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1. Dramaturgie und Regie: Stationen der Umsetzung vom Text zur Inszenierung

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Spielplan, Vorarbeiten und erste Entscheidungen

Vom dramatischen Text zur Aufführung

Eine genauere Betrachtung des künstlerischen Produktionsprozesses im Theater ist aufschlussreich für eine adäquate Verortung und Bewertung des umstrittenen Verhältnisses von dramatischem und theatralem Text. Trotz einiger Legitimationsprobleme vor allem im Theater des 20. Jahrhunderts ist der dramatische Text weiterhin der imaginäre Ausgangspunkt jeder Inszenierung als Produktionsprozess. Innerhalb eines Sets an Theatermitteln wird sich der Text zwar ,nur‘ als ein konstituierendes Element, wenn auch als ein herausgehobenes unter vielen erweisen. Dennoch ist er in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sogar in der Blütezeit des Regietheaters noch der Maßstab, an dem sich die Aufführung misst, im Positiven wie im Negativen. Wenn man der Kulturkritik folgt, dann sind die Regie und die Schauspieler fast allein verantwortlich für das am Premierentag auf der Bühne zu sehende Ergebnis einer längeren Zusammenarbeit in einem arbeitsteiligen Prozess, wie ihn das Theater darstellt. Und aus der Sicht eines erfahrenen Regisseurs wie Peter Zadek gilt, dass der Regisseur vor allem bei Pannen „für alle verantwortlich “ ist (Zadek 2003, 46). In Wahrheit ist die Inszenierung jedoch eine „kreative Teamarbeit“ (Erken 2003, 203). Sie zu beschreiben, ist äußerst schwierig. Schon allein alle mehr oder weniger beteiligten Personen und ihre Funktion im großen Theaterapparat zu nennen, würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen.

Inszenierung als kollektive Arbeit

Die bekannten Namen und beachteten Künstler sind, wenn man den Produktionsprozess Theater als Ganzes betrachtet, eigentlich nichts als die sichtbare ,Spitze des Eisbergs‘. Nur um einen groben Eindruck zu gewinnen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ein Staatstheater wie das Münchner Residenztheater etwa 325 Festangestellte hat. Davon arbeiten 27%, also 88 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im ,künstlerischen‘ Bereich, von denen vielleicht 20 ,Kreative‘ an einer bestimmten Inszenierung direkt beteiligt sind. Doch die Abgrenzung zwischen direkt und ferner Beteiligten ist ebenfalls problematisch, denn auch ein Beleuchter ist zum Beispiel für eine Aufführung essentiell wichtig, und wo bliebe das Kostüm ohne Schneiderin und was wäre ein Theaterabend ohne Garderobenkräfte etc.

Der Produktionsprozess Theater ist in seinem Ablauf nicht strikt festgelegt. Dennoch hat sich an den professionellen deutschen Bühnen ein gewisser Konsens darüber eingestellt, wie die gesamte Produktion ungefähr abzulaufen hat.

Erstellung des Spielplans

Innerhalb eines Hauses ist eine künftige Inszenierung nicht frei wählbar, sondern muss immer als Teil eines Gesamtspielplans und im Rahmen begrenzter Produktionsmittel ,passend‘ sein. Eine frühe Orientierung für eine zukünftige Inszenierung gibt der kommende Spielplan, der für die jeweils anstehende Spielzeit zwischen April und Mai der Öffentlichkeit, also vor allem der interessierten Presse bekanntgegeben wird. Allein der Erstellung dieses Spielplans geht viel Arbeit voraus: Schon das ganze Jahr über wird er im Dauergespräch zwischen Intendanz, Dramaturgie und den am Haus ansässigen Regisseuren, aber auch Gastregisseuren, prominenten Schauspielern und den Theaterverlagen zusammengestellt. Das Prozedere wird möglichst vertraulich gehalten, nur das zuständige Kulturreferat oder -ministerium wird informiert. Dies ist wichtig, um einerseits die interessegeleiteten Schauspieler von Unmutsäußerungen abzuhalten und andererseits gegenüber der Presse eine gewisse Spannung aufrecht zu erhalten und eine gleiche Behandlung aller Journalisten zu gewährleisten. Die erste papierene Form des Spielplans, die in die Öffentlichkeit geht, ist die Information für die Abonnenten. Sie enthält in etwa acht geplante Inszenierungen für das Haupthaus, wobei generell unausgesprochen davon ausgegangen wird, dass sich an diesem geplanten Programm etwas ändern wird.

