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V.

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Pünktlich um fünf Minuten vor neun Uhr stand ich vor dem Personaleingang des Kaufhauses Kaufstatt. Und wartete. Wo blieb die Zicke? Ich hatte extra darauf bestanden, dass wir beide pünktlich sein mussten. Es sah auch so aus, als hätte sie das verstanden. Aber jetzt stand ich hier und wartete. Auf Madame Birgit Zickler! Wunderbar.

Ich wurde langsam sauer. Das fing ja gut an. Pünktlich - was verstand die Dame daran nicht?

Aus der Akte zu unserem Auftrag ging nicht sonderlich viel hervor. Birgit und ich kamen laut unserer Legenden als Aushilfen vom Arbeitsamt. Die Urlaubszeit begann und so wurden im Kaufhaus vorübergehend Mitarbeiter benötigt. Beide kannten wir die Materie angeblich schon ein wenig, so dass der Abteilungsleiter uns direkt einsetzen konnte. Detlef Sanurski hieß er, soviel hatte ich ja schon in Erfahrung gebracht.

Der Mann sollte zirka fünfundvierzig Jahre alt und schon lange im Kaufhaus beschäftigt sein. Unser Auftraggeber schloss aus, dass Sanurski in die Diebstähle involviert war. Aber man konnte ja nie wissen. Ich hatte schon Zebras vor der Apotheke kotzen sehen - oder wie das so hieß. Jedenfalls war für mich zunächst einmal jeder verdächtig. Das machte schließlich einen guten Detektiven aus - unvoreingenommen an die Situation heranzugehen. Oder heranzutreten.

Sanurski war jedenfalls nicht eingeweiht. Er hielt uns wirklich für zwei Aushilfen.

Ich blickte auf meine Uhr. Zehn Minuten nach neun. Verdammt, Birgit hatte bestimmt verschlafen. Nun, das waren ja die besten Voraussetzungen für diesen Job. Unzuverlässig, unpünktlich und zickig! Bernd musste sich das mit ihr wirklich noch einmal überlegen.

Ich beschloss, nicht länger zu warten und öffnete die Tür des Personaleingangs. Und wunderte mich direkt: Wieso ließ sich die Tür so einfach öffnen? Da konnte hier doch eigentlich jeder ein- und ausgehen wie er wollte? Ein Punkt, den es zu beachten gab.

Durch einen schmalen Gang kam ich an den Umkleideräumen vorbei. Kurz überlegte ich, einen Blick hineinzuwerfen. Vielleicht ließ sich ja schon etwas in Bezug auf unseren Fall herausfinden. Dann aber verwarf ich den Gedanken, da es ja doch schon etwas spät war. Herr Sanurski sollte ja schließlich nicht auf seinen neuen Mitarbeiter warten müssen.

Am Ende des Ganges befand sich eine Stahltür und rechts daneben entdeckte ich eine weitere Tür mit der Aufschrift ‚Büro’. Das war mein Ziel! Energisch klopfte ich und trat nach einem harschen ‚Herein’ in den Raum, ein kleines, unaufgeräumtes Büro, offensichtlich das des Abteilungsleiters. Ein kleiner Schreibtisch mit einem Bürostuhl dahinter, in dem jetzt Sanurski saß und mir neugierig entgegensah. Vor dem Schreibtisch ein einfacher Stuhl - besetzt mit meiner lieben Kollegin Birgit Zickler. Na, wunderbar. Ich stand mir draußen die Beine in den Bauch und die Zicke saß hier schon längst im Büro. Ich ignorierte sie und streckte dem Abteilungsleiter meine Hand hin. „Jonathan Lärpers. Mich schickt das Arbeitsamt.“

Sanurski war ein kleiner, hagerer Mann. Mitten im Gesicht trug er eine übergroße Nase, die allerdings auch nicht von seinen abstehenden Ohren ablenken konnte. Er blickte mich durch eine runde Brille mit dicken Gläsern eindringlich an. Seine jetzt schon übermäßig grauen Haare trug er ziemlich kurz geschnitten. Er ignorierte meine dargebotene Hand und blickte stattdessen auf seine Armbanduhr. „Lärpers? Richtig?“

Ich nickte kurz.

„Sie sind jetzt exakt dreizehn Minuten zu spät. Wir waren für neun Uhr verabredet und wie spät ist es jetzt?“ Er sah mich auffordernd an. Ich rechnete: laut seiner Aussage war ich dreizehn Minuten zu spät, also musste es neun Uhr dreizehn sein.

„Neun Uhr dreizehn“, tat ich dann auch kund und blickte ihn lächelnd an.

