Читать книгу Das RFID Komplott - Jürgen H. Ruhr - Страница 11
7. Amsterdam
ОглавлениеDie Tage in der Klinik tropften so vor sich hin. Franks Gedanken kreisten nur noch um den Brief von Dr. Schwenker. Zwei Wochen Reparaturzeit für seinen Rechner. Er hatte schon überlegt, seinen Bürorechner für den Brief auf der Chipkarte zu nutzen, den Gedanken dann aber ganz schnell wieder fallen lassen. Die Gefahr einer Entdeckung war zu groß und er musste zugeben, dass er mittlerweile doch sehr vorsichtig geworden war. Ja, Dr. Schwenker hatte Recht behalten. Sein Leben veränderte sich zusehends. Wenn auch nach außen hin weniger, so kamen Frank mittlerweile doch immer häufiger Zweifel, wem er trauen konnte und wem nicht. Er begann die Menschen mit anderen Augen zu betrachten. ‚Ich bin schon paranoid‘, dachte er manchmal und ertappte sich dann dabei, wie er eine Kollegin beim Handygespräch genau beobachtete.
Auch sein Verhältnis zu Lydia veränderte sich. Viele ihrer Aktivitäten betrachtete er jetzt unter anderen Gesichtspunkten und oftmals fragte er sich, was hinter ihrem Verhalten steckte. Warum schloss sie sich in der Küche ein und telefonierte dann stundenlang? Das waren doch sicherlich nicht nur Gespräche mit Freundinnen? Aber er wagte es auch nicht, seine Frau darauf anzusprechen und so blieben ihm lediglich seine Zweifel. Es wurde Zeit, dass er den Rest der Informationen auf dem Chip abrufen konnte und somit weitere Informationen erhielt!
Am Freitagvormittag rief Professor Brenzal alle Kollegen und Kolleginnen der Abteilung zu sich. Das war mehr als ungewöhnlich und Frank kam aus dem Grübeln nicht mehr heraus. Als schließlich alle in Brenzals Büro versammelt waren, erhob sich der Professor.
„Guten Morgen meine Damen und Herren, liebe Kollegen. Es ist sicherlich ungewöhnlich, dass ich sie an einem Freitagvormittag in mein Büro bitte, aber ich habe ihnen eine traurige Mitteilung zu machen. Zunächst aber möchte ich sie bitten, dass sie das, was sie hier hören, nicht an die große Glocke hängen. Halten sie die Informationen möglichst für sich, beziehungsweise gehen sie damit nicht hausieren.“ Brenzal räusperte sich, sah in der Runde von einem zum anderen und es schien, als würde er jeden einzelnen von ihnen mit seinen kalten Augen fixieren. Mit stechendem Blick auf die versammelten Ärzte fuhr er fort: „Also, ähm, man hat Dr. Schwenker gefunden!“
Ein allgemeines Murmeln erhob sich.
„Bitte, bitte, liebe Kollegen. Behalten sie die Ruhe, lassen sie mich doch weiter erklären.“ Brenzal erhob die Stimme. „Also, Dr. Schwenker wurde von der holländischen Küstenwache irgendwo im Ijsselmeer auf seiner Yacht gefunden. Die holländische Polizei teilte mir mit, dass es sich um einen Segelunfall handelt. Über nähere Informationen verfüge ich aber auch nicht.“
Einer der Ärzte aus der Gruppe schaute zu Professor Brenzal auf. „Wie geht es Dr. Schwenker?“
Brenzal schaute irritiert auf den Fragenden. „Schwenker ist natürlich tot! Er liegt jetzt in der Pathologie in Amsterdam. Irgendjemand vom Kollegenkreis muss heute noch zur Identifizierung nach Amsterdam fahren.“
Gezielt fiel sein Blick auf Frank. „Dr. Frank Rudak vielleicht? Wie wär‘s Herr Kollege? Sie haben Schwenker doch recht gut gekannt. Er war immerhin ihr direkter Vorgesetzter. Ein Kurztrip nach Amsterdam? Kein Interesse?“
Frank überlegte. Sicher, er käme für diese Aufgabe eher in Frage, als irgendein anderer Kollege, schließlich hatte er Dr. Schwenker recht gut gekannt. Dann sah er sich um. Alle Kollegen schauten interessiert auf ihn.
