Читать книгу Silvia - Folge 2 - Jürgen Bruno Greulich - Страница 7
ОглавлениеUnerwartetes Bekenntnis
Das Frühstück fiel aus, da von Silvia verschlafen. Um halb zwölf wurde sie erst wach und fühlte sich so erschöpft, als habe sie die ganze Nacht mit Arbeit im Steinbruch zugebracht. Dabei war es so anstrengend gar nicht gewesen mit Juliane in der Zelle … Die Bilder wurden lebendig und sie sah Julianes verklebtes Gesicht ganz nah vor dem ihren … Aber nein, sie konnte doch nicht schon wieder an sich rumfingern!
Also guckte sie mal, ob es unten nicht doch noch einen Kaffee zu ergattern gab.
Der Speiseraum war nicht völlig verlassen wie gedacht. Laura saß am Tisch beim Fenster. Sie trug eine Jeans und einen Pullover, vor ihr lag eine aufgeschlagene lederne Schreibmappe und gedankenverloren kaute sie an einem Druckbleistift, begrüßte Silvia mit einem abwesenden Lächeln. Silvia lächelte zurück und schielte nach der großen Thermoskanne. Sie stand an ihrem Platz rechts von der Tür, auch Brötchen gab es noch und das übliche Zubehör, darauf aber hatte sie jetzt keinen Appetit. Ob noch ein Rest Kaffee drin war? Ja, und er dampfte sogar noch, perlte lebendig in die Tasse, nicht lau und abgestanden wie befürchtet. Vorsichtig balancierte sie ihn zu Lauras Tisch. „Störe ich?“
„Nö. Mir fällt sowieso nichts mehr ein.“
Silvia setzte sich ihr gegenüber. War sie indiskret, vielleicht aufdringlich? Neugierig auf jeden Fall. „Zu was sollte dir denn etwas einfallen?“
Laura bezupfte ihr goldblondes Haar, lächelte verlegen, wie bei einer Sünde ertappt. „Zu meinem Roman.“
„Du schreibst einen Roman?“
Laura nickte.
„Worum geht es denn? Bringst du deine Erlebnisse hier im Haus zu Papier?“
„Aber nicht doch. Das wäre zu pornografisch. Es geht um eine historische Frauengestalt, um Theresa de Cepeta, die Tochter eines kastilischen Edelmanns. Sie trat in jungen Jahren, nachdem ihre erste große Liebe zerbrochen war, in ein Kloster ein, reformierte es und wurde später heiliggesprochen.“
Der Kaffee schmeckte gut und frisch. War das ein Omen für den Tag, sollte etwa alles gut werden? „Ach … und wie bist du zum Schreiben gekommen?“
Laura lächelte. „Man kommt nicht zum Schreiben, es ist umgekehrt, das Schreiben kommt zu einem. Ich habe schon in Kinderjahren die ersten Geschichten geschrieben, es ist eine Neigung, auf die man so wenig Einfluss hat wie auf andere Neigungen auch …“
Tja, diese Neigungen … ein gutes Omen käme gerade recht, heute, an Silvias erstem Pflichttag im Foyer. Sie seufzte leise. „Mit einer Heiligsprechung können wir mit unseren Neigungen wohl kaum rechnen.“
„Wirklich nicht. – Doch sah es bei meiner Theresa lange Zeit auch nicht danach aus. Sie hatte Visionen, die sie niederschrieb, und diese waren höchst erotischer Natur, immer wieder empfing sie Gott, und das so leidenschaftlich, dass man sie schließlich vors Inquisitionsgericht brachte. Allerdings konnte sie die Richter von ihrer tiefen Gläubigkeit überzeugen und durfte in ihr Kloster zurückkehren.“
„Um sich dort weiter mit ihrer ungestillten Sehnsucht zu quälen?“
„Gut möglich.“
Silvia trank den nächsten Schluck Kaffee. Seit heute Morgen hätte er sich in der besten Thermoskanne nicht frisch gehalten, also hatte man ihn erst vor kurzem zubereitet, ein bemerkenswerter Service, wenn man bedachte, dass es offiziell ja schon längst kein Frühstück mehr gab. „Was ist nun erträglicher, die einsame seelische Qual des ewig unbefriedigten Begehrens oder die körperliche Qual bei seiner Befriedigung?“
