Читать книгу Reise - Begleitung - Jürgen H. Ruhr - Страница 10
VII.
ОглавлениеChristine fuhr den Wagen und ich saß auf dem Beifahrersitz neben ihr. Nachdem mir keine Widerrede möglich gewesen war, überlegte ich, wohin ich die beiden zum Essen einladen sollte. Gut und günstig musste es sein und da kam eigentlich nur ein Lokal in Frage: „Curry - Erwin“, platzte es nach wenigen Minuten aus mir heraus und ich fand, dass das eine wirklich gute Wahl war. Auf diese Art und Weise könnten die beiden einmal Erwins Gourmetteller ‚Lärpers Spezial’ kennenlernen. Ich würde mich nicht lumpen lassen und dazu auch noch eine Cola oder ein Bier spendieren. Und Erwin könnte bei dieser Gelegenheit von meinem neuesten Erfolg erfahren.
Ein stechender Schmerz an meiner linken Schulter riss mich aus meinen Überlegungen. „Niemals dieser Curry - Erwin“, fauchte Chrissi mich an und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr. Am liebsten hätte ich ihr diesen Knuff zurückgegeben, musste aber an unsere Sicherheit denken, da sie ja schließlich den Wagen fuhr. Vorsichtig rieb ich mir die schmerzende Stelle. Dass Christine aber auch immer direkt so fest zuschlagen musste! Auch bei unserem gemeinsamen Krav Maga Training hielt sie sich nicht sonderlich zurück, so dass ich so manchen blauen Fleck einstecken musste. Aber ich schenkte ihr auch nichts, schließlich hatten wir uns auf dieses harte Training zuvor geeinigt. Dumm nur, dass ich wesentlich mehr feste Schläge abbekam, als sie.
Gut, meine schmerzende Schulter zeigte mir, dass Curry - Erwin jetzt passé war. Aber wohin konnte ich mit den beiden Frauen gehen und nicht zu viel Geld bezahlen?
„Wir gehen in Chez Duedo“, bestimmte Chrissi und steuerte den Parkplatz an der Gracht in Rheydt an.
Beim Chez Duedo handelte es sich um mein Lieblings - Steakhaus. Allerdings waren die Preise in dem Restaurant alles andere als günstig. Und einen ‚Lärpers Spezial’ - Teller gab es dort auch nicht. Ein Blick in Chrissis entschlossenes Gesicht zeigte mir aber, dass jeder Gegenvorschlag von ihr sofort zunichte gemacht würde. Also hielt ich den Mund und ergab mich seufzend in mein Schicksal. Ob Bernd die Kosten heute Abend vielleicht als Spesen gelten lassen würde?
„Was ist ein Chez Duedo?“, fragte Birgit von hinten und ich erkannte, dass sie uns aufmerksam zuhörte. „Chez Duedo ist ein ausgezeichnetes Steakrestaurant“, erklärte Chrissi und parkte den Wagen gekonnt neben einem dieser übergroßen SUVs ein. „Jonathans Lieblingsrestaurant. Es würde mich nicht wundern, wenn man ihn dort auch mit dem Vornamen begrüßt und per du mit ihm ist.“
„Ist man dort nicht und ich habe viele Lieblingsrestaurants. Curry - Erwin zum Beisp...“
Wieder traf mich ein gekonnter Schlag an der Schulter und bevor ich zurückschlagen konnte, war meine Kollegin auch schon aus dem Auto heraus. Ich nahm mir vor, es ihr später heimzuzahlen.
„Nun kommt schon, ihr Schlafmützen“, hörte ich sie von draußen rufen. „Ich bin am Verhungern. Und auf einen leckeren Rotwein freue ich mich auch.“
Die beiden Frauen hakten mich wieder unter - eine rechts, die andere links und schon zogen wir Richtung Restaurant los. Dazu mussten wir halb Rheydt durchqueren und Chrissi und Birgit nutzen die Gelegenheit sich angeregt zu unterhalten. Über meinen Kopf hinweg.
„Was macht die Waffenkunde“, fragte Chrissi gerade und Birgit kicherte: „Bestens. Ich arbeite jetzt so schnell wie möglich die Bücher, die ihr mir gegeben habt, durch und es klappt wirklich prima.“
„Konntest du die Waffen der Gauner identifizieren?“ - „Ja, problemlos. Der eine, den sie Paul nannten, besaß eine Ruger SR9, der fette Chef einen Revolver Colt Python.“
Chrissi nickte zufrieden. „Prima, wenn du jetzt auch noch die Eigenschaften dazu kennst ...“
Birgit nickte beflissen: „Ja, natürlich. Die Ruger SR9 ist amerikanischen Ursprungs und wurde im Jahr zweitausend entwickelt. Sie hat das Kaliber 9 mm, also 9 x 19 mm. In ein Magazin passen siebzehn Patronen und wenn eine Patrone in der Kammer ist, wird dies durch eine Anzeige mit seitlichen roten Strichen bemerkbar gemacht. Die Waffe ist 192 mm lang und ...“
Ich hörte nicht mehr zu. Alle diese Details kannte ich schließlich in und auswendig. Auf jeden Fall bemerkte ich, dass die kleine Birgit sehr fleißig und mit Eifer bei der Sache war. Das Mädchen sammelte zusehends Pluspunkte.