„Ja, gut. Ich habe am Wochenende sowieso nicht allzu viel vor.“
Brenzal war zufrieden. „Prima, Dr. Rudak. Dann klären sie die Details doch bitte mit meiner Sekretärin. Die kann ihnen auch direkt ein Hotelzimmer reservieren und den Namen des Polizisten geben, mit dem sie sich treffen werden. Und nehmen sie doch ihre Frau mit. Quasi Urlaub in Amsterdam auf Klinikkosten.“ Brenzal lachte meckernd. „So, meine Damen und Herren, das war es auch schon. Und jetzt bitte wieder an die Arbeit. Der Klinikbetrieb wartet.“
So einfach war das. Peng, Schwenker ist tot. Ab zur Tagesordnung. Frank war wie betäubt. Professor Brenzal hatte sich abgewandt und der Raum leerte sich allmählich. Frank warf noch einen Blick auf Brenzal. War das wirklich so einfach? Frank lief eine Gänsehaut den Rücken herunter. Plötzlich erschien ihm Brenzal eiskalt und Lichtjahre entfernt.
Die Sekretärin hatte alles schon vorbereitet. Ein Zimmer für ihn und Lydia war schon reserviert und am Samstag, also morgen, würde er sich mit einem Commissaris der Amsterdamer Polizei treffen, der ihn in die Pathologie begleiten würde. Lydia könnte währenddessen die Stadt besichtigen und einkaufen und Sonntag würden sie dann wieder zurückfahren. Wirklich, ein netter kleiner Kurzurlaub, wenn nicht der traurige Anlass gewesen wäre!
Lydia saß ihm gegenüber auf dem Sofa. Sie trug ihre verwaschene Jeans und einen Kaschmirpullover. Genüsslich naschte sie Pralinen aus einer mittlerweile halbleeren Packung.
„Bist du sicher, Frank, dass es ein Unfall war? Was denkst denn du über die Sache, Schatz?“ Frank hatte ihr gerade erklärt, dass sie ihr Wochenende kurzfristig anders planen mussten.
Lydia schien kein bisschen überrascht. Kühl sah sie ihn an: „Wir beide nach Amsterdam? Ein Kurzurlaub? Eine Idee von Professor Brenzal?“
„Ja, ja, ja. Wäre der Anlass nicht so traurig, würde ich sagen, ein prima Kurzurlaub.“ Lydia sah ihn abweisend an. „Das geht nicht. Ich habe morgen einen Termin in der Stadt. Da kann ich doch nicht einfach nach Amsterdam fahren! Du wirst allein fahren müssen, Liebster.“
„Aber das Hotel ist doch schon gebucht und außerdem: was hast du samstags für einen Termin in der Stadt? Beim Friseur? Lydia, sag doch einfach ab und komm mit nach Amsterdam. Dann wird es auch für mich leichter.“
Aber Lydia blieb hartnäckig. „Nein, Frank. Ich muss meinen Termin wahrnehmen. Außerdem habe ich gar keine Lust nach Amsterdam zu fahren. Und dann vielleicht den ganzen Samstag noch allein in der großen Stadt herumlaufen, während du bei der Polizei bist. Nein, fahr‘ du ruhig allein.“
„Der Termin bei der Polizei wird nicht so lange dauern. Ab Mittag können wir uns irgendwo treffen und zusammen essen gehen. Danach machen wir eine Besichtigungstour durch die Stadt. Und abends gehen wir groß aus.“ Frank stellte sich das recht nett vor. Amsterdam würde bestimmt interessant werden. „Und du kannst dir dort ein hübsches neues Kleid zulegen.“ Wenn es um Kleider ging, war Lydia eigentlich nie abgeneigt. Diesmal schien er sie damit aber nicht locken zu können.
„Nein, nein und nochmals nein. Ich habe mich entschieden. Du kannst mich schließlich nicht dazu zwingen!“ Lydia wurde schon wieder zornig. Nach der letzten Woche der Ruhe und des Friedens benötigte Frank nun nicht wieder Zank und Streit. Beschwichtigend lenkte er ein.
„Gut, gut. Fahr‘ ich eben alleine. Aber beschwere dich später nicht, dass du einen prima Kurzurlaub verpasst hast.“
Lydia sah ihn wieder so merkwürdig an. „Ich pack‘ dir ein paar Sachen ein. Du kannst dann direkt fahren, wenn du möchtest. Holst du mir den großen Koffer aus dem Wandschrank?“
Frank schüttelte den Kopf. Für zwei Tage brauchte er keinen großen Koffer. „Meine Reisetasche reicht. Ich fahre ja nur für zwei Tage, nicht für zwei Wochen. Außerdem streiche ich das Abendprogramm und die Stadtbesichtigung und komme direkt nach der Identifizierung Dr. Schwenkers wieder zurück. Dann können wir den Samstagabend hier zusammen verbringen. Vielleicht sollten wir uns in Frankfurt ein schönes Lokal suchen. Was meinst du, Lydia?“
Lydia schien zwar nicht übermäßig begeistert, gab aber ihre abweisende Haltung ein wenig auf. Seine Sachen waren schnell gepackt und bald standen sie zusammen in der kleinen Diele. Lydia nahm ihn fest in den Arm. „Leb‘ wohl, Liebster. Ich werde dich vermissen.“
„Na, Lydia, morgen bin ich doch wieder da. Du tust ja so, als wäre dies ein Abschied fürs Leben!“ Frank war schon öfter für längere Zeit fort gewesen und nie hatte Lydia beim Abschied solch ein Theater gemacht. „Was ist los, Lydia? Geht es dir nicht gut?“
„Doch, doch, alles in Ordnung.“ Jetzt hatte sie Tränen in den Augen und wischte sie heimlich fort. Frank tat, als hätte er es nicht bemerkt. Wieso ging ihr die Trennung für diesen einen Tag so nahe?
Dann befand er sich endlich auf der holländischen Autobahn Richtung Amsterdam. Entgegen seinen Erwartungen kam er doch recht zügig voran. Ein paar kleinere Staus, die ihn jedoch nicht allzu lange aufhielten. Aber insgesamt musste er doch eine ordentliche Strecke fahren, bis er an seinem Ziel ankam. Mittlerweile war es auch stockdunkel geworden, aber er rechnete damit, noch vor Mitternacht im Hotel anzukommen. Ein paar Stunden Schlaf waren ihm dann sicher. Sein Termin mit dem Hauptkommissar fand gegen zehn Uhr statt und selbst wenn er einige Zeit zur Pathologie brauchen würde, das Ausschlafen morgen war ihm doch einigermaßen sicher.
Es musste kurz hinter Utrecht gewesen sein, als Frank den Ruck am Heck seines Wagens spürte. Hastig schaute er in den Rückspiegel. Verdammt, was war das? Fast hätte er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Er schleuderte ein wenig, hielt aber zum Glück die Spur einigermaßen. Erkennen konnte er nicht viel, da ihn die Lichter des hinter ihm fahrenden Fahrzeuges zu sehr blendeten. Gut, dass er sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen gehalten hatte. Wäre er schneller gewesen, wer weiß, was passiert wäre.
Instinktiv schaute Frank nach links. Der Wagen hinter ihm setzte zum Überholen an. Dann fuhr ein schwarzer Kombi mit ihm auf gleicher Höhe. Die Fenster des Fahrzeugs waren dunkel getönt, so dass er den Fahrer nicht erkennen konnte. Wieso überholte der denn nicht? Frank ging vorsichtig vom Gas herunter. Der schwarze Wagen gewann etwas Vorsprung, musste dann aber das Tempo verringert haben, so dass er jetzt wieder neben ihm fuhr. Frank sah erneut in den Rückspiegel. Die Autobahn hinter ihm schien leer zu sein. Sollte er bremsen? Frank überlegte noch, was zu tun wäre, tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als der Wagen neben ihm plötzlich einen Schlenker nach rechts machte und ihm in die Seite krachte.
Jetzt konnte Frank seinen Wagen nicht mehr halten. Seine willkürlichen Gegenlenkbewegungen brachten sein Fahrzeug immer mehr ins Schleudern. Er hatte sich auf einer Brücke befunden und Frank sah sich schon durch das Brückengeländer rasen und abstürzen, als der Wagen endgültig nach rechts ausbrach und knapp hinter der Brücke eine leichte Böschung hinauffuhr. Mit einem Krachen schleuderte das Heck herum und er kam zum Stehen.
Frank war ganz benommen. Verschwommen sah er durch die Windschutzscheibe die Brücke und den Abgrund vor sich. Ein paar Meter früher und er wäre mit Sicherheit abgestürzt. Zischend atmete er aus. Vorsichtig und wie in Trance befreite er sich schließlich vom Sicherheitsgurt, öffnete die Tür und stolperte aus dem Wagen. Dann setzte er sich erst einmal in das feuchte Gras neben sein Fahrzeug. ‚Glück gehabt‘, ging es ihm durch den Kopf.
Wie lange er so dagesessen hatte, konnte Frank nicht mehr sagen. Plötzlich legte sich ihm eine Hand auf die Schulter und eine Männerstimme sagte mit holländischem Akzent: „Brauchen sie Hilfe? Haben sie einen Unfall gehabt?“ Frank hatte nicht bemerkt, wie der Motorradpolizist auf dem Standstreifen angehalten hatte. „Ich, ich, ...“
„Soll ich einen Arzt rufen, sind sie verletzt? Haben sie Alkohol getrunken?“ Der Polizist schaute ihn prüfend an und sprach dann etwas in ein Funkgerät. „Hilfe wird gleich kommen. Bleiben sie bitte ruhig sitzen!“
Frank hatte nicht vor, aufzustehen. Er schaute auf seinen Wagen. Die linke Seite stand zur Böschung und war etwas beschädigt. Ansonsten schien der Wagen nicht viel abbekommen zu haben. Der Polizist sprach ihn wieder an: „Sind sie in der Lage, mir Auskunft zu geben? Können sie mir ihre Papiere zeigen? Ausweis, Fahrzeugpapiere.“
Frank reichte ihm die gewünschten Dokumente.
