Читать книгу Das RFID Komplott - Jürgen H. Ruhr - Страница 9
5. Das Computerspiel
ОглавлениеLydia hatte sich offensichtlich wieder etwas beruhigt. Allerdings begrüßte sie ihn auch nicht mehr in Dessous, so wie in den letzten Tagen, sondern trug schlicht und einfach eine Jeans mit einem enganliegenden Pullover. „Hallo, du bist aber spät dran.“
Na, eine nette Begrüßung. Forschend schaute Dr. Rudak seiner Frau ins Gesicht. Stand schon wieder Ärger an? Aber sie riss sich anscheinend zusammen.
Lydia hob theatralisch die Arme und sah ihm ins Gesicht: „Wieso kommst du so spät? Ich habe schon in der Klinik angerufen und dort sagte man mir, dass du schon längst fort seist. Du hast Dr. Grander getroffen und bist mit ihm weggefahren?“
Das war eigentlich keine Frage mehr. Lydia war verflixt gut informiert. „Hallo Schatz. Ja, ich war noch bei Dr. Grander. Er hat mir seine Briefmarkensammlung gezeigt. Das war ganz interessant.“
„Da wäre ich dir aber dankbar gewesen, wenn du mich informiert hättest. Was ist mit dem Abendessen? Jetzt ist alles kalt!“
„Tut mir leid, Schatz. Da habe ich gar nicht dran gedacht.“ Frank ging in die Küche. Lydia folgte ihm. Frank sah sich suchend um: „Hier ist aber kein Essen ...“
„Nein, ich hab‘s ja auch weggeworfen. War ja kalt.“ Lydia drehte sich um und ging ins Wohnzimmer. Mit einem Blick erkannte Frank, dass hier heute nicht gekocht worden war. Wieso belog ihn seine Frau? Und woher war sie so gut informiert, wo er gewesen war? Frank beschloss jetzt ein für alle Mal die Sache zu klären. Lydia war schließlich seine Frau und das Verhalten der letzten Tage war doch nicht normal! Als Frank ins Wohnzimmer kam, telefonierte sie gerade.
Trotzdem bemerkte sie ihn sofort. „Ich muss Schluss machen, Frank steht neben mir.“ Damit legte sie auf. Obwohl sie sehr leise gesprochen hatte, verstand Frank doch genug.
„Wer war das?“ Vielleicht ließ sich so ein klärendes Gespräch beginnen. „Niemand.“ Frank sah Lydia verständnislos an. „Niemand? Aber es muss doch jema...“
„Hör zu Frank: Ich möchte von dir bitte nicht auch noch bei meinen Telefonaten kontrolliert werden. Du treibst dich die halbe Nacht irgendwo herum, informierst mich nicht und ich mache mir Sorgen um dich.“
Frank gab kleinlaut bei. „Ja, du hast Recht Schatz. Ich wollte mich ja auch nur bei dir entschuldigen. Die letzten Tage waren so, ... So.“ Er fand nicht die richtigen Worte. Ja, wie waren die letzten Tage gewesen? Lydia, die sich ihm Tag für Tag hingegeben hatte. Plötzlich und augenscheinlich ohne Motivation, wie in den ganzen Jahren zuvor nicht. Das ganze Theater um Dr. Schwenkers Postkarte, oder Postkarten, die plötzlich verschwanden oder weggeworfen wurden. Frank schwirrte der Kopf. Er setzte sich neben Lydia. ‚Ich muss ihr alles erzählen‘, dachte er. Lydia reinen Wein einschenken. Die ganze verrückte Geschichte Dr. Schwenkers erzählen und alles würde vermutlich wieder in Ordnung kommen. Verdammt, er wollte doch nichts anderes als seine Ruhe und seiner Arbeit nachgehen. Dr. Schwenker würde früher oder später wieder aus seinem Urlaub zurückkehren. Und am Jahresende nähme ihn Dr. Schwenker in sein Team auf. Neben der willkommenen Gehaltserhöhung wäre er auch aus dem Klinikalltag heraus.
