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New York, Mittwoch, 14. Juli 1993

Der Gast von Zimmer 514 sah aus wie ein Dandy, der seiner Zeit hinterherläuft. Im Jackett seines cremefarbenen Leinenanzuges steckte ein weinrotes Ziertuch, dazu trug er ein weißes Poloshirt und bordeauxfarbene Mokassins mit weißen Laschen. Nicht nur wegen seiner stattlichen Größe wirkte er so, als blicke er auf die übrigen Hotelgäste herab, denn sein Gesichtsausdruck hatte etwas Hochmütiges. In Wahrheit versuchte er jedoch an diesem Morgen eine zunehmende Unsicherheit zu verbergen; ja sogar eine wachsende Angst vor dem, was ihn erwartete.

An der Rezeption warf er den schweren Messingschlüssel auf den Tresen, legte flüchtig die Fingerspitzen an seinen Panamahut und stakste mit einem Spazierstöckchen durch das von Orchideenduft erfüllte Foyer des Plaza Hotels. Als er ins Freie trat, schlug ihm die größte Hitzewelle seit Menschengedenken entgegen.

Die New Yorker hatten den Sommer herbeigesehnt, denn der Winter war eisig und lang gewesen. Doch nun dampfte in den Straßenschluchten von Manhattan seit zwei Wochen feuchtheiße Luft wie in einer Großwäscherei. Nachts fand kaum jemand Schlaf, weder die Reichen in ihren Apartments in der Park Avenue noch die Armen unter der Brooklyn Bridge.

Bei laufendem Fernsehgerät hatte der Mann im Zimmer 514 halbwach auf dem breiten Bett gelegen, während über ihm die alte Klimaanlage ächzend nach Luft rang. Die morgendlichen Nachrichtensendungen brachten nichts Neues: Präsident Bill Clinton erwartete einen Besuch des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Notenbankchef Alan Greenspan sorgte sich wegen einer drohenden Inflation. An der Wall Street fielen seit Tagen die Kurse. Und der Wettermann von Eyewitness News prophezeite für den kommenden Tag Höchsttemperaturen von umgerechnet 40 Grad Celsius bei 97 Prozent Luftfeuchtigkeit!

»Taxi, Sir?«

Der Portier winkte schon einen der wartenden Wagen herbei, aber dieser Hotelgast wollte trotz der Hitze lieber zu Fuß gehen. Er hatte es nicht weit. Er lief an den Pferdedroschken vorüber, die um diese Zeit am Central Park South vergeblich auf Touristen warteten, und weiter über die Sechste und Siebente Avenue. Auf seinem frischen Hemd zeichneten sich bald Schweißflecken ab. Nach zehn Minuten betrat er eine ebenso teure wie diskrete Privatklinik in einem Hochhaus am Columbus Circle. »Manhattan Brain Clinic« stand auf einem blanken Messingschild des Instituts für Gehirnforschung.

Wie immer in den letzten Tagen begrüßte ihn die Empfangsdame mit devoter Neugier.

»Hello, Sir, how are you this morning?«, sagte ihr scharfkantig geschminkter Mund.

Der Mann aus dem Plaza Hotel antwortete mit einem wortlosen Nicken.

Er muss eine wichtige Persönlichkeit sein, dachte sie, denn ihn umgab die Aura der Erfolgreichen und der Einflussreichen. Und sie wusste auch, dass er auf höchste Empfehlung des Pentagon gekommen war.

Für diesen Morgen war seine Spezialbehandlung bereits sorgfältig vorbereitet worden. Den Fachärzten und Therapeuten hatte der Patient bei den Vorgesprächen sein Problem nur vage erklärt: Er müsse sich unbedingt an gewisse Geschehnisse erinnern können, die vor langer Zeit aus seinem Gedächtnis und aus seinem Leben gelöscht worden seien. Ein unerwartetes, schicksalhaftes Ereignis habe ihn gerade jetzt veranlasst, ihr Institut aufzusuchen ...

»Sie müssen uns schon ein wenig mehr anvertrauen. Wir brauchen so viele Angaben wie möglich als Ausgangsmaterial für unsere Arbeit mit Ihnen – für unsere Arbeit mit Ihrem Gehirn, genauer gesagt.« Was denn das für ein Ereignis gewesen sei?, wollte der Therapeut wissen.

»In Norddeutschland ist vor neun Tagen das Wrack eines abgestürzten Bombers der US Air Force aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden worden«, hatte der elegante Herr schließlich geantwortet. »In den Zeitungen steht, dass das Schicksal der Besatzung bis heute ungeklärt ist.«

Seither werde er nachts von Albträumen und tagsüber von furchtbaren Fantasien verfolgt. »Denn es könnte sein, dass ich der Pilot dieser Unglücksmaschine gewesen bin.« Mit Sicherheit wisse er allerdings nur, dass er einen Bomber dieses Typs geflogen habe. Und dass er Ende April 1945 von England aus zu einem Feindflug nach Deutschland gestartet sei. »Wahrscheinlich sind wir abgeschossen worden, aber was dann genau geschehen ist, in der Luft oder am Boden, das weiß ich nicht. In der Zeit vor und nach Kriegsende bin ich wochenlang ohne Bewusstsein gewesen, als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas, wie man mir erklärt hat.«

Er sei dann in einem amerikanischen Militärhospital in der Stadt Bremerhaven aus dem Koma erwacht. »Man konnte mir nur sagen, dass ich dort in den Wirren der ersten Nachkriegstage von unseren britischen Alliierten als amerikanischer Flieger mit Namen Mandell eingeliefert worden bin.«

Das war alles, was man über ihn gewusst habe. Sein Dogtag, die Erkennungsmarke der Air Force mit den wichtigsten Personendaten, sei verschwunden gewesen. Seine Maschine und seine Fliegerkameraden waren verschollen.

»Ich muss wissen, was damals geschehen ist – und auch, warum ich offenbar als Einziger meiner Besatzung überlebt habe.«

Deshalb wolle er sein Gedächtnis mit allen Mitteln der neuesten ärztlichen Kunst reanimieren lassen. Wie er gehört habe, seien die Koryphäen des New Yorker Gehirn-Instituts bei ähnlichen Fällen im Auftrag der CIA und des Pentagon schon erfolgreich gewesen. Die Höhe des Honorars, so fügte er noch hinzu, spiele in seinem Fall übrigens keine Rolle. Er werde äußerst großzügig sein.

Gegen neun Uhr lag der Mann aus dem Plaza Hotel an diesem heißen Julitag hinter geschlossenen Jalousien in einem wohltemperierten Behandlungsraum. Er trug Boxershorts. Sonst nichts.

Bei einer Größe von 1,84 Metern und 79 Kilo Gewicht hatte er die sehnige Figur eines in die Jahre gekommenen Langstreckenläufers. Eine schmale Nase betonte sein längliches Gesicht. Sein Brustkorb, seine Arme und Beine waren auf einem Spezialbett angeschnallt. Über seinen frisch rasierten Schädel hatte man eine Kappe aus hauchdünnem Latex gestülpt. Daran waren Dutzende verschiedenfarbiger Saugnäpfe und Elektroden zur Stimulierung bestimmter Gehirnregionen angeschlossen, auch über der auffälligen Narbe oberhalb der linken Schläfe.

Eine hufeisenförmige Magnetgabel fuhr in dichtem Abstand über seiner Schädeldecke hin und her. Eine Infusionslösung tropfte in die Vene in seiner linken Armbeuge. Hinter seinem Kopf flimmerten farbige Linien, Wellen und Punkte auf drei Monitoren. Ein Neurologe überwachte seine Gehirnfunktion. Ein Kardiologe kümmerte sich um Herzschlag und Blutdruck. Ein Psychotherapeut bereitete sich mit einem vorbereiteten Dossier konzentriert auf seine Arbeit vor.

Durch eine Plexiglasmaske wurde ihm ein LSD-haltiges Gasgemisch in Mund und Nase getrichtert. Nach wenigen Minuten schien der Patient in eine Art Trance zu fallen. Sein verschwommener Blick fiel auf einen Bildschirm, der von der Decke hing. Dort lief nun ein Film ab, der speziell für die Behandlung dieses Patienten zusammengeschnitten worden war. Gezeigt wurden Dokumentaraufnahmen und Ausschnitte aus Hollywood-Kriegsfilmen: wie amerikanische Bomber im Zweiten Weltkrieg deutsche Städte angriffen; wie sie ihre tödlichen Lasten abwarfen; wie unter ihnen Industrieanlagen und Wohnviertel in Flammen aufgingen; wie Menschen in einer Feuerwalze verbrannten; wie Maschinen abgeschossen wurden und Besatzungen verzweifelt um ihr Leben kämpften. Fallschirme öffneten sich nicht. Brennende Flugzeuge stürzten der Erde entgegen ...

Die Gesichtszüge des Mannes auf dem Behandlungsbett verkrampften sich. Er verdrehte die Augen, stöhnte und schrie. Seine Glieder zerrten immer wieder an den Fesseln, bis die die Vorführung endlich vorüber war. Nur allmählich beruhigte er sich wieder. Erst als sich auch die Anzeigen auf den Überwachungsmonitoren normalisiert hatten, begann der Psychotherapeut vorsichtig damit, seine Fragen zu stellen.

Er lenkte die Gedanken des Patienten auf einen bestimmten Tag vor mehr als einem halben Jahrhundert, auf den Abend des Tages, an dem sein Erinnerungsvermögen verloren gegangen war. Nach einem vorsichtigen Abtasten wurden die Fragen konkreter:

»Wissen Sie noch, wo Sie am Morgen dieses Tages gewesen sind?«

»Irgendwo im Süden von England.«

»Können Sie sich an einen Ortsnamen erinnern?«

»Nein ..., doch ... Der Ort heißt Sudbury in der Grafschaft Suffolk.«

»Sehr gut. Danke. Und was machen Sie in Sudbury?«

»Ich bin hier mit meinem Geschwader stationiert.«

»Wie heißt dieses Geschwader ...?«

»Das ..., das weiß ich nicht mehr genau. Aber wir gehören zur 486. Bombardment Group der Achten U.S. Air Force.«

»... und welche Funktion haben Sie persönlich?«

»Ich bin Pilot eines B-17-Bombers. Zu meiner Besatzung gehören neun Männer.

»Wie ist ihr Name?«

»Man ... dell ... Paul Ferdinand Mandell.«

»Wie werden Sie von Ihren Freunden genannt?«

»Paul.«

»Danke, Paul.«

»Welchen Dienstrang haben Sie?«

»Captain.«

»Wie alt sind Sie, Captain Mandell?«

»Zweiundzwanzig. Ich bin einer der jüngsten Bomberpiloten der U.S. Air Force.«

»Hatte Ihre Maschine eine besondere Bezeichnung, einen bestimmten Namen?«

»Ja, wir haben sie vor unserem Abflug zum Krieg nach Europa ›Pride of New York‹ getauft. Die meisten meiner Leute stammen aus New York oder Umgebung.«

»Danke, Captain Mandell. Bitte erzählen Sie uns nun, was an diesem 16. April des Jahres 1945 geschehen ist ...«

Ein halbes Jahrhundert später erinnerte sich der Patient in der New Yorker Gehirnklinik, was er damals erlebt und empfunden hat – an jenem Montag am Himmel über Hamburg. Erst verwaschen und leise, dann deutlicher und immer flüssiger begann der dünne Mann mit der Narbe zu sprechen. Zufrieden registrierten die Ärzte, wie er in das abgrundtiefe Loch seiner verlorenen Erinnerung eintauchte.

Wie eine Spinne baumelte ein kleines Mikrofon von der Decke herab. Ein Tonbandgerät zeichnete drei Stunden und siebzehn Minuten lang seine Aussagen und Äußerungen auf. Jeden Laut, jede Silbe, jedes Wort, jeden Satz. Jedes Zögern und jedes Stöhnen. Und jeden Schrei.

Captain Paul Ferdinand Mandell hockt eingeklemmt, mit vorgebeugtem Oberkörper und angezogenen Knien, in dem für ihn viel zