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Das Fest : Athen, 405 vor Christus ̶ Panos

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Schon hat die Morgenröte mit zartem Finger den Himmel über den Hügeln rosa gefärbt, es ist Zeit aufzustehen und meinen Pflichten nachzugehen. Auf dem alten Feigenbaum im Hof zwitschern schon die ersten Vögel, im Wasserbecken im Hof spiegeln sich schwach die letzten Sterne und in der Ferne hört man Hundegebell. In unserem Haus aber herrscht noch verschlafene Stille. Erst seit wenigen Wochen wohnen wir in diesem geräumigen Haus. Es ist ein wunderbarer Platz für uns alle. Der grosse Hof mit der gedeckten Terrasse lädt an heissen Tagen zum Verweilen, das Wasserbecken in der Ecke ist so tief, dass der Thraker, der Sklave, der die niedrigen Arbeiten ausführt, nicht mehrmals am Tage Wasser holen muss, um es aufzufüllen, im Gästeraum kann mein Herr seine Gäste bewirten, die Frauengemächer im oberen Stock sind geräumig. Natürlich habe ich diese nie gesehen. Anisa, die Sklavin, die meine Herrin und die kleine Tochter betreut, hat mir aber die Gemächer genau geschildert.

Auch mein Herr und sein Sohn sind glücklich über ihre neuen Räume und vor allem ist die Werkstatt viel grösser und viel heller als die vorherige, ein wichtiges Detail, denn mein Herr ist ein Handwerker. Er fertigt Schmuckstücke aus Gold und Silber, vor allem aber graviert er die Stempel, mit denen Münzen geschlagen werden. Er ist ein Meister seines Fachs, unübertroffen weit und breit. Er stellt Stempel für alle Münzen her, vom winzigen Tetartemorion, das nicht grösser ist als der Fingernagel eines Neugeborenen, über den nur wenig grösseren Obolos, bis zur grössten, der Tetradrachme. Oft schaue ich ihm zu, wenn ich keine andere Arbeit habe, und bewundere, wie er winzig kleine Details wie die Federn der Eule oder die Helmzier der Athene auf diese Stempel zaubert.

Im alten Haus mussten der Thraker und ich mit einer kleinen Schlafstätte hinter dem Haus vorlieb nehmen, im Winter war es kalt und feucht und im Sommer brachte kein einziges Lüftlein Kühlung in diesen Backofen. Jetzt habe ich mein eigenes, zugegeben kleines Zimmer, aber es ist angenehm und eine grosse Verbesserung im Vergleich zu meiner vorherigen Unterkunft. Ja, ich bin ein Sklave. Zuerst war ich Hauslehrer für den Sohn, Nikodemos, der unterdessen aber im Gymnasium ausgebildet wird. Meine Pflichten sind vielfältig, ich bin so etwas wie der Hausmeister, zuständig für die Begleitung meines Schützlings zum Gymnasium, jedoch auch für den reibungslosen Ablauf im Hause. Meine Stellung ist zurzeit nicht schlecht, trotzdem bin ich immer noch und vor allem ein Sklave.

Das war nicht immer so. Vor nicht allzu langer Zeit war ich es, der von einem Sklaven unterrichtet und zur Ausbildung ins Gymnasium begleitet wurde. Ich beachtete unsere Sklaven kaum, sie waren einfach da, hatten da zu sein, wann immer ich etwas wollte, nie haben wir sie gelobt, aber jedes Versäumnis wurde bestraft. Heute bin ich der Sklave und bereue diese Haltung bitter. Mein Herr ist wohl der bessere Meister, als wir es damals waren. Werden die Götter mich dafür bestrafen?

Mein Schicksal wendete sich, als Melos von den Athenern belagert wurde. Mein Vater Kleopatros und mein älterer Bruder Kleombrotos kämpften an vorderster Front, aber ich war noch zu jung, um als Schleuderer oder Bogenschütze mitzukämpfen, obgleich mich darin auch von den älteren kaum einer übertraf. Ich war dazu verdammt, zusammen mit den Dienern und Frauen zu Hause auf Nachricht zu warten. Sorgen machten wir uns keine. Waren denn unsere Streitkräfte nicht die tapfersten weit und breit? Hatten wir die Athener nicht kürzlich schon zweimal geschlagen? Würden uns nicht auch noch die Spartaner zu Hilfe kommen? Waren unsere Mauern, unsere Verteidigungslinien nicht die besten?