Frank nahm Lydias Hand. „Ich muss dir einiges erklären, Lydia.“ Ja, zum Teufel mit Dr. Schwenkers Anweisung, niemandem etwas zu erzählen. Lydia war schließlich seine Frau. Wenn er ihr nicht vertraute, wem sollte er dann vertrauen!
Das Telefon klingelte. Lydia ließ es klingeln.
„Äh, Lydia, das Telefon...“
„Das ist jetzt nicht wichtig. Liebster. Du wolltest mir doch etwas erzählen. Das Klingeln hört gleich wieder auf.“
Das Klingeln hörte auf. Begann aber gleich nach einer kurzen Pause erneut.
„Vielleicht solltest du doch rangehen. Oder gib mir den Apparat.“ Frank wurde unruhig. „Vielleicht ist es ja etwas Wichtiges in der Klinik!“ Lydia nahm den Apparat. „Hallo. Ja, ich bin‘s, Lydia. Nein. Nein. Frank sitzt neben mir. Ja, Moment.“ Sie hielt mit einer Hand die Sprechmuschel zu und wandte sich zu Frank. „Du, es ist wichtig und persönlich. Ich komme gleich wieder. Schatz.“
Damit stand sie auf und ging in die Küche. Sorgsam schloss sie die Tür hinter sich. Frank fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Seit wann hatte Lydia Geheimnisse vor ihm? Persönlich. Wichtig. Das Zimmer begann sich um Frank zu drehen. Kannte er denn seine Frau überhaupt? All die Jahre des Zusammenlebens und jetzt dies? Ohne sich dessen bewusst zu werden, tappte er zur Küchentür. Aber durch das Schlüsselloch zu schauen, soweit ließ er sich nicht herab.
Vorsichtig, um ja kein Geräusch zu verursachen, legte er ein Ohr an das glatte Holz der Türe. Dumpf drang Lydias Stimme zu ihm: „N... Frank ... erzählen ... Was? Brie... marke ... eine? Wirklich ...ur eine? Hollän...“
Lydias Stimme wurde noch leiser. Jetzt konnte Frank nichts mehr verstehen. Aber das reichte auch. Wer mochte Lydia über seinen Aufenthalt bei Dr. Grander so detailliert informieren? Denn offensichtlich ging es ja um die eine holländische Briefmarke. Rudak setzte sich wieder auf die Couch. War es Dr. Grander selbst, der ausgerechnet Lydia anrief? Nein, das konnte sich Frank nicht vorstellen. Granders Ehefrau? Das schon eher. Aber warum? Was wurde hier gespielt?
‚Ich muss die Informationen auf dem Chip abrufen‘, dachte Frank. Das würde die einzige Möglichkeit sein, etwas mehr Licht in das Dunkel der Angelegenheit zu bringen. Aber dazu musste er ungestört sein. Also Lydia doch noch nichts erzählen? Franks Gedanken überschlugen sich. Er musste eine Gelegenheit abwarten, wenn Lydia nicht im Haus war, um den Inhalt des Computerchips näher zu untersuchen.
Die Küchentür klappte auf. Seine Frau kam mit wiegendem Schritt auf ihn zu. „So, Liebster. Das war nichts Wichtiges, nur eine Freundin. Was wolltest du mir denn eben erklären?“ Sie nahm seine Hand in ihre. Dann sah sie ihm tief in die Augen. „Erzähl‘ mir alles und dann lass uns ein wenig ...“ Sie kicherte.