Profil des Spielplans

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob es so etwas wie ein Spielplan-Profil gibt, geben kann, bzw. ob dies überhaupt wünschenswert wäre. Günther Erken meint, dass dies schon aufgrund der dominierenden Sachzwänge kaum möglich ist, obwohl es von der Kulturkritik immer wieder angemahnt wird (Erken 2003, 204). Die Vielfalt der Einflüsse auf den Spielplan lässt sich nicht systematisieren. Es geht nicht nur um den Stil einer Intendanz, die Tradition eines Hauses, die Erinnerung an vorangegangene Spielpläne und die Einwirkung der Spielpläne konkurrierender Bühnen. Beachtet werden sollte auch die aktuelle Relevanz gewisser alter sowie neuer Stücke und ,modischer‘ Themen. Nicht zu vergessen sind die technischen und personalen Möglichkeiten eines Hauses wie die Kosten der Produktion, die Kapazitäten des hauseigenen Ensembles oder die Verfügbarkeit von Gastregisseuren. Meist muss man die verschiedensten Vorstellungen aller Beteiligten unter einen Hut bringen. Dazu gehören unterschiedliche Meinungen zu den Theatertexten, das diplomatische Austarieren von Schauspielerpersönlichkeiten und die Rücksicht auf die gesellschaftspolitische Vorstellung der das Haus subventionierenden Kommune. Vor diesem Hintergrund ist für Erken die Wahl des Stückes ein „Motivationsmix“, der sich vor allem anhand von vier Kriterien bestimmen lässt:

1. das literarische Interesse am Stück, die Überzeugung von seiner Qualität. – 2. das dringliche oder zumindest aktuelle Thema. – 3. die Dankbarkeit des Stücks, seine Erfolgsaussichten. – 4. die Machbarkeit: Sind die Hauptrollen aus dem eigenen Ensemble besetzbar? Ist die Produktion finanzierbar? Ist sie zeitlich disponierbar, d.h. welches sind die Parallelproduktionen, ist ein Großprojekt darunter, ist die Probenbühne frei, steht die Bühne in der Endphase ausreichend zur Verfügung, welche Rahmenbedingungen, etwa im Abonnement, gibt es sonst noch?

Letztlich geht es darum, ob es bei der Premiere zum erwünschten ,Event‘ werden kann (Erken 2003, 205).

Inszenierungen machen den Spielplan

Wenn man das Bisherige, insbesondere das Prozedere der Erstellung eines Spielplans, noch einmal kurz Revue passieren lässt, wird deutlich, dass sich der Spielplan nicht wirklich aus Theaterstücken im engeren Sinne zusammensetzt, sondern aus Inszenierungen, die vor allem das Publikum bzw. dessen Reaktionen mit einschließen. Auch wenn es durchaus erlaubt ist und auch hin und wieder so gemacht wird, am Anfang einer Spielzeit mit einem Konzept aufzuwarten, ist das ,qualitative‘ Profil eines Spielplans keineswegs einfach aus den „angekündigten Dramen hochzurechnen, und es ist auch höchstens im Nachhinein zu beurteilen, wenn sichtbar geworden ist, was das Theater mit und aus den einzelnen Vorgaben gemacht hat, wenn er also kein Spiel plan mehr ist“ (Erken 2003, 205).

