Читать книгу Silvia - Folge 2 - Jürgen Bruno Greulich - Страница 5

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Begegnung im Städtchen

Sie erwachte in der Mitte eines eisig klaren Tages. Blassgelb, klein und kraftlos stand die Sonne am makellos blauen Himmel, silbern glitzerte der Park, gepudert vom Reif, der nicht taute. Frühstück gab es keines mehr, stellte sie fest beim Blick auf die Uhr, fast schon war es Zeit fürs Mittagessen. Doch hatte sie keinen Appetit. Mehr als essen reizte sie ein kleiner Ausflug in die Stadt, einkaufen, das Konto einrichten, sich umschauen, vielleicht irgendwo einen Kaffee trinken. Sie machte sich frisch und zog sich an. Die zarten Strümpfe, die es im Schrank nur gab, wärmten kaum und mussten von Strapsen gehalten werden, waren aber besser als nichts, das Gleiche galt für das dünne schwarze Negligé, das sie überzog. Für drüber wählte sie ein schwarzes langes Kleid, das einzige hochgeschlossene im Sortiment, damit war sie für die Stadt gerüstet wie eine Touristin in Sommerkleidung für die eisigen Gipfel eines Gebirges.

Im Speicher des Telefons fand sie das Stichwort „Taxi“, stellte die Verbindung her und hörte das Freizeichen. Ebenso einfach, wie sie eine Verbindung nach draußen schaffen konnte, war sie per Telefon auch zu erreichen: die Nummer des Hauses und die Vierzehn dazu, dann war man mit ihr verbunden. Allerdings gab es niemanden, der die Nummer kannte, niemanden, der sie anrufen würde, sie war unerreichbar geworden für alle ihre Bekannte, verschollen, spurlos aus ihrer Welt verschwunden, es störte sie nicht, es gab kein Bedauern, obgleich … Mit Claudia hätte sie gerne mal wieder geredet, was aber ihr sagen? Sie würde nur auf Unverständnis stoßen, müsste sich Vorhaltungen, Mahnungen, Belehrungen anhören, niemals würde Claudia sie begreifen.

Das Taxi komme in zehn Minuten, wurde ihr von einer weiblichen Stimme mitgeteilt, der Fahrer werde vor dem Tor warten wie üblich. – Wie üblich? Es fuhr also öfter ein Taxi für eines der Mädchen vor, eine beruhigende Auskunft, gab das doch Hoffnung, nicht wie ein exotisches Wesen begafft zu werden, denn dass jeder in der kleinen Stadt über das Geschehen hinter den Mauern von Schloss Sinnenhof Bescheid wusste, musste sie doch annehmen. Sie schaute in den weißen Umschlag von Corinna und fand darin tausend Euro, eine Menge Geld und doch auch nicht, wenn sie daran dachte, dass sie in einer einzigen Nacht mehr eingenommen hatte. Die Männer waren verrückt, keine Frage.

Sie steckte die Hälfte des Geldes in ihr Portemonnaie, zog den warmen Mantel an und ging schon mal hinunter. Der Flur im Erdgeschoss führte am Foyer vorbei zum Personaleingang und sie gelangte auf den Parkplatz hinter dem Haus, auf dem die Mädchen und die Bediensteten ihre Autos abstellten. Das schmiedeeiserne Tor schwang lautlos vor ihr auf, wie von Geisterhand bewegt, und sie kam in den gepflasterten Hof, in dem kein einziges Auto stand. Das ganze Schloss wirkte wie ausgestorben und die Kälte sprang sie an wie ein wildes Tier. Sie schlug den Mantelkragen hoch und vergrub die Hände in den Taschen.

Auf irgendwelche mysteriöse Weise gesteuert, öffnete sich vor ihr auch die kleine Pforte neben dem geschlossenen großen Haupttor, das ab vierzehn Uhr permanent offen stehen würde. Bibbernd lief sie in der Einfahrtsbucht hin und her, nahm sich vor, unbedingt auch warme Socken zu kaufen, und hoffte, dass das Taxi noch auftauchen würde, bevor sie erfroren war. – Da kam es endlich und hielt direkt vor ihr an. Rasch sank sie auf den Beifahrersitz, froh um die mächtig blasende Heizung.