„Herr Dr. Frank Rudak?“ Der Polizist wollte eigentlich lediglich eine Bestätigung. Frank nickte.
„Dann erzählen sie doch einmal, wie es zu dem Unfall gekommen ist. Sind sie mit einem Alkoholtest einverstanden?“
Frank bejahte. Schon hielt ihm der Beamte ein kleines Gerät hin, in das er pusten musste. Was aber sollte er dem Polizisten erzählen? Ich wurde von einem Wagen gerammt? Ich bin Gott sei Dank nur noch neunzig gefahren, sonst läge ich vermutlich dort unten? Frank beschloss diese unglaubliche Geschichte für sich zu behalten.
„Ich, ich bin ins Schleudern gekommen und dann hier gelandet.“
„Und warum sind sie ins Schleudern gekommen?“ Der Polizist ließ nicht locker. Mittlerweile hielt ein Krankenwagen am Straßenrand. Ein Arzt und ein Sanitäter kamen auf ihn zu. Das enthob ihn zunächst einer Antwort, denn die beiden schoben den Polizisten jetzt einfach zur Seite und widmeten sich Dr. Rudak. Der Arzt diagnostizierte ein paar geprellte Rippen, dort wo der Sicherheitsgurt ihn festgehalten hatte. Ansonsten war Frank noch einmal mit dem Schrecken davongekommen. Während Arzt und Sanitäter wieder zu ihrem Ambulanzwagen gingen, hielt ein Abschleppfahrzeug direkt dahinter. Der Fahrer überblickte die Situation und fuhr rückwärts an Franks Wagen heran.
„Wir ziehen den Wagen nur auf die Straße zurück.“ Mit einem Blick auf die leicht lädierte Seite gab der Polizist Frank die Papiere zurück. „Wenn sie in der Lage sind weiterzufahren, dann können sie das tun. Der Alkoholtest war negativ. Es gibt also keinen Grund sie nicht fahren zu lassen. Fühlen sie sich in der Lage zu fahren?“
Frank nickte. „Ich muss nach Amsterdam, das ist jetzt ja nicht mehr weit. Es geht mir soweit gut. Wenn der Wagen läuft, dürfte das kein Problem sein.“
„Gut, die Kosten dieser ganzen Angelegenheit werden sie tragen müssen. Die Rechnung erhalten sie in einigen Tagen. Bitte unterschreiben sie hier.“ Damit zeigte er auf ein Blatt an seinem Schreibblock. Frank setzte seinen Namen unter das Schriftstück.
Der Rest der Fahrt verlief problemlos. Nachdem der Mechaniker seinen Wagen wieder auf die Straße gestellt hatte, versuchte Frank ihn zu starten. Schon beim ersten Versuch sprang der Motor ohne Probleme an. Den Abschleppwagen zahlte er direkt in bar, dann befand er sich auch schon wieder auf der Fahrbahn. Der Polizist war auf dem Motorrad noch ein Stück hinter ihm hergefahren, hatte dann aber die nächste Ausfahrt genommen. Dr. Frank Rudak befand sich jetzt allein auf der Autobahn. Mittlerweile war es kurz nach Mitternacht und als er endlich im Hotel in der Innenstadt ankam, nahm er einfach das vorbestellte Doppelzimmer. Für eine Umbestellung hatte er jetzt nicht mehr die Nerven. Es war ihm einfach egal, Hauptsache jetzt eine heiße Dusche und ein warmes Bett. Frank stellte beim Ausziehen fest, dass seine Hose hinten nass war. Er hatte doch eine ganze Weile in dem feuchten Gras gesessen.
Der Weckdienst klingelte zur vereinbarten Zeit bei ihm an. Verschlafen nahm Frank den Hörer ans Ohr. „Sie wollten um acht Uhr dreißig geweckt werden. Es ist jetzt acht Uhr dreißig.“ Die weibliche Stimme klang jung, frisch und hatte einen süßen holländischen Akzent. Vor seinem geistigen Auge sah er die Dame in Trachtenkleidung an der Rezeption stehen.
„Danke.“ Frank musste sich zweimal räuspern, bevor er das Wort herausbrachte. Seine Rippen schmerzten ein wenig und schlagartig traten die Ereignisse der Nacht wieder vor seine Augen. Mühsam schälte er sich aus dem Bett und schlurfte ins Badezimmer. Nach einer kurzen Dusche fühlte er sich wieder einigermaßen fit. Auch das Frühstücksbuffet des Hotels brachte seine Lebensgeister wieder auf Trab, wobei der ausgezeichnete Kaffee sein Übriges tat. Frank fühlte sich jetzt für die Begegnung mit dem Commissaris fit.
Die Polizeistation in der Innenstadt war nicht schwer zu finden, man hatte ihm im Hotel den Weg genauestens erklärt. Allerdings trug die junge Dame am Empfang nicht die erwartete Trachtenkleidung. Aber irgendwie hatte Frank damit auch nicht wirklich gerechnet.
Er klingelte an der Eingangstür der Polizeistation. Sofort wurde ihm geöffnet. Frank schaute auf seine Uhr. Kurz nach zehn. Ein Polizist sprach ihn freundlich in holländischer Sprache an und fragte etwas. Aber Frank verstand nur jedes zweite Wort. Er wollte gar nicht erst seine wenigen holländischen Brocken zusammensuchen, sondern antwortete direkt auf Deutsch. „Guten Tag, ich bin hier mit Commissaris Van Damperen verabredet.“
„Ah, ja. Mein Herr, bitte kommen sie mit mir. Sie sind Herr Rudak aus Frankfurt? Der Commissaris erwartet sie schon.“
Sie gingen durch einen langen Gang und bogen schließlich um einige Ecken. Das alte Gebäude musste wirklich sehr verwinkelt sein. Schon nach wenigen Minuten verlor Frank die Orientierung. Kurze, sich ständig verzweigende Gänge reihten sich aneinander und endlich blieb der Uniformierte vor einer Tür stehen und klopfte an. Dann öffnete er, noch ohne eine Antwort abzuwarten.
„Dit is Heer Rudak, Commissaris Van Damperen.“
„Ah, gut. Danke.“ Der Commissaris sprach nahezu akzentfrei Deutsch. Mit ausgestreckter Hand kam er Frank entgegen. Sie schüttelten sich die Hände. „Guten Morgen, Herr Dr. Rudak. Ich bin Commissaris Frederic Van Damperen. Hatten sie eine angenehme Fahrt hierhin?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wies Van Damperen auf einen Stuhl und sprach weiter: „Bitte setzten sie sich hierhin, ich habe noch einige Fragen an sie und dann können wir in die Pathologie gehen. Darf ich ihnen zuvor einen Kaffee anbieten?“
Wieder ohne eine Antwort von Frank abzuwarten, sprach er in das Telefon und orderte Kaffee. Dann sah er sein Gegenüber lange an. „Kannten sie Dr. Schwenker gut? Neigte Dr. Schwenker zu Schwermut? Äußerte er irgendwann Selbstmordabsichten?“
Franks Gedanken rasten. Sollte er dem Commissaris von dem Chip erzählen? Dr. Schwenker hatte sich mit Sicherheit nicht selbst umgebracht. Aber konnte er seine Erkenntnisse diesem wildfremden Polizisten anvertrauen? Die Tür klappte auf und der Beamte, der ihn hierhin begleitet hatte, erschien mit zwei Tassen und einer großen Kanne. „Bedankt, Heiko.“ Damit war der Mann wieder entlassen. Leise verließ er den Raum und schloss hinter sich die Tür.
Frank räusperte sich: „Also, ich glaube nicht, dass Dr. Schwenker Selbstmord begangen hat. Ich kannte Dr. Schwenker als Arbeitskollegen und Vorgesetzten und er hat mir gegenüber niemals irgendwelche Absichten in dieser Hinsicht geäußert. Im Gegenteil. Ich sollte gegen Ende des Jahres in sein Forscherteam aufgenommen werden.“ Frank nippte an dem Kaffee. Heiß und gut. Vorsichtig stellte er die Tasse wieder auf den Unterteller. „Dr. Schwenker hat mir eine Postkarte geschickt, aus, aus ...“ Frank überlegte. Wie hieß das verflixte Kaff denn noch einmal?
„Lemmer.“ Van Damperen nahm Frank das Wort aus dem Mund.