Laura hatte inzwischen eine ganze Locke ihres Haares um den Finger gewickelt und rieb sie an ihrer Wange. „Nicht jede Befriedigung ist gleichbedeutend mit Qual.“
„Bei manchen aber schon.“
„Ja, bei manchen schon. Aber jedenfalls gehört die einsame seelische Qual des ewig unbefriedigten Begehrens nicht zu unseren Problemen und es sieht nicht so aus, als ob wir die Wahl hätten.“
„Nein, sicherlich nicht. Weshalb wir auch nicht heiliggesprochen werden.“
„Was uns nicht weiter stören sollte.“
„Nein, auf keinen Fall.“
Die Mittagszeit nahte und sie bekamen Gesellschaft, Monika erschien und gleich darauf Iris, wenig später auch Corinna, nein, die Herrin. Streng sah sie aus und so unerbittlich, wie sie es mitunter tatsächlich war. Sie trug ein dunkles Kostüm und hatte ein Make-up aufgelegt, das ihr Gesicht weiß und kalt erscheinen ließ, wie aus Stein gemeißelt. Eine Bestrafung müsse sie vornehmen, berichtete sie mit einem geplagten Seufzen, als sei diese Aufgabe eine schwere Last, eines der Mädchen habe gestern Abend den armen Schulmeister einen verknöcherten geilen Langweiler genannt. Damit habe sie zwar nicht unrecht, fügte Corinna lächelnd hinzu, doch müsse eine solche Beleidigung natürlich gesühnt werden, gelte es doch schließlich die Disziplin zu wahren.
Laura war beeindruckt. „Ein solch mutiges Mädchen gibt es derzeit drüben? Das hätte ich nicht zu sagen gewagt.“
„Mut ist nicht das richtige Wort, Unüberlegtheit trifft es besser. Marianne weiß manchmal nicht so recht, was sie tut, mitunter galoppieren ihre Gefühle wild davon, ohne dass die Vernunft hinterherkommt.“ Corinna seufzte. „Aber sie wird schon noch lernen, sich zu zügeln.“ Das glaubten Laura und Silvia sofort. Corinna eilte gleich nach dem Essen hinaus, um rechtzeitig im Mädchenraum präsent zu sein.
Nachdenklich schaute Laura ihr nach. „Als Herrin ist sie wirklich zum Fürchten. Wenn sie so auftritt wie eben, fühle ich mich fast wieder wie eines der Mädchen von drüben. – Als Corinna aber ist sie sehr nett. Erstaunlich, dass ein Mensch solch unterschiedliche Seiten haben kann.“
Verträumt blickte Iris aus dem Fenster in den leeren Hof. „Sie kann auch sehr liebevoll sein und sehr zärtlich.“
Ach! Augenblicklich ruckten die Köpfe hoch. Was hatte das zu bedeuten? Wurde die zarte Blüte etwa von Corinna gepflückt? Wirklich verwunderlich erschien dieser Gedanke nicht. Und war es nicht allzu verständlich, wenn Iris nach den Erfahrungen mit männlicher Rücksichtslosigkeit nach weiblich einfühlsamer Zuwendung lechzte? Warum aber bekannte sie sich plötzlich dazu? Vielleicht war es ihr einfach ganz unbedacht herausgerutscht.
„Ich dachte nicht, dass wir im Kloster leben“, sagte sie und widmete sich wieder dem Essen.
*
Nein, kein Kloster, wirklich nicht. Zum ersten Mal begann für Silvia die Nacht der Herren schon am Nachmittag. Schwarz wählte sie in der Garderobe aus, einen Strapsgürtel aus durchbrochener Spitze, Netzstrümpfe und ein Negligé mit Rüschen, das nur bis zur Taille reichte. „Hurenwäsche“, sie würde Wolfgang sicherlich gefallen, nun aber lockte sie andere Männer. Heute war sie bei den Vorbereitungen nicht alleine. Monika, die heute ebenfalls Dienst hatte, zog ein durchsichtiges weißes Gewand an, das die linke Achsel mitsamt der üppigen Brust unbedeckt ließ.
