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Fotografie zum Ausgleich

Sie ist eine fast typische Vertreterin der weiblichen Fotografen. Sie nimmt die Fotografie – als Hobby – ernst, aber eben nicht bierernst. Im Gegenteil, sie nutzt die Fotografie zur Entspannung, zum Stressabbau. Und wie die meisten Hobbyfotografinnen und -fotografen ist sie Autodidaktin, was die Fotografie betrifft.

Sie hat das ernsthafte, ambitionierte Fotografieren erst relativ spät begonnen, etwa mit 55. Der volle Stimulus dazu kam durch ihren Beitritt zu einem lokalen Fotoclub. Dort trifft man sich monatlich, in den meisten Fällen um eigene Bilder vorzustellen und fremde zu begutachten und zu diskutieren.

Begonnen mit recht initialen Kenntnissen zur Fotografie hat sie sehr schnell gelernt, weil sie lernen wollte. Sie hat das Wissen anderer aufgesogen wie ein trockener Schwamm. Und sie hat viel gelesen, in allen möglichen Arten von Fotobüchern, hat auch Videotutorials eingesetzt. Den größten Fortschritt hat sie aber durch ständiges Üben erzielt, durch ›Learning by Doing‹. Sie fotografiert praktisch täglich, hat ihre Kamera dabei wo immer möglich, ist ständig auf der Ausschau nach neuen Motiven und Gelegenheiten. Und sie ›traut sich‹. Sie traut sich zu experimentieren, Menschen anzusprechen und diese um Erlaubnis zu fragen, ob sie Porträts machen darf. Porträts sind nicht ihr ausschließliches Thema, aber eines ihrer Lieblingsthemen, sicher eine ihrer Stärken. Die Nähe zu den Menschen, zu den Porträtierten drückt sich in ihren Bildern aus, ob es Verwandte, Bekannte oder zunächst Fremde sind.

Sie ist eine ausgesprochen aktive Person, die abgesehen von ihrem Beruf vieles andere tut: sich um die eigene Familie kümmern, mit Inbrunst fotografieren, an Fotowettbewerben teilnehmen, lange Zeit einen Fotoclub leiten, Fotokurse organisieren und durchführen, um nur einen Teil zu nennen.

Die hier vorgestellte Fotografin heißt Magdalene Glück. Sie ist selbstständige Hebamme, beruflich sehr aktiv. Damit kommt sie täglich mit vielen Menschen in Kontakt und hat gelernt – und wohl auch eine natürliche Begabung dafür –, mit Menschen umzugehen, auch in schwierigen Situationen.

Magdalene ist vielseitig interessiert und naturverbunden. Deshalb entstehen neben ihrem Schwerpunkt Porträtfotografie ebenso Architekturaufnahmen, wie etwa auf Seite 33 zu sehen, oder Naturaufnahmen. Es sind eher Details als die typischen Landschaftsaufnahmen. Eine Zeit lang fotografierte sie unter anderem auf ihren morgendlichen oder abendlichen Spaziergängen – eine zweite Art der Entspannung – gekonnt Schmetterlinge. Sie stellte mit den Aufnahmen recht attraktive Fotobücher zusammen. Aber mit dem bedauerlichen Rückgang der Schmetterlinge in unserer Kulturlandschaft und mit fortschreitendem Können waren es bald größere Objekte, die sie vor die Kamera nahm und noch immer nimmt. Mit ihrem Gespür für Situationskomik gelingen ihr immer wieder Aufnahmen in der Rubrik People-Fotografie.


Magdalene Glück versteckt sich hier ein wenig hinter Ihrer Kamera. Für ein gutes Bild scheut sie es nicht, sich auf den Boden zu legen.


Spinnennetz an einer Ähre im Morgentau. Die Wirkung der Tautropfen kommt erst bei ausreichender Größe des Bilds richtig zum Tragen. Das Bild wurde in der Nachbearbeitung weitgehend entsättigt, etwas abgedunkelt und der Kontrast der Tauperlen erhöht.