Je länger die Belagerung dauerte, desto mehr wich aber die Gelassenheit der Unruhe. Das Essen und das Wasser in der Stadt wurden knapp, Gerüchte machten die Runde und bald breitete sich Besorgnis aus. Wir alle hofften auf Hilfe von aussen, vor allem von den Spartanern, aber ein Tag nach dem andern verging und weit und breit war nichts von einer Armee zu sehen, die uns zu Hilfe eilen wollte. Immer wieder wurde ich zusammen mit meinem Sklaven ausgeschickt, um in Erfahrung zu bringen, was sich an den Mauern abspielte. Das Bild war immer dasselbe.

Eines Tages wurden wir wieder ausgeschickt, um Nachrichten einzuholen.

Je näher wir an die Mauern kamen, desto schrecklicher wurde der Lärm. Vorsichtig näherten wir uns der Stelle, an der mein Vater und mein Bruder das Kommando hatten. Ich kletterte hinauf zu meinem Bruder, der mich packte und hinter einen Mauervorsprung zog.

„Hör zu,“ sagte er, „es läuft schlecht, bald werden sie durch die Mauer brechen, oder wir müssen kapitulieren, unser Vater ist tot und viele andere Kämpfer auch. Es gibt keine Rettung mehr, es läuft auch ein Gerücht über Verrat um. Ich weiss nicht, wie die Athener mit uns verfahren werden. Ich glaube nicht daran, dass sie Milde zeigen werden, auch wenn sie dies jetzt versprechen. Solche Versprechen werden meist gebrochen, sobald die Feinde in der Stadt sind. Sieh zu, dass du dich mit deiner Mutter verstecken kannst. Viel Glück, kleiner Bruder!“

Und schon eilte er wieder auf seinen Posten. Wir rannten durch die verwinkelten Gassen nach Hause, um die Familie zu warnen. Als wir atemlos in den Hof stürzten, hatte sich die ganze Familie mit den Sklaven schon dort versammelt. Mein alter Onkel erkundigte sich:

„Wie sind die Nachrichten.“

Ich erzählte, was mein Bruder mir anvertraut hatte. Schrecken malte sich auf alle Gesichter, doch mein Onkel blieb ruhig.

„Wir müssen warten und hoffen,“ erklärte er, und dann erhielt jeder eine Handvoll Oliven und etwas Wasser.

„Die Vorräte sind bald alle,“ meinte er, „aber wir werden durchhalten.“

Alle setzten sich nun in eine schattige Ecke, und wieder warteten wir und horchten auf die beängstigenden Geräusche, die uns von allen Seiten erreichten. Nach einer Weile schickte mein Onkel einen Sklaven auf das Dach, er sollte jede Veränderung sofort mitteilen. Ich wollte ihn begleiten, aber der Onkel hielt mich zurück. Der Tag neigte sich dem Abend zu, der Himmel begann blasser zu werden und sich rosa zu verfärben.

Dann, ganz plötzlich, erhob sich mein Onkel und horchte.

„Hört ihr das?“ fragte er.

Verwundert erhoben wir uns alle ebenso. Die Geräusche der Schlacht, an die wir uns seit Tagen gewöhnt hatten, veränderten sich, die rauen Kämpferstimmen hatten einen anderen, triumphierenden, Ton angenommen, dazu drang das gellende Geschrei von Frauen, vielen Frauen, zu uns, lauter und lauter wurde es, näher und näher kam es, und die Angst, unser ständiger Begleiter der letzten Tage, schickte kalte Schauer über uns. Das letzte noch so kleine Stücklein Hoffnung, das wir gehegt hatten, schmolz dahin wie die seltenen Schneeflocken, mit denen ab und zu ein strenger Winter für ein paar Stunden unsere Stadt verzaubert hatte.

„Der Kampf ist vorbei, mögen die Athener milde mit uns verfahren,“ rief mein Onkel und kniete vor unserem Hausaltar nieder.

Wir blieben unschlüssig im Hof stehen. Hatte der alte Onkel Recht, wurde wirklich nicht mehr gekämpft?

„Siehst du etwas,“ rief ich dem Sklaven auf dem Dach zu.