Skeptisch betrachtete sie sich im Spiegel und ihr Blick schweifte zu Silvia. „Was hältst du davon?“
„Irgendwie siehst du wie eine antike griechische Göttin aus.“
„Gut. Vielleicht kommt ja irgendein Erdenmensch, um mich zu verehren. – Aber wo bleiben denn die anderen? Sie werden uns doch nicht alleine lassen?“
Kaum ausgesprochen, ging die Tür auf und eine große schlanke Frau trat ein. Sie trug eine dicke Jacke und eine enge Jeans, ihr Haar war fast so schwarz wie das von Monika, nur sehr kurz geschnitten, fast war es eine Männerfrisur. Ihre dunklen Augen schauten ernst, ihr Gesicht war ebenmäßig und stolz, gebräunt der Teint. Sie begrüßte Monika mit einem Lächeln und reichte Silvia die Hand. „Hallo, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Marlies.“ Silvia erwiderte den Händedruck und nannte ihren Namen. Irgendwie fiel es ihr schwer, in dieser Frau ein Mädchen zu sehen. Prüfend wurde sie von ihr gemustert. „Seit wann bist du denn hier?“
„Seit vorgestern.“
„Warst du schon mal im Foyer?“
Silvia nickte.
Monika schaltete sich beschwichtigend ein: „Sie macht es gut, ist keine Zicke. Du musst dir keine Sorgen machen.“
„Das ist schön zu hören. Man weiß ja nie bei den Neuen.“
Silvia sandte Monika ein dankbares Lächeln zu und Marlies zog sich aus, enthüllte ihren bronzefarbenen Körper, der glatt und haarlos war wie eine Statue. Klein waren die Brüste, lang die Beine, sie wirkte durchtrainiert wie eine Sportlerin. Während sich Silvia und Monika um ihr Make-up kümmerten, nahm Marlies ein knappes trägerloses Korselett aus schwarzem Leder von der Stange und ließ es sich von Monika eng schnüren. Das rot paspelierte Büstenteil umspannte die untere Hälfte ihrer Brüste wie ein Harnisch, schob sie nach oben, gab ihnen Fülle. Es reichte bis zur Taille und war an den halbrund geschnittenen Säumen vorn und hinten mit einem silbernen Ring besetzt, an denen sie eine fingerdicke Kette anschloss, die sich stramm gespannt zwischen die Lippen ihres Schoßes schmiegte. Dazu kamen hochhackige schwarze kniehohe Stiefel und ellbogenlange schwarze fingerlose Handschuhe. Ihre Lippen schminkte sie mit einem leuchtenden Rot, grübelnd von Silvia bestaunt. Wie ein williges Mädchen sah Marlies eigentlich nicht aus, eher wie eine Herrin, abgesehen mal davon, dass eine solche normalerweise mehr anhatte, um nicht als Lustobjekt herumzustiefeln.
Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, dann öffneten sie die Tür und zogen im Foyer ein, eine nach der andern, ein kleiner Trupp von Kokotten, stöckelnd auf hohen Absätzen. Fanfaren erklangen keine, dafür die ersten Takte eines klassischen Klaviers. Der Raum war leer, gut beheizt wie immer, noch kaum erwacht, nur Immanuel stand hinter seinem Tresen wie gewohnt.
War er denn immer hier? So gut wie immer, ja, es gab kaum einen Tag ohne ihn. Wohnte er denn hier? Sicher doch, zwar nicht hinter dem Tresen, wie man hätte vermuten können, aber im südlichen der beiden Türme, die des Schlosses Flügel behüteten. Darin hatte er sein Zuhause, doch mehr noch hier im Foyer, in das er verwachsen war wie das Herz in einem lebenden Organismus. Gab es sonst nichts in seinem Leben? Nicht mehr, seitdem seine Frau in relativ jungen Jahren verstorben war und er seinen Lehrstuhl für Geschichte an einer bedeutenden Universität aufgegeben hatte.