(EOS 600D, 100 mm Makro, 1/320 s, f/5,6, ISO 400)


Mit einem wachen Auge, die Kamera fast immer zur Hand, und einem guten Gespür für eine gewisse Situationskomik gelingen Magdalene schöne Situationsaufnahmen. Deren Wirkung kommt in Schwarzweiß zumeist besser zur Geltung als in Farbe. Da die Personen im Bild nicht direkt erkennbar sind, hat man mit solcher Art von Street-Fotografie auch kein Problem mit dem Kunsturhebergesetz (kurz KUG) oder der neueren Datenschutz-Grundverordnung der EU (kurz DSGVO) bei der Aufnahme und Veröffentlichung solcher Bilder. (Kompaktkamera Sony DC-RX 100, 1/80 s, f/3,2, ISO 400)

Wie beschreibt man eine Fotografin oder einen Fotografen?

Beschreibt man sie oder ihn über die Ausrüstung? Möglicherweise auch, denn sie sagt etwas über die Person aus – sicher aber nur ein bisschen. Beschreibt man die Person über die Bilder? Die sagen schon sehr viel mehr aus, zeigen zumindest die fotografische Seite – oder einen Teil davon.

Ich habe mich entschieden, zunächst etwas über die Person zu sagen, ein wenig ihren beruflichen Hintergrund zu skizzieren, denn teilweise hat er Einfluss auf das Fotografieren. Dann zeige ich ihre Bilder und erzähle bei einigen, wie sie entstanden sind. In einem gewissen Umfang interpretiere ich auch die Bilder; weitere Interpretationen überlasse ich dem Leser. Ich möchte Sie als Leserin oder Leser explizit dazu aufrufen, die Bilder genau zu betrachten, um festzustellen, ob Sie davon angesprochen werden, ob Sie sie eher neutral sehen oder ablehnen und ob Sie darin Fehler entdecken.

Nachmachen, ohne zu kopieren

Eine typische Geschichte zu Magdalenes Fotografie ist folgende: Ich hatte ihr ein Buch des renommierten amerikanischen Fotografen Gregory Heisler mit dem Titel »50 Portraits« ausgeliehen, das mir gut gefallen hatte. Der Umschlag zeigt ein Porträt des Masseurs des Boxers Muhammad Ali. Es ist eine beeindruckende Low-Key-Aufnahme. Magdalene bat mich, den Schmutzumschlag des Buchs mit dem Porträt behalten zu dürfen. Sie wolle es als Vorlage für eine eigene Aufnahmenserie nutzen. Einige Zeit später kam sie mit dem Ergebnis.

Das Bild auf der nächsten Seite ist sicher nicht die erste Aufnahme der Serie, die mit dem Ziel ›Low-Key-Portäts‹ entstand. Solche Aufnahmen brauchen Planung und Vorbereitung sowie Übung. Und man muss die passende Person für solche Aufnahmen finden. Dunkelhäutige Menschen sind für Low-Key-Porträts wie bei Heislers Aufnahme zwar nicht unabdingbar, aber von Vorteil. Man muss zusätzlich für einen dunklen Hintergrund oder zumindest einen dunklen Raum im Hintergrund sorgen und man muss sorgfältig ausleuchten und belichten.

Was entstand, zu sehen auf Seite 16 und 21, sind sicher keine ›Kopien‹ der Aufnahme von Gregory Heisler. Das Konzept wurde aber aufgegriffen, das Licht sparsam und sorgsam gesetzt, die Bedeutung der Augen verstanden. In der Aufnahme auf Seite 21 wurden wie in Heislers Bild die Hände als wesentliches Element im Bild verwendet. In der digitalen Nachbearbeitung sind die Konturen verstärkt, die Augen leicht aufgehellt, die Umgebung in ein tiefes Schwarz gehüllt. Die Vision eines Low-Key-Porträts im Kopf zu haben, eine Art Prävisualisierung, vereinfacht das Fotografieren natürlich. Die Herausforderung besteht darin, sich von einem reinen Nachmachen zu lösen, das Konzept auf die aktuelle Person, Situation und Szene anzuwenden sowie eigene kreative Elemente beizutragen und diese per Kamera, Licht und Regieanweisung an den Porträtierten mit Gespür umzusetzen.


Das Porträt auf dem Umschlag des Buchs von Gregory Heisler war der Stimulus für eine Serie eigener Low-Key-Porträts.

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