Wenn sie gehofft hatte, dass die Mädchen des Hauses keine besondere Aufmerksamkeit erfahren mussten, sah sie sich getäuscht. Der Fahrer, ein junger Bursche mit langem Haar, starrte sie an, als erwarte er auf der Stelle ein Wunder von ihr. Er war wohl neu im Geschäft (wie sie ja auch) und hatte sich noch nicht so ganz unter Kontrolle (wie sie ja auch nicht, wenn sie an ihr gestriges Erlebnis mit dem Gast namens Wolfgang dachte).

Zur Fußgängerzone, sagte sie, als er sie ausgezogen hatte mit seinem aufdringlichen Blick, irgendwohin, wo man einkaufen könne. Er wendete den Wagen und preschte los, wobei er jetzt wenigstens den Blick von ihr losriss, um nach vorne zu schauen, womit es also Chancen gab, die Fahrt heil zu überstehen. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie einen roten Kleinwagen aus einem Waldweg auf die nur wenig befahrene Bundesstraße einbiegen.

Das Städtchen erwies sich als größer denn gedacht, es wurde umgürtet von hässlichen Industriegebieten, die sich weit in die Ebene erstreckten, und in seinem Kern, der sich zwischen sanfte Hügel schmiegte, wechselten sich funktionale Glas- und Betonbauten mit schmucken Fachwerkhäusern ab. Bei einer frühmittelalterlichen großen Kirche, die von einem neu gebauten Kaufhaus erdrückt wurde, begann die Fußgängerzone und ihr gegenüber kam das Taxi zum Stehen.

„Ganz in der Nähe befindet sich der Bahnhof“, sagte der Fahrer und wies in eine abzweigende Straße. „Dort finden Sie zur Rückfahrt mich oder einen Kollegen.“ Er bedankte sich für das Trinkgeld, und gebadet in seinen zudringlichen Blick, gesellte sie sich zu den wenigen Fußgängern, die vor der roten Ampel warteten. Hinter ihr hupte aufgebracht ein Bus, sie schaute sich um und sah, wie der Fahrer wild gestikulierend einen roten Kleinwagen vertrieb, der die Haltestelle blockierte. Sie befand sich wieder in der „richtigen“ Welt, die so gar nichts gemein hatte mit der Abgeschiedenheit „ihres“ Schlosses, erlebte verwundert den alltäglichen Kampf in der Arena der Normalität, er kam ihr vor wie ein absurdes Theaterstück. Aber nur keine Anmaßung, auch sie spielte darin eine Rolle, ob sie wollte oder nicht, wenn augenblicklich auch nur die einer Statistin, die frierend durch die Straßen lief.

Die Fußgängerzone glich denen anderer Städte, Betonpflaster mit „Natursteincharakter“ beschwor Nostalgie, im Kontrast dazu standen Filialen von Hamburgerketten, überregionalen Optikern und eines Fischvermarkters für die moderne Zeit. In den Kinos liefen die bekannten aktuellen Filme, viel Interessantes gab es also nicht zu sehen. Auch die Kaufhäuser mit ihren glatten Fassaden waren denen anderer Städte zum Verwechseln ähnlich, Klone, wohin man auch schaute, die sogenannte „Philosophie“ (wie achtlos doch mit den Worten umgegangen wurde) des Wiedererkennungseffektes erstickte jede Originalität.

Immerhin fand sie in einem der glitzernden Einkaufstempel schon bald das Gesuchte: baumwollene Slips, dichte Strumpfhosen, warme Unterhemden und wollene Socken. Sie ging nach dem Bezahlen noch einmal in eine Umkleidekabine und zog sich um, packte die Strümpfe, den Strapsgürtel und das Negligé in die Tasche, sie erfüllten im Foyer ihren Zweck, nicht in der Kälte des Tages.