Endlich standen wir vor dem Chez Duedo und meine Hoffnung, dass das Lokal heute geschlossen war, erfüllte sich nicht. Es war ja auch nur eine winzige Chance gewesen; schließlich wusste ich es besser: das Lokal war heute natürlich geöffnet. Galant hielt ich den Damen die Tür auf.
Chrissi steuerte zielstrebig auf eine Sitzecke zu. Schummriges Licht verströmte eine gemütliche Atmosphäre. An diesem Tag in der Woche war das Restaurant zwar gut besucht, aber nicht rappelvoll. Kaum saßen wir, eilte auch schon ein Ober an unseren Tisch.
„Ah, guten Abend die Herrschaften. Schön sie wieder einmal zu sehen, Herr Lärpers. Für sie wie immer?“
Ich nickte ein wenig peinlich berührt. Andererseits: warum sollte ich mich schämen, dass ich hier namentlich bekannt war? Ob die nicht doch einen Teller ‚Lärpers Spezial’ hatten?
„Und die Damen?“ - „Zunächst etwas zu trinken und die Karte bitte“, orderte Chrissi und beide Frauen bestellten die Getränke. Sich leicht verbeugend verschwand der Kellner.
Wir unterhielten uns schon eine ganze Weile recht angeregt und ließen die Ereignisse des Tages Revue passieren, als das Unheil in Form eines kleinen dicken Mannes über uns hereinbrach. Die Person trug eine blaue Cordhose, aus der eine Ecke eines grünen Hemdes heraushing. Auf der rechten Seite in Brusthöhe trug der Mann das Bundesverdienstkreuz am Bande, was natürlich auf der falschen Seite war. In der rechten Hand hielt der Grauhaarige einen Teller mit einem angefangenen Steak, das neben Pommes Frites in einer Soße aus Tomatenketchup und Mayonnaise schwamm. Messer und Gabel lagen quer darüber, beide mit den Griffen in der Mayonnaise. In der anderen Hand hielt er ein Glas Bier, aber kein gewöhnliches Glas, sondern einen dieser Bierhumpen, wie man sie in Biergärten findet. Gekrönt wurde die ganze Erscheinung durch ein trunkenes Grinsen, mit dem er uns nun bedachte.
„Weser, verd...“, entfuhr es mir. Herr Weser, der Mann meiner Alpträume. Letztes Jahr hatte ich mir geschworen, diesen Mann nie wiederzusehen. Das hinter uns liegende Abenteuer mit ihm reichte mir ein für alle Mal. Und nun stand er direkt vor mir. In meinem Lieblingsrestaurant! Ich stöhnte gequält auf.
„Länkers ... Und Frau Weru - Christine. Und eine neue Schönheit im Bunde, wie ich sehe.“ Weser schob seine Brust vor und grinste uns weiter dümmlich an. Ich versuchte ihn zu ignorieren. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie er seinen Teller leicht schräg hielt und etwas von dem Ketchup - Mayogemisch auf seine Schuhe tropfte.
Birgit sah den Mann interessiert und leicht amüsiert an. „Sie sind der Herr Weser? Ich habe schon viel von ihnen gehört.“
Weser nickte und wölbte seine Brust noch etwas mehr. „Der bin ich schönes Kind“, nuschelte er dann und versuchte mit dem Teller auf seinen Orden zu zeigen. Dabei schwappte ein wenig Soße über sein grünes Hemd. Aber Weser schien das nicht zu bemerken. „Bundesverdienstkreuz“, verkündete er stolz und tat einen großen Schluck aus seinem mittlerweile fast leeren Bierglas. „Und wer sind sie?“ - „Ich bin die Birgit - Birgit Zickler.“ - „Ach wie schön.“ Weser sah mich durchdringend an: „Das ist aber wirklich schön, sie hier zu treffen, Herr Lücklers.“
„Lärpers“, knurrte ich nur. „Jonathan Lärpers. Hören sie mal, Weser, können sie sich das denn nicht merken?“ - „Doch, doch. Sie sagen es ja, Herr Länpers.“ Immer noch blickte er mich intensiv an. Ich nahm mir vor, in keiner Weise zu reagieren. Irgendwann würde der Mann wieder von alleine verschwinden ...
Noch bevor ich Christine sprechen hörte, vermeinte ich ihr Grinsen zu spüren. „Herr Weser, wollen sie sich nicht zu uns setzen? Hier ist doch noch ein Platz frei.“ Und Birgit schlug in die gleiche Kerbe: „Ja, setzen sie sich doch. Sie sind doch alte Bekannte und der Herr Lärpers spricht immer so nett von ihnen.“
Das war eine glatte Lüge und Birgit sammelte wieder Minuspunkte bei mir. Was war denn eigentlich in die Frauen gefahren? Christine sollte sich schließlich daran erinnern, wie Weser sich einst in der Pizzeria oder in dem Bistro verhalten hatte. Der Mann war doch einfach nur unmöglich! Und jetzt luden die beiden ihn auch noch ein, sich mit uns an einen Tisch zu setzen.