Umfang des Inszenierungsprozesses

Mit der Erstellung des Spielplans hat die Vorbereitung der Inszenierung bzw. die Inszenierung als schöpferischer Akt eigentlich schon begonnen. Dieser Prozess wird im transitorischen Medium Theater nicht an ein definitives Ende gelangen, bis die Aufführung das letzt Mal über die Bühne gegangen ist. Vielleicht sogar erst dann, wenn nach Abspielen des Stücks die letzten erinnernden Texte in den Theatergeschichten verfasst wurden (Englhart 2004).

Frühe Arbeit der Dramaturgie und Regie

Die theoretische Vorarbeit der Inszenierung leisten in erster Linie der Dramaturg und, gleich danach, der Regisseur. Natürlich lesen beide das Theaterstück, versuchen es zu analysieren, wobei, wie Erken betont, aus der Literaturwissenschaft und insbesondere der Germanistik gerne auf Edition und Textkritik, die Quellenforschung und die Biographik zurückgegriffen wird, während die Theaterwissenschaft die entsprechende Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte beisteuert. Für das Programmheft und damit für die nach außen getragene theoretische Kontextualisierung greift der Dramaturg heute weniger auf die Wissenschaft, sondern mehr auf die inspirierte Essayistik der zeitgenössischen, gerne auch modischen Philosophie und der anspruchsvolleren Kulturkritik zurück (Erken 2003, 208).

Auf der praktischen Seite nimmt die Vorarbeit vor allem in der Besetzung der Rollen Gestalt an. Viele Regisseure sind wie Peter Zadek der Ansicht, dass die Besetzung schon über die Hälfte der Inszenierung ausmacht. So sind sie neben den Schauspielern diesbezüglich selbst sehr an der Durchsetzung ihrer Wünsche interessiert, werden darin aber durch die konkreten Möglichkeiten (Verfügbarkeit an Ensembleschauspielern, Rücksichtnahmen etc.) eingeschränkt.

Bühnenbild und Bauprobe

Des Weiteren wird in dieser frühen Zeit bereits über die Ausstattung entschieden: Der Bühnenbildner macht seine Vorschläge, die mit dem Regisseur diskutiert werden, denn die Werkstätten müssen bereits vor den Proben anfangen, damit sie eine Woche vor der Premiere fertig sind. Aus der Absprache zwischen Bühnenbildner und Regisseur gehen Entwürfe, Skizzen und ein vom Bühnenbildassistenten gefertigtes Modell im Maßstab 1:25 hervor. Dem folgt die Bauprobe, also die erste ,reale‘ Projektion des Modells auf die Bühne, was Anlass zur Kalkulation der räumlichen, visuellen, technischen und ökonomischen Möglichkeiten gibt. Mit der Bauprobe beginnt der eigentliche, kaum mehr zu stoppende Produktionsprozess. Wenn sie zu einem befriedigenden Ergebnis führt, werden die Detailzeichnungen erstellt und die Werkstättenarbeit beginnt.

Streichen des Dramaturgen

Die praktische Vorarbeit des Dramaturgen gilt vor allem dem dramatischen Text. Insbesondere das Streichen ist seine Aufgabe. Dieses kann man als „mediale Redaktion“ bezeichnen, als „erste Öffnung des Textes für das Theater“ (Erken 2003, 210f.). Das Streichen nimmt dem dramatischen Text dasjenige, was es eventuell als Lesedrama benötigt. Dies betrifft vor allem das aus Sicht der Bühne rhetorisch Redundante bzw. das, was sich durch das Spiel auf der Bühne von selbst erklärt. Gestrichen wird auch im Hinblick auf die Besetzung, die Vorstellung der Regie und die bis zu diesem Zeitpunkt schon festgelegten weiteren Theatermittel wie etwa die Ausstattung.

Eingestrichene Fassung und Szenar

Das bedeutet, dass bereits in der ersten eingestrichenen Fassung der dramatische Text als ein Theatermittel unter anderen zu funktionieren hat. Er hat sich hier und in der Folgezeit innerhalb einer auf die theatrale Inszenierung bezogenen Konstellation pragmatisch anzupassen und als nützlicher Teil des Ganzen zu erweisen. Was bereits bei der Erstellung des Spielplans zu beobachten ist, trifft auch hier zu: Eine Dominanz des dramatischen Textes wird schon aus theaterpraktischen Gründen weitgehend zurückgedrängt. Ebenfalls auf die Bühne und Inszenierung bezogen ist das ,Szenar‘, das, vom Dramaturgen verantwortet, einen Überblick über die Struktur des Stückes bietet und der Verständigung der Beteiligten in der Probe dient, vor allem was Bilder und Auftritte betrifft, die von der üblichen Akt- und Szeneneinteilung abweichen.

Die Probenarbeit im engeren Sinn

Proben als Kern der Inszenierung

Die Proben bilden dann den eigentlichen, relevanten inneren Kern der Inszenierungsarbeit, auch wenn bis zu ihrem Beginn schon ein Großteil der Arbeit getan ist. Deren Haupteigenschaft ist die Arbeit des Regisseurs mit den Schauspielern. Im Gegensatz zu den früher üblichen autoritären Verhältnissen kann man hier heutzutage fast ein partnerschaftliches Verhältnis erwarten. Vielleicht geht es beim Inszenieren hauptsächlich darum, „eine Atmosphäre zu schaffen, in der andere schöpferisch sein können“ bzw.– was eigentlich ein und dasselbe ist –, „in allen Beteiligten den Wunsch zu wecken, am nächsten Morgen um zehn wieder dazusein“ (Ayckborn 2006, 107). Die Probenarbeit selbst gliedert sich bis zur Premiere in acht Schritte (Kurz 1999, 54): Sie beginnt mit der Leseprobe, dieser folgen die Proben auf der Probebühne, dann auf der Hauptbühne; danach die Proben mit Originaldekoration und Maske, dann das Ganze kombiniert mit der Beleuchtungsprobe. Anschließend wird das ganze Stück im Ablauf geprobt, dem schließt sich die Fotoprobe und dann die oft halböffentliche Generalprobe an.

Lese- und Stückprobe

Zum ersten Mal trifft sich das für das Stück vorgesehene Ensemble zur Leseprobe. Diese soll, so Erken, der „gemeinsamen Begegnung mit dem Stück“ dienen. In den Stückproben bis zur Premiere wird es, wenn man es zusammenfassen mag, insgesamt um vier Aufgaben gehen: „1. Textarbeit – 2. Figurenfindung – 3. Umgang mit dem Raum – 4. Spannungsaufbau“ (Erken 2003, 213). Das Stück sollten die Schauspieler natürlich zuvor schon gelesen, aber tunlichst nicht auswendig, sondern nur angelernt haben. Denn die Schauspieler sollten noch offen sein, um physische Handlungen und psychische Vorgänge, die ihnen im Probenprozess begegnen, integrieren zu können. In diesem Probenstadium gilt, dass der Theatertext schon noch als Ausgangspunkt der Inszenierungsarbeit fungiert, dabei wird er jedoch ständig befragt, inwieweit er den Figuren in ihren Dialogen und Monologen in einer konkreten inszenierten Situation genügend ,gibt‘. Um dies jeweils zu überprüfen, wird der individuelle und aktuelle Sprechanlass der Figur gesucht; dabei muss auch eine etwaige Differenz von Text und Subtext festgestellt und gegebenenfalls erarbeitet werden. Für Zadek bedeuten die ersten Wochen einer Inszenierung „beobachten, trainieren, gucken, eine Gruppe herstellen mit der Konzentration“ auf den Regisseur und das Stück. Um von dem, was der Schauspieler macht, zu dem zu kommen, was der Regisseur will, inszeniert Zadek nicht das Stück, wie er es sieht, „sondern eher die Phantasie der Schauspieler“, um sie langsam zu seiner werden zu lassen, während die Kreativität in Bewegung gehalten wird (Zadek 2003, 48).