Was? Silvia staunte. Vom Universitätsprofessor zum Barmann eines Bordells, gab es eine solche Karriere wirklich? Aber sicher doch, bestätigte Marlies. Er habe die menschliche Geschichte als Kette unendlichen Leids begriffen, das die Mädchen hier besser kannten als seine gelangweilten Studenten. Und hier, so fügte Monika hinzu, könne er hautnah das erleben, was die Welt schon immer bewegte: die menschlichen Triebe und die Macht des Geldes. Und überdies, so behauptete Marlies, könne er hier für die Töchter sorgen, die ihm selbst nie geboren wurden.
Immanuel lächelte. Ob er ihren halblauten Worten lauschte oder nicht, ließ sich nicht herausfinden. Er brühte Kaffee auf, stellte drei Tassen auf den Tresen, schenkte ein, der gute Geist, der für seine Mädchen sorgte. Wieso aber sollten diese das menschliche Leid so gut kennen? Fühlten sie sich nicht wohl hier? Doch, das taten sie, aber darunter, unter dem Wohlgefühl und unter der verführerischen Hülle, da wohnte es, das Leid, vermutlich in jeder von ihnen, wurde manchmal für kurze Momente ans Licht gezerrt von den herablassenden Worten der Gäste und klarer noch unten, im Chambre O. Die Wurzeln saßen tief im Verborgenen, fest verankert, jedenfalls waren es nicht Glück und Unbeschwertheit, die in dieses Haus hier führten.
Iris kam kurz nach ihnen, in ein langes weißes Gewand gehüllt. Sie verteilte Aschenbecher auf den kleinen Tischen bei den Sofas, rückte das eine und das andere Tischtuch gerade, einen halben Millimeter weit, zupfte diese und jene Blüte in der Vase noch zurecht. Die Gäste konnten kommen, alles war bereit. Doch nein, es fehlte noch ein Mädchen, sie waren nur zu dritt, da Iris, die Unberührbare, nicht zählte. Aber reichten drei nicht aus am hellen Nachmittag, an dem doch wohl nicht viele Männer Lust und Zeit für einen Besuch im Schloss fanden? Na ja, es gehe schon ruhig zu, aber trotzdem, es müsse dem Gast eine gewisse Auswahl geboten werden, man könne ihm ja schließlich nicht zumuten, einfach nur mit dem erstbesten und einzig vorhandenen Mädchen vorliebzunehmen, erklärte Monika mit der Sachlichkeit einer Verkaufsleiterin. Das wäre ja schrecklich, lächelte Silvia, unvorstellbar, fast schon ein Verstoß gegen die Menschenrechte oder gegen das Mannesrecht vielmehr.
Gleich der erste Gast des Tages widerlegte Monikas Verkaufsphilosophie, zeigte sich am Mannesrecht auf freie Mädchenwahl nicht interessiert. Er war ein bulliger Mann mit feisten Wangen und kleinen grünen Augen. Mächtig war der Schädel, auf dem kein einziges Härchen spross, rosig, als seien sie geschminkt, schimmerten die schmalen Lippen und verwegen standen die großen Ohren ab, als wolle er mit ihnen die Welt umsegeln. Seine fetten Finger wurden geschmückt von prächtigen Ringen, alles an ihm war von bester Qualität: der dunkle Anzug, das weiße Hemd, der blaugrüne Schlips, die blank polierten schwarzen Schuhe. Er sah aus wie ein König und benahm sich wie ein Lakai. Stolzierte er noch erhobenen Hauptes herein, so wurde er immer kleiner, je näher er Marlies kam, sein Schritt stockte, das Genick zog sich ein, es fehlte nicht viel und er wäre die letzten Meter gekrochen.
Er blieb zwei Schritte vor ihr stehen und senkte servil den Blick. „Wäre es Ihnen möglich, ein bisschen Zeit für mich zu finden?“
Marlies saß auf dem Barhocker wie auf einem Thron und ihre Antwort ließ auf sich warten, sie schien zu überlegen, ob sie seiner Bitte stattgeben solle. Herablassend verkündete sie ihre Entscheidung: „Wenn du es so haben willst?“
Er wollte es so haben, natürlich. Ohne dass sie ihn erst dazu auffordern musste, zog er mit seinen manikürten Händen eine prall gefüllte Brieftasche hervor und legte einen Fünfhunderteuroschein auf den Tresen. Mit zwei Schritten Abstand folgte er Marlies sodann zu den Liebeszimmern.
