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Oberlausitz – 08:25 – Rothenburg

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Winterpause in der Polizeiakademie. Alle Studenten zu Weihnachten bei ihren Familien. Bis auf einen, der sein Tagespraktikum absolviert.

Die Landstraße liegt wie ausgestorben da. Stille und gähnende Leere. Kaum zu ertragen für ein junges Mädchen aus einer Europastadt, das es gewohnt ist, tagtäglich in diversen Shoppingcentern Kleinkram abzugreifen, sich coole Verfolgungsjagden mit Ladendetektiven zu liefern und diverses Zeug über die Stadtbrücke zu schmuggeln, ständig auf der Hut vor der Grenzpolizei. Geiler Thrill. Hellwach musst du sein.

Hier in der Gegend, wo sie im Krieg alle Brücken über den Grenzfluss gesprengt hatten, kannst du schlafen, den ganzen Tag. Es tut sich rein gar nichts. Sterbenslangweilig.

Eine humpelnde Gestalt, die sich aus der Ferne nähert, im Zeitlupentempo. Die Hühnerfrau wird noch eine halbe Ewigkeit brauchen, bis sie am Backwagen angekommen ist.

»Altes Brot für die Hühner, die Dame? Mal sehen, was wir heute haben, die Dame. So, bitteschön. Ein paar Semmeln mit weicher Kruste dazu? Die lässt meine Uromi ganz langsam reifen und bei niedriger Hitze ausbacken. Alles für einen Euro. Und dazu, weil Weihnachten ist, drei Tütchen Brause-Plus für die Enkelkinder. Original Ost-Produkt. Mit der Zunge auflecken. Kitzelt schön. Total witzig!«

Die Hühnerfrau richtet ihren angeknabberten Zeigefinger auf Evis fleckige Wangen. »Kommt das von Drogen?« Sie reißt das Brausetütchen auf und lässt das weiße Pulver in den Schnee rieseln. »Sie sind nicht von hier.«

Evi wird derart kreidebleich, dass ihre Pickel noch deutlicher hervortreten.

»Frankfurt an der Oder. Aber mein Freund, der ist aus dem Westen.«

»Der große Wagen?«

»Ja, ja. Großer Wagen und Kleiner Wagen und jede Menge anderer Sternzeichen. All das gibts auf dem Großen Europäischen Planetenfest in Dresden. Schauen Sie, der Gutschein für alle Veranstaltungen. Inklusive Hotelübernachtung!«

»Großer Wagen heute Morgen.«

»Ach, Sie meinen den Phaeton von der Festivalchefin. Tolles Gefährt, nicht? Mein Freund darf sie begleiten, als Bodyguard.«

»War was im Polizeifunk, sagt man. Frau tot. Fahrer flüchtig.«

Hastig wird ein Geldstück auf die Theke gelegt. Evi schaut der Hühnerfrau nach, wie sie in Zeitlupe verschwindet.

Ohne Max ist alles so einsam hier. Dabei kennt sie ihn erst zwei Wochen. Plötzlich war er da. Kaufte Salzteilchen an ihrem Stand. Starrte sie mit großen Augen an. Knackte das knochenharte Gebäck weg wie nix. Salzgebäck, das ist eigentlich nur Deko für Weihnachten und Ostern und sorbische Vogelhochzeit und so.

Ob es noch was sein dürfe, fragte sie. Er stotterte was von Autoquartett, drüben in der Hochschule auf seinem Zimmer. Autoquartetts und Waffenmagazine. Mehr sagte er nicht. Stülpte seine wunderbaren Lippen nach innen, als ob er das Gesagte ungeschehen machen wollte.

Autoquartett habe sie noch nie gespielt, meinte Evi. Und dass sie sechzehn Uhr Feierabend hat. Punkt vier war er wieder da. Ihre Brüste standen unter Feuer, wie stets an den fruchtbaren Tagen. An der Pforte der Polizeiakademie checkte man ihren Ausweis. Inklusive Gesichtskontrolle. Na ja, ging gerade noch mal gut.

Oben auf der Bude hatte er echt die Frechheit, umständlich seine blöden Militärzeitschriften rauszukramen.

Nicht mit ihr! Mit einer einzigen Bewegung öffnete sie seine Gürtelschnalle, zippte den Reißverschluss auf, streifte sich ihre Wollhose runter bis auf die Kosakenstiefel, stieß ihn rücklings aufs Bett, klemmte sich den Saum ihres geblümten Verkäuferkittels zwischen die Zähne und gab Reitunterricht.

Mäxchen arbeitete kräftig mit, präzise eine Nähmaschine, auch in Rückenlage mit zwei Autoquartetts und dem Spielzeugmodell einer Weltkrieg-II-Panzerhaubitze im Kreuz. Nach drei Minuten verschoss er sein erstes Magazin und bei ihr läuteten die Glocken.

Feuerpause. Sie pulte sich die Klamotten vom Leib. Fütterte ihn mit mitgebrachten Zimtsternen, damit er wieder zu Kräften kam. Zeit, sich umzuschauen. Nirgends Familienfotos, keine Selfies mit irgendwelchen aufgebrezelten Miezen oder dergleichen.