Figurenfindung und Gefühlstopographie

Im ständigen Abgleich von theatraler Figur und Situation wird über die W-Fragen (woher, warum, was, wohin?) und über die Eigenart und Gestimmtheit des Schauspielers das Verhalten der Figur herausgearbeitet. Während dieser Arbeit werden der Bühnenraum und zugleich der imaginierte Raum bespielbar gemacht bzw. in Besitz genommen. Damit wird im besten Falle der Raum zu einer „Gefühlstopographie“, so dass der Raum nach und nach „Erlebnisorte“ erhält (Erken 2003, 217). Diese sollen mit allen anderen Elementen der Inszenierung so zusammenwirken, dass es gelingt, jedes Detail und jeden Augenblick mit Spannung aufzuladen. Letztlich solle es dem Regisseur gelingen, der Szene ihre „Temperatur“ und dem Akt sein „Klima“ (Erken 2003, 218) zu geben, man könnte auch phänomenologisch von „Rhythmus“ oder von „Atmosphäre“ sprechen (Böhme 1995). Diese beim Zuschauer als ,Anmutungen‘ festzustellende Wirkung der Inszenierung ist wohl das eigentliche Ziel der ganzen Produktionsarbeit, aber gerade diese kann nicht vom dramatischen Text aus einer ihm ,impliziten Inszenierung ‘ hergeleitet werden. Dieser Akt der am Produktionsprozess Beteiligten ist ebenso kreativ wie unlehrbar und kann letztlich wissenschaftlich nicht erklärt werden.

Wechsel auf die Bühne

Drei Wochen vor Beginn der Premiere wechselt man von der Probebühne auf die Bühne. Damit ist die zweite Phase der Proben eingeleitet und meist kommt bei den Beteiligten das Gefühl auf, dass man nun bis zur Premiere nicht mehr genügend Zeit hätte. Es geht nun überwiegend nicht um die Einrichtung und Analyse, sondern um die Synthese, das „Stück ist als Bezugsinstanz sukzessive durch die Inszenierung ersetzt worden“ (Erken 2003, 218). Man hat die Intimität der Probenbühne und damit auch die Konzentration auf Einzelheiten und Details verlassen und konzentriert sich mehr auf die Ab- und Durchläufe, auf den Gesamtzusammenhang. Dieser chronologische Überblick spiegelt sich auch im Blick auf die Bühne, denn das Leitungsteam sitzt nun relativ weit weg vom Geschehen, im Zuschauerraum etwa in der 7. Reihe. Das ganze Spiel, von der Gestik über die Mimik bis zum Sprechen, muss nun an die neue Lokalität angepasst werden. Beim Übergang vom Probenraum auf die Bühne hat die Regie darauf gefasst zu sein, dass alles, was man während der Probenwochen erreicht zu haben glaubt, im selben Moment verschwindet, in dem die technische Phase beginnt. Für Zadek ist es das Schwierigste bei Endproben, die „Inszenierung zu erhalten und sie nicht von der Technik zerstören zu lassen“ (Zadek 2003, 52). Alan Ayckborn beobachtet in dieser Phase, dass die Schauspieler „auffallende Manierismen“ entwickeln: „Sie lachen übereinander, über Requisiten und Kostüme. Sie starren die Scheinwerfer an und machen übertriebene Gänge, als suchten sie auf der ganzen Bühne nach Licht. Sie fahren bei ihren feinsinnigen Toneffekten überrascht zusammen und stellen Fragen zur Dekoration“ etc. Dies sollte der Regisseur möglichst gelassen ignorieren, da es sich von selbst wieder legt (Ayckborn 2006, 170).

Originalausstattung und erster Durchlauf

Nach und nach kommen zum Spiel der Schauspieler auf der Bühne die Technik, die Originalkostüme und -dekorationen hinzu. Das verlangt dann jeweils von allen Beteiligten immer wieder erneute Anpassungen, denn auf einmal sieht wieder alles etwas anders aus, hört sich anders an etc. Etwa zwei Wochen vor der Premiere gibt es den ersten Durchlauf nach der technischen Einrichtung der Originaldekoration, was für die Bühnenkünstler und -techniker nicht nur eine hohe Belastungsprobe darstellt, sondern auch auf beiden Seiten schnell zu Pannen führt.