„Ja, stimmt. Aus Lemmer. Woher wissen sie das?“
„Nur geraten. Dr. Schwenker hatte in Lemmer seinen Bootsliegeplatz.“
„Ach so, ja. Also auf jeden Fall erhielt ich diese Postkarte. Schwenker war schon fünf Tage verschwunden. Nachher habe ich erfahren, dass er Urlaub hatte. Nur diese Sache mit der Karte ...“
Van Damperen sah ihn scharf an. „Was war mit der Karte, Dr. Rudak? Hat er irgendetwas Besonderes geschrieben?“
„Nein, etwas Besonderes nicht. Er ließ lediglich Grüße ausrichten. Nur die Tatsache, dass er überhaupt eine Karte schrieb, ist schon merkwürdig. Sonst verschickte er niemals irgendwelche Postkarten aus seinem Urlaub.“ Vielleicht sollte er dem Polizisten nun doch alles oder zumindest einen großen Teil seines Geheimnisses anvertrauen. Frank überlegte kurz, dann sprach er weiter. „Aber da war noch ...“ Er konnte den Satz nicht zu Ende bringen, denn in diesem Moment klingelte das Telefon laut und fordernd. Van Damperen meldete sich und führte ein kurzes Gespräch auf Holländisch. Frank verstand nur immer wieder das Wort ‚wachten‘, konnte sich aber keinerlei Reim darauf machen. Aber das Gespräch ging ihn ja auch nichts an.
Endlich beendete der Kommissar das Gespräch. „Wir müssen jetzt in die Pathologie.“ Er sah Frank kurz an und schob dann einige Papiere zusammen. „Das war der Arzt. Heute ist Samstag und wir schieben alle eine Zusatzschicht wegen dieser Angelegenheit. Jetzt wartet der Doktor natürlich auf uns und war ein wenig - nun, wie soll ich sagen - erregt.“
Van Damperen nahm seine Jacke vom Haken. Frank erhob sich ebenfalls. Als sie nebeneinander standen, stellte er fest, dass der Polizist nur unwesentlich kleiner war als er.
„Es ist nur ein kleiner Fußmarsch. Hier in der Innenstadt erledigen wir die kleineren Wege alle zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Kommen sie, Doktor.“
Als sie das Gebäude verließen, zog der Commissaris eine dunkle Sonnenbrille aus der Jackentasche und blieb vor der Türe stehen. Dann setzte er die Sonnenbrille auf und sah sich erst einmal im Kreis um. Er trug einen dunklen Anzug, weißes Hemd und passende Krawatte. Frank drängte sich der Vergleich mit einem FBI Agenten aus amerikanischen Actionfilmen auf. Selbst an der Stelle, wo der Commissaris seine Waffe trug, beulte sich der Stoff der Anzugjacke ein wenig aus. Frank kamen Zweifel. Dieser Polizist, der sich ganz wie ein Film - Geheimagent gab, sollte den Tod Dr. Schwenkers aufklären? Zweifelnd schüttelte er den Kopf.
„Kommen, sie Doktor. Wir müssen hier lang.“ Mit weit ausgreifenden Schritten machte sich der Commissaris auf den Weg. Dabei zeigte er hin und wieder auf verschiedene Gebäude der Stadt und erklärte Frank jeweils kurz etwas zu der Geschichte der Häuser. Nebenbei stellte er immer wieder Fragen zu Dr. Schwenker, die Frank so gut wie möglich beantwortete.
„Nein, Dr. Schwenker war, soweit es mir bekannt ist, ein ausgezeichneter Segler. Er hatte alle erforderlichen Bootsführerscheine. Darauf war er immer sehr stolz gewesen.“
Sie kamen um eine Gebäudeecke und sahen sich plötzlich einem Pulk Touristen gegenüber. Van Damperen machte einen Bogen um die Gruppe.
„Nein, ich war nie mit Dr. Schwenker segeln.“ Frank antwortete auf die nächste Frage Van Damperens. „Ich bin eigentlich mehr bodenständig, also segeln ist nicht so mein Ding. Ich werde schon seekrank, wenn ich nur mit einer Fähre über einen Fluss fahre.“
Das war nicht übertrieben. Frank setzte keinen Fuß auf ein Boot, wenn es nicht unbedingt sein musste.
„Na, dann werden sie sich aber überwinden müssen, denn ich wollte sie heute Nachmittag auf Schwenkers Boot einladen. Dass sie sich vielleicht einmal dort umsehen würden.“
„Sie haben Schwenkers Boot hier?“ Frank war nicht sehr begeistert. Die Aussichten den Nachmittag auf der schwankenden Yacht verbringen zu müssen, stimmten ihn nicht besonders fröhlich.