Auch das hatte Frank an ihr noch nicht erlebt. Lydia kicherte wie ein kleines Mädchen. Dann gab sie ihm einen Kuss. „Also, los jetzt.“
Frank sah sie an. „Ja, alles erzählen. - Hmm. Also, ich habe Dr. Grander getroffen und der hatte mir von seinen Briefmarken erzählt. Und da ich auch schon einmal Briefmarken gesammelt habe, interessierte mich das natürlich. Und da, da... ja, da du und ich ja wohl Streit hatten, wollte ich mich etwas ablenken und bin mit zu Dr. Grander gegangen. Der wollte nämlich, dass ich direkt mit zu ihm kommen sollte ...“
Frank glaubte seinem Gestottere selbst nicht. Aber er konnte Lydia jetzt auf keinen Fall die Wahrheit sagen. Später vielleicht. Erst musste er die Informationen auf dem Chip abfragen.
Lydia sah in zweifelnd an. „Frank, ist das wirklich alles? Das klingt so ...“ Sie ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.
Ja sicher, das musste er zugeben, es klang ja auch so ...
Lydias Tonfall wurde leise und gequetscht. „Frank, du willst mich doch jetzt nicht für dumm verkaufen? Also, entweder du erzählst mir jetzt die Wahrheit oder ...“ Auch diesen Satz ließ sie unausgesprochen. Oder was?
„Oder?“
Frank hatte dieses ‚Oder‘ wider besseren Wissens doch ausgesprochen. Im gleichen Moment spürte er, das der Streit unausweichlich kommen würde.
„Frank, mein Liebster, wir sind doch verheiratet. Willst du deiner Frau denn nicht die Wahrheit sagen?“ Noch nahm Lydia sich arg zusammen. Ja, sie hielt auch weiterhin seine Hand und drückte diese leicht. „Frank, sei vernünftig.“
Frank schüttelte den Kopf. Dabei vermied er es, seine Frau anzusehen. „Aber es gibt nichts weiter zu erzählen. Lydia glaube mir!“ Lydia ließ seine Hand los. Ja, sie ließ die Hand nicht nur los, sie schleuderte sie förmlich von sich. Ihr Gesicht verzog sich. „Soweit ist es also mit dir! Wie soll ich dir das denn glauben? Aber nicht mit mir!“
Jetzt schrie sie fast. Lydia hatte sich kaum noch unter Kontrolle. „Ich werde heute Nacht bei einer Freundin schlafen! Du kannst dann mal darüber nachdenken, ob du mir nicht doch lieber die Wahrheit erzählen solltest. Und morgen sprechen wir dann noch einmal miteinander!“
Lydia war jetzt richtig wütend. Aber warum? Sie konnte doch unmöglich die Wahrheit kennen. Oder ahnte sie etwas? Der Telefonanruf. Dieses merkwürdige Verhalten. Aber würde sie ihm nicht eher helfen und auch dieses Mysterium aufgeklärt wissen wollen, sie seine Ehefrau?
Frank war hin- und hergerissen. In seinem Kopf drehte sich wieder alles. Es war doch eigentlich nichts passiert? Oder? Er wollte sich ein paar Worte zurechtlegen und stammelte schließlich: „Lydia, also hör‘ mal, ich...“ Frank sah auf. Da war keine Lydia mehr und im gleichen Moment hörte er die Haustüre zuschlagen. Lydia war einfach gegangen. So hatte sie sich noch nie betragen. Frank fuhr sich durch die Haare. Entgegen seiner Gewohnheit goss er sich zunächst einmal einen großen Cognac ein. Jetzt musste er wieder einen klaren Kopf bekommen!
Den klaren Kopf bekam er schließlich, nachdem er ihn einfach unter kaltes Wasser gehalten hatte. Zwar war es bei dem einen Cognac geblieben, aber der half nicht wirklich. Jetzt, mit nassen Haaren, sah ihm sein Gesicht aus dem Spiegel entgegen und Franks Gedanken ordneten sich langsam. Sicher, Lydia hatte sich merkwürdig verhalten. Aber wenn er einmal die Vergangenheit betrachtete, so fiel ihm doch auf, dass seine Frau immer schon äußerst gereizt und merkwürdig reagiert hatte, wenn sie ihren Willen nicht bekam. Frank war dem immer aus dem Weg gegangen, indem er ständig nach Lydias Willen gehandelt hatte. Dadurch war es niemals zu solch einem Eklat gekommen.
