Читать книгу Silvia - Folge 2 - Jürgen Bruno Greulich - Страница 9

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Der Schrecken und die Linderung

Der Freitag strahlte glitzernd blau, die Macht des Winters war ungebrochen, man hätte meinen können, er sei ein Kunde. Ihr Tagebuch nahm Silvias Sorgen geduldig auf, dann klappte sie es zu und schaute aus dem Fenster. Eisige Stille, kein Wölkchen am Himmel, vermutlich wären sie erfroren und abgestürzt. Die Gedanken schweiften zum Gnom, der fast so hart wie Wolfgang zuschlagen konnte. Was sie außer Fassung gebracht hatte. Unverständlicherweise allerdings. Denn sie hatte doch wissen müssen, dass es auch hier keinen Anspruch auf Schonung gab, dass man sie nicht als Frau mit Gefühlen sah, sondern als gekaufte Ware, der Rücksicht nicht zustand. Und sie hatte es ja auch gewusst, geahnt zumindest, sie durfte nicht jammern. Zumal es ja auch andere Dinge hier gab, die Mädchen mit ihrer Freundlichkeit, Corinna und sogar ein paar Gäste, die nicht ausgesprochen unsympathisch waren, fast im Gegenteil …

Sie schrak zusammen, da das Telefon läutete, das bisher stumm gewesen war wie vom Netz abgeschnitten. Es klang melodisch, gedämpft, zurückhaltend, als wolle es nicht stören. Es konnte nur einer sein, der da nach ihr rief, Helmut, sie nahm ab und hörte seine Stimme. Er fragte besorgt, ob er sie geweckt habe (aber nein, es war spät genug, Mittag schon fast), und erkundigte sich nach ihrem Befinden (gut ging es ihr, was sonst). Nach einigem Herumgedruckse fasste er schließlich Mut und erinnerte sie an ihre Abmachung, dass sie seine Bilder mal angucken wolle. Vielleicht am Dienstagabend um acht? Und vielleicht bei einem Gläschen Wein?

Ja, die Bilder, natürlich. „Okay. – Aber nur die Bilder, ein bisschen Wein und miteinander reden, mehr nicht.“ Sie wunderte sich selbst über ihre Reserviertheit, benahm sich ja wie eine Jungfrau, die um ihre Unschuld fürchtet.

„Natürlich. Etwas anderes lag auch nicht in meiner Absicht.“

Lügner, dachte sie und notierte seine Adresse.

„Also dann, Silvia, bis Dienstag. Ich wünsche dir eine gute Zeit.“ Er klang erleichtert, war offenbar froh, den Anruf überstanden zu haben. Vermutlich hatte ihn der Griff zum Telefon einige Überwindung gekostet.

Erneut läutete das Telefon. Hatte er noch etwas vergessen? Nein, er war es nicht, es war Corinna. Sie klang anders als sonst, ernst, besorgt, als sei etwas passiert. Nach wenigen Worten kam sie zur Sache: „Wir haben Besuch.“

„Besuch? Von wem?“

„Dein Mann ist hier.“

„Oh. Und was will er?“ Es war eine dumme Frage.

„Er will dich zurückhaben.“

„Ich will aber nicht zurück, auf keinen Fall!“

„Das musst du auch nicht. Die Frage ist nur, ob du ihm das selbst sagen willst. Es würde die Sache erleichtern.“

Sie sollte ihm Auge in Auge gegenübertreten? Alle Angst vor ihm wurde lebendig. Aber konnte sie sich davor drücken, so feige sein? War es nicht notwendig, die Dinge ein für alle Mal zu klären? „Wenn du mich nicht mit ihm allein lässt?“

„Natürlich nicht. Wir werden dich behüten wie einen Schatz.“

„Also gut. Und wo ist er?“

„Ludger wird dich abholen.“

Wer war Ludger? Es war einer der beiden Jungs für alles, der jüngere. Er pochte sachte an ihre Tür, kaum dass sie mit nervösen Fingern das Haar zurechtgezupft hatte, und geleitete sie die Treppe hinunter, zu ihrer Erleichterung aber nicht ins Foyer. Denn auch wenn es um diese Zeit noch schlief, mochte sie darin von Wolfgang nicht gesehen werden, zu delikat wären die unweigerlich entstehenden Assoziationen. Ihr Ziel war der „Besprechungsraum“, der sich an der Nahtstelle zwischen dem Südflügel und dem Haupthaus befand. Sie betrat ihn zum ersten Mal, sah einen langen Konferenztisch, umstanden von blau gepolsterten Stühlen, weiß getünchte Wände, eine edle Stuckdecke.