„Ja,“ rief er zurück, „da draussen laufen Leute.“

Ich öffnete das Tor. Da eilten ein paar Bürger aus der nächsten Gasse auf uns zu und riefen:

„Die Tore sind offen, sie haben die Stadt den Athenern übergeben, lauft, so schnell ihr könnt, den Athenern ist nicht zu trauen.“

Ich rannte zurück in den Hof und überbrachte die schlechte Nachricht. Mein Onkel sagte ganz ruhig.

„Ich werde das Haus den neuen Herren übergeben. Ich bin ein alter Mann, was immer geschieht, ich habe ein gutes und langes Leben genossen.“

Meine Mutter wurde bleich, sagte dann aber gefasst:

„Versteckt euch, so gut es geht! Ich glaube nicht an die Milde der Athener.“ Sie umarmte mich und wisperte: „Rette dich, mein Sohn, vielleicht gelingt es dir, zu fliehen, versuch es, ich weiss nicht, welches Schicksal dir sonst auferlegt wird!“

Dann zog sie sich in ihr Zimmer zurück und schickte die Sklavin weg. Wir alle wussten, dass sie sich umbringen würde, denn mit der Frau eines Anführers pflegten die Sieger nie nachsichtig umzugehen. Der Onkel pflanzte sich mit ein paar Sklaven neben dem Hauseingang auf. Ich hingegen beschloss, mich nicht auf Gedeih und Verderb den Athenern auszuliefern und suchte nun zuerst nach einem guten Versteck. Bald wurde klar, dass dies ein schwieriges Unterfangen war. Sollten wir auf das Dach klettern? Die aufsteigenden Rauchsäulen in der Stadt zeigten uns, dass da und dort schon Häuser in Brand gesteckt worden waren, keine gute Idee also. Im Vorratsraum? Dort suchten sie sicher ohnehin nach Wein, auch nicht besser. Blieb also nur noch die Flucht. Aber wohin? In den Gassen hörte man von allen Seiten das Geheul der Krieger, sie waren schon überall.

Mein Sklave und ich kletterten nun auf das Dach und hofften, ein paar Gassen zu erspähen, die noch nicht geplündert wurden. Das sah nun allerdings schlecht aus, Rauchsäulen stiegen auf allen Seiten auf, überall Schreie und verzweifelte Hilferufe. Aber aufgeben kam nicht in Frage. Wir kletterten durch das kleine Fenster auf der Rückseite des Hauses, dann über die Mauer in den nächsten Hof, der alte riesige Feigenbaum half uns über die nächste Gasse und bald befanden wir uns in einer etwas ruhigeren Gegend. Hier waren die Häuser klein und schäbig, keine Vorhöfe luden zum Verweilen, keine Feigenbäume spendeten den ersehnten Schatten. Bei den meisten Häusern standen die Haustüren weit offen, die Bewohner hatten wohl das Heil in der Flucht gesucht. Das war ja gar nicht so schlecht für uns, wir konnten uns jederzeit in einem leerstehenden Gebäude verstecken. Dies war bald auch schon nötig, der Lärm kam näher und weit vorne blitzten blanke Schwerter. Rasch stürzten wir in ein Haus hinein und suchten nach einem Versteck. Im Raum selbst war nichts zu finden, das mehr als einem Hasen Deckung bieten konnte, und der Lärm kam immer näher. Schon hörten wir Stimmen aus dem Nachbarhaus, wir waren verloren.

„Der Dachbalken!“ wisperte mein Sklave, und so schnell wir konnten kletterten wir hinauf und legten uns flach auf den grössten Dachbalken. Würden sie uns trotzdem sehen? Schon trat ein grosser schmutziger Krieger mit einem vernarbten Gesicht in den Raum und sah sich um. Wir hielten den Atem an und lagen starr auf dem Balken. Ein zweiter Krieger trat ein, warf den Tisch um, schaute in den Kochtopf und fand:

„Die hausen wie die Schweine, da ist nichts, vergiss es, wir suchen ein nobleres Haus, da wird es doch wenigstens Wein haben!“

Daraufhin verliessen beide das Haus. Der Narbige drehte sich unter der Türe nochmals um, schaute in alle Ecken und sagte:

„Wo sind bloss all die Leute hin?“

„Vielleicht schon verhungert,“ brummte der andere, „komm, ist doch nicht wichtig, wir wollen Beute!“ Und weg waren sie.