Wie lange sie schon nicht mehr „richtig angezogen“ gewesen war, sie fühlte sich verpackt wie eine Mumie, gewärmt, geschützt, geradezu anständig, ganz ungewohnt, einer jeder biederen Hausfrau ebenbürtig, sich selbst entfremdet? Aber woher denn, es war praktisch so und angenehm, die Kälte verlor an Biss beim Rückweg durch die fremde Stadt, die eintönig und abweisend unter dem fahlblauen Himmel lag. Ganz in der Nähe der Kirche gab es eine Bankfiliale in einem protzigen neuen Gebäude, sie betrat es wenig erfreut, füllte die Formulare für die Kontoeröffnung aus und wurde von dem jungen Angestellten scheel beäugt, als er auf ihrem Ausweis die weit entfernte Adresse las. Noch skeptischer, aber auch interessiert wurde sein Blick, als sie ihm sagte, dass eventuell anfallende Post an Schloss Sinnenhof geschickt werden solle. Damit wusste also auch er Bescheid. Er überreichte ihr die Unterlagen mit einem schüchternen Lächeln und aufatmend verließ sie die Bank, froh, diese lästige Pflicht hinter sich zu haben.

Ganz in der Nähe aber gab es etwas Erfreuliches zu sehen: ein kleines Bistro, das mit Spaghetti Alfredo und Kaffee lockte. Sie nahm Platz an einem der runden Tische, verstaute die Plastiktüte mit den Einkäufen auf dem zierlichen Stuhl gegenüber und gab bei der wenig beschäftigten jungen Bedienung die Bestellung auf. Frisch wirkte das Mädchen mit dem kurzen blonden Haar, dem jugendlich rosigen Gesicht, dem knabenhaften Körper, den sie unter einer weiten Jeans und einem weißen T-Shirt verbarg, die reine Unschuld, die noch einen weiten Weg vor sich hatte bis zur frustrierten Ehefrau eines missmutigen Gatten und entnervten Mutter quengelnder Kinder. Sie stakste zur Theke mit hölzernem Schritt und Silvia wandte den Blick zur Tür, da ein neuer Gast das Bistro betrat – kannte sie den nicht, war er das wirklich?

Er war groß, von fast hünenhafter Statur, sein Gesicht wurde von einem dunklen Schatten überzogen, voll waren die Lippen, grünlich grau die Augen. – Ja, das war er, „ihr“ Aufseher vom vergangenen Sommer, ganz eindeutig. Er trug einen langen dicken Lodenmantel, hatte den Kragen hochgeschlagen und die Hände tief in den Taschen vergraben. Ein dicker Schal, zweimal um den Hals gewickelt, drohte ihn zu ersticken, seine hohen Schuhe, mit langhaarigem Pelz besetzt, schienen direkt von einem Eskimo zu stammen, eine Fellmütze bedeckte den Kopf, aus dickem Fell auch bestanden die halbrunden Schoner über den Ohren. Offenbar war er fürs Überwintern am Nordpol ausgerüstet.

Mit einem erfreuten Lächeln stapfte er zu ihr her und leise, fast schüchtern erklang seine rostige Stimme: „Hallo, Silvia, schön, dich zu sehen. Darf ich mich setzen?“

Er durfte, ja, auch sie freute sich, ein bisschen jedenfalls. „Das ist aber ein Zufall, dass wir uns hier begegnen.“ Sie nahm die Tüte vom Stuhl, stellte sie auf den Boden, um Platz für ihn zu schaffen.

„Ja, kaum zu glauben“, murmelte er. „Wie geht’s dir denn?“ Sonderlich überrascht schien er nicht zu sein, sie hier in dieser Stadt anzutreffen, in der er sie doch eigentlich nicht vermuten konnte. Er fragte nicht, was sie hier tue, ob sie vielleicht nach hierher umgezogen sei oder sich zu einem Kurzurlaub hier befände, nahm ihre Anwesenheit einfach wie selbstverständlich hin.

„Danke, ganz gut.“ Warum sie es plötzlich peinlich fand, ihm von ihrer Rückkehr nach Schloss Sinnenhof zu erzählen, war ihr ein Rätsel, da sie vor diesem Mann doch wirklich keinen guten Ruf zu verlieren hatte. Ihre Stimme aber erstarb.

Er bestellte bei der Bedienung einen Kaffee. Wenn diese wüsste, wen sie da vor sich hatte, wäre ihr Lächeln vielleicht ein bisschen weniger freundlich ausgefallen, vielleicht aber auch nicht. Silvia überlegte derweil, wie sie ihn ansprechen solle. Ihr Behüter war er nicht mehr, das unterwürfige Ihr stand also nicht zur Debatte. Sie vielleicht? Aber hatte er sie nicht geduzt und konnte sie sich nicht Gleiches erlauben? Es fiel ihr nicht leicht, sie musste sich überwinden, doch sprach sie das Du dann aus, das sie sich ihm gegenüber niemals hätte erlauben dürfen im vergangenen Sommer: „Bist du noch auf dem Schloss?“

„Ja“, antwortete er atemberaubend lakonisch.