Weser grinste selig, verschüttete beim Abstellen des Tellers einen Teil seiner Pampe auf das Tischtuch und angelte anschließend Messer und Gabel aus der Mayonnaise. „Es gibt doch nichts Schöneres, als in Gesellschaft zu speisen“, meinte er dann und trank gluckernd sein Glas leer. Anschließend hielt er nach dem Ober Ausschau. Der kam auch prompt mit einem vollen Glas Bier an unseren Tisch. Anscheinend hatten die beiden ein geheimes Abkommen bezüglich des Getränkenachschubes.
Weser stocherte in seiner Essenspampe herum, dann blickte er auf den leeren Tisch vor uns. „Sie haben ja noch gar nichts zu essen“, stellte er schließlich fest und schob seinen angefangenen Teller von sich. Messer und Gabel legte er fein säuberlich neben seinem Platz auf den Tisch und hinterließ so zwei dicke Ketchupflecken. „Ich werde mit ihnen zusammen noch einmal neu anfangen“, entschied er dann und winkte aufgeregt dem Kellner. „Bringen sie mir noch einmal dasselbe, bitte. Den Teller hier können sie mitnehmen. Und ein frisches Bier, das hier ist ja schon fast leer.“
Ich blickte erstaunt auf Wesers Glas. Wieso sprach der Alte davon, dass es leer sei, wenn er noch nicht einmal einen Schluck genommen hatte? Aber das Rätsel löste er im nächsten Moment, indem er den Gerstensaft in einem Zug herunterschluckte. Grinsend wischte er sich dann mit dem Handrücken über den Mund und rülpste vernehmlich.
Ich rieb mir die Hände, denn meine beiden Damen würden sich über dieses Benehmen mit Sicherheit nicht freuen. Aber - wie das Leben so spielt - ihr habt ihn eingeladen.
„Wir nehm jetzt erseinma ein Apritativ“, bestimmte Weser und grinste dem mit einem neuen Bier herbeieilenden Ober breit an. „Vier dopplete Wodka.“
Der Mann fing schon wieder an zu lallen. Ob ich mein Essen einfach abbestellen sollte? Bei dem Alten verging mir allmählich der Appetit.
„Frau Weru - Christine, was mahn sie denn so? Habn sie schon mein Bundresvelkreuz bemerkt?“
Christine nickte: „Wir waren doch bei der Verleihung dabei. Schon vergessen, Herr Weser?“ - „Ich glaub ich werd alt. Ja ja, der Herr Linkers war ja auch dabei. Das warn schöner Tag.“
Ich sah Birgit grinsen. Sie machte auf mich den Eindruck, als würde sie den Alten mögen. „Wollen sie uns nicht von dem Abenteuer erzählen, das zu der Verleihung geführt hat?“
Am liebsten wäre ich Birgit an die Gurgel gegangen. Das war jetzt das Letzte, was ich hören wollte: diese alte Kamelle unseres Undercover - Auftrages. Zum Glück kam in diesem Moment der Ober mit unserem Essen an den Tisch. Gleichzeitig trat eine weitere Bedienung mit den Wodkagläsern hinzu. Der Ober stellte zunächst die Teller vor uns hin, dann folgten die Gläser mit den Spirituosen. Weser bekam noch kein Essen, er hatte ja später als wir bestellt.
Irritiert sah er den Ober an: „Un mein Esn?“ - „Das dauert noch ein wenig, der Herr haben ja später bestellt. Bitte gedulden sie sich noch etwas.“
Weser blickte erst den Ober, dann mich an. Ich konnte ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken. Das hatte der Kerl nun davon. Wieso musste er auch sein Essen neu bestellen. Ich griff genüsslich zu Messer und Gabel. In dem Moment, als ich die Gabel in mein Steak stecken wollte, wurde mir der Teller unter der Nase weggezogen. Weser zog ihn blitzschnell zu sich heran und rief dem Ober noch hinterher: „Und bringen sie mir Ketchup und Majo. Schnell!“
„Herr Weser, das ist mein Teller.“ - „Ist er nicht!“ - „Wohl. Das Essen habe ich bestellt.“
Weser steckte einen Finger in das Steak und versuchte ein Loch hineinzubohren, was ihm aber nicht gelang. So hatte er es einst auch mit einem Stück Kuchen gemacht. Der Alte markierte auf diese Art und Weise das Essen, das er sich selbst zudachte. „Jetz isses meins“, grunzte er dann auch, ließ aber im selben Moment Messer und Gabel auf den Teller fallen und hob das Wodkaglas. „Is ja noch nich ma Mayo un Ketchup da. Also, prost jetzt Gemeinde. Darauf, dass wir wieder vereint sind ...“ Er sah mich scharf an und erst als ich mein Glas leerte, trank er seines auch leer. Das scharfe Zeug brannte in meinem Magen und sehnsüchtig schielte ich auf mein Steak. Das allerdings wollte ich jetzt auch nicht wiederhaben.