Erst nach einer Weile wagten wir es, vom Dachbalken herunter zu steigen. In der Gasse war es unterdessen ruhig, wir flohen weiter immer Richtung Osten, wo wir das kleine Ausfalltor wussten. Wir hofften, dass die Kämpfer sich nun in den Quartieren mit den grösseren Häusern aufhalten würden. Mein Herz wurde zu Stein bei dem Gedanken, denn dort wartete ja mein greiser Onkel. Weiter eilten wir, bei jedem Geräusch warfen wir uns in eine dunkle Ecke oder in ein leerstehendes Haus, aber wir kamen gut voran. Weit konnte es bis zum kleinen Tor nicht mehr sein, zudem wurde es langsam dunkel und dies konnte uns ja nur nützen.

Gelang es uns, die Stadt zu verlassen, konnten wir uns durch die Olivenhaine davonmachen, jedenfalls war dies mein Plan. Weiterhin hielten die Götter eine schützende Hand über uns. Einmal entwischten wir um Haaresbreite einer Truppe Soldaten, indem wir uns in einem dichten Gestrüpp versteckten und uns still hielten, obschon die Dornen uns rundherum zerkratzten.

Aber dann war es vorbei mit unserer Glückssträhne. Um eine Ecke herum liefen wir ein paar Athenern direkt in die Arme. Wir versuchten wegzurennen, aber auf der anderen Seite tauchten weitere Kämpfer auf. Der Anführer packte mich und begutachtete mich wie ein Huhn auf dem Markt. Dann fand er:

„Netter Junge und gut gekleidet, sicher der Sohn eines Aristokraten, vielleicht kann er sogar lesen und schreiben.“

Da wurde ich zornig und schrie: „Natürlich kann ich das, ich bin auch ein guter Läufer und Kämpfer, denkt ihr, wir Leute aus Melos können nur Oliven pflücken?“

Der Anführer der Athener lachte: „Der Bengel ist gut, frech wie ein Spatz, noch nicht ganz trocken hinter den Ohren, aber den kann man sicher noch brauchen. Lasst ihn leben! Wir können ihn als Sklaven verkaufen, der wird viel Geld bringen. Fesselt ihn und bringt ihn zu den Schiffen.“

Zusammen mit meinem Sklaven brachten sie mich zum Hafen, und ich merkte plötzlich, dass wir nun gleich gestellt waren: Wir beide waren Sklaven. So schlimm dies war, wir teilten das Schicksal der ganzen Stadt. Die wehrfähigen Männer wurden ermordet, Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft. Meine Mutter sah ich nie mehr wieder. Später, viel später, erfuhr ich von einem Händler, dass sie sich selbst umgebracht hatte. Damit war von meiner Familie niemand mehr am Leben, und das war der Anfang meines Sklavendaseins.

Eng zusammengepfercht mit vielen anderen wurde ich nach Athen gebracht und auf dem Sklavenmarkt verkauft. Ich dachte, weil ich aus einer höheren Familie stammte und eine gute Ausbildung genossen hatte, würde ich doch sicher als Hauslehrer bei einem vornehmen Bürger landen und war dann sehr enttäuscht, dass mich nur ein Handwerker, der nicht einmal Bürger Athens war, kaufte. Erst später merkte ich, dass mir das Glück auch in meiner schlimmen Lage noch hold war. Ich hätte auch in den Silberminen von Laurion landen können, und dieses Schicksal war das Schlimmste, was einem Sklaven passieren konnte, denn von dort kam nie jemand zurück. Auch im Haushalt eines Aristokraten sind die Sklaven oft ständig in Angst, denn eine schlechte Laune des Herrn oder auch nur eine kleine Nachlässigkeit kann schlimme Folgen haben, die Strafen reichen von Schlägen bis zum Verkauf an die Silberminen.

Da ist das Leben im meinem Haushalt doch sicherer, mein Herr ist milde, die Frau des Hauses, die nicht nur zurückgezogen in ihren Gemächern lebt, sondern überall im Hause zu sehen ist, eine sanfte Schönheit, und Phoebe, die kleine Tochter, verspricht noch schöner und liebenswerter zu werden. Auch mein Schützling Nikodemos, den alle nur Niko nennen, erweist sich meist als umgänglicher Junge, wenn er mich auch in letzter Zeit oft in Angst und Schrecken versetzt. Denn immer wieder gelingt es ihm, sich meiner Aufsicht zu entziehen. Er ist ein ausgezeichneter Läufer und kann so blitzschnell einen Moment der Unaufmerksamkeit ausnützen und sich richtiggehend in Luft auflösen. Ich konnte bisher wenig dagegen tun. Sollte ich mich bei meinem Meister beklagen? Keine gute Idee. Es ist meine Pflicht, ihn nicht aus den Augen zu lassen, verschwindet er also, bin ich nachlässig, und man wird mich bestrafen. Also sagte ich dem Meister nichts, ich versuchte zwar mit Niko zu sprechen, erfuhr aber nie, was er auf seinen Ausflügen machte. Nichts Gutes, sagte mir mein Gefühl, und die späteren Ereignisse sollten mir Recht geben.

