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Um die Tour zu ärgern – die DDR verschiebt die Friedensfahrt 1987
ОглавлениеDie Tour und die Politik – das will auf den ersten Blick nicht so wirklich zusammenpassen. Anders als bei Fußballweltmeisterschaften oder Olympischen Spielen wird das Spektakel auch deutlich weniger als Plattform für politische Auseinandersetzungen benutzt, mit Ausnahme vielleicht in der weltweiten Anti-Doping-Diskussion. Es gab aber einen Fall, da griff die Tour direkt in die Politik ein. Kurioserweise in die der DDR. 1987, Grand Départ in West-Berlin. Der Auftakt des bedeutendsten Radrennens der Welt wurde pünktlich zum 750-Jahr-Jubiläum der geteilten Stadt nach Berlin vergeben, trotz aller Hindernisse, die es damals noch gab. Den Machern der Tour war klar, dass sie nach dem Prolog und den beiden Etappen in Berlin-West die Reise zum nächsten Etappenstart nach Karlsruhe mit dem Flugzeug würden antreten müssen. Die DDR verweigerte dem Tross die Durchfahrt. Überhaupt war man im Osten alles andere als erfreut über das westliche Spektakel im Jubiläumsjahr Berlins, das ja auch die DDR in ihrer Hauptstadt groß feiern wollte. Manfred Ewald, der höchste Sportfunktionär der DDR, gab empört zu Protokoll, die Tour de France sei der Versuch „gewisser reaktionärer westlicher Kreise, durch große Manifestationen in West-Berlin den Wert der 750-Jahr-Feier in Berlin als Hauptstadt der DDR herabzumindern.“ Und so schaute man aus dem Osten pikiert auf den Aufzug der Profiradler im Westteil der Stadt. Und dann wurde es kurios: Ewald gelang es, die ursprüngliche Streckenführung der Friedensfahrt zu verändern. So startete das Amateur-Pendant zur Tour nicht wie geplant in Warschau, sondern ebenfalls in Berlin. Frei nach dem Motto: Was ihr könnt, können wir schon lange! 5.000 Tauben stiegen in den Himmel, die SED wies ihre lokalen Funktionäre an, „50.000 Bürger Berlins für jede der Hauptveranstaltungen zum Spalier für die Gesamtstreckenführung zu gewinnen.“ Es sollte ja auch nach etwas aussehen; wobei man da eigentlich keine Angst haben musste. Die Friedensfahrt war sehr populär in der DDR.
Die französischen Tour-de-France-Profis kratzen 1987 sehr zum Ärger der DDR-Oberen symbolisch an der Berliner Mauer.
Als die Tour dann schließlich Ende Juni nach Berlin anreiste, wurde fast alles zum Politikum. „Kalter Krieg auf Rädern“, schrieb Der Tagesspiegel. Und als der US-Profi Andrew Hampsten beim Training aus Versehen die Grenzlinie am Kontrollpunkt Staaken überfuhr, wurde es kurz kritisch. Aber die Aufregung legte sich wieder, und als beim Prolog am 1. Juli auf dem Kurfürstendamm der in die Jahre gekommene Dietrich Thurau als Sechster noch einmal auf sich aufmerksam machte, war die Stimmung blendend. Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen sah sich bestätigt, die drei Millionen Mark für die Tour gut investiert zu haben. Und der heutige Tourchef Christian Prudhomme ist sich sicher, dass die Tour de France in Berlin auch ein paar zarte Risse in die Mauer gerüttelt hat, die nur zwei Jahre später fallen sollte. Am Ende übertrugen mehr als 140 TV-Sender das Spektakel live in 60 Länder. Berlin zeigte, dass man auch auf einer Insel Radrennen fahren kann. Danach verließ der Tross die isolierte Stadt per Flugzeug Richtung Südwest.