„Falsch, mein lieber Lärpers.“ Sanurski stierte auf seine dämliche Armbanduhr. „Es ist jetzt neun Uhr vierzehn. Ihnen geht das Gefühl für die Zeit und die Pünktlichkeit ab!“

Aus dem Augenwinkel konnte ich Birgit grinsen sehen.

„Lärpers, Lärpers. Sie sollten sich ein Beispiel an dieser Dame dort nehmen.“ Er blickte auf und fixierte die Zicke mit einem lüsternen Blick. „Sie war pünktlich, sehr pünktlich sogar. Frau Zickler ist nämlich auch neu bei uns und kommt ebenfalls vom Arbeitsamt. Aber im Gegensatz zu ihnen war die Dame pünktlich, sehr pünktlich.“

Ja, das sagte er schon. Aber diese ‚Dame’ war ja auch schuld daran, dass ich zu spät gekommen war. Nur das konnte ich dem guten Sanurski nicht auf die übergroße Nase binden ...

„Nun, Herr Lärpers, zukünftig erwarte ich mehr Pünktlichkeit von ihnen. Sonst können sie direkt wieder zu ihrem Arbeitsamt zurückkehren. Haben sie mich verstanden?“

Ich nickte. „Habe ich, Herr Sanurski, habe ich.“ Der Mann sprach ja laut genug.

Sanurski sah wieder auf seine Uhr: „Die vertrödelte Zeit werde ich ihnen vom Lohn abziehen. Sie können von Glück reden, dass wir dringend Leute brauchen. Sonst würde ich sie auf der Stelle wieder fortschicken.“ Dann machte er eine Pause und schien etwas zu überlegen. Ich blickte ihn fragend an. Sanurski tippte mit dem Finger auf seinen Schreibtisch: „Ich bringe sie jetzt in die Abteilung, in der sie zunächst mit ihrer Arbeit beginnen. Die Frau Zickler ist über ihre Aufgaben schon informiert - sie war schließlich pünktlich da. Lassen sie sich von ihr erklären, was es zu tun gibt. Hier“, er schob uns beiden zwei kleine Kästchen mit einer Art Stift am Band zu, „benutzen sie diese Geräte. Aber gehen sie mir schonend damit um, Beschädigungen werden ihnen vom Lohn abgezogen.“

Ich nahm den Kasten an mich. Das Ding schien so eine Art überdimensionaler Tabletcomputer zu sein. Nun gut, Birgit würde ja schon wissen, wie die Geräte zu bedienen waren ...

Sanurski verlor kein weiteres Wort und nickte uns auch nur stumm zu, als er uns vor einem Regal mit Reinigungsartikeln stehen ließ. Als der Abteilungsleiter endlich außer Hörweite war, fuhr ich Birgit an: „Verdammt, warum hast du mich draußen warten lassen?“ - „Lieber Johni, du kamst einfach nicht, da bin ich schon einmal hineingegangen. Außerdem schien es mir besser so, dass wir nicht zusammen eintrafen, da wir uns ja angeblich nicht kennen. Da hättest du aber auch selbst drauf kommen können ...“

Ich nickte. Ja, war vielleicht auch besser so. Nur hätten wir das ja zuvor auch absprechen können. „Und was ist jetzt hier unsere Aufgabe?“ Ich blickte an dem Regal entlang. Putzmittel, Klarspüler, Waschpulver und Seifen - das war alles meilenweit von den Keksen in meinem Traum entfernt. Und natürlich war uns von Sanurski kein Kaffee angeboten worden. Was also sollten wir machen?

„Inventur“, klärte Birgit mich auf. „Wir zählen die Artikel im Regal und tragen die Menge dann auf unserem Tabletcomputer in die entsprechende Tabelle ein. Der Abteilungsleiter hat mir alles genau erklärt; es war ja auch genügend Zeit.“

„Ja, dreizehn Minuten“, erinnerte ich mich an Sanurskis vorwurfsvolle Worte. „In der kurzen Zeit hat er dir alles erklärt? Dann kann es ja nicht viel zu tun geben ...“

„Vertue dich nicht, Johni, das hört sich leichter an, als es ist. Außerdem hat Sanurski genaue Vorstellungen davon, was wir in welcher Zeit zu schaffen haben.“

Birgit aktivierte ihren Computer und drückte mit dem Stift ein paar Mal auf dem Bildschirm herum. Ich wollte es ihr gleichtun, scheiterte aber schon beim Einschalten des Gerätes.

„Wie geht das Ding denn an?“, wollte ich wissen.

„Außen am Rand ist ein Einschaltknopf. Dann brauchst du die Vorgaben lediglich noch zu bestätigen und den Bereich für die Erfassung wählen. Ja, und dann geht die Zählerei auch schon los. Du fängst am besten dort hinten an.“

Ich fand nach einigem Suchen den Knopf und schließlich landete ich in einer Tabelle. Nun gut, die Arbeit konnte beginnen. Sorgfältig zählte ich die einzelnen Artikel in dem Regal und trug schließlich mein Ergebnis am Tablet ein. Eine langweilige Arbeit, die mir aber gut von der Hand ging.

