. Theophanos durchquert die grosse, nach Moder riechende Halle, stösst am andern Ende eine kleine Türe auf, und wir treten auf der anderen Seite in eine verlassene Gasse, die uns zu einem kleinen von einer Mauer umgebenen Garten führt. Der Garten ist ein kleines Paradies, ein grosses Wasserbecken spendet Kühle, Reben und Blumen ranken sich der Mauer entlang und der Feigenbaum lockt mit reifen Früchten.

„Hier könnt ihr bleiben bis die Sonne die Reise zum Horizont antritt, ich werde euch dann holen!“

Er klettert auf der anderen Seite über die Mauer und ist verschwunden.

Das ist nun wahrlich ein wunderbarer Platz zum Warten. Alle suchen sich ein lauschiges Plätzchen unter einem Baum oder setzen sich auf das kleine Mäuerchen beim Brunnen. Nur Phoebe klettert auf den grossen Feigenbaum und setzt sich in eine breite Astgabel.

„Von hier aus sehe ich das ganze Gässchen, das ist gar nicht schlecht,“ flüstert sie uns zu.

Bald merken wir, wie müde wir sind, und alle fangen an zu dösen, bis ein lauter Knall uns weckt. Alle springen auf, aber es war nur eine grosse, dicke Feige, die auf einen Pflasterstein gefallen ist. Schon wollen wir uns wieder hinsetzen, da bedeutet Phoebe uns, dass wir still sein sollen. Auf dem Gässchen ist jemand, Schritte sind zu hören und bald auch Stimmen, Männerstimmen. Sie kommen immer näher.

„Versteckt euch!“ flüstert Phoebe, „da kommen zwei ganz üble Gesellen!“

Guter Rat, aber wo? Ein Hase, eine Schildkröte fände leicht einen Unterschlupf, aber ein Mensch? Ismene und Anisa stellen sich hinter eine Rebe und ziehen die Ranken so gut es geht vor sich, Niko und ich legen uns flach hinter eine wuchernde Salbei und Ariston rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn verzweifelt durch den Garten. Schliesslich drückt er sich hinter eine Pflanze, die von der Mauer herunterhängt und wird sofort von ihren spitzen Dornen gnadenlos zerkratzt. Aber jetzt ist es schon zu spät, um einen andern Platz zu suchen, direkt vor unserm Garten sind Schritte und Männerstimmen zu hören.

Vor dem Garten bleiben die Männer stehen.

„Müssen wir wirklich all diese schäbigen Hütten absuchen, Gässchen für Gässchen, das bringt doch nichts, wenn sie wirklich nach Pagai gekommen sind, versuchen sie mit einem Schiff weiter zu gelangen, also sind sie am Hafen!“

„Kann sein, aber sie wurden gesehen, und die Schiffe haben wir im Auge, dort sind sie nicht aufgetaucht, also verstecken sie sich irgendwo.“

„Aber schau mal all die Hütten an, da suchen wir noch wochenlang!“

„Mag sein, aber der Befehl lautet: Sucht alle Gassen und Hütten ab, also tun wir genau das.“

Zu meinem Entsetzen klettert Phoebe nun auf die Mauer.

Sofort ruft einer der Männer:

„He, du da, was machst du da?“

„Ich klaue Feigen,“ antwortet Phoebe.

Mein Inneres erstarrt zu Eis, Ariston taucht aus dem Dornengestrüpp auf mit dem Schwert in der Hand, aber ich bedeute ihm, vorerst zu warten.

„Wollt ihr auch ein paar?“ fragt jetzt Phoebe und wirft den Männern ein paar Feigen zu.

„Oh, danke, die sind wunderbar süss! Aber du bist ja ein rechter Schlingel! Wem gehört denn der Feigenbaum?“

„Der gehört dem reichen Geizhals, dem alten Panos!“

Das lässt mich aus der Salbei auftauchen. Der alte Panos, also bitte!

„Der ist stinkreich,“ erzählt jetzt Phoebe „und er hat den besten Feigenbaum. Wenn er nicht da ist, klaue ich jeweils welche.“

„Und wenn er dich erwischt, versohlt er dir den Hintern, nicht wahr?“ lacht jetzt einer der Männer.