„Nicht direkt hier, wir werden ein Stück mit dem Wagen fahren müssen. Das Boot liegt in Enkhuizen, nördlich von hier. Wir würden direkt, nachdem wir in der Pathologie waren, hinfahren. Ich kenne dort ein nettes kleines Restaurant, wo wir zu Mittag essen könnten. Danach schauen wir uns das Boot an und sind noch früh genug zurück, so dass sie in Ruhe heimfahren können.“
Frank schüttelte den Kopf. „Ist das unbedingt notwendig? Mir fällt es schon schwer genug, Schwenker zu identifizieren. Und dann auch noch auf diese schaukelnde Yacht ...“
Van Damperen sah Frank an, dass er nicht begeistert war. „Es dient der Wahrheitsfindung, Dr. Rudak. Vielleicht überlegen sie sich das doch noch einmal!“, meinte er dann in ernstem Tonfall
Es dauerte nicht lange und sie standen vor einem alten Gebäude, das recht unscheinbar in einer Seitengasse lag. „So, da sind wir schon. Kommen sie, Dr. Rudak, wir müssen natürlich in den Keller herunter.“
Der Pathologe, ein Dr. Ijchter, erwartete sie schon. Sein missmutiges Gesicht ließ nicht viel Gutes ahnen und der Disput, der sich zwischen Ijchter und Van Damperen erhob, klang nicht besonders freundlich. Van Damperen sparte sich die Übersetzung. Ijchter reichte Frank kurz die Hand, brummte etwas wie ‚Goedemorgen Mijnheer‘ und wandte sich dann um.
„Kommen sie, Dr. Rudak.“ Der Polizist legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es wird kein schöner Anblick sein, glauben sie mir. Aber da sie selber Arzt sind, nehme ich an, sie sind auch einiges gewöhnt. Dr. Schwenker trieb fünf Tage im Wasser und sieht natürlich entsprechend aus. Aber sein Gesicht dürfte noch identifizierbar sein.“ Der Pathologe ging voran. Hier sah es aus, wie in allen Pathologien der Welt. Die Gesetzmäßigkeit der Reinlichkeit und Hygiene verlangte einen gewissen Standard. Der Leichnam Dr. Schwenkers lag auf einem stählernen Rolltisch. Ein weißes Tuch bedeckte den Körper. Dr. Ijchter lüftete das Tuch über dem Kopf.
Das aufgedunsene Gesicht Dr. Schwenkers schien Frank entgegen zu grinsen. Gnädig hatte man die Augen geschlossen. Überall zeigten sich kleine Bisswunden von hungrigen Fischen, für die der tote Dr. Schwenker eine leichte Beute gewesen sein musste. Ein schöner Anblick war das wirklich nicht. Trotzdem konnte Frank ihn identifizieren.
„Ja, das ist Dr. Schwenker. Eindeutig.“
Der Pathologe deckte den Leichnam wieder zu. Frank und Van Damperen verließen den Raum.
„Wie ist es passiert?“ Erst jetzt stellte Frank diese Frage.
„Dass sie das fragen würden, habe ich schon erwartet. Warum fragen sie erst jetzt?“ „Ich, ich, nun ich habe einfach nicht eher daran gedacht.“ Das war so nicht ganz die Wahrheit, denn Frank wusste ja, dass Schwenker ermordet worden war. Ihn interessierte jetzt, wie es genau geschehen war.
„Nun, Dr. Schwenker muss den Brand an Bord seines Schiffes bemerkt haben, bekam wohl Panik und wollte vom Bug möglichst schnell zur Kajüte. Dabei muss er sich in einer Leine verfangen haben und über Bord gefallen sein. Die Leine verhakte sich und Schwenker hing mit dem Oberkörper im Wasser. Er hat sich aus dieser Situation nicht mehr befreien können und ist schließlich entkräftet ertrunken.“
Sie traten wieder auf die Straße. Frank atmete tief durch. Obwohl das natürlich Einbildung war, vermeinte er in solchen Gebäuden ständig Leichengeruch in der Nase zu haben.