Ich war so vertieft in meine Aufgabe, dass ich auf Birgit erst aufmerksam wurde, als sie mir eine Hand auf die Schulter legte. „Prima Johni, du kommst ja wirklich sehr gut voran. Vielleicht solltest du den Beruf wechseln und hier Lagerarbeiter oder so etwas werden.“ Die Zicke lachte leise.

„Was ist, Birgit? Warum störst du mich jetzt?“ - „Mittagspause, Johni. Du hast nicht gemerkt, wie die Zeit verging?“

Ich wunderte mich selbst. Aber wenn ich schon einmal bei der Sache war - dann auch richtig!

„Und jetzt? Was machen wir in der Pause?“

Birgit lachte: „Ja, was wohl? Ausruhen, etwas essen und die Kollegen hier kennenlernen. Hast du denn unseren Auftrag vergessen?“

Das hatte ich in der Tat, würde es aber vor der Zicke niemals zugeben. Ja, unser Auftrag: deswegen waren wir ja schließlich hier. „Natürlich nicht, liebe Birgit. Glaubst du denn, dass ich die ganze Zeit nur Spülmittel gezählt hätte? Ich habe natürlich auch die Umgebung im Auge behalten. Detektivarbeit geleistet, was sonst?“

„Sah aber nicht so aus, Johni“, grinste sie und einmal mehr bereute ich, diesen Auftrag mit ihr zusammen erledigen zu müssen.

„Da siehst du mal, wie wirklich gute Detektivarbeit aussieht. Selbst du hast nicht bemerkt, dass ich hier alles ständig observiere.“

Birgit schüttelte den Kopf: „Dann hast du ja sicher auch bemerkt, wie die ältere Kundin ein Stück Seife eingesteckt hat!“ - „Seife? Was für Seife?“ - „Kernseife.“

Natürlich war mir so etwas nicht aufgefallen. Nicht einmal einen Kunden oder eine Kundin hatte ich bemerkt. „Natürlich habe ich das gesehen. Aber was sollte ich denn machen? Wir haben einen größeren Auftrag, als einer Kernseifen - Diebin hinterher zu spüren.“

„Johni, Johni! Du hast nicht aufgepasst, denn dann wäre dir aufgefallen, dass es keine Kernseife war, sondern eine Flasche Spülmittel. Das ist doch der Beweis, dass du auf nichts hier geachtet hast, du Superdetektiv.“

„Na wenigstens scheinst du deine Augen ja überall zu haben“, entgegnete ich pikiert. „Hoffentlich schaffst du dann dein Pensum. Sonst schmeißt Sanurski dich nämlich raus und ich kann die ganze Arbeit hier alleine machen.“

„Da mach dir mal keine Sorgen, lieber Johni. Außerdem habe ich schon mehr geschafft, als du. Du bist einfach zu langsam.“ Sie zeigte auf das Regal und bezeichnete einen Punkt, bis zu dem sie die Waren erfasst hatte. Es war deutlich mehr, als bei mir.

„Wo ist denn hier die Kantine?“, lenkte ich vom Thema ab. Außerdem hatte ich jetzt wirklich Hunger. Und wer wusste schon, wie lange unsere Pause dauerte. Also, warum hier herumstehen und die Zeit vertrödeln?

Birgit deutete mir, ihr zu folgen und schließlich marschierten wir an Sanurskis Büro vorbei in Richtung Umkleide. Mir fiel ein, dass wir - wieder entgegen meinem Traum - hier nicht einmal einen Arbeitskittel bekommen hatten. Gut, dass ich heute eher einfache und zweckmäßige Kleidung trug.

Birgit führte mich zu einer Tür, die genau gegenüber der Umkleidekabine lag. Dieser Raum war mir vorher nicht aufgefallen, aber ich konnte meine Augen ja auch nicht überall haben. Er war recht klein - es fanden gerade einmal zwei Tische darin Platz. Zwei Tische und acht Stühle, von denen sieben besetzt waren. Als wir in das Zimmer traten, wurde es plötzlich totenstill. Vierzehn Augen richteten sich auf Birgit und mich, kauende Münder standen still und zum Mund geführte Gläser verharrten in der Luft.

„Ah, die Neuen“, krakeelte eine Männerstimme und ich versuchte den Sprecher zu identifizieren. Ein Männchen im Hintergrund. Der einzige anwesende Mann, wie ich unschwer erkennen konnte. Während ich mir unsere Kolleginnen und den einen Kollegen so ansah, nahm Birgit schon Platz. Auf dem einzigen freien Sitz.