Er erinnerte sich noch an den Tag, als er von der Uni Klinik Berlin Antwort bekommen hatte. Damals sah er keine Chance, hier jemals in der Kinderabteilung des Krankenhauses in Frankfurt angestellt zu werden und folglich bewarb er sich in Berlin. Mit Lydia redete er zunächst nicht darüber, eine Absage wollte er ihr dann lieber nicht beichten müssen. Aber jetzt, da er quasi eine Zusage bekommen hatte und der Vorstellungstermin feststand, wollte er seine Freude unbedingt mit Lydia teilen. Frank kam ins Schwärmen. Arbeiten an der berühmten Charité. Vielleicht in der Kinderchirurgie oder in der Geburtsmedizin. Beide Abteilungen betrieben selbständige Forschungsprojekte und Frank sah sich schon als Professor in leitender Stellung.
Der Zeitpunkt mit Lydia zu reden war auch günstig, denn Lydia kam gut gelaunt vom Einkauf zurück und präsentierte ihm stolz neue Kleider, Röcke und Schuhe. Während sie den Champagner genossen, den sie mitgebracht hatte, sah Frank ihr tief in die Augen.
„Liebling, wir haben die Chance nach Berlin zu gehen.“ So, jetzt war es raus. Bestimmt würde Lydia sich freuen, denn sie hatte immer schon einmal von Berlin geschwärmt. Früher, bevor sie ihn kennengelernt hatte, war sie wohl des Öfteren in der Hauptstadt gewesen.
„Lydia, ich kann an der Uni Klinik in Berlin eine Stelle in der Kinderabteilung bekommen. Naja, zumindest habe ich einen Vorstellungstermin“, schwächte er dann ab.
Lydia sah ihn entgeistert an. „Jetzt aus Frankfurt fortziehen? Wie stellst du dir das denn eigentlich vor?“ Ihre Stimmung schlug von einem Moment zum anderen um. „Wir wollen uns das Reihenhaus kaufen, du hast eine gute Arbeit und wirst bestimmt bald befördert... Willst du deine Position in der Klinik aufgeben?“
„Welche Position? Ich wollte immer in die Kinderabteilung und auch gegebenenfalls in die Forschung. Außerdem kann ich in Berlin genauso gut an meiner Professur arbeiten, wie hier.“
Lydia warf das Sektglas auf den Boden, wo es klirrend in tausend Stücke zersprang. „Du hättest das mit mir absprechen müssen, mein Lieber! Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen! Hier geht es auch um mein Leben!“ Dann rannte sie aus der Wohnung und schlug die Tür laut hinter sich zu.
Genau wie jetzt auch. Natürlich hatten sie dann das Reihenhaus in Frankfurt Fechenheim gekauft. Er und Lydia versöhnten sich nach ihrer Rückkehr und überraschenderweise wurde einige Zeit darauf eine Stelle in der Kinderabteilung der Klinik frei. Frank arbeitete sich auf der Station rasch ein und war recht zufrieden. Und er lernte Dr. Schwenker kennen, der ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit die Möglichkeit in einigen Jahren in die Forschungsabteilung zu kommen, eröffnete. Alles lief bestens. Berlin erwähnte er nie wieder.
Frank blickte wieder in den Spiegel. Der Chip. Zunächst musste er die Karte finden, die Schwenker ihm damals gegeben hatte. Sorgfältig trocknete Frank sich ab. Dann begab er sich in sein Arbeitszimmer. Er hatte die Karte damals nach der Beerdigung versteckt. Nein, nicht einfach in eine Schublade gelegt, sondern da versteckt, wo er und nur er die Karte auch wiederfinden würde. Vorsichtig tastete er die Bretter der Dachschräge ab, bis er in der Ecke auf das lose Brett stieß. Mit leichtem Druck schob er es zur Seite. Die Karte war noch da. Sorgsam verpackt in Plastikfolie, lag sie noch in dem kleinen Hohlraum hinter dem Brett.