Chrissi und Birgit hatten ihren Schnaps noch nicht angefasst und Weser schien ihnen das nicht zu verübeln. „Trinkter das nich?“, lallte er und ließ sich die Gläser herüberreichen. Dann nahm er vom Ober eine Flasche mit Ketchup und eine mit Mayonnaise entgegen. Genüsslich spritzte er abwechselnd weiß - rot auf das Steak und die Pommes. Dann begann er alles miteinander zu verrühren. Die beiden Frauen aßen derweil ungerührt ihre Steaks und unterhielten sich dabei leise.
Ich überlegte, ob ich wenigstens die Pommes einmal von Chrissi probieren sollte, als der Ober mit einem weiteren Teller ankam. Mit einem ‚guten Appetit der Herr’ stellte er den Teller vor mich hin. Ich blickte in ein Gemisch aus Steak, einer extra großen Portion Pommes und reichlich Mayonnaise und Tomatenketchup verteilt über all dem. Mir war der Appetit vergangen.
Während ich versuchte, doch ein wenig von dem Steak zu retten und feststellte, dass es nichts Ekelhafteres gab als Steak mit Ketchup und Mayonnaise, prostete Weser uns erneut zu und leerte die beiden Gläser der Frauen nacheinander. Dann patschte er wieder in seinem Gematsche herum und schob ein großes Stück Steak in den Mund. „Schmecks ihne nich, Lyxxers?“, nuschelte der alte Mann mit vollem Mund und spuckte ein Stück Steak auf die Tischdecke. Direkt vor meinen Teller. Da lag das angekaute Stück und schien mich höhnisch anzugrinsen. Mir verging die Lust auf das Essen endgültig. Vielleicht fand ich ja später noch Zeit, alleine zu Curry - Erwin zu gehen. Hunger hatte ich ja trotz allem noch.
Irgendwann fand dieser Abend dann endlich ein Ende. Mein Magen knurrte und ich musste zugeben, dass ich fast zwischendurch versucht war, doch etwas von dem Ketchup - Majo Steak zu essen. Aber nur fast. Weser ließ schließlich sein halbes Essen stehen, prostete uns noch ein paar Mal mit doppelten Wodka zu und saß schließlich mit starrem Blick am Tisch. Ich wartete darauf, dass der Alte mit dem Kopf in sein Essen fallen würde, doch Weser hielt sich aufrecht. Was er von Zeit zu Zeit von sich gab, war nicht mehr zu verstehen. Chrissi machte mir irgendwann ein Zeichen: „Das Beste ist, wir bringen Weser gleich nach Hause. So wie in alten Zeiten“, fügte sie dann an und zwinkerte mir zu. Da ich nun wirklich keine gute Laune hatte, blickte ich sie nur grimmig an.
Der Ober kam mit der Rechnung und ich warf einen Blick auf die Positionen darauf. Dann stutzte ich. „Hören sie, hier sind zwei Essen zu viel aufgeführt. Und das ganze Bier, sowie der Wodka ...“ Der Ober nahm sich den Beleg vor. „Nein, das hat alles seine Richtigkeit. Das sind das Essen und die Getränke des älteren Herrn dort. Er meinte vorhin, dass sie derjenige seien, der ihn eingeladen hätte.“
Ich warf einen bösen Blick auf Weser, der selig grinsend vor sich hinstarrte. Mit dem jetzt eine Diskussion beginnen zu wollen, machte keinen Sinn. Weser war weder aufnahme- noch kommunikationsfähig. Ergeben nickte ich und zahlte die Rechnung. Dafür, dass ich nichts gegessen hatte, die Mädchen sich hauptsächlich untereinander unterhielten und Weser jetzt mit dem Finger in seinem Bierglas herumrührte, eine außerordentlich teure Angelegenheit. Am liebsten hätte ich den Alten noch am Tisch erwürgt.
Der Weg zurück zum Fahrzeug gestaltete sich mit dem betrunkenen Weser schwierig. Schließlich legten Chrissi und ich jeweils einen Arm des Mannes um unsere Schultern und so schleiften wir den Dicken mehr oder weniger mit uns. Schlimmer noch als die schwere Last, war der schiefe Gesang des Betrunkenen zu ertragen. Birgit schien dies eher lustig zu finden, aber sie musste ja auch nicht tragen helfen. Als sie dann noch ein Foto mit ihrem Handy von uns machen wollte, erklärte ich ihr mit harschen Worten, dass dies doch bestimmt nicht ihr Ernst sei. Mit einem gespielten Schmollen steckte sie das Handy wieder ein. „Das hätte sich gut in meiner Sammlung gemacht. Und natürlich auf Facebook“, grinste sie.