„Nur herein, nur herein“, rief der Mann jetzt wieder, was angesichts der Gegebenheiten überflüssig war, da wir ja schon eingetreten waren.

Ich sah mich um. Nein, alle Plätze waren belegt. Ob Birgit ein wenig auf ihrem Stuhl rutschen würde, so dass wir beide dort sitzen könnten? Ich schüttelte den Kopf. Nie und nimmer. „Lärpers, Jonathan Lärpers“, stellte ich mich vor. „Ich bin vom Arbeitsamt geschickt worden.“

„Das wissen wir.“ Wieder diese Männerstimme. Die Frauen schauten mich nur schweigend an. Dann wurde ich stutzig. Woher wusste der Mann meinen Namen? Ob der Abteilungsleiter seine Leute auf unser Erscheinen schon vorbereitet hatte? Vermutlich. „Ah, sie kennen mich schon.“

Der Mann sah auf: „Nein, wieso?“ - „Sie haben doch gesagt, dass sie das schon wissen.“ - „Was wissen?“ - „Na, meinen Namen.“

Jetzt schüttelte das Männchen den Kopf: „Nein, nein. Wir wissen nur, dass zwei Neue vom Arbeitsamt kommen sollen. Wegen der Inventur.“

Eine Frau kicherte. „Lärpers. Was für ein komischer Name.“ Jetzt fiel Birgit ein und bemerkte genüsslich: „Ich nenne ihn ja immer Johni. Das hört er gerne.“

„Das stimmt nicht“, dementierte ich. „Meine Freunde dürfen mich Jon nennen - aber nicht Johni.“ Ich hockte mich auf die Kante des Tisches. Direkt neben Birgit und sah sie böse an. „Jon, aber niemals Johni“, wiederholte ich und sah acht grinsende Gesichter. Die Frauen sprachen zwar nicht viel, schienen sich aber an solchen Sachen durchaus erfreuen zu können. Mir lag schon eine entsprechende Bemerkung auf der Zunge, als mir einfiel, dass wir uns diese Kollegen ja zu Freunden machen mussten. Der Auftrag hatte schließlich Priorität. Seufzend hielt ich mich zurück.

Birgit fand unterdessen das Gespräch mit den drei Frauen am Tisch. Sie unterhielten sich so leise, dass ich leider kein Wort verstehen konnte.

„Gibt’s denn hier nichts zu essen?“, warf ich in den Raum und wieder war es der Mann, der mir antwortete: „Nur was du dir selbst mitbringst. Oder du musst draußen im Laden etwas kaufen. Aber achte darauf, den Kassenzettel vorweisen zu können. Sonst hängt Sanurski dir noch einen Ladendiebstahl an.“ Bei diesen Worten lachte der Mann gehässig und machte sich damit zu meinem Hauptverdächtigen. Wie er allein das Wort ‚Ladendiebstahl’ betonte. Wenn dieser Mann nichts mit der Diebesbande zu tun hatte, wollte ich Glockensiel heißen. Oder Meier - mit e i. Oder ...

„Aber die Pause ist sowieso gleich um. Da lohnt es sich jetzt nicht mehr, etwas zu kaufen. Das musste vorher machen. Vor der Arbeit. Ich bring’ mir ja immer Brote von zu Hause mit. Mit Wurst oder Käse. Und gutes Vollkornbrot, das sättigt.“ Der Mann schien seine Redseligkeit entdeckt zu haben. Gut so, vielleicht verriet er sich durch das viele Reden. Ich beschloss, ihm etwas mehr auf den Zahn zu fühlen.

„Das mit dem Brot finde ich gut“, schmeichelte ich zunächst, nur um dann mit meiner ersten knallharten Frage nachzustoßen: „Sie arbeiten auch hier?“ Vereinzelt schlug mir Gelächter entgegen. Bis ich merkte, dass meine Frage ein wenig falsch gestellt war: „Ich meine - also - wo arbeiten sie denn?“

Einige der Frauen stießen sich lachend an. Birgit grinste bis über beide Ohren, na wenigstens hatten die drei ihre Flüstereien eingestellt.

„Na hier - ich arbeite auch hier“, erklärte das Männchen und schlug sich vor Lachen auf die Oberschenkel. Ich überlegte, ob ich ihm nicht einen Schlag ins Gesicht verpassen sollte. Nur so, weil es so schön lustig war.

„Nein, ich meine in welcher Abteilung.“ - „Mal hier, mal dort. Wo halt Bedarf besteht. Aber hauptsächlich Elektro.“

Sind nicht in der Elektroabteilung letztens noch zahlreiche Geräte abhandengekommen? Also keine Frage - dieser Kerl dort hinten gehörte wohl eindeutig zur Diebesbande. Elektroabteilung aha. Ich beschloss, meinen Aktionsradius ein wenig auszuweiten und den Knaben bei seiner ‚Arbeit’ zu überwachen. Es wäre doch gelacht, wenn ich ihn nicht innerhalb kürzester Zeit würde überführen können.