Frank nahm die Karte und schloss sein Versteck wieder. Dann setzte er sich an seinen kleinen Schreibtisch und öffnete vorsichtig die Folie. Es handelte sich um eine einfache Plastikkarte, wie sie früher üblich waren. Lediglich an der Stelle, wo sonst der Chip eingesetzt war, hatte Dr. Schwenker eine quadratische Vertiefung gelassen, die an einer Seite ein wenig abgeschrägt war. Frank holte seine Brieftasche und nahm den Chip vorsichtig heraus. Mit leichtem Druck ließ der sich in die Vertiefung einsetzen.
Frank schaltete seinen Computer an. Da der Schreibtisch nicht allzu groß war, befand sich der Rechner links vom Tisch, lediglich der Bildschirm stand vor ihm. Die Tastatur lag auf dem Rechner und während er sie anhob, um sie auf den Tisch zu stellen, blieb er am Kabel für das Internet hängen. ‚Hmm, vielleicht trenne ich lieber die Verbindung‘, dachte er und zog den Stecker aus dem Rechner. Frank war mit der Technik aufgewachsen und traute trotz aller Schutzprogramme dem Internet immer noch nicht. Obwohl die Sicherheitsmaßnahmen in den letzten Jahren nahezu perfekt geworden sein sollten und das Thema ‚Internetsicherheit‘ in der Öffentlichkeit keine Erwähnung mehr fand, war er persönlich immer noch ein wenig skeptisch.
‚Lieber bei so brisanten Aktionen alle Risiken ausschließen‘, dachte er. Jetzt fehlte noch das Lesegerät für die Karte. Frank hatte das Gerät früher einmal günstig erworben, zusammen mit anderen Sachen in einem sogenannten ‚Bundle‘, es aber niemals benutzt. Hoffentlich war es noch auffindbar und nicht bei einer Aufräumaktion in den Müll geworfen worden.
Aber Frank konnte sich auch nur schwer von den Dingen trennen und schließlich fand er das Lesegerät in einem Karton mit anderem Computerschrott. ‚Na, ob das noch funktioniert ...‘, dachte er skeptisch, schloss dann aber den Kartenleser an seinem Computer an und schob die Chipkarte vorsichtig ein.
Kaum lag die Karte korrekt im Lesegerät, da erschien auch schon ein Bild auf dem Monitor. Frank legte das Lesegerät auf den Schreibtischrand und konnte gerade noch erkennen, wie es langsam abrutschte und von dort hinter den Rechner fiel. Das Anschlusskabel war wohl doch etwas zu kurz gewesen. Na, jedenfalls lief das Gerät noch und Frank war jetzt auch zu neugierig, als dass er das Lesegerät hinter dem Rechner wieder hervorkramen würde.
Er betrachtete das Bild am Monitor näher. In bunten Buchstaben auf einem grellbunten Bild standen dort die Worte ‚Die Waldabenteuer von Bing Bom und Dul Drein‘. Das war ein Computerspiel. Oder noch schlimmer: ein Computerspiel für Kinder. Frank wischte sich über die Augen. Wollte Dr. Schwenker ihn verarschen? Solch ein Riesenaufwand für ein Kinder - Computerspiel?
Frank hatte nie viel für Computerspiele übrig gehabt. Und auch, wenn die Entwicklung der Spiele bis hin zu interaktiven Holografiespielen, den sogenannten ‚IAHG‘, in denen man Tage verbringen konnte, gelangt war, sein Interesse hatte immer anderen Dingen gegolten. Aber das hier jetzt: Ein offensichtlich dilettantisch gemachtes, zweidimensionales Kinderspiel, das eher an die Gründerzeit der Computer erinnerte, als an das Zeitalter des High Tech. „Mein lieber Freund, ich glaube du willst dir einen Riesenjux mit uns erlauben“, schalt er seinen Vorgesetzten Dr. Schwenker im Selbstgespräch.
