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Dienstagmittag,
Breitbrunn am Chiemsee

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Das Telefonklingeln hallte durchs ganze Erdgeschoss des Adelhoferschen Bauernhofes und versetzte Rosa Adelhofer in Panik. Seit Roberts Verschwinden in seinem »Bergwinter«, wie der Bub diesen Wahnsinn genannt hatte, kam das Herzrasen bei Rosa immer, wenn sie das Telefon hörte. Gehetzt eilte die stämmige Frau aus der Küche in den Gang, um den Hörer des altmodischen Wählscheibentelefons abzunehmen. Gegen ein tragbares Gerät, das Robert ihr seit Langem schenken wollte, hatte sie sich bisher erfolgreich gewehrt. Sie wollte so wenig wie möglich mit diesem Apparat zu tun und ihn nicht ständig in Reichweite haben. »Adelhofer«, meldete sie sich mit unsicherer Stimme und lauschte in den Hörer, um möglichst schnell zu erahnen, wer dran sein könnte.

»Hallo, Mama, ich bin’s, der Robert.«

»Ah, Robert, Gott sei Dank. Geht’s dir gut, Bub?« Das war seit der Rückkehr ihres Sohnes aus den Bergen jedes Mal ihre erste Frage und Robert reagierte darauf zunehmend ungeduldig: »Bestens, sag mal, der Lukas ist noch nicht da. Weißt du, wann er losgfahren is’?«

Wenn Robert Adelhofer mit seinen Eltern sprach, verfiel er sofort in seinen Heimatdialekt. Dabei hatte er sich den am Anfang seiner Karriere als Fernsehstar hartnäckig abtrainiert. Nur ein leichter bayerischer Einschlag durfte es sein, den liebte die Zielgruppe. Das hatte die Medienforschung von »Monaco TV« herausgefunden.

»Mei, Robert, du weißt es eh, dass ich den Lukas fast nie mehr seh. Der kommt aus seiner Wohnung kaum raus und bei uns schaut er sowieso ned rein. Beim Bettenmachen hab ich eben ausm Fenster gschaut und sei Auto steht ned aufm Hof. Also müsst’ er gfahren sein. Hoffentlich ist ihm nix passiert, meinst, ich sollt’ bei der Polizei anrufen?«

»Na, wart ma noch a bissl, wahrscheinlich hängt er in irgendeiner Kneipn rum, der wird schon noch kommen. Dankschön Mama. Ich komm die Woch’ raus und bring genug Bücher mit, damits die bei den Führungen verkaufen könnts.«

»Is’ recht, Bub, weißt es ja, dass des der Papa macht, ich kann’s ned. Wenn’s halt bloß ned jede Woch glei’ so viel Leut’ wärn, des is’ so ein Lärm, ich mag’s halt gar ned. Aber ich weiß ja, dass es wichtig für dich is’.«

An die wöchentlichen Führungen auf dem Adelhofer-Hof hatte sich Rosa nicht gewöhnt. Wildfremde Menschen besichtigten ihre persönlichen Räume, das Schlafzimmer, in dem sie seit mehr als 40 Jahren schlief und in dem sie ihre beiden Söhne auf die Welt gebracht hatte, die ehemaligen Kinderzimmer von Robert und Lukas, ihre Küche, ihr Wohnzimmer, einfach alles. Robert hatte das nach seinem Bergwinter vorgeschlagen. Und mit der Landwirtschaft auf dem Adelhofer-Hof ging sowieso nichts mehr. Die alten Adelhofers konnten das Geld gut gebrauchen – wobei die Einnahmen Robert bekam und ihnen jeden Monat etwas gab – wie viel, das wusste Rosa Adelhofer nicht. Wie in einem Museum wurden jedenfalls einmal die Woche Schilder aufgestellt, nicht zu besichtigende Räume abgeschlossen und an der Haustür eine provisorische Kasse aufgebaut. Für zehn Euro Eintritt durften die Robert-Adelhofer-Fans einen Blick in sein Geburtshaus werfen, während sich die Mutter des Stars meistens in der Bügelkammer einschloss.

Nachdem Lukas sich zurückgezogen hatte, übernahm Vater Max Adelhofer die Führungen. Am Schluss verkaufte er im Erdgeschoss massenweise Poster von Robert und Pins mit dem Logo seiner Show.

»Mama, jetzt machst dir keine Sorgen wegen dem Lukas, der wird schon auftauchen, er is’ halt einfach nimmer so zuverlässig wie früher. Nachher bei der Pressekonferenz is’ er bestimmt da. Kannst es dir ja im Fernsehen anschauen, wennst magst.«

»Na, Bub, des mach ich lieber ned, weißt, ich mag halt ned an des denken von damals. Bist a guter Bub, ich bin stolz auf dich, wie du des gschafft hast mit dem Fernsehen.«

»Ja, ja, Mama, Servus, bis bald, gell, ich komm die Woch’ runter.«

Unglücklich legte Rosa Adelhofer den Hörer auf die Gabel und ging zurück in die Küche. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie wollte zwei Söhne mit netten Schwiegertöchtern, Enkelkinder, die bei ihr auf dem Schoß saßen und ihre Kuchen aßen. Stattdessen blieb ihr nur der Lukas, von dem sie nicht genau wusste, was eigentlich mit ihm los war – bloß, dass er viel trank und nichts mehr mit seinen alten Freunden aus Rosenheim zu tun hatte. Das erzählten sich die Leute beim Bäcker und beim Metzger im Dorf. Lukas selber kam kaum noch zu ihr in die Küche. Sie hörte ihn nur nachts oft. Dann stand er fluchend vor seiner Zimmertür im ersten Stock und bekam den Schlüssel nicht ins Schloss.

Und der Robert lebte sowieso weit weg da in München, arbeitete beim Fernsehen. Anscheinend war er richtig berühmt. Aber ihr Robert war er auch nicht mehr, die beiden Söhne hatten nichts mit den Buben gemeinsam, die früher zu ihr in die Küche gerannt waren und geschrien hatten:

»Mama, Mama, komm, erzähl uns a Gschicht.«

Auf der Bank vor dem Kachelofen saßen sie in die Kissen gekuschelt, Robert hatte sich – teilweise mit Gewalt – den besseren Platz erobert, und Rosa hatte erzählt, was ihr gerade eingefallen war, von Feen und Königen, von Drachen und Helden.

Rosa Adelhofer holte ein Taschentuch aus ihrer Schürze, wischte sich die Tränen ab und begann, einen Kuchen zu backen – wie immer, wenn ihr Leben dunkel war.

Tatort Oberbayern

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