Die Pause endete so unspektakulär, wie sie begonnen hatte. Plötzlich strebten alle dem Ausgang zu. Jetzt gab es genügend freie Stühle. Schade, dass auch wir an unseren Arbeitsplatz zurückkehren mussten. Mein Magen knurrte und Durst verspürte ich auch. Na, das konnte ja noch ein lustiger Nachmittag werden.

Ich hatte gerade fünfzig Stück Seife in meine Tabelle eingetragen und mir ging der Werbeslogan dieses Herstellers nicht mehr aus dem Kopf: ‚Tierische Frische den ganzen Körper rauf und runter’, als ich beschloss, unseren Auftrag jetzt mehr in den Vordergrund zu stellen. Diesmal war es Birgit, die ich überraschte, indem ich sie an der Schulter anstupste: „So fleißig?“

Birgit sah auf, reckte sich ein wenig und blickte mich an: „Johni, was gibt’s? Sag mir nicht, du bist schon fertig mit deinem Teil.“

„Nein, nein. Ich finde nur, dass es Zeit wird für einen kurzen Abstecher in die Elektroabteilung.“ - „Elektro? Was hast du jetzt wieder vor, Johni?“

Wenn sie doch dieses bescheuerte ‚Johni’ weglassen könnte. „Birgit, jetzt höre mir einmal gut zu. Ich wol...“

„Ich höre dir immer gut zu, Johni“, unterbrach mich meine Kollegin.

Aber ich hatte einen Entschluss gefasst und ich ließ mich von meinem Vorhaben jetzt nicht abbringen: „Birgit, also: Wir arbeiten doch jetzt so fest und eng zusammen, also du und ich, wir beide eben. Ich nenne dich Birgit und bin auch freundlich zu dir. Eine Hand wäscht die andere, da is...“

„Sag’ mal, Johni, was willst du? Hast du zu viel Seife gezählt, so dass du jetzt mit deinem Gestammel über Hände, die sich gegenseitig waschen, ankommst. Sag mir doch klipp und klar, was du willst.“

Auch diese Unterbrechung meines wohldurchdachten Redeflusses nahm ich gelassen hin. Schließlich ging es hier um höhere Ziele. „Birgit! Ich dachte, da wir jetzt so eng zusammenarbeiten und ich dich als neue Detektivkollegin sehr, sehr schätze, wäre es doch wirklich nett von dir, wenn du mich Jonathan oder besser noch ‚Jon’ nennen könntest. Ich sage ja auch nicht ‚Birgi’ zu dir.“

„Birgi klingt doch ganz gut, finde ich“, lächelte sie und fügte: „John ... i“ hinzu.

Ich seufzte. Der Frau war nicht zu helfen. Da überwand ich mich einmal zu einem - sozusagen - Friedensangebot und diese Zicke schlug meine geöffnete Hand einfach in den Wind.

„Was also willst du jetzt von mir, Johni?“, fragte sie erneut und zählte rasch einen Stapel Fleckenentferner durch.

„Ich werde jetzt einmal kurz in die Elektroabteilung gehen.“ - „Das sagtest du schon. Aber nicht, was du dort willst. Also ... Johni?“

„Der Mann aus dem Pausenraum, du erinnerst dich doch an ihn?“ - „Natürlich, das war ja auch der einzige Mann dort. Außer dir, Johni.“

„Ja, außer mir natürlich. Also, der kam mir verdächtig vor. Ich will ihn mir einmal an seinem Arbeitsplatz ansehen. Ihn beobachten, observieren, meiner Arbeit nachgehen.“

Birgit sah mich fragend an: „Und was ist mit mir?“ - „Du hältst hier die Stellung. Und falls Sanurski kommt, erklärst du ihm, ich sei auf der Toilette. Dann fällt meine Abwesenheit nicht weiter auf.“

Sie schüttelte den Kopf: „Du hast wohl vergessen, dass ich von dir lernen soll? Da kannst du mich doch nicht einfach hier zurücklassen. Ich will schließlich lernen, wie ein richtiger Profi so eine Beschattung durchführt.“

Irgendwie betonte sie ‚richtiger Profi’ merkwürdig, aber das konnte ja auch an ihrer Aufregung liegen. Trotzdem: In diesem Fall war es besser, ich würde alleine gehen. Ausbildung hin oder her. Lernen würde sie später noch genug können.