Wolfgang stand vor dem kleinen Portal, das hinaus in den Hof führte, einer der beiden Zugänge, durch die man ohne den Weg durchs Foyer ins Haupthaus gelangte, falls man einen Schlüssel hatte, um die stets verschlossenen Türen zu öffnen. Durch die hohen Fenster sah man seinen Wagen klein und einsam draußen stehen. Einige Schritte von ihm entfernt hatten sich Immanuel und der blonde Aufseher aufgebaut. Dieser erkannte sie wieder, nickte ihr überrascht zu. Corinna stand nahe der Tür und empfing sie mit einem ermutigenden Lächeln.

Wolfgang kochte. Hochrot war sein Gesicht, seine Blicke sirrten wie Brandpfeile herüber. „Ja, bist du denn verrückt geworden? Du kannst doch nicht einfach abhauen und alles hinter dir liegen und stehen lassen …“

Der Blonde hob beschwichtigend die Arme und Corinna fiel Wolfgang kühl ins Wort. „Sie versprachen, keine Szene zu machen, Sie wollten nur hören, ob Silvia zu Ihnen zurückkehren oder hier bleiben möchte. – Also, Silvia, sag ihm, was du willst.“

Der Blick in seine Augen erforderte Kraft und Mut. Den Mann, den sie einst geheiratet hatte, dem sie nahe gewesen war, den entdeckte sie in ihm nicht, er war wie ausgelöscht. Der Gebieter aber, vor dem sie gezittert hatte, von dem sie gedemütigt und hintergangen worden war, der sie geohrfeigt hatte und dessen Geliebter sie hatte die Füße küssen müssen, der erfüllte den ganzen Raum.

Mühsam sprach sie aus, was sie dachte: „Du bist ein gefühlloser Tyrann. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!“

„Silvia! Weißt du denn nicht, mit wem du sprichst?“

„Doch, ich weiß es. Eben deshalb.“

„Aber hier wirst du zur Hure!“

Gleichgültig zuckte sie mit den Achseln.

Er starrte sie fassungslos an, schüttelte entgeistert den Kopf. Neue Wut stieg in ihm auf und er fuhr Corinna an: „Was haben Sie mit ihr gemacht? Sie ist nicht mehr die Frau, die ich kenne! Es ist Ihr Werk, Sie haben Silvia den Kopf verdreht, sie weiß doch gar nicht, was sie tut!“

Silvia kam Corinna zuvor: „Ich weiß es besser denn je.“

„Ich befehle dir, zu mir zurückzukehren! Ich lasse dich nicht gehen. Und wenn du nicht freiwillig kommst, gehe ich zur Polizei und lasse den ganzen Laden hier auffliegen.“

Corinna schaltete sich ein: „Dieser Laden ist den Behörden bekannt. Aber natürlich ist es Ihnen unbenommen, zur Polizei zu gehen. Was aber wollen Sie dort sagen? Dass Ihre Frau vor Ihnen geflohen ist, weil sie Ihre Misshandlungen nicht mehr ertrug? – Im Übrigen haben Sie Silvias Meinung nun gehört. Ich denke nicht, dass es noch etwas zu sagen gibt. Nur eines noch: Ihre Anwesenheit auf Schloss Sinnenhof ist nicht mehr erwünscht. Es wird Ihnen kein Zutritt mehr gewährt.“ Sie schaute den Blonden an. „Der Herr möchte gehen.“

Plötzlich änderte sich Wolfgangs Stimme, war nicht befehlend, sondern flehend. „Aber Silvia, ich liebe dich doch.“

Was? Nein, das glaubte sie nicht. Er wollte seine Sklavin zurückhaben, mehr nicht, das war keine Liebe, sondern Besitzstandwahrung. Sie antwortete nicht, wich seinem Blick aus. Nein, es gab nichts mehr zu reden. Sie wandte sich ab und verließ den Raum, gefolgt von Corinna, die sachte die Tür hinter sich schloss, sodass man von Wolfgang nichts mehr hörte und nichts mehr von ihm sah, welch ein Segen.

Sie gingen nebeneinanderher in Richtung Speiseraum und Silvia versuchte die Gedanken zu ordnen. „Was ist, wenn er doch zur Polizei geht?“

Corinna nahm sie an der Hand. „Kein Problem. Der Betrieb ist offiziell angemeldet und völlig legal. Sogar die Bücher sind in Ordnung, wir können jede Steuerprüfung bestehen. Überdies zählt der Oberbürgermeister der Stadt zu unseren Kunden, ebenso andere einflussreiche Persönlichkeiten. Aber das alles ist nicht so wichtig, dein Mann wird sich vor der Öffentlichkeit hüten wie der Teufel vor dem Weihwasser. Sein Ruf wäre ruiniert und seine Karriere im Eimer, wenn man von seinem Treiben wüsste. Der unternimmt nichts, keine Sorge.“