Ein beredtes Schweigen umschloss sie beide, ließ sie zu Verbündeten einer gemeinsamen Erinnerung werden, ob sie wollten oder nicht. Bilder tauchten auf. Silvia sah ihn in seiner Aufsehermontur, sah ihn mit dem Buch in der Hand und mit der Peitsche, sah sich im langen Gewand seinen Blicken ausgeliefert, sah sich den Freudenslip anlegen und vor ihm knien, um ihn um Nachsicht zu bitten … Vermutlich ähnelten seine Bilder den ihren.

„Ich habe oft an dich gedacht“, sagte er.

Konzentriert rührte sie in ihrem Kaffee. „Ich kann es mir vorstellen.“

„Nicht so, wie du vielleicht glaubst. Anders. Als ich von der Herrin gestern erfuhr, dass du wiedergekommen bist …“ Er unterbrach sich verlegen und senkte den Blick, wie sie es vor ihm immer getan hatte.

Er wusste also Bescheid, hatte sich deshalb über die Begegnung nicht gewundert. Sein Kaffee kam und ihr Essen auch. Nachdenklich wickelte sie einige Spaghetti um die Gabel. War diese Begegnung hier wirklich ein Zufall? So recht konnte sie daran nicht mehr glauben.

Sie nahm einen Bissen und schaute ihn an. „Ist wirklich komisch, dass wir uns in dieser gar nicht so kleinen Stadt kurz nach meiner Ankunft über den Weg laufen. – Fährst du zufälligerweise einen roten Kleinwagen?“

Er seufzte tief, kratzte sich sinnierend am nicht mehr bedeckten Kopf, trank einen Schluck Kaffee, seufzte ein zweites Mal, nickte ertappt und gestand, dass er im Auto in der Nähe des Schlosses gewartet hatte in der Hoffnung, dass sie vielleicht in die Stadt führe, was ja glücklicherweise auch geschehen war. Er könne es nicht ändern, jedenfalls habe er den innigen Wunsch verspürt, sie wieder einmal zu sehen, wieder einmal ihre Stimme zu hören, ihr nahe zu sein …

Oh. Klang das nicht wie eine schüchtern verbrämte Liebeserklärung? Na ja, ein bisschen war sie geschmeichelt, fand diesen Mann auch sympathisch, hatte ihn damals schon gemocht, vielleicht in manchem Augenblick sogar mehr als das, aber … Zu neu war das neue Leben, zu ungefestigt, zu aufregend, als dass so etwas wie Liebe derzeit darin hätte Platz finden können. (Aber wieso „derzeit“, war dem nicht schon lange so?)

Sie wich aus: „Du hast im Auto gewartet bei dieser Kälte? Du musst ja halb erfroren sein.“ Statt „halb erfroren“ hätte sie auch „verrückt“ sagen können, es meinte das Gleiche.

„Na ja, sehr angenehm war es nicht. Aber es hat sich gelohnt.“

Hatte es das? Was wollte er von ihr, was erwartete er, welchen Fantasien hing er nach? „Ich bin keine Sklavin mehr.“ Den Zusatz „jedenfalls nicht deine“, ersparte sie sich lieber.

„Ich weiß. Ich habe dich auch nie als Sklavin gesehen.“ Er bemerkte die Zweifel in ihrem Blick und korrigierte sich. „Höchstens vielleicht ganz am Anfang.“ Die gespitzten Ohren der Bedienung wiesen darauf hin, dass dieses Bistro nicht der rechte Ort für eine solche Unterhaltung war. Helmut (Silvia hatte seinen Namen nicht vergessen) schaute auf seine Armbanduhr, die er unter diversen Schichten von Pulloverärmeln hervorwühlte. „Ich habe Abendschicht und muss bald gehen. Können wir uns mal treffen, nächste Woche vielleicht? Da habe ich frei.“