„Du sitzt jetzt auf deiner Segelyacht und lachst über uns Idioten, die wir auf deine Spielchen hereingefallen sind. Dr. Schwenker, nicht mit mir!“ Frank war sauer. Hatte er nichts Besseres zu tun, als hier Dr. Schwenkers Spielchen zu spielen? Er griff zum Schalter. Einfach ausschalten und dann lieber ein gutes Buch lesen!
„Was ist mit Dr. Schwenker, Liebster?“ Zuckersüß klang es von der Türe her. Lydia stand im Rahmen. Offensichtlich hatte sie sich beruhigt und war nach Hause zurückgekommen. Aber musste sie sich immer so anschleichen? Frank atmete tief durch. Junge, hatte sie ihn erschreckt.
„Lydia, du hast mich aber erschreckt. Seit wann bist du wieder hier?“
Und wie viel hatte sie von seinen Selbstgesprächen mitbekommen?
„Gerade auf die Minute, Liebster. Es tut mir leid, ich habe einfach sauer reagiert. Es ging mir alles noch einmal durch den Kopf, vielleicht war ich ja doch etwas zu aufgeregt. Kannst du mir noch einmal verzeihen?“ Damit kam sie näher und blickte auf den Bildschirm. „Ist das Dr. Schwenkers Spielchen, von dem du eben sprachst?“
Frank improvisierte und wie von selbst kam die Ausrede über seine Lippen. Es wunderte ihn selbst, wie einfach ihm das fiel. „Nein, ich meinte, dass Dr. Schwenker einmal erwähnt hatte, dass dieses Spiel sehr interessant sein sollte, darum habe ich es mir aus dem Internet heruntergeladen.“ Frank bezweifelte selbst, dass Lydia ihm das glauben würde.
„Ein Kinderspiel? Ich denke, du machst dir nichts aus Computerspielen? Und schon gar nicht aus solch einem Schrott.“
Frank wollte den Rechner jetzt endlich abschalten.
„Nein, mein Schatz, nicht abschalten“, Lydia hielt seine Hand fest. „Lass uns doch mal in das Spiel von Dr. Schwenker reinschauen.“ Damit drückte sie die Starttaste. Lydia kannte offensichtlich von Computerspielen wesentlich mehr als er. Geschickt bewegte sie eine behäbige Bärenfigur durch einen bunten Wald. Frank fiel ein Wort ein, dass sie während des Studium mehr als häufig benutzt hatten: grottenschlecht. Ja, das Spiel war einfach unmöglich.
„Komm, Lydia, lass es sein. Das Spiel ist schlecht und uninteressant. Erzähl‘ mir lieber, wo du gewesen bist.“ Lydia würde ihm seinen Lebtag nicht erzählen, wo sie vorhin gewesen war, aber Frank hatte von diesem miesen Spiel die Nase voll. Jetzt ein gutes Glas Wein, vielleicht eine Kleinigkeit zu essen und dann mit Lydia ... Es gab doch eigentlich nichts Schöneres als Versöhnungssex, oder?
Ein metallischer Ton drang aus dem kleinen Lautsprecher am Monitor. Am Bildschirm erschien ein Eingabefeld: ‚Du hast das erste Rätsel gefunden. Gib den Zugangscode ein und sammle Bärenpunkte‘, stand da in bunter Schrift, jeder Buchstabe hatte eine andere Farbe. Lydia tippte einige Zahlen ein. ‚Falsch, falsch, falsch‘, in Sprechblasen stieß der jetzt tanzende Bär die Worte aus. Frank sah entgeistert auf den Bildschirm. Das miese Computerspiel an sich war ja schon ausreichend, ihm die Laune zu verhageln, aber was er auf den Tod nicht ausstehen konnte, waren Comics mit sinnlos brabbelnden Sprechblasenjongleuren.