„Aber wir müssen uns doch scheiden lassen.“

„Warte, bis er die Scheidung einreicht, dann einigst du dich unter der Hand gütlich mit ihm, das macht kein Aufsehen, und kassierst eine Menge Geld.“ Wie praktisch Corinna doch war, die kompetente Ratgeberin in allen Lebenslagen. Sie legte den Arm um Silvias Schultern. „Was ist, hast du Lust, einen Kaffee mit mir zu trinken?“

„Gerne. Ich mag jetzt nicht alleine sein.“

Es gab den Kaffee nicht im Speiseraum, wie von Silvia erwartet, sondern oben im ersten Stock in jenem Büro, das einst Schauplatz gewesen war der „Audienz bei der Herrin“. Es hatte sich nichts verändert, der Computer stand auf dem Schreibtisch vor dem Fenster, draußen sah man die wenigen Autos auf der Straße, fein säuberlich reihten sich die Aktenordner auf dem Regal. – Und da stand er noch immer mitten im Raum, der Stuhl, auf dem Silvia seinerzeit Platz genommen hatte, weckte die Erinnerung und mit ihr ein verlangendes Kribbeln.

Auffordernd wies Corinnas Hand darauf. „Nimm Platz!“ Irgendwie klang es mehr nach einem Befehl als nach einer Einladung und ihrem geheimnisvollen Lächeln ließ sich entnehmen, dass auch sie die Bilder der Audienz vor Augen hatte.

Vorsichtig ließ sich Silvia nieder und beinahe hätte sie ihr Kleid gelüpft.

Corinna lächelte liebevoll. „Tu’s doch, wenn du Lust darauf hast.“

Konnte sie in Silvias Seele schauen? Es schien so. Und was nun? Kurz nur war Silvias Zögern, dann erhob sie sich, raffte das Kleid mit beiden Händen hoch bis zur Taille, sank ein zweites Mal nieder, spürte die Kühle des Polsters erregend unter dem weißen Baumwollslip und öffnete die Knie, als sei sie wieder zur Sklavin des Hauses geworden.

Es pochte an die Tür und im nächsten Moment kam einer der Jungs für alles herein, Ludger. Geschickt balancierte er auf einer Hand ein rundes Tablett mit einer Kaffeekanne, zwei Tassen, Milch und Zucker, wortlos stellte er es auf dem Schreibtisch ab. Er funktionierte wie eine futuristische Maschine, erfüllte die Wünsche vorausschauend, ohne einen Auftrag zu benötigen. (Wahrscheinlicher aber war, dass er seine Anweisung schon vorher erhalten hatte und alles nach Corinnas Plan geschah.) Silvias Kleid blieb gerafft und sie schloss die Schenkel nicht, wozu auch, da man sie schon oft so gesehen hatte. Er schien sie nicht wahrzunehmen, nur flüchtig huschte sein Blick herüber und mit dem Anflug einer Verbeugung zog er sich diskret zurück.

Wohlwollend schaute Corinna ihm nach. „Er ist ein Goldstück, genau der Richtige für seinen Job, verschwiegen, zuverlässig und bedingungslos loyal. Er ist dankbar, hier arbeiten zu dürfen, denn er liebt den Anblick der Mädchen.“

„Ach, ich dachte, er sei schwul.“

„Er ist vielseitig orientiert.“ Sie brachte Silvia eine Tasse Kaffee, schwarz und mit ein bisschen Zucker. „Die Fotos von dir sind gut geworden. Hast du dich schon in der Karte gesehen?“

„Ja, allerdings …“

„Sehr reizvoll. – Ganz im Gegensatz zu diesem Höschen da. Wenn ich das sehe, spiele ich mit dem Gedanken, dir wieder eine Kleiderordnung aufzuerlegen. Zieh es lieber aus.“

Schon war Silvia die Tasse wieder aus der Hand genommen, ohne dass sie einen Schluck genommen hatte, und wieder auf den Schreibtisch gestellt, von wo sie gekommen war. Wie viele Mädchen schon auf diesem Stuhl hier gesessen waren, bereit, der Herrin zu dienen? Ach, das spielte doch keine Rolle. Ohne weiteres Zögern streifte sie das liebestöterische Höschen ab, und kaum war sie zurückgesunken auf ihren Platz, schob sich Corinnas Kopf zwischen ihre Schenkel und entflammten zärtliche Lippen verzückende Lust. Sie diente der Herrin nicht, nein, sie erhielt von dieser wunderbare Zärtlichkeit, die sie tausendfach zurückgab. Küssend und streichelnd versanken sie beide im Taumel der Liebe …