Nur eine bunte Zeichnung, mit Tesafilm an die Wand geklebt, zerfleddert, vergilbt und ergraut. Der Himmel in Indien, vor 29 Jahren, am Tag seiner Geburt.

Astronomisch korrekt dargestellt, meinte Mäxchen. Ansonsten nur Hokuspokus. Er sei in einer Hippiekommune geboren. Mutter auf und davon. Touristen hätten ihn gekauft: ein Finanzbeamter aus Bremen auf der Durchreise und seine Gattin, Realschullehrerin auf Halbtagsstelle.

Zweihundert Mark, umgerechnet 102 Euro und 26 Cent, inklusive getürkter Geburtsurkunde, damit man sich die aufwendigen Adoptionsformalitäten spart. Ein echter Schnäppchenpreis.

In Deutschland sprossen dem Urlaubssouvenir pechschwarze Borsten aus dem bis dahin kahlen Schädel. Ersatzmama hatte sich einen blond gelockten Engel gewünscht und bestand auf Rückabwicklung des Fehlkaufs.

Ihr Gatte äußerte Bedenken. Steuerrechtlich sei eine Selbstanzeige wegen Kindeserschleichung nicht zu empfehlen: Dokumentenfälschung, gegebenenfalls Dienstaufsichtsbeschwerde. Seine Regelbeförderung im Amt stehe auf dem Spiel. Ungünstigstenfalls würde das Beamtenheimstättenwerk auf Rückzahlung des Vorzugskredits für ihre Doppelhaushälfte drängen.

Ersatzpapa, Offizier der Reserve, schlug vor, den Knaben frühestmöglich der Truppe zu überlassen. Als Zeitsoldat wäre er bald aus dem Haus. So bekam der Säugling anstatt Schnuller ein Gummimesser und, sobald er laufen konnte, eine Plastik-Ritterrüstung und Wasserpistolen.

Später kamen Ballerspiele für die Videokonsole hinzu. Am liebsten war ihm Autoquartett. Solange der Erziehungsberechtigte gewann, ließ er sich dazu herab, mit ihm zu spielen.

Beim Bund sei es cool gewesen, meinte Max. Echte Kameradschaft, Zusammenhalt, Auslandseinsätze. Erst Kosovo, dann Afghanistan. KSK, Kommando Spezialkräfte. Gute Zeit. Na ja, ab und zu ein Hinterhalt der Taliban plus Friendly Fire. Hätte vielleicht besser auf seine Kameraden aufpassen müssen. Seitdem Meeresrauschen im Kopf, wehruntauglich.

Als er nach der Bundeswehr-Reha wieder in Bremen auftauchte, kriegten die da voll die Panik. Ließen ihre Kontakte spielen, waren ihn bald wieder los. Letzten Sommer die Polizeischule in Leipzig, jetzt die Fachhochschule hier in Rothenburg.

Hippies aus Indien seien echt cool, schnurrte Evi und streichelte seinen kleinen Polizisten. Der Schniedelwutz ging brav in Habachtstellung. Reservemagazin geladen, bereit für die nächste Runde. Diesmal ließ sie ihn reiten, bis zum nächsten Päuschen.

Und Evi? Das mit dem Drogenschmuggel vom polnischen Słubice und den Vorstrafen in Frankfurt/Oder hat sie ihm nicht gleich auf die Nase gebunden. Wozu auch? Fragte nicht, ihr neuer Lover, machte kein bisschen auf Stasi. So was von angenehm!

Sie fickten und laberten die halbe Nacht. Rumlabern und rumficken. Der schnuckelige Polizeistudent stand voll im Saft und das Bäckermädel konnte viele kleine Schweinereien ausprobieren. Nachher sprang der eingeschneite Backwagen draußen an der Landstraße nur nach gutem Zureden an.

In Uromis Walddorf-Häuschen knetete sie wie in Trance. Aus vorgequollenem Backteig kleine Hefekugeln rollen, mit einem dusseligen Liedchen auf den Lippen. Langsam reifen lassen für Semmeln mit ganz weicher Kruste. Knackende Holzscheite im Backofen anzünden. Nachlegen ein ums andere Mal, ein bisschen träumen dabei

Das Bäckermädel hörte erst auf mit dem Feuerholz, als Uromi morgens um fünf hustend in die verqualmte Küche kam. Dauerte etwas, bis das pechschwarz verkohlte Zeug aus der Backröhre gekratzt war. Da begriff sie: Der Schuft hat ihr Herz geraubt!

Von da an wartete Max jeden Morgen auf sie. Im Dunkeln an der Landstraße. Half ihr, die schweren Läden des Verkaufswagens hochzuziehen. Stellte eine Thermoskanne schwarzen Kaffee auf die Theke, in seiner Studentenbude gekocht. Evi tat Glückszuckerstückchen rein, frische Sahne obendrauf, spendierte Zimtsterne. Frühstück zu zweit unterm winterlichen Sternenhimmel. Nach Feierabend war er wieder da, nahm sie mit hoch aufs Studentenzimmer: Autoquartett und dergleichen, wie gehabt.

Jetzt diese Freikarte fürs Planetenfest. Evi wird sich von der Hühnerfrau nicht verrückt machen lassen. Nein, wird sie nicht! Sie freut sich schon den Tag in Dresden. Und auf eine schöne Nacht im Luxushotel.

Der Astrologe

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