Van Damperen sprach weiter: „Dabei konnte nicht geklärt werden, wie es zu dem Brand auf der Yacht kam. Irgendwelche Spuren, defekte Elektrogeräte oder Ähnliches wurden nicht entdeckt. Der Brand erlosch nach einiger Zeit von alleine, Schwenkers Boot bestand zu einem guten Teil aus nichtbrennbaren oder nur schwer brennbaren Materialien. Außerdem muss es wohl geregnet haben, so dass die Flammen nicht das gesamte Boot zerstören konnten. Nachdem ein Teil der Kajütendecke verbrannt war, konnte der Regen das Feuer schnell löschen. Das hat aber dem guten Dr. Schwenker nicht mehr viel genützt!“
Lautstark zog die Touristengruppe, die sie vorhin passiert hatten, an ihnen vorbei. Van Damperen machte eine kurze Pause in seinen Erklärungen. „Dr. Rudak. Es gibt da einige Ungereimtheiten, aber bei dem augenblicklichen Stand der Ermittlungen müssen wir von einem Unfall ausgehen. Hat Dr. Schwenker Angehörige, die sich um die Überführung und die Beerdigung kümmern könnten? Unsere Ermittlungen haben lediglich ergeben, dass er eine geschiedene Frau hatte, die aber vor einigen Monaten bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Deswegen ha...“
Van Damperen stockte mitten im Satz. Frank musste ihn wie ein Gespenst angesehen haben: „Seine, seine, seine Ex - Frau ist wirklich tot?“
Was ihm dieser Polizist so nebenbei mitteilte, löste in ihm eine Lawine von Gefühlen aus. Natürlich, alles was Dr. Schwenker geschrieben hatte, musste Punkt für Punkt der Wahrheit entsprechen! Frank konnte die Tatsachen jetzt nicht mehr ignorieren, verdrängen oder verniedlichen. Punkt für Punkt der Ausführungen Dr. Schwenkers stimmte. Aber wer oder was steckte dahinter? Jetzt war er selbst begierig darauf, die Yacht zu besichtigen.
Langsam wurde Frank die Gefahr, in der er steckte bewusst. Und dass er ganz alleine dastand. Wem konnte er noch vertrauen? Wie weit reichte der Arm der ‚Organisation‘, von der Schwenker geschrieben hatte? Frank erinnerte sich an den Autounfall letzte Nacht. Stand er jetzt schon auf der Todesliste? Sollte auch er ermordet werden? Plötzlich merkte er, wie Van Damperen auf ihn einredete.
„Dr. Rudak, was ist los? Wissen sie etwas, das sie mir mitteilen wollen? Ist ihnen noch etwas eingefallen?“
„Nein, ich weiß nicht. Nur, dass die Ex - Frau von Dr. Schwenker tot ist, war mir nicht bekannt. Das ist jetzt doch ein Schock für mich.“ Frank fand, dass diese kleine Notlüge der Situation durchaus angemessen war.
Sie gingen weiter.
Der Polizist sah Frank von der Seite an: „Es war eindeutig ein Unfall. Der Tod der Frau, meine ich. Unsere Ermittlungen konnten damals Fremdverschulden ausschließen. Dr. Schwenker wurde auch direkt informiert. Oder das Institut, in dem er gearbeitet hat. Ich kann das nicht so genau sagen, denn die Ermittlungen führte damals ein inzwischen pensionierter Kollege durch. Ich habe mich nur jetzt anhand der Akten informiert.“
Sie gelangten auf einen großen, belebten Platz. Wieder blickte der Polizist von der Seite in das Gesicht des Arztes: „Sie haben mir meine Frage aber noch nicht beantwortet, Dr. Rudak. Gibt es sonst noch Angehörige oder wer übernimmt den Leichnam?“
„Nein, weitere Angehörige gibt es meines Wissens nicht. Ich schätze, dass die Klinik alles Weitere übernehmen wird. Gleich heute Nachmittag werde ich Professor Brenzal anrufen.“ In Franks Kopf überschlugen sich die Ereignisse. Wieso hatte die niederländische Polizei im Todesfall Katrin Schwenker ermittelt?
Van Damperen bemerkte Franks verwirrten Zustand nicht. „Ja, warten sie, ich glaube damals wurde ein Professor Dr. med. Brenzal über den Tod von Schwenkers ehemaliger Frau informiert. Ich glaube, er war der Vorgesetzte von Schwenker? Denn Schwenker konnte damals nicht erreicht werden und dieser Professor Brenzal erklärte sich bereit, die Nachricht weiterzuleiten.“
Plötzlich standen sie wieder vor dem Polizeirevier. Frank war der Rückweg wesentlich kürzer als der Hinweg erschienen. Oder hatten ihn seine Gedanken die Zeit vergessen lassen? Van Damperen schien in seinem Gesicht zu lesen.
„Ja, Dr. Rudak. Wir haben vorhin einen kleinen Umweg gemacht. Einmal wollte ich mich noch ein wenig mit ihnen unterhalten und andererseits war die kleine Stadtführung doch sicherlich auch recht interessant für sie. Kommen sie, ich informiere den diensthabenden Kollegen, dass wir nach Enkhuizen zum Boot fahren. Wir können dann direkt in die Tiefgarage gehen.“ Van Damperen sprach durch eine Glasscheibe mit dem Polizisten, dann stiegen sie die Treppe zur Tiefgarage herab. „Nehmen wir den Zivilwagen dort, das ist weniger auffällig!“ Der Commissaris steuerte auf einen Mittelklassewagen zu.