„Hör zu, Birgit, ich ...“ - „Ich höre immer zu, Johni. Wann gehen wir?“

„Ich gehe alleine. Einer muss hier die Stellung halten. Du wirst später noch genug Gelegenheit bekommen, etwas zu lernen. Jetzt musst du hier darauf achten, dass Sanurski nichts merkt. Wir wissen ja nicht, wer alles bei diesen Diebstählen mitmischt. Sollte Sanurski Wind von unserer eigentlichen Aufgabe bekommen, ist unser ganzer Auftrag hinfällig. Also bleibst du hier.“

Ich wartete Birgits Antwort gar nicht erst ab, drückte ihr meinen Computer in die Hand und verschwand den Gang hinunter.

Schade, dass ich jetzt meinen Schlapphut nicht dabei hatte.

Unauffällig schlenderte ich durch die Gänge. Da ich keine spezielle Arbeitskleidung trug, fiel ich auch nicht weiter auf. Lediglich ein Kunde unter vielen.

Die Elektroabteilung befand sich im Untergeschoss, das ich über eine Rolltreppe erreichte. Jetzt musste ich nur noch das Männchen finden. Suchend schlich ich durch einige Gänge mit Büchern und Büroutensilien. Immer darauf bedacht, auch ja von niemandem gesehen zu werden. Diese Mission war geheim und sollte auch geheim bleiben. Jonathan Lärpers auf den Spuren der Kaufhausdiebe. Und einen davon hatte ich jetzt schließlich im Visier. Aber wo steckte der Kerl? Ich konnte ihn nirgends entdecken. Vorsichtig näherte ich mich der Elektroabteilung. Neben Radio- und CD Spielern befanden sich hier auch Computerspiele, Videos und Musik CDs. Ein umfangreiches Sortiment. Nur den Kollegen aus dem Pausenraum konnte ich nicht ausmachen.

„Kann ich ihnen helfen?“ Die Stimme hinter mir kam mir bekannt vor und als ich mich umdrehte, stand ich dem Gesuchten gegenüber.

„Du bist das? Hast du mich gesucht? Oder willst du etwas kaufen? Hat Sanurski dich gehen lassen?“

So viele Fragen und ich wusste keine Antwort. Jetzt galt es zu improvisieren.

„Ja, also eigentlich ... Eher nein. Wissen sie?“

Das Männchen sah mich fragend an.

Jetzt kam mir die rettende Idee: „Ich wollte ein Buch kaufen, bin aber irgendwie hier gelandet ...“

Er lächelte und zeigte auf die Bücherabteilung, durch die ich hierhin geschlichen war: „Bücher findest du dort. Suchst du etwas Bestimmtes?“

„Nein, also danke. Dann geht’s schon. Nochmals vielen Dank.“

Ich drehte auf dem Fuße um, schnappte mir das nächstbeste Buch und versuchte möglichst viel Abstand zwischen den Mann und mich zu bringen.

„Bezahlen nicht vergessen!“, rief der hinter mir her und lenkte damit meine Schritte zur nächsten Kasse.

„Und, wie war’s?“, fragte Birgit mich neugierig, als ich zu ihr zurückkehrte. Dann sah sie das Buch in meiner Hand. „Du hast ein Buch gekauft? Zeig’ doch mal.“

Schneller als ich reagieren konnte, hielt sie es in der Hand und studierte den Buchtitel. „Aha, na ja vermutlich eine gute Wahl für dich, Johni“, meinte sie lachend und gab mir das Buch zurück. Ich blickte zum ersten Mal auf den Titel: ‚Die sexuelle Schwäche im Alter - Eine Anleitung für Betroffene’.

Am späten Nachmittag ließ sich Sanurski wieder einmal blicken. Wenn auch nur, um mich zu ermahnen, morgen pünktlich zu erscheinen.

„Sonst ist Schluss für sie“, grollte er. „Zeigen sie doch mal her, wie weit sie gekommen sind.“ Er nahm mir meinen Tabletcomputer aus der Hand und blickte das Regal entlang. „Naja, da müssen sie aber noch einen Zahn zulegen. Aber für den Anfang will ich das Ergebnis einmal akzeptieren. Sie können sich jetzt umziehen gehen und für heute Feierabend machen.“ Auf Birgits Tabelle warf er nicht einmal einen Blick, sondern lächelte ihr nur gütig zu.

„Jetzt erzähl’ doch mal, wie es in der Elektroabteilung war. Und wieso hast du dieses dämliche Buch gekauft?“

Ich erklärte ihr mit wenigen Worten, was passiert war und dass ein Detektiv sich nicht lange das Buch, das er zur Tarnung kauft, anschauen kann. Wichtig war doch, dass das Männchen nichts gemerkt hatte.