Beeindruckt schaute Silvia ihnen nach. „Sie hat ihn gut im Griff.“
Monika nickte. „Ihr kriechen die Männer buchstäblich zu Füßen. Das ist anders als bei uns.“ Ja, das war anders, keine Frage. „Er ist einer ihrer Stammkunden, fährt dreihundert Kilometer bis hierher, um ihre Schuhe zu lecken, oder lässt sich fahren, um genau zu sein. Draußen im Wagen wartet sein Chauffeur.“
„Wie kommt ein solcher Mann zu so viel Geld?“
„Ihm gehört ein Softwarekonzern, oder gehörte ihm jedenfalls, bevor er an die Börse ging. Er sitzt noch immer im Vorstand und sicherlich auf einem großen Aktienpaket. An Geldmangel leidet er nicht.“
Woran er dann litt, im Augenblick jedenfalls, konnten sie sich beide gut vorstellen. Diese „Neigungen“ waren also nicht auf das weibliche Geschlecht beschränkt, auch ein bulliger, erfolgreicher, sicherlich selbstbewusster Mann konnte ihnen ausgeliefert sein, kaum hätte Silvia das für möglich gehalten. Natürlich aber gab es Unterschiede: Während sie daran verdiente, musste er dafür bezahlen, ein Vorteil für sie, anderseits aber schlüpfte er nach dem Verlassen des Hauses wieder in die Rolle des Chefs, des Bestimmenden, während sie blieb, was sie war. Ein Vorteil für ihn? Er musste im Zwiespalt leben, sich aufteilen in den Mann hier und den Mann draußen, musste wandern zwischen den Welten, nicht sehr beneidenswert. Sie hätte nicht mit ihm tauschen mögen, er vermutlich ebenso wenig mit ihr, sie taten beide, was sie zu tun hatten, konnten sich selbst nicht verlassen, mussten aus den Umständen das Beste machen, es war müßig, ihrer beider Leben miteinander zu vergleichen.
Die Tür der Garderobe wurde geöffnet und ein Mädchen mit langem dunklem lockigem Haar erschien. Sie war in ein kleines rotes Negligé gehüllt und kam grazil auf roten Stöckelschuhen daher. Rot geschminkt waren ihre vollen Lippen, dunkelbraun die großen Augen, ihr Gesicht war das einer Südländerin, herb die Linien, feurig, selbstbewusst, sie war mittelgroß und gut gebaut mit üppigen Brüsten, schmaler Taille und fleischigen Hüften.
„Hallo, ich bin ein bisschen spät dran“, sagte sie mit rauchiger Stimme und zuckte nach einem Blick in den leeren Raum mit den Achseln. „Aber wie es aussieht, habe ich nichts verpasst.“
„Hallo, Sonja“, begrüßte Monika sie. „Was ist denn mit Sibylle?“
„Sie hat ihre Tage.“
Sibylle, so erfuhr Silvia, hätte heute eigentlich Dienst gehabt, da nun aber verhindert, war für sie also Sonja gekommen, eine der drei „Freien“. Diese „Freien“ wurden so genannt, weil es für sie keine festen Dienstzeiten gab. Sie sprangen immer dann ein, wenn eines der Mädchen fehlte, sei es, weil sie krank war oder ihre Tage hatte oder Urlaub nahm.
Silvia staunte. „Urlaub gibt es hier auch?“
„Aber natürlich.“ Aus Monikas Stimme klang die Kampfbereitschaft einer Gewerkschafterin. „Man kann doch nicht ununterbrochen für die Männer da sein, das hält ja die stärkste Frau nicht aus.“
Sonja relativierte: „Viele Frauen müssen es aushalten. Man hat es kaum irgendwo so gut wie hier.“ Mitfühlend schaute sie Silvia an, betrachtete wohl die noch immer sichtbaren Striemen. „Du hattest vorher wohl einen härteren Job?“
„Na ja, hart war er schon, der Job, allerdings nicht mit diesem hier zu vergleichen.“ Wieder einmal musste Silvia ihre Geschichte erzählen und wieder einmal fiel es ihr nicht schwer. Die Maßstäbe waren anders als „draußen“, was dort schockierend gewesen wäre, eigentlich unaussprechlich, galt hier als relativ normale Vita. Es gab schlimmere Schicksale, man musste nur an Iris denken, die Stille, die das Herz anrührte (und mehr als nur das Herz vermutlich, zumindest bei Corinna).