„Untersteh‘ dich. Das würde uns gerade noch fehlen, auf diese Art und Weise veröffentlicht zu werden.“ Dann fiel mir ein weiteres, wesentlich gewichtigeres Argument ein: „Außerdem solltest du die Verschwiegenheitsklausel in deinem Vertrag einmal genauer lesen. Danach darfst du nicht einmal einen Facebookaccount oder Ähnliches besitzen!“ Christine nickte: „Das ist kein Scherz, Birgit. Hier geht es um unsere Sicherheit, denn die Jobs, die wir erledigen, sind nicht ungefährlich.“ Dann lachte sie: „Aber das hast du ja heute am eigenen Leib erlebt ...“
Birgit nickte ernst. „Vermutlich habt ihr Recht. Ich werde mich gleich morgen darum kümmern.“ - „Nicht nur vermutlich“, bestätigte ich, „sondern ganz bestimmt.“
Mittlerweile steuerten wir auf den Parkplatz zu. Wir befanden uns kurz vor der Einfahrt. „Kannst du mich einmal kurz ablösen?“, fragte Chrissi und sah Birgit fragend an. „Ich gehe dann schon zum Wagen vor.“ - „Kein Problem, den Opa kriegen wir schon geschaukelt“, lachte Birgit. Weser blickte beim Wort ‚Opa’ auf, sah sich irritiert um und nutzte die Gelegenheit, als Chrissi ihren Griff lockerte, um sich komplett loszureißen. Mir entfuhr ein ‚Scheiße’, dann blickte ich Weser besorgt hinterher, der jetzt über die Straße torkelte. Dummerweise näherten sich mit ziemlich hoher Geschwindigkeit zwei Scheinwerfer, die ein großes Fahrzeug dahinter vermuten ließen. Den Bruchteil einer Sekunde ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass das kommende Unglück alle meine Weser - Probleme beheben würde, dann stürmte ich aber automatisch hinter dem dicken Alten her.
Eine Sekunde später als Christine, die schneller reagierte als ich. Mit einem riesigen Sprung erreichte sie den Mann, gab ihm den rettenden Stoß und sauste Sekunden später von der riesigen Stoßstange des Fahrzeuges erfasst durch die Luft. Bremsen kreischten, dann gab der Fahrer des Wagens Vollgas und raste mit quietschenden Reifen davon.
Weser, durch den Stoß zu Fall gekommen, rappelte sich gerade wieder auf und glotzte blöd in der Gegend herum. Ich rannte zu Christine. „Chrissi, alles in Ordnung?“ Das Mädchen lag mit dem Gesicht auf der Straße, das rechte Bein merkwürdig abgewinkelt. Jetzt war auch Birgit heran. „Einen Krankenwagen, schnell“, befahl ich ihr. „Schon unterwegs.“ Das Mädchen war wirklich auf zack. Vorsichtig nahm ich Chrissi hoch und trug sie zum Gehweg. Dabei achtete ich besonders auf ihr gebrochenes Bein; aber auf der Straße hier konnte sie ja auch nicht liegen bleiben. Ich kniete neben meiner Kollegin und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann fühlte ich den Puls und seufzte dankbar auf.
„Wwwasss isch n passschiert?“, nuschelte eine Stimme neben mir und ich blickte in das dümmliche Grinsen Wesers. Sekunden später lag der alte Mann neben Chrissi auf dem Pflaster und ich rieb mir die Fingerknöchel.
„Christine, hörst du mich?“ Vorsichtig streichelte ich ihr über das Gesicht und betrachtete dabei ihren Kopf. Keine Anzeichen eines Schädelbruches, das Gesicht zeigte allerdings eine ganze Anzahl an Kratzern von der Landung auf dem Asphalt. „Wo verdammt bleibt der dämliche Krankenwagen?“, schrie ich und blickte Birgit fragend an.
„Jonathan, es sind erst zwei Minuten seit meinem Anruf vergangen“, erklärte sie. Birgit kniete jetzt ebenfalls neben Christine und hielt ihre Hand. Mir kam das Ganze wesentlich länger vor, alles schien in Zeitlupe abzulaufen. Dann endlich hörte ich die Sirene.
Birgit kümmerte sich um Weser. Als die Sanitäter einen zweiten Krankenwagen rufen wollten, winkte sie ab: „Der ist nur betrunken. Ich bringe ihn nach Hause.“ Von all dem bekam ich allerdings nicht viel mit. Weser war mir scheißegal. Dennoch erklärte ich Birgit wohl, wo der Mann wohnte, bevor ich zu Christine in den Krankenwagen stieg. „Mädchen, bleib’ bei uns, wir brauchen dich doch“, redete ich auf die Bewusstlose ein. Auch wenn sie mich nicht hören konnte, so musste ich jetzt einfach ein paar Worte loswerden. Das beruhigte mich und vielleicht half es ihr ja, meine Stimme zu hören.
Dann saß ich im Krankenhaus in einem Wartezimmer und wartete. Die Situation vor dem Parkplatz ging mir immer und immer wieder durch den Kopf. Hin und wieder keimten Mordgedanken an Weser in mir auf, doch ich wusste, dass ich den Alten nicht zur Rechenschaft würde ziehen können. Der Schlag mit der Faust war schon zu viel des Guten und ich schämte mich, dass ich mich in dem Moment so wenig unter Kontrolle gehabt hatte.