„Und wie gehen wir morgen vor?“ Birgit ging neben mir her und ich wünschte mir eigentlich nichts sehnlicher, als sie los zu werden. Mir knurrte der Magen und vor Durst hing meine Zunge dick und geschwollen im Mund. So fühlte sich das jedenfalls an. Curry - Erwin wäre jetzt die Lösung meiner Probleme. Meine Lieblingsfrittenbude, in der mein Freund Erwin mich immer so fürsorglich bewirtete. Aber Birgit wollte ich auf keinen Fall dabei haben. Zumal sie auf mich nicht den Eindruck machte, als würde sie Hunger oder Durst leiden.

„Morgen, Birgit. Für heute haben wir Feierabend. Jetzt entspannen wir erst einmal und bereiten uns auf den morgigen Tag vor. Du hast doch bestimmt auch etwas vor. Deinen Freund besuchen - oder so.“ Ich merkte, dass ich so gut wie nichts über Birgit wusste. Hatte sie überhaupt einen Freund, einen Partner - oder, wie es so neumodern hieß - einen ‚Lebensabschnittspartner’?

Andererseits aber interessierte mich das alles nicht sonderlich. Erwins goldgelbe - na gut, manchmal auch eher bräunliche - Pommes Frites und eine schöne Currywurst, das waren die Dinge, die mich jetzt mehr beschäftigten. Und dazu ein richtig schön kaltes Bier.

„Schade, Johni. Ich dachte, wir machen noch so eine Art Nachbesprechung des Tages. Unsere Erkenntnisse zusammenfassen und in Gedanken noch einmal alles durchgehen. Ich will doch schließlich etwas lernen ...“

„Morgen, Birgit. Jetzt habe ich Hunger und Durst. Essen und Trinken, das sind die Dinge, die zunächst ganz oben auf meiner Liste stehen.“ - „Oh, fein, Johni. Dann lass’ uns doch einfach etwas essen gehen. Ein Arbeitsessen quasi. Das ist eine wirklich gute Idee.“

Ich schüttelte den Kopf: „Nein, Birgit.“ Dann fiel mir etwas ein: „Siehst du, ich hatte dich doch gebeten mich nicht mehr ‚Johni’ zu nennen. Und dieses ‚Johni’ gefällt mir nicht. Und jetzt möchte ich mir auch das Abendessen nicht durch dein nerviges ‚Johni’ verderben lassen. Nein, wir treffen uns morgen im Kaufhaus wieder.“

Sicherlich, das waren harte Worte, aber ich fühlte mich in diesem Moment auch nicht wirklich gut und die Zicke ging mir ja eh auf den Wecker. Da musste ich nicht noch meine Freizeit mit der verbringen! Ohne ein weiteres Wort änderte ich die Richtung, beschleunigte meinen Schritt und ging Richtung Curry - Erwin davon. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich noch, dass Birgit stehen blieb und mir nachsah. Dann war ich endlich aus ihrer Reichweite.

Geschafft.

Curry - Erwin empfing mich mit offenen Armen. Um diese Zeit war bei ihm noch nicht viel los, die Gäste kamen meistens später. Grinsend drückte er mich an seine schmuddelige Schürze. Ich bemerkte, wie ein Ketchupfleck auf meinem Hemd zurückblieb. Aber was machte das schon? Morgen würde ich sowieso ein frisches Hemd anziehen.

„Jonathan. Schön dich wieder einmal bei mir begrüßen zu dürfen. Du hast dich ja Ewigkeiten nicht mehr blicken lassen. Wie immer? Das volle Programm?“

Ich nickte. „Und dazu ein schönes, kaltes Bier. Aber was heißt ‚Ewigkeiten’? Ich war doch vor kurzem erst noch hier.“

Erwin lachte, achtete nicht auf die eben auf den Teller geschaufelten Pommes und fegte die heruntergefallenen mit auf dem Tresen liegenden Wurstresten wieder zurück auf den Teller. Dann gab er reichlich Mayonnaise darüber. Seine ‚Detektiv Lärpers Spezialmischung’ wie er es nannte. Grinsend schnippelte er eine Wurst dazu und kippte Soße darüber. Der Teller schwamm vor Soße und Mayonnaise.

„So liebst du es doch“, meinte er und sah mich nachdenklich an. Diesen Blick kannte ich und jetzt bekam Erwin gerade wieder eine seiner berühmten Ideen. Ich war gespannt.

„Bist du bereit für etwas Neues?“, fragte er mich und lugte listig hinter dem Teller hervor. „Du brauchst auch nichts extra zu zahlen. Hör’ zu, Jonathan: Ich nenne das Gericht ‚Lärpers Spezial’ - nach dem berühmten Privatdetektiv.“ Jetzt lachte er. Und hielt leider den Teller ein wenig schräg, so dass Soße und ein paar Wurststücke auf die Theke klatschten.