„Schon,“ meint Phoebe, „aber ich lasse mich nicht erwischen!“

Jetzt hört man eine andere Stimme:

„Hör zu, du Bengel, du kennst sicher alle Leute hier.“

„Natürlich!“ ruft Phoebe.

„Hast du irgendwelche Fremden gesehen?“

„Wo denn?“

„Egal wo, hier in den Gassen oder Fremde, die in eine dieser Hütten gegangen sind.“

Phoebe überlegt.

„Am Hafen waren Fremde, sie kauften alles Mögliche auf dem Markt, aber hier in diesem Quartier ist niemand aufgetaucht, das hätte ich bemerkt. Ich passe immer gut auf, sonst werde ich ja irgendwann erwischt!“

Nun ruft der Anführer:

„Gut, Kleiner, du hast uns sehr geholfen.“

Die Männer setzen sich wieder in Bewegung, offenbar drehen sie um, denn einer sagt:

„Da müssen wir nicht mehr suchen, spart uns Zeit, dem kleinen Dieb würden Fremde nicht entgehen!“

Die Schritte entfernen sich, alle winden sich aus ihrem Gestrüpp und Phoebe klettert von der Mauer herunter.

„Das hast du gut gemacht,“ loben die anderen, aber ich knurre:

„Warum hast du den reichen Geizhals Panos genannt?“

„Das war der erste Name, der mir einfiel!“

Aber jetzt sind schon wieder Schritte zu hören, diesmal nur von einem Paar Sandalen. Phoebe klettert wieder auf die Mauer: „Es ist Theophanos!“ strahlt sie und wirklich, das Tor öffnet sich und Theophanos der jüngere tritt ein.

„Ihr müsst sofort aufbrechen!“ sagt er, „am Hafen sind Männer aufgetaucht, die nach euch fragen. Hier im Fischerhafen auf das Boot zu steigen, wäre viel zu gefährlich. Es ist besser, wenn ich euch den Weg in die nächste Bucht aufzeichne.“

Er zeichnet uns mit einem Zweig eine Karte in den Sand und beschreibt uns die Stellen, an denen wir ganz besonders aufpassen müssen. Weiter erklärt er dann:

„Mein Vater und ich stechen heute Abend nochmals in See, segeln dorthin und werfen die Netze aus. Wir haben ein kleines Beiboot dabei. Wenn ihr in der Bucht seid, bleibt am Rande des Gebüschs. Ein grosser alter Baum steht fast in der Mitte, hängt ein Tuch an einen Ast. Sobald wir das sichten, rudere ich an Land und bringe euch auf das Boot. Bis ihr dort angekommen seid, ist es schon Abend, und in der Dämmerung können wir euch gut an Bord holen. Der Mond steigt erst spät auf. Beeilt euch aber, damit wir noch in der Dunkelheit davonsegeln können!“

Damit verschwindet er durch das Tor. Seine Schritte verhallen im Gässchen vor dem Garten und wieder ist es ganz still. Wir nehmen unsere Bündel, öffnen vorsichtig das Tor und treten hinaus. Die Flucht geht weiter durch die letzten Gassen hinaus über Weiden und durch Reihen und Reihen von Rebstöcken. Der Weg ist gut gewählt, es ist kaum möglich, uns von Ferne zu entdecken. Vor uns ist jetzt eine kleine Anhöhe, die wir überqueren müssen und dann sollten wir die Bucht und hoffentlich auch das rettende Fischerboot sehen. Ein kurzer, steiler Anstieg und unter glänzt uns wieder das Meer. Gebüsch säumt die kleine Bucht, und ein grosser Baum ragt in der Mitte auf, das muss es sein. Alle Augen richten sich jetzt auf das Meer. Wo ist das Fischerboot? Weit und breit ist nichts zu entdecken, kleine Wellen kräuseln sich, färben sich rosa in der untergehenden Sonne, aber kein Boot, kein Segel, einfach nichts.