Die Zeit verging und mit jeder verstreichenden Minute wurde meine Angst größer. Warum dauerte das so lange? Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass gut eine Stunde vergangen war. Wie schwer war das Mädchen verletzt? Vor meinem Auge spielte sich die Szene auf der Straße ab. Der Stoß, der Weser vom Wagen weg beförderte. Die kreischenden Bremsen, der dumpfe Aufprall. Chrissi am rechten Bein von der übergroßen Stoßstange erfasst. Wie sie dann durch die Luft flog und ihre instinktive, durch jahrelanges Krav Maga geübte, Reaktion, sich beim Aufprall mit den Armen zu schützen.
Der Wagen! Dieses Schwein hatte Fahrerflucht begangen. Der Mann musste eindeutig zu schnell unterwegs gewesen sein. Die Farbe schwarz oder dunkelblau, bei der Dunkelheit war das nicht zu erkennen gewesen. Auch nicht der Fahrzeugtyp oder gar das Kennzeichen. Ich seufzte auf und blickte wieder einmal auf die Uhr. Anderthalb Stunden.
Irgendwann musste ich trotz allem eingenickt sein, denn plötzlich fasste mich jemand an der Schulter. „Warten sie auf einen Arzt? Sind sie verletzt?“ Die Schwester sah mich mitfühlend an. „Oder wollen sie hier nur die Nacht verbringen? Im Trockenen und Warmen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich warte wegen Frau Weru hier. Die wurde heute Abend eingeliefert.“ - „Heute Abend? Sie meinen gestern Abend. Wir haben fünf Uhr morgens. Meine Frühschicht beginnt gleich und ich kam hier zufällig vorbei. Hat man sie vergessen?“
Fünf Uhr morgens? Ich blickte auf die Wanduhr und fand ihre Worte bestätigt. War Christine tot? Ich hatte dem Sanitäter doch ausdrücklich gesagt, dass ich hier warten würde und man mir unbedingt mitteilen sollte, wenn es Neuigkeiten gab. Gab es nun keine Neuigkeiten? Chrissi war tot. Anders konnte es nicht sein. Angefahren von einem Verkehrsrowdy und das durch die Schuld eines alten Säufers. Ich spürte, wie eine Träne meine Wange herunterlief. Christine, die vor Jahren als meine Sekretärin begonnen hatte und mit der ich schon zahlreiche Abenteuer erlebte. Christi...
„Hallo, sind sie wieder eingeschlafen?“, fragte die Frau. „Kommen sie doch einmal mit. Wir schauen, ob wir etwas über ihre Frau Wedu herausfinden können.“
„Weru“, korrigierte ich und trottete hinter ihr zur Rezeption.
„Frau Weru liegt auf Zimmer zweihundert und elf“, erfuhr ich nach einigen Minuten und mir fiel ein Stein vom Herzen. Wenn das nicht gerade die Pathologie war, musste Chrissi leben.
„Wie geht es ihr?“ - „Den Umständen entsprechend gut.“ Komisch, dieser nichtssagende Satz munterte mich auf. Irgendwie realisierte ich ja auch nur das letzte Wort ‚gut’. Chrissi ging es gut! Wunderbar. „Kann ich zu ihr?“
Die Dame hinter der Rezeption sah mich fragend an: „Sind sie ihr Ehemann? Oder mit ihr verwandt?“ - „Ich bin ihr Arbeitskollege - und Freund“, erklärte ich.
„Wir haben zwar keine festen Besuchszeiten“, meinte die Frau, „aber vielleicht können sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen? Jetzt schlafen unsere Patienten noch. Kommen sie doch um neun oder so wieder.“
Ich nickte. Das machte Sinn. Aber ich musste unbedingt genau wissen, wie es Chrissi ging. Man hatte mich nun lange genug warten lassen, vergessen quasi, und die Pauschalaussage, dass es ihr ‚gut’ ging, reichte mir natürlich nicht. „Kann ich denn mit jemandem sprechen, der Bescheid weiß, was Frau Weru fehlt?“, versuchte ich es erneut. Irgendwie musste doch ein Weg zu ihr führen.
„Ruhe fehlt ihr. Und der behandelnde Arzt ist auch noch nicht im Haus. Gedulden sie sich! Außerdem bin ich nur vertretungsweise hier, die Kollegin, die hier sonst arbeitet, kommt erst um acht.“ Sie widmete sich einigen Papieren und ignorierte mich geflissentlich.
Sah denn niemand, dass ich jetzt erfahren musste, wie es Chrissi ging? Die Unwissenheit bohrte in mir und wenige Sekunden später befand ich mich zurück in dem Warteraum. Nein, hier konnte ich nicht noch drei oder mehr Stunden warten, bis ich erfuhr wie es Chrissi wirklich ging.
Zimmer zweihundert und elf. Das konnte doch nicht schwer zu finden sein! Nur ein Blick auf meine Kollegin und dann wäre ich beruhigt. Das durfte mir doch schließlich niemand verwehren.