Arm in Arm lagen sie danach auf dem Boden, ihre Kleidung war im Zimmer verstreut, der Kaffee kalt geworden. Corinna schnurrte wie eine Katze im Sonnenschein, gelöst war ihr Lächeln. „Es ist sehr schön mit dir, irgendwie anders als mit anderen.“ Verwunderung sprach aus ihrer Stimme. „Ich glaube, ich liebe dich.“

Es klang ganz anders als aus Wolfgangs Mund, es klang wunderschön, es schenkte Glück. „Es ist mit dir wie im Paradies. – Was aber ist mit Iris?“

„Du weißt davon?“

„Wissen ist übertrieben. Ich vermute nur.“

Corinna hauchte einen Kuss auf Silvias Busen. „Iris ist ein zartes Kind, dem man übel mitgespielt hat. Sie braucht Liebe, Wärme, Geborgenheit, um das Vertrauen in die Welt wiederzufinden.“

„Dann ist es also ein Akt der Nächstenliebe?“

„Natürlich, was sonst. Sie ist sehr reizvoll, so zerbrechlich, so jung, so sanft und empfänglich … Zu zerbrechlich und zu jung für mich. Du musst dir keine Sorgen wegen ihr machen.“ Zärtlich strich ihr Finger über Silvias frische Striemen, die rötlich unterlaufen über den verblassenden blauen Linien lagen. „Der Kleine hat dich ganz schön rangenommen. Das ist ungewöhnlich, die meisten Gäste schlagen nicht so hart zu.“ Woher wusste sie, dass es der „Kleine“ war? Offenbar war sie besser informiert, als Silvia dachte, aber das war ja auch schon drüben im Mädchenhaus so gewesen.

„Es war wegen Iris.“ Silvia berichtete von ihrem Erlebnis.

Corinna lächelte versonnen. „So sucht jeder seinen eigenen Weg, um an sie heranzukommen. Ihre Unberührbarkeit macht sie zur Attraktion, viele der Gäste sind scharf auf sie. Na ja, irgendwann wird einer sie bekommen und sie zu einem ganz normalen Mädchen werden.“

„Meinst du?“

„Sicher. Warum sonst wäre sie ständig unten im Foyer? Niemand verlangt das von ihr. Sie steht vor der Schwelle, möchte eintreten, wagt aber den Schritt noch nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit.“

Das Telefon läutete, Corinna erhob sich, nahm ab und setzte sich auf den Drehstuhl, nackt, wie sie war. Sie sah gut aus, wohlproportioniert, klein war ihr Busen, rund und fest, faltenfrei die helle Haut. Wie alt sie wohl sein mochte? Um einiges älter vermutlich, als sie aussah, vielleicht so alt, wie sie als Herrin wirkte. Mit streng gerafftem Haar und kühl beherrschter Miene konnte man sie gut auf vierzig schätzen, im Augenblick aber war sie um viele Jahre jünger. Sie sprach nur wenige Worte, legte gleich wieder auf und teilte bedauernd mit, dass in einer halben Stunde der Steuerberater komme, um die Zahlen fürs letzte Quartal vorzulegen. Auch das gehörte zu Corinnas Welt.

Sie zogen sich an, schweigend, ein bisschen verwirrt, wie aus einem wundersamen Traum gerissen. Ihre Lippen verschmolzen zu einem Abschiedskuss und gelöst, beinahe glücklich kehrte Silvia in ihr Zimmer zurück, das sie so angespannt verlassen hatte. Sie war sich sicher, dass es ein solches Zusammensein mit Corinna bald wieder geben würde, und trug das Warten darauf in sich wie ein wegweisendes wärmendes Licht. Und Iris? Sollte Corinna ihr gutes Werk an ihr vollbringen, es störte sie nicht, da sie keinen Anspruch auf alleinigen Besitz erhob. Wie sollte sie auch. Man kann eine Herrin nicht besitzen, ebenso wenig einen anderen Menschen. Silvia wollte nicht besitzen und nicht besessen werden. – Dieses Wort schon, als säße jemand auf einem drauf, hielte fest mit seinem Gewicht, erdrückend und die Luft raubend. – Nein, dann doch lieber die Nachtigall sein, die den Zweig, der sie trägt, nicht zum Eigentum erklärt. Und die sich in die Lüfte rettet vor der greifenden Hand? Nicht unbedingt. Gehörte diese Hand Corinna, musste sie nicht fliehen, ihr konnte sie sich anvertrauen, sie würde sie in keinen Käfig sperren, zu ungebunden war Corinna selbst, um nicht wieder loszulassen. Sie musste sich keine Sorgen machen.

Silvia - Folge 2

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