Lydia schien das nicht zu stören. Sie versuchte es erneut. Wieder tanzte der Bär. Erneut versuchte sie den richtigen Code einzugeben.
Frank hatte genug. Sollte Lydia sich doch alleine amüsieren. Er stand auf. In diesem Moment knackte es empfindlich im Lautsprecher und der Bildschirm färbte sich komplett rot. In weißer Schrift erschien der Satz: ‚Spiel verloren - ENDE‘. Dann ging gar nichts mehr.
Lydia war enttäuscht. „Na, das ist ja vielleicht ein Mistspiel, mein Lieber. Sonst meidest du Computerspiele wie der Teufel das Weihwasser, und jetzt so ein Schrott. Frank, du verwunderst mich immer wieder.“ Wütend sprang sie auf.
Frank schaltete den Rechner ab. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es weit nach Mitternacht war. „Komm, Lydia, lass uns schlafen gehen. Es ist schon spät. Gut, dass ich morgen - nein heute - nicht zur Arbeit muss.“
Er hatte Glück. Obwohl Lydia wieder wütend war, musste er die Nacht diesmal nicht auf der Couch verbringen. Frank schwor sich, am Wochenende lieb und zuvorkommend zu Lydia zu sein. Der ganze Ärger wegen eines dummen Computerspiels. Langsam senkte sich der Schlaf über ihn.
Es wurde eine unruhige Nacht. Neben tanzenden Bären erschien das Gesicht Dr. Schwenkers immer wieder und rief ‚falsch, falsch, falsch‘. Dabei blubberten Sprechblasen aus seinem Mund und zerplatzten anschließend, um rote Farbe zu verspritzen. Frank schreckte schweißgebadet auf. Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch die Ritzen der Rollladen und verbreiteten ein diffuses Licht im Schlafzimmer. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte kurz nach sieben Uhr. Heute würde er sich mit Lydia endgültig wieder versöhnen. Frank war sich ganz sicher. Wohlig streckte er sich unter der warmen Decke aus. Sollte er Lydia jetzt schon aufwecken? Vielleicht ganz leise unter ihre Decke schlüpfen? Frank malte sich aus, wie er Lydia mit zärtlichen Küssen wecken würde. Er würde mit seinen Händen zärtlich ... Vorsichtig drehte er sich um. Aber da war keine Lydia. Frank wischte sich über die Augen. Nein, wirklich, niemand. Lydia musste schon aufgestanden sein. Also war sie immer noch böse auf ihn. Sehr böse?
Dr. Frank Rudak überlegte. Sollte er nicht einfach jetzt im Bett liegen bleiben und vielleicht noch einmal einschlafen? Oder lieber doch aufstehen und den Kampf - oder die Versöhnung - mit Lydia aufnehmen? Frank entschloss sich für das Zweite.
Nachdem er sich gewaschen hatte, machte er sich auf die Suche nach seiner Frau. In der Küche fand er sie nicht, auch nicht im Wintergarten. War Lydia etwa schon wieder weggegangen? Und das ohne ihm Bescheid zu sagen?
Ohne viel Lärm zu machen, stieg er die Treppe zu seinem Arbeitszimmer hoch. Ja, Lydia musste in seinem ‚Büro‘ sitzen, es drang Licht und leises Fluchen aus dem Raum. Frank, immer noch im Schlafanzug, betrat den Raum. Lydia hatte ihn nicht kommen hören, und jetzt blickte er ihr über die Schulter. ‚System wird formatiert‘ stand da in großen Buchstaben auf dem Bildschirm. Was hatte seine Frau denn jetzt angerichtet?
„Morgen, Lydia.“ Sie hatte sich überraschend gut in der Gewalt. Wenn er sie erschreckt hatte, so zeigte sie es nicht. Keine Regung.