Meine Stellung im Haushalt hat sich über die Jahre auch sehr verbessert. Ich bin der eigentliche Hausmeister und der Herr vertraut mir in allen Belangen. Sein Geschäft beansprucht ihn voll und ganz, er konzentriert sich auf das Herstellen seiner Stempel und Siegel und das Anfertigen von Schmuck für die reichen Damen. Bei allen Belangen des Haushalts pflegt er zu sagen:

„Fragt Panos, er weiss was zu tun ist.“

Habe ich mich nun mit meinem Sklavendasein abgefunden? Nein, es geht mir zwar gut, aber der Wunsch nach Freiheit ist trotzdem da, er wächst und nagt an mir. Eines Tages werde ich wieder ein freier Mann sein, vielleicht arm, aber frei, das habe ich mir geschworen und irgendwann wird sich eine Gelegenheit bieten, diesen Wunsch umzusetzen. In meinen Träumen segelte ich oft auf einem stolzen Schiff zurück nach Melos, betrat den geliebten Boden, suchte nach übrig gebliebenen Verwandten und Bekannten. Eine Stimme tief unten wisperte dann zwar: da ist niemand mehr, vergiss es, die jüngeren Leute sind alle ermordet oder verschleppt und die alten Leute sind unterdessen alle tot, was willst du dort, du wirst enttäuscht sein! Dennoch hat dieser Traum mich gestärkt bis zum Tage, an dem ich auf dem Markt einen Mann sah, der mir bekannt schien. Ich näherte mich ihm, er drehte sich um, betrachtete mich lange, und dann breitete sich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht aus.

„Panos!“ rief er, „bist du es wirklich?“

Jetzt erkannte ich ihn auch, es war Lysias, ein Mitschüler aus dem Gymnasium von Melos. Wir fielen uns in die Arme und boten in unserer Freude wohl ein ziemliches Spektakel.

Auch Lysias war als Gefangener nach Athen gekommen und gehörte jetzt als Sklave zum Haushalt des Kritias. Er hatte auch Nachrichten aus Melos, und die zerstörten alle meine Träume. Was meine kleine Stimme immer gewispert hatte, war wahr. Die Athener herrschten mit eiserner Hand, fast alle Einwohner von Melos waren ermordet oder verschleppt worden, und die Besitztümer waren unter athenischen Siedlern verteilt worden. Einzig ein paar Schafhirten und alte Bauern auf den Hügeln waren übrig geblieben und unterdessen wohl auch schon tot.

„Wir können nicht nach Melos zurück,“ seufzte er, „wir müssen auf andere Weise unser Geschick verbessern.“

Das war das Ende des Traums mit meiner Rückkehr nach Melos, aber mein Los verbessern, das will ich immer noch! Die Worte meines Fechtlehrers sind in mein Gedächtnis eingegraben: Geduld! Geduld führt mehr Kämpfe zum Sieg als Geschick. Ich werde meinen Weg in die Freiheit finden, bis dahin übe ich mich in Geduld.

Jetzt aber heisst es, die Vorbereitungen für das grosse Fest der Hauseinweihung in Angriff zu nehmen. Nur selten wird einem Nicht-Bürger das Recht erteilt, Grundbesitz zu erwerben. Meinem Meister, dem Stempelschneider, war diese hohe Ehre zuteil geworden. Theramenes, der Schutzherr meines Herrn, war so begeistert von seiner ausserordentlich guten Arbeit und der Hilfe in einer schwierigen Zeit, dass er für ihn die Erlaubnis erwirkte, ein Haus zu kaufen. Und dieses Haus wird nun, mit Theramenes als Ehrengast, eingeweiht.