„Also, was sagst du?“ - „Was soll das denn sein?“, fragte ich skeptisch.

„Lass dich überraschen, Jonathan.“ Jetzt befand sich kaum noch Soße auf dem Teller. Wenn ich lange zögerte, bestünde das Gericht ‚Lärpers Spezial’ aus einem leeren Teller. Rasch nickte ich.

Wieselflink hielt Erwin den Teller unter den Spender mit dem Senf und gab eine ordentliche Portion auf die Pommes. Dann klaubte er die heruntergefallenen Wurststücke auf und hielt mir anschließend das Ganze hin.

„Wuahlah! Der Teller ‚Lärpers Spezial’. Lass es dir schmecken Jonathan.“

Ich sah mir die Soße - Majo - Senf Pampe an. Irgendwie sah das nach etwas Besonderem aus. ‚Lärpers Spezial’. Ja, eine wirklich gute Idee. „Jetzt fehlt nur noch das Bier“, erinnerte ich Erwin an meine Bestellung.

„Marschiert!“ Erwin zog ein Bier aus dem Kühlschrank, blieb aber an der Tür hängen, worauf die Flasche krachend zu Boden fiel. Grinsend hob er sie wieder auf und hielt sie mir triumphierend hin: „Nichts passiert, Jonathan. Die neuen Flaschen halten einiges aus. Außerdem kann man die jetzt ohne Öffner aufdrehen.“

Ich nickte. Das war nichts Neues für mich. Dankbar stellte ich mein Essen auf dem nächstgelegenen Stehtisch ab. Dann drehte ich am Verschluss. Der Abend konnte beginnen! Mein Feierabend nach einem reichlich anstrengenden Tag.

Nachdem ich einiges an Kraft aufwenden musste, um die Flasche zu öffnen, wurde ich mit einer Fontäne besten Bieres belohnt. Der Gerstensaft spritzte über mein Gesicht, mein Hemd und auf meinen ‚Lärpers Spezial’ - Teller. Dann versiegte die Quelle endlich und wie ich feststellte, verblieb noch gut die Hälfte des Bieres in der Flasche. Na also!

Erwin war sofort heran und begann mich mit einem Lappen abzutupfen. „Ist dir was passiert, Jonathan? Was hast du denn wieder angestellt? Warte, ich mache dich sauber. Nee, nee, wie das hier wieder aussieht. Gut, dass wir so dicke Freunde sind. Jetzt iss aber endlich. Ich will sehen, ob dir der ‚Lärpers Spezial’ auch schmeckt.“

Erwin drückte seinen Lappen in mein Gesicht, worauf lauwarmes Wasser über mein Hemd floss. Wie sollte ich essen, wenn mein Freund immer so an mir herumtupfte?

„So kann ich nicht essen, Erwin“, beschwerte ich mich, musste aber zunächst noch zusehen, wie Erwin mit dem nassen Lappen mein Hemd abrieb. Ein riesiger roter Fleck machte sich auf meiner Brust breit. ‚Soße’, dachte ich bei mir, musste mich dann aber korrigieren. Der Fleck war rot - weiß. Soße und Mayonnaise. Naja.

Erwin schien seine Arbeit mittlerweile beendet zu haben, denn jetzt stand er mit dem Lappen in der Hand neben mir und betrachtete mich: „Nun, Jonathan. Guten Appetit!“

Gut, dann also probieren. Ich wollte zu Messer und Gabel greifen, musste aber feststellen, dass weder das eine noch das andere vorhanden war. „Erwin, ich brauche eine Gabel.“

„Oh, natürlich. Die habe ich vergessen. Entschuldige Jonathan, aber ich war aufgeregt wegen des neuen Tellers, also wegen meiner neuen Kreation ...“

Erwin steckte einen Plastikpiekser mitten in die Mayopampe. „Bitteschön.“ Dann leckte er sich die Finger ab, war mit dem Ergebnis aber nicht wirklich zufrieden und wischte sie mit dem Lappen sauber. So sauber das jedenfalls mit einem vor Bier triefenden Lappen ging.

Ich stocherte mit dem Finger in der Mayonnaise und fand schließlich die kleine Gabel. Genüsslich spießte ich ein Stück Wurst auf. „Lecker“, konstatierte ich dann.

Erwin grinste mich zufrieden an. „Lärpers Spezial, meine Kreation. Ich glaube, jetzt kann ich mit Fug und Recht von gehobener Küche sprechen.“

Ich schüttete ein wenig des Bieres auf den Tisch und entwand Erwin den Lappen. Dann wischte ich so gut es ging den Tisch sauber. Ein Großteil der Fritten war durchweicht und nicht mehr genießbar. Der Rest aber schmeckte gewohnt gut. Ich war zufrieden!

Reise - Begleitung

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