„Morgen Frank.“ Lydia drehte sich nicht einmal um. „Äh, Lydia, wärst du so nett, mir zu erklären, was du da tust? An meinem Rechner?“ Frank war sauer. Wichtige Daten, Protokolle und Unterlagen würden jetzt verloren sein, wenn Lydia die Festplatte des Computers einfach so gelöscht hatte. Es schien fast, als wüsste seine Frau, was sie da angerichtet hatte, denn jetzt klang ihre Antwort doch etwas kleinlaut.
„Dieses doofe Spiel, Frank. Ich habe es einfach nicht lösen können. Dann dachte ich, dass es ein Virus ist, denn immer wenn ich den Rechner gestartet habe, war das Spiel direkt da. Das ist doch nicht normal. Außerdem hatte ich keine Verbindung mehr mit dem Internet.“ Jetzt drehte Lydia sich auf dem Stuhl um und sah ihn mit großen Kinderaugen an. Das kannte er bei ihr doch gar nicht.
„Sei jetzt nicht böse Schatz, aber ich musste den Rechner löschen, denn vielleicht war es ja doch ein Virus und dann wären deine schönen Daten alle zerstört gewesen!“
„Lydia - jetzt sind meine Daten alle nicht zerstört, sondern gelöscht.“
Frank ließ sich nicht so einfach beschwichtigen. „Wer gibt dir denn das Recht, einfach an meinen Rechner zu gehen und Daten zu löschen? Du hättest doch erst einmal mit mir reden müssen!“
Lydia wollte die Arme um ihn legen, aber Frank entzog sich. „Ja, aber dieses blöde Spiel. Ich habe es nicht lösen können und jetzt ist es gelöscht. Jetzt ist Ruhe.“
Frank wunderte sich über sich selbst. Er steigerte sich jetzt immer mehr in seine Wut hinein. So einfach wollte er es Lydia nun auch nicht machen. „Und ich habe jetzt den ganzen Tag wieder zu tun, den Rechner neu einzurichten. Oder machst du das auch, liebste Lydia? Außerdem sind Protokolle und wichtige Unterlagen unwiederbringlich verloren. Das bedeutet Arbeit für mich. Also herzlichsten Dank, liebe Frau!“
Frank schrie sie jetzt regelrecht an.
„Schrei mich nicht so an. Wenn du keine Sicherung von deinen Daten machst, bist du selbst schuld. Dann musst du nicht irgendwelche blöden Spiele mit Viren aus dem Internet herunterladen! Du bist schuld, nicht ich.“ Lydia war mittlerweile aufgestanden und schrie ihn jetzt nach Strich und Faden an. Dann stampfte sie mit dem Fuß auf.
„Du machst unsere Ehe kaputt. Ich werde dieses Wochenende bei einer Freundin verbringen, dann hast du Zeit über den Mist nachzudenken, den du hier fabrizierst! Und dann erwarte ich eine Entschuldigung von dir. Du suchst doch nur einen Prügelknaben für den Mist, den du produzierst!“ Lydia stieß ihn zur Seite und rannte fast aus dem Zimmer. Dann hörte er sie kurz im Schlafzimmer rumoren und kurz darauf schlug die Haustür mit einem Krachen zu.
Frank war wie vor den Kopf geschlagen. Was war mit Lydia los? Erschöpft ließ er sich auf den Stuhl fallen und fuhr sich durch den dichten Vollbart. Hatte Lydia einen Liebhaber? Ihr Verhalten in letzter Zeit gab ihm Rätsel auf. Wollte sie den Streit, suchte sie einen Grund, ihn zu verlassen? In Gedanken schaltete Frank den Rechner ab. Leicht schwankend begab er sich auf den Weg ins Schlafzimmer, um sich erst einmal anzuziehen. Im Schlafanzug machte er eine doch recht lächerliche Figur.