Geduldig hörte Sonja zu, dann wiegte sie weise das dunkle Haupt. „Jetzt haben sie ein echtes Problem, dein Mann und seine Geliebte, denn was machen ein Gebieter und eine Herrin ohne Sklavin?“
„Sollen sie sich halt gegenseitig auspeitschen. Sie hätten es verdient.“
Vereinzelt erschienen die Gäste wie weiße Wolken an einem sommerblauen Himmel. Einige kamen zielstrebig zur Sache, wählten nach prüfendem Blick eine Gespielin und gingen mit ihr auf ein Zimmer, andere ließen sich Zeit, verweilten im Foyer, tranken Kaffee oder Kognak, plauderten mehr oder weniger charmant mit den Mädchen und weideten ihre Augen an ihnen. (Mehr war im Foyer nicht erlaubt, die Hände mussten sich zurückhalten. „Bitte nicht streicheln.“ Es war wie im Zoo, glücklicherweise natürlich, denn niemand war erpicht darauf, ständig betatscht zu werden.)
Silvias erster Kunde, ein älterer dicklicher Handelsreisender mit hoher Stirn und dunkler Hornbrille, gehörte zur harmlosen Kategorie. Er war freundlich, fast liebenswürdig, sehnte sich mehr nach der wärmenden Nähe eines weiblichen Leibes denn nach ausuferndem Sex.
Zimmer acht wurde ihnen zugewiesen. Dieses war in Rosa gehalten und also der geeignete Ort für Juliane. Auf dem Gemälde hockten zwei nackte Mädchen vor dem rosa Bett, eine Blondine und eine Brünette. Unter beiden stand eine Champagnerflasche, der Hals steckte in ihrem Schoß und jede griff der andern zwischen die weit geöffneten Beine. Sie wurden umrahmt von zwei Männern, zu denen sie aufschauten. Die Blonde hatte den Penis tief in den Mund gesogen, die Brünette hatte ihn nahe vor den offenen Lippen, von denen weißliches Sperma rann und in zähen Fäden auf die Brüste tropfte.
Silvia streifte das Negligé ab, zog den Mann aus und legte sich mit ihm aufs Bett. Angeregt begaffte er sich die Szene des Bildes und bald sah er ganz in echt sein Sperma von ihren Lippen rinnen. Danach kuschelte er sich an sie, schloss sie in die Arme, als sei sie seine Geliebte, und erzählte ihr seine trostlose Geschichte: Seine Frau lebe wie eine Fremde im Haus, seit Jahren schon hätten sie sich nichts mehr zu sagen, seine drei halbwüchsigen bis fast schon erwachsenen Kinder behandelten ihn achtlos, als sei er ein vertrotteltes Nichts. Vielleicht habe er zu wenig Zeit für sie gehabt, sie zu selten gesehen, da er ja ständig unterwegs sei, vielleicht aber hätten sie ja recht, vielleicht habe er tatsächlich alles in seinem Leben falsch gemacht …
Selbstzweifel bei einem Kunden? Das war eine Rarität. Silvias Mitleid hielt sich in Grenzen, es war nicht erhebend, als Mülleimer für Enttäuschung und Ärger zu dienen, aber natürlich tröstete sie ihn fadenscheinig mit ihren Mitteln, machte die Beine für ihn breit und spielte ihm in seinen Armen einen leidenschaftlichen Orgasmus vor.
Er ging mit einem gelösten Lächeln und Silvia nahm eine Dusche, zog ein frisches schwarzes Negligé über, verzichtete aber auf Strapse, da im Moment nicht daran interessiert, noch reizvoller als ohnehin schon auszusehen. Sanft und fast unmerklich sank der trübe Tag in die Arme des Abends …