Ich hole den Thraker, seine Aufgaben sind die niedrigen Arbeiten im Haus. Er hat keinen Namen, er spricht auch kaum griechisch, seine Geschichte kenne ich nicht, er ist irgendwie als Sklave hierher gekommen. Ich befehle ihm, den Hof zu säubern, die Veranda zu trocknen und dies alles besser denn je; ich mache ihm klar, dass heute die kleinste Nachlässigkeit schlimme Folgen haben wird.

Dann eile ich zu Niko, meinem Schützling, der immer noch in seinen Träumen verfangen ist.

„Aufstehen,“ rufe ich, „die Arbeit ruft, wir wollen auf den Hügeln die frischesten und schönsten Ranken holen, damit die Frauen nachher Blumenkränze herstellen und alles schmücken können!“

Niko reibt sich die Augen, dann zeigen sich zornige Falten auf seiner Stirn:

„Du wagst es, mich zu wecken? Du wagst es, von mir zu verlangen, zu den Hügeln zu laufen!“

„Falsch,“ antwortete ich, „nicht ich bin es, der dich weckt und dorthin schickt, es ist dein Vater, und du willst doch sicher seine Wünsche erfüllen. Ausserdem bist du zwar der beste Läufer, aber auch der braucht täglich Training, sei also froh, dass du die Gelegenheit, deine Laufkunst zu üben, bekommst.“

Die Falten auf Nikos Gesicht glätten sich, er springt auf.

„Gut, rennen wir, wer ist schneller auf dem Hügel der Musen?“

Beim Wasserbecken im Hof kühlen wir uns noch etwas ab und los geht es.

Bald stehen unsere Körbe mit Blätterranken im Hof. Nun fehlen nur noch die Blumen. Da drückt mein Herr mir ein paar Münzen in die Hand:

„Geh zum Markt, kauf Blumen und die frischesten und süssesten Trauben und Feigen!“

Die Münzen sind sehr kostbar aber auch sehr klein und können leicht verloren gehen, also stecke ich sie in meine Backen, da sind sie sicher und renne los. Der Markt ist der Platz in Athen, den ich besonders liebe. Das Durcheinander von Farben, Gerüchen, Waren von überall her, Menschen, die alle möglichen Sprachen sprechen. Ich liebe diesen Platz und begutachte jetzt die verschiedenen Stände. Da sind Trauben, aber sind sie nicht etwas klein?

„Schau mal meine Feigen,“ ruft mir ein Händler zu, „das sind die grössten weit und breit.“

Ich betrachte die Früchte und lache den Händler aus.

„Gross? Diese Feigen sind Winzlinge, geeignet für Kleinkinder!“

Der Händler ist nicht beleidigt, zeigt mir dafür seine Trauben und wirklich, die sind gross und schön. Aber sind sie auch süss?

„Süss? Du hast in deinem ganzen Leben noch nie so süsse Trauben gegessen, glaub mir, soll ich dir welche einpacken?“

„Kann ich sie erst probieren?“

„Nun ja, wenn es sein muss, iss mir aber nicht meinen ganzen Vorrat weg!“

Da ist nun wirklich keine Gefahr. Bei der ersten Traubenbeere zieht sich mein Inneres zusammen. Brr! Ich schüttle mich.

„Du hast die Trauben zu früh geerntet! Geduld mein Lieber!“

Bald aber ist es mir gelungen, einen Korb voll süsser Feigen und wunderbarer Trauben zu kaufen. Jetzt fehlen nur noch die Blumen. Auf der anderen Seite des Marktes werden Blumen in allen Farben angeboten. Rot, hat meine Herrin gesagt, rote und weisse Blumen wären schön, aber achte darauf, dass sie ganz frisch sind! Die Auswahl ist gross und ich finde einen Korb voll von frischen Blumen, die Herrin wird begeistert sein.

Wieder zurück begutachte ich die Arbeit des Thrakers. Der Hof ist gewischt, die Veranda vom nächtlichen Regenwasser befreit, die Liegen sind bereit gestellt. Die Frauen flechten nun Kränze aus den Ranken und den Blumen, und bald sind Hausaltar, Eingang und Torbogen mit Blumen geschmückt. Die Liegen werden mit neuen Tüchern bedeckt. Die Muster spiegeln die Webkunst meiner Herrin wieder und werden den Gästen sicher gefallen. Auch die Blumenkränze, die sich die Gäste aufsetzen können, sind schon bereit. Das grosse Fest kann beginnen.

Der Stempelschneider

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