Zimmer zweihundertelf war schon in Sichtweite, als mich eine barsche Stimme von hinten anrief: „Hier steckt du also. Verdammt, du bist echt spät dran. Aber was erwartet man auch ...“
Überrascht drehte ich mich um und blickte auf eine zierliche junge Frau in einem Schwesternkittel. „J...“, wollte ich gerade erklären, als sie mich unterbrach: „Jens. Ich weiß. Du bist der Bufdi auf den wir schon die ganze Zeit warten. Und du bist echt spät dran!“
Bufdi? Ich war doch kein Bufdi? Oder meinte sie Grufti? Damit bezeichneten sogenannte junge Leute ihre älteren Mitbürger. Aber Bufdi? „Was äh, ist ein Bufdi?“
Die Schwester sah mich an: „Jens, Jens. Du bist aber auch nicht der Hellste, was? Du bist ein Bufdi. Das solltest du aber wissen. Bundesfreiwilligendienst. Hallo! Jemand zu Hause?“ Sie war die zwei Schritte schnell heran und klopfte mir mit den Fingerknöcheln auf die Stirn. Reflexartig wollte ich ihren Arm greifen und eventuell ein wenig verdrehen oder brechen, als ich innehielt.
„Ich bin kein Bufdi oder Grufti oder was auch immer. Mein Name ist J...“ - „Na klar. Dein Name ist Jens, das weiß ich schon. Ich bin Ywonne. Mit Ypsilon am Anfang und Wonne danach. Also quatsch hier keine Opern und komm mit. Und zieh’ das hier an.“ Sie warf mir einen Kittel zu, den ich geschickt auffing. Dadurch war ich einen Moment abgelenkt und kam nicht zu einer weiteren Erwiderung. Die Schwester eilte davon. Ich warf noch einen letzten sehnsuchtsvollen Blick auf Zimmer zweihundert und elf, dann ging ich ihr hinterher. Sie wartete schon an einem kleinen Schwesternzimmer auf mich. „Jens, Jens“, meinte sie tadelnd. „So wirst du aber bei uns nicht lange durchhalten! Zeit ist Geld und wir haben hier beides nicht.“ Sie lachte leise. „Und zieh’ endlich den verdammten Kittel an.“
Ich sah mich genötigt, ihren Befehlen zu folgen. Bestimmt könnte ich ihr jeden Augenblick alles erklären. Und der Kittel stand mir wirklich gut ...
„Nun steh da nicht so dämlich rum, Jens! Wir haben genug Arbeit. Also, nur keine Müdigkeit vortäuschen. Hier hast du eine Liste. Du gehst jetzt in die Zimmer und misst bei den Leuten den Blutdruck. Die Werte trägst du dann in diese Liste ein. Hast du so etwas schon einmal gemacht?“
Ich schüttelte den Kopf.
Sie seufzte auf. „Auch das noch. Jetzt muss ich dem kleinen Hosenscheißer erst noch alles zeigen! Also los - komm mit.“ Sie rannte auf das nächstliegende Zimmer zu. „Ich dachte, ich wäre ein Bufdi und kein Hosenscheißer“, versuchte ich einen Scherz. Das würde die Situation doch bestimmt auflockern.
„Witzig biste auch noch“, konterte sie und riss die Tür auf. Vier verschlafene Gesichter blickten erschrocken hoch.
„Morgen. Hier ist der neue Bufdi.“ Sie zeigte auf mich. „Jens.“ Damit erlosch ihre Konversation auch schon und der nächstgelegene Patient wurde zu ihrem Opfer auserkoren. Ich sah ihr zu, wie sie die Manschette des Blutdruckgerätes um den Oberarm schlang und dann den Einschaltknopf betätigte. Surrend pumpte das Gerät Luft in die Manschette.
„So geht das. Alles klar Jens?“
Ich nickte. War ja nicht so schwer.
„Dann trägst du hier die Werte ein. Sie las etwas von dem kleinen Display ab und kritzelte Zahlen in eine Tabelle. „Den Rest kannst du ja alleine. Ich habe noch genug andere Sachen zu tun. Du weißt ja: Zeit ist Geld.“ Damit ließ sich mich stehen und klappernd fiel die Tür hinter ihr zu. Ein Aufatmen ging durch den Raum.
„Dat is nen echten Drachen“, meinte ein alter Mann aus dem Nachbarbett. Ein anderer nickte bestätigend: „Und hat nie auch nur ein freundliches Wort für uns.“ - „Anjeblisch hat die nie Zick.“ Der erste wieder. „Abber dat sacht die nur so. Dann sitzt se stoondelang un dringgt Kaffee.“
„Der muss mal jemand wirklich Bescheid sagen“, mischte sich ein Dritter ein, der sich noch verschlafen die Augen rieb. „Schade, dass du nur der Bufdi hier bist. Ein Oberarzt müsste her.“ Die Männer in dem Zimmer lachten bei dem Gedanken, wie ein Oberarzt die ungeliebte Schwester zusammenstauchen könnte.“ Mir kam eine Idee.