Unschlüssig bleiben wir stehen. Hinunter steigen und darauf vertrauen, dass das Boot noch auftaucht? Was, wenn wir verraten wurden? Wir betrachten nun die Bucht genauer. Bewegt sich irgend etwas? Werden wir schon erwartet, aber nicht von Theophanos, sondern von den Schlägern des Kritias? Ratlosigkeit greift um sich, aber da flüstert Phoebe plötzlich:

„Schaut, dort vorn ist ein Segel, man kann es kaum erkennen, aber ich glaube, es nähert sich der Bucht.“

Tatsächlich, weit draussen segelt ein Boot daher. Das muss Theophanos sein! Alle springen auf, und wir rennen und stolpern den steinigen Weg zur Bucht hinunter. Sofort hängen wir einen Mantel an einen Ast des Baumes, ziehen uns dann zum Gebüsch zurück. Das Boot scheint stehen zu bleiben, dann löst sich ein kleiner Schatten davon und kommt auf uns zu, in der rasch einsetzenden Dämmerung erst kaum zu erkennen, aber bald sind wir sicher, Theophanos holt uns. Näher kommt er und näher, wir waten durch das seichte Wasser hinaus, und Theophanos hilft uns ins Boot.

Der Wind frischt auf, die kleinen Wellen, die sich so hübsch kräuselten, werden höher und das Rudern wird anstrengender. Aber bald legen wir beim Fischerboot an und klettern an Bord. Theophanos bindet das kleine Ruderboot am Heck fest und setzt dann das Segel. Die Küstenlinie ist dunkel zu erkennen, die ersten Sterne winken am Nachthimmel und das Boot nimmt Fahrt auf. Pagai liegt bald weit hinter uns, aber der Wind wird immer stärker, das leichte Säuseln hat sich in eine steife Brise verwandelt. Kleine Schaumkrönchen erscheinen auf den Wellen, die immer höher werden, und das Boot schaukelt wild. Vater Theophanos zeigt auf die Küste:

„Eigentlich wollte ich euch um den Hügel dort vorne herum in die Bucht von Korinth bringen, denn dort seid ihr sicher. Die Leute des Kritias werden es kaum wagen, bis auf korinthisches Territorium vorzudringen. Wie ihr seht, kommt aber ein rechter Sturm auf, daher bringe ich euch in die kleine enge Bucht dort drüben. Ein Pfad führt über den Hügel in die Bucht von Korinth, es ist gar nicht weit, ihr schafft das in kurzer Zeit.“

Wie können wir den beiden Männern nur danken, ohne ihre Hilfe hätten die Leute des Kritias uns sicher erwischt!

Der Mond, der vor kurzem noch ein wenig Licht gespendet hat, wird jetzt von einer grossen Wolke verschluckt und nur noch ein paar letzte Sterne glitzern durch die Wolkenlücken, als wir die kleine, geschützte Bucht erreichen.

Nun fragt Theophanos, der Vater:

„Was wollt ihr in Korinth tun?“

Ich erkläre ihm, dass wir ein Schiff suchen, das uns nach Syrakus bringt.

„Es ist schon Herbst, viele Schiffe machen sich da nicht mehr auf den Weg übers Meer, die Herbststürme sind unberechenbar. Aber mit etwas Glück solltet ihr schon noch einen Kapitän finden, der euch mitnimmt. Passt aber auf. Da sind auch ein paar ganz undurchsichtige Gestalten in diesem Geschäft!“

„Wie meinst du das?“ fragt nun Ariston.

„Da ist einer, wir nennen ihn den Phönizier, aber niemand weiss so genau, wo er her kommt. Er nimmt immer wieder Leute auf seinem Schiff mit und verspricht ihnen, sie sicher dorthin zu bringen, wo sie hin möchten, manchmal macht er sogar Umwege für seine Passagiere!“

„Das tönt aber doch sehr gut!“ meine ich.

„Genau, darum findet er ja immer wieder Passagiere. Das Problem ist nur, sie kommen nie dort an, wo sie hin wollten. Vermutlich verkauft er sie unterwegs in die Sklaverei. Wenn dann Angehörige sich erkundigen, sagt er immer: „Woher soll ich wissen, was die Leute machen, wenn sie ausgestiegen sind? Ich bringe sie dorthin, wo sie wollen, was nachher passiert? Wer weiss?“ Also passt auf und vertraut nicht jedem!“

Wir alle sind starr vor Entsetzen. Mit solchen Schwierigkeiten haben wir nicht gerechnet. Wie sollen wir einen verlässlichen Kapitän von einem Halunken unterscheiden? Das freundliche Lächeln des einen sieht wohl aus wie das des andern.