Letzte Durchläufe

Wenn dann in einem nächsten Schritt noch die Originalkostüme angezogen werden und die Masken und Frisuren zum Einsatz kommen, scheint alles sicher Erprobte nicht mehr zu gelten. Es kommt fast immer Hektik auf, denn es bleiben bestenfalls noch fünf Durchläufe, um die Inszenierung premierenfertig zu machen. Zudem muss die Regie meist Probenzeit opfern, da nun die technische Einrichtung und die Beleuchtungsproben Platz und Zeit benötigen. Die Regie hat dabei für Zuversicht zu sorgen, insbesondere, da immer mehr Außenstehende, die Techniker, der Intendant, die Kostümbilder hinzukommen, nur einen kleinen, sie betreffenden Ausschnitt sehen und selten begeistert sind (Ayckborn 2006, 165). Für Zadek hat der Regisseur in jeder Situation „immer auf seiten der Schauspieler“ zu sein: „Schauspieler werden in den letzten zwei Wochen vor der Premiere immer unsicherer – das ist normal –, und wenn sie in dieser Zeit die Zuversicht verlieren und denken: Der kümmert sich um alles andere, aber nicht um mich, verliert er ihr Vertrauen“ (Zadek 2003, 52). Der Regie bleibt ansonsten oft nur die positive Kritik über die Video-Aufzeichnungen und die schriftlich fixierten Probenbeobachtungen; zugleich bereitet sie mit dem Dramaturgen und dem Öffentlichkeitsarbeiter die zukünftige Rezeption des Stückes vor, die Presse wird informiert und es werden Interviews gegeben. Dabei darf auch das Marketing nach innen, also die Verteidigung des Stückes im eigenen Haus, nicht vernachlässigt werden.

Nach der Premiere bleibt dem Regisseur nur noch, gegebenenfalls seine Inszenierung, an der er vielleicht vier bis fünf Monate gearbeitet hat, zu verteidigen. Aber eigentlich ist seine Arbeit nun beendet.

Organisation und künstlerische Aufsicht in der Aufführungszeit

Mit der Inszenierung verbunden bleiben nun während der Aufführungszeit vor allem die Requisite und die Beleuchtungsabteilung. So haben die Beleuchter vor jeder Vorstellung bis zu vier Stunden das ,Einleuchten‘ zu besorgen. Für den organisatorisch-technischen Ablauf ist der Inspizient zuständig, während die Regieassistenz die künstlerische Aufsicht übernimmt. Die jeweilige Kassenlage, die den Disponenten, den Intendanten und künstlerischen Betriebsdirektor interessiert, und etwaige Wünsche der Schauspieler bezüglich der möglichst besseren Ansetzung des Stücks zu diesem oder jenem ihnen günstig erscheinenden Zeitpunkt (etwa eher samstags als wochentags) wirken auf den Monatsspielplan ein. Gegebenenfalls kümmert sich die Dramaturgie um die Rezeption und die Dokumentation in der Presse und in den Theaterzeitschriften. Am längsten tragen die Schauspieler das Stück, das für sie bis zuletzt an jedem Abend die größtmögliche Herausforderung darstellt. Dennoch bleibt am Ende nicht aus, dass das transitorische Kunstwerk einer theatralen Inszenierung irgendwann verschwindet. Es ,überleben‘ nur Rezeptionszeugnisse als indirekte und damit eher melancholisch stimmende ,Überreste‘, oft bleiben Videoaufzeichnungen fürs Theater, zuweilen auch Mitschnitte des Fernsehens. Und es bleibt der dramatische Text, aus dem bzw. von dem ausgehend bei Gelegenheit wieder eine Inszenierung entstehen mag, diesmal aber wieder garantiert eine andere.

Einführung in die moderne Theaterwissenschaft

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