Mit der geliehenen Aktentasche und einem etwas engen Jackett von einem der Männer aus dem Zimmer trat ich in das kleine Schwesternzimmer. Die Sichtschutzrollos waren heruntergelassen und es herrschte eine schummrige Dunkelheit in dem Raum. Dafür roch es umso intensiver nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Schwester Ywonne - die mit dem Y und der Wonne - saß vor einem Computerbildschirm und surfte offensichtlich im Internet. Sie hatte nicht gehört, wie ich den Raum betrat, denn gleichzeitig telefonierte sie noch mit einem Handy. Ja - Frauen können wirklich mehrere Dinge gleichzeitig tun.
„Sicher Darling. Ich mache heute auf jeden Fall pünktlich Schluss. Kann da kommen was will. Nein, nein, keine Sorge. Ah, warte mal - da ist ja das Video.“ Sie klickte mit der Maus herum und auf dem Bildschirm erschien das Video einer Musikband. „Krass. Die Jungs sind wirklich klasse. Wir müssen unbedingt in das nächste Konzert von denen. Schade, dass hier kein Ton ist. Aber für ein paar vernünftige Lautsprecher waren die wohl zu geizig. Aber geil sieht die Band aus auf dem Video. Genau wie im letzten Konzert.“ Sie klickte wieder herum und ein Video mit Menschen, die auf alle möglichen Arten und Weisen auf die Nase fielen, erschien. „Jetzt habe ich ein geiles Video. Musst du dir auch mal ankucken. Wie das heißt? Keine Ahnung, warte ich schau mal.“
Aber zum Schauen kam Ywonne nicht mehr, denn meine Faust krachte auf den Tisch. Gleichzeitig hielt ich ihr kurz meinen Detektivausweis vors Gesicht, aber so, dass sie nichts lesen konnte. „Krankenhaus Dienstaufsicht“, donnerte ich. Genauso, wie ich es mir vorhin in dem Krankenzimmer ausgedacht hatte. Wenn schon nicht als Oberarzt ...
„Ich bin nicht ihr Bufdi und ich war nie ihr Bufdi“, donnerte ich weiter und wusste mich sogar noch zu steigern. Dann wühlte ich ein wenig in der geliehenen Aktentasche. Das sah verdammt amtlich aus. „Ich werde einen Bericht über sie und ihre Auffassung von Arbeitsmoral schreiben müssen! Frau Ywonne, was ich heute hier mit ansehen musste, sprengt jeden erdenklichen Rahmen. Sie sind als Krankenschwester in diesem Haus angestellt und nicht um irgendwelche zweifelhaften Filmchen zu schauen oder privat zu telefonieren. Ich - das ganze Haus - erwarte und erwarten, dass sie sich liebevoll und fürsorglich um ihre Patienten kümmern. Haben sie mich verstanden?“
Ywonne - vorne Y und hinten Wonne - nickte betreten. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass sich zu so früher Stunde schon eine verantwortliche Person im Haus aufhielt. Ich übrigens auch nicht. „Sie gehen auf der Stelle ihrer Arbeit nach und das gegenüber den Patienten freundlich und zuvorkommend. Sonst verfluchen sie den Tag, an dem sie mich ‚Bufdi’ genannt haben.“
Das Mädchen nickte und drückte sich rasch an mir vorbei. Hoffentlich half meine kleine Standpauke.
Nachdem ich Jacke und Aktentasche zu ihren Besitzern zurückgebracht hatte, begab ich mich ohne Umweg und ohne noch einmal unterbrochen zu werden in das Zimmer zweihundertelf. Leise schloss ich die Tür hinter mir.
Mich erwartete ein geräumiger Raum mit einem Krankenbett. Christine sah in dem Bett klein und verloren aus und ihr gebrochenes Bein, das an einer Art Galgen hing, ragte vorwurfsvoll in die Höhe. Ohne ein Geräusch zu verursachen, ließ ich mich auf dem Stuhl neben ihr nieder. Bis auf das Bein und den Kopf lag sie unter einer weißen Decke verborgen und ich konnte sehen, wie sie gleichmäßig atmete. Ein Anblick, der mich beruhigte. Hier wusste ich Chrissi gut versorgt. Gerade als ich mich erheben wollte, klang ihre Stimme leise und dünn an mein Ohr: „Jonathan? Das kannst nur du so. So trampelig laut kommt sonst keiner hier in den Raum.“
Ich grinste. So kannte ich Chrissi. Sich nie unterkriegen lassen und trotz Allem noch einen Scherz auf den Lippen. „Chrissi, Chrissi“, stammelte ich und suchte unter der Bettdecke nach ihrer Hand. Ich meinte ihren Arm zu spüren und wanderte daran niedriger.
„Nimm die Finger von meinem Bein, du Lustmolch“, flüsterte sie angestrengt und ich beeilte mich, meinen Arm unter der Decke hervorzuziehen, nur um zwei Sekunden später ihre mir gereichte Hand zu drücken. „Wie geht es dir?“, fragte ich leise. Schließlich wollte ich sie ja nicht zu sehr anstrengen. „Prima. Ich fühle mich großartig. Das gebrochene Bein, die herrlichen Kopfschmerzen von der Gehirnerschütterung ...“ Ich merkte, wie sie das Sprechen anstrengte. „Psst, sag’ nichts. Du musst dich ausruhen.“
Chrissi lachte leise und schlief direkt wieder ein.