„Ich kenne zwei Kapitäne, denen ihr vertrauen könnt,“ erklärt jetzt Theophanos, „der eine heisst Istanos, ihr erkennt ihn leicht, er ist klein und rund und hat rote Haare. Der andere heisst Menos, er ist wortkarg, aber sehr zuverlässig und ein ausgezeichneter Seemann, er bringt Schiffe heil durch ganz üble Stürme. Sein Schiff ist etwas kleiner als die meisten anderen und es hat einen Mast, der unten schwarz und oben ockerfarbig ist. Sieht etwas sonderbar aus, aber das Boot ist in Ordnung. Ich weiss nicht, ob einer der beiden im Hafen ist, wenn nicht, versucht herauszufinden, ob man auf sie wartet, die Händler auf dem Markt wissen das gewöhnlich, sie warten ja auf die Waren.“

Wir danken für die guten Ratschläge, klettern aus dem Boot und waten an Land. Dann winken wir den davonsegelnden Fischern nach, wenden uns dem Hügel zu und suchen den Pfad. Der ist leicht zu erkennen, und wir beschliessen, noch im Dunkeln weiter zu ziehen und die Sicherheit der korinthischen Seite zu suchen. Tatsächlich haben wir die Kuppe bald erreicht. Der Wind bläst uns um die Ohren, rund um uns rascheln die Blätter, Gebüsch biegt sich im Wind, unsere Mäntel flattern, aber wir haben den sicheren Hafen vor uns und wir sind alle glücklich.

Nun ist es aber stockdunkle Nacht, dicke Wolken schlucken alles Licht, das der Mond uns vorher noch ab und zu durch Wolkenlücken gespendet hat. Der Pfad ist kaum noch zu erkennen. Wir müssen einen geschützten Platz finden, um auf den Tagesanbruch zu warten. Vorsichtig wandern wir noch eine Weile weiter, halten Ausschau nach einer Art Obdach. Eine Hütte ist nirgends zu sehen, aber da entdecke ich einen grossen Steinblock, der uns doch Schutz vor den immer heftiger werdenden Windböen und dem jetzt auch einsetzenden Regen bieten könnte. Hinter dem Felsblock finden wir einen trockenen Platz, die leichte Neigung des Felsens und ein mächtiger Baum dahinter bilden eine Art Dach. Dicht gedrängt setzen wir uns an die Felswand, immerhin haben wir einen trockenen Platz und dafür sind wir dankbar.

Im Morgengrauen verzehren wir unser letztes Brot, ein paar Oliven und etwas Käse und überlegen uns das weitere Vorgehen. Wir hatten uns das ganz einfach vorgestellt: Wir gehen zum Hafen, fragen: wer fährt nach Syrakus und steigen auf ein Schiff. Aber nach der Erzählung des Theophanos von Halunken, die gutgläubige Reisende nicht nur um ihr Geld sondern auch gleich noch um ihre Freiheit bringen, scheint das Unterfangen nun doch etwas komplizierter zu sein.

Wie unterscheidet man einen Halunken von einem ehrlichen Mann? Die schlimmen Taten werden dem Übeltäter ja kaum eine schwarze Nase beschert haben. Jemanden fragen? Wer sagt uns, dass dieser nicht ein Helfershelfer des Halunken ist? Die Sache ist doch schwieriger als gedacht, und so beschliessen wir, nach den beiden Kapitänen zu suchen, die Theophanos uns genannt hat. Sollten die Schiffe nicht im Hafen ankern, wollen wir auf dem Markt nach ihnen fragen. Einer der Händler erwartet sicher Waren und weiss, wann etwa diese Schiffe ankommen sollten, so hoffen wir wenigstens.