Warum nicht? Nächste Woche würde sie ihre Tage haben und für das Foyer nicht zur Verfügung stehen. Bevor sie alleine in ihrem Zimmer saß … Sie sagte, wie sie zu erreichen war, die Nummer des Schlosses gewählt (die er natürlich kannte) und die Vierzehn dazu (das ließ sich einfach merken). So war er denn nun der Erste, dessen Anruf sie erwarten konnte. Er wollte ihre Rechnung bezahlen, doch ließ sie das nicht zu, sicherlich verdiente sie mehr Geld als er, was sie ihm natürlich nicht sagte. Dass sie seinen Kaffee gleich mitbezahlte, schien seine Ehre nicht zu verletzen, anscheinend war er trotz seines anachronistischen Jobs ein halbwegs modern denkender Mann. Beim Gedanken an die aufdringlichen Blicke der Taxifahrer schlug sie vor, dass er sich erkenntlich zeigen und sie zum Schloss mitnehmen könne.

Er war erfreut. „Ja, gerne.“

Sein rotes kleines Auto stand nicht weit entfernt vom Bistro im Parkverbot, am Scheibenwischer hing ein Strafzettel, den er grummelnd in die Jackentasche stopfte. Ächzend quetschte er sich sodann hinters Steuer, passte kaum hinein. Schon lange war Silvia nicht mehr in einer solchen Klapperkiste gesessen, hatte gleich nach der Führerscheinprüfung einen ähnlichen Schrotthaufen gefahren, dann aber, durch Wolfgang bedingt, nur noch komfortable Limousinen. Mitleiderregend heulte das bisschen Motor und wie eine alte Dame hielt sich Silvia am Griff über dem Fenster fest, fühlte sich alles andere als sicher.

Sie fragte Helmut, was er so verdiene mit seinem seltsamen Job.

Er zuckte mit den Achseln. „Nicht sehr viel. Doch komme ich zurecht. Ich kann nicht klagen.“

„Wie bist denn dazu gekommen?“

Er winkte ab, als sei ihm dieses Thema peinlich. „Durch einen komischen Zufall.“

„Schon wieder ein Zufall?“

„Na ja, das war wirklich einer. Ich hatte mal ein Modell, das eine Freundin hatte, die im Schloss arbeitete. Als ich ihr meine finanziellen Nöte klagte, damals hatte ich Grund zur Klage, sagte sie, dass ihre Freundin von den Klagen ihrer Chefin berichtet habe, die dringend einen stattlichen und halbwegs kultivierten Mann für eine etwas delikate Aufgabe suchte, wie sie sich ausdrückte. Tja, und so trat ich denn mit der Herrin in Kontakt, bekam den Job und mache das nun schon seit über drei Jahren.“

„Was für ein Modell hattest du denn?“

„Ein sehr hübsches, sie hieß Klarissa, war noch sehr jung …“

„Und wozu brauchtest du ein Modell?“ Das war die Frage, die sie eigentlich hatte stellen wollen.

„Na ja, für meine Bilder halt.“

„Für was für Bilder? Fotografien?“

„Nein, ich bin Maler.“

Ach. – Um ihm diese Auskunft zu entlocken, hatte es fast den ganzen Weg bis zum Schloss gebraucht. Nun ja, zwischen einem Maler und einem Alleinunterhalter lagen doch offenbar Welten. „Und was für Bilder malst du?“

„Kubistische und abstrakte“, erklärte er unerwartet konkret, während er das Auto in die Einfahrt des Schlosses lenkte. Das Tor hinter dem Turm schwang vor ihnen auf und sie rollten zum Personalparkplatz. „Aber schau sie dir doch einfach mal an nächste Woche.“

„Ja, das würde mich interessieren.“

Er parkte zwischen Corinnas Luxuslimousine und einem dunklen Mittelklassewagen. Sie stiegen aus und ihre Wege trennten sich. „Ich gehe außen rum.“ Seine Hand beschrieb einen halben Kreis und er lächelte schüchtern. „Ich rufe dich an … ich freue mich auf dich.“ Silvias Lächeln geriet verhalten. Nur keine Hoffnungen nähren, keine Träume schüren. Mit einem Winken stapfte er los, hinüber zum Mädchentrakt, um seine Sklavinnen zu beaufsichtigen. Wenn die wüssten, dass er nur ein einsamer Mann war, der vergebens nach der Liebe einer Prostituierten lechzte, vielleicht würde ihr Respekt vor ihm schrumpfen oder (bei genauerer Überlegung) ihre Angst noch wachsen.

Silvia - Folge 2

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