Im Hafen angekommen, gehen wir von Schiff zu Schiff und plötzlich steht ein Seemann vor uns fragt freundlich:

„Wohin soll es gehen, ihr guten Leute?“

Ariston strahlt, er will wohl gleich sagen: „Nach Syrakus!“ Aber da erkläre ich rasch:

„Ach, wir betrachten nur die Schiffe, weisst du, wir kommen aus den Hügeln, da sehen wir selten sowas und finden das sehr interessant. Weiss du, wohin die Schiffe segeln werden?“

Jetzt überschlägt sich der Seemann fast vor Freundlichkeit, sein breites Grinsen zeigt uns, dass nur noch drei dunkle Zahnstummel vorhanden sind, aber in seinen Augen blitzt ein gieriges Leuchten auf. Immer wieder fahren seine Augen zu einem grossen Boot, das am Rande des Hafens vertäut ist. Dann zeigt er auf die ersten zwei Boote und meint:

„Schaut, die sind nicht sehr gross, die fahren nur zu den nächsten Häfen, aber das dort drüben,“ er zeigt auf das grosse Schiff, „das kann euch überall hin bringen, wohin ihr auch wollt. Der Kapitän tut alles für seine Passagiere.“

Seine Augen flitzen nun von einem zu andern, scheinen uns zu mustern:

„Ich kann euch ja mal das Schiff dort zeigen, ich kenne den Kapitän, von innen ist so ein Boot viel interessanter als von aussen! Kommt mit! Ich habe gerade ein bisschen Zeit!“

Der Mann scheint nett zu sein und könnte uns vielleicht helfen, einmal das Boot ansehen, sollen wir das? Alle Augen sind auf mich gerichtet, Ismene aber schüttelt fast unmerklich den Kopf. Auch mir ist es nicht ganz geheuer, irgend etwas lässt mich zögern. Da sagt er eindringlich:

„Der Junge will doch sicher das tolle Boot einmal richtig anschauen! Komm, mein Kleiner!“

Er legt seinen Arm um Phoebe und will sie zum Schiff bringen. Das aber ist mir zu viel, ich schiebe mich sofort dazwischen, ziehe Phoebe energisch zurück:

„Wir haben keine Eile, wir müssen erst noch auf den Markt, aber danke für die Auskunft und das Angebot, Schiffe sind wirklich interessant, wir kommen vielleicht wieder.“

Und dann scheuche ich alle zurück zum Markt. Der Seemann bleibt wie angewurzelt stehen und starrt mit bitterbösem Gesicht in unsere Richtung. Kaum bemerkt er aber, dass ich zurückschaue, zeigt sich wieder sein breites Grinsen und er winkt. Haben wir ihn verärgert? Ariston ist erbost.

„Der Seemann war doch wirklich freundlich! Panos, mit deinem ruppigen Auftreten hast du ihn verärgert. Das Schiff, das er uns gezeigt hat, war doch sehr gross, das hätte uns sicher und schnell nach Syrakus gebracht.“

Aber Ismene meint bestimmt:

„Hast du die Geschichten von den Kapitänen, die die Leute in die Sklaverei verkaufen schon vergessen? Der Kerl war doch so ölig, sein Grinsen so verschlagen, dem Kerl habe ich nicht über den Weg getraut, und Panos hatte ganz recht, dass er dich gestoppt hat.“

Nochmals schaut Ariston zurück, so ganz glaubt er Ismene nicht, folgt uns dann aber zum Markt.

Beim ersten Stand, an dem ein Händler Töpfe verkauft, bleibe ich stehen und erkundige mich:

„Schau mal das grosse Schiff dort am Ende des Hafens, weisst du, wie der Kapitän heisst?“

„Nein, das weiss ich nicht, aber wir nennen den nur den Phönizier!“

Der Händler schaut sich vorsichtig um und raunt dann:

„Hört zu Leute, lasst euch nicht mit dem ein, ich habe aber nichts gesagt!“

Wir bedanken uns bei dem Mann, leider können wir keine Töpfe mitschleppen, sonst hätte ich ihm sicher einen abgekauft. Ariston ist ein grundgütiger Mensch und hat immer Mühe, von anderen etwas Schlechtes zu denken. Freundliche Menschen sind ihm sofort sympathisch, ihm ist das listige Glitzern in den Augen des Seemannes natürlich entgangen, auch die unruhigen Blicke, die er immer wieder zu dem Boot zurück gleiten liess. Mir war der Kerl sofort nicht geheuer, die ölige Freundlichkeit wirkte aufgesetzt und sein Wohlwollen war verlogen. Der gute Ariston wäre aber sicher auf den Kerl reingefallen. Jetzt ist er kreidebleich, der Schreck ist ihm auf das Gesicht geschrieben:

„Theophanos hat uns vor dem Phönizier gewarnt, wie konnte ich nur dem schleimigen Kerl auf den Leim gehen! Ich wäre beinahe mitgegangen!“

„Du bist ein guter Mensch, Ariston,“ tröstet jetzt Ismene, „wie solltest du schlechte Kerle erkennen! Aber ich bin Panos dankbar, er hat uns vor einer bodenlosen Dummheit bewahrt.“

Ariston ist am Boden zerstört, aber Ismene bestimmt energisch:

„Wir haben keine Zeit, unsere Köpfe hängen zu lassen, wir müssen jemanden finden, der weiss, ob Menos oder der Rothaarige hier sind.“

Wir suchen einen Stand mit Waren, die von den Schiffen hergebracht sein könnten und erkundigen uns dann nach den zwei Kapitänen. Beim ersten Stand schütteln alle den Kopf, auch beim zweiten weiss niemand, wer die beiden sind. Wir versuchen es weiter und beim fünften Versuch haben wir Glück. Der Händler kennt die beiden, weiss aber, dass beide jetzt nicht hier sind.

„Es ist schon Herbst, kommen sie noch hierher?“

„Doch, aber sicher!“ bestätigt der Händler, „Menos hat mir versprochen, noch süssen Wein aus Kerkyra zu bringen.“

„Wann kommt er denn?“

„So genau kann man das nicht sagen, aber ich hoffe jeden Tag, ihn zu sehen, schaut, ich habe schon fast keinen Wein mehr zu verkaufen, und die Leute lieben dieses süsse Getränk ganz besonders. Wartet einen oder zwei Tage, dann sollte er doch hier sein! Seht ihr dort drüben das Haus mit dem Schiffsbug über dem Tor? Dort wohnt Andokides, der Besitzer des Schiffs. Mit ihm müsst ihr ohnehin den Fahrpreis aushandeln, und er sollte auch wissen, wann genau das Schiff hier erwartet wird, und wohin es nachher segeln soll.“

Natürlich haben wir gehofft, dass wir sofort auf ein Schiff steigen könnten, aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in Geduld zu üben. Wir suchen ein Gasthaus in der Stadt, in dem wir bis zur Ankunft von Menos warten können. Die Frauen bleiben dort, und wir Männer machen uns auf zum Haus des Andokides. Dieser empfängt uns sehr freundlich.

Wieder hält Athene ihre Hand über uns: das Schiff wird tatsächlich nachher nach Syrakus weiter fahren. Zudem versteht Andokides unsere Situation sehr gut, er ist selbst Athener und seit mehreren Jahren im Exil. Hat er uns deshalb einen so guten Fahrpreis zugestanden?

Am nächsten Tag halten wir vergebens Ausschau nach einem neuen Boot im Hafen, aber als wir am Tag danach beim Hafen stehen, zupft mich plötzlich jemand am Arm. Der Händler, der auf seinen Wein gewartet hat, verkündet strahlend:

„Er ist da! Menos, ihr habt doch auch auf ihn gewartet! Kommt mit, ich zeige euch sein Schiff!“

Er bringt uns zu einer Anlegestelle und da liegt das Schiff. Unsere Freude schwindet dahin wie Schnee in der Sonne. Es ist klein und scheint recht alt und, nun ja, auch sehr gebrechlich zu sein. Dieses Gefährt sollte uns über das Meer nach Sizilien bringen? Wir starren auf das Schiff, als ein Mann, der einer knorrigen Eiche gleicht, vom Boot herunter steigt; das muss Menos sein.

„Menos?“ fragt Ariston.

„Wer will das wissen?“ brummt der Seebär.

Ariston stellt sich und uns alle vor und richtet ihm Grüsse von Theophanos aus. Jetzt aber strahlt Menos und bestätigt:

„Ja, ich bin Menos.“

Ariston zeigt ihm jetzt das kleine Stück Papyrus, das wir von Andokides als Bestätigung erhalten haben, und sagt:

„Wir sind deine neuen Passagiere auf dem Weg nach Syrakus.“

Er mustert uns lange, dann sagt er:

„Gut, ihr könnt mitkommen, aber wir legen sofort wieder ab, bald machen uns die Winterstürme zu schaffen, wir müssen uns beeilen. Holt eure Sachen, dann geht es los!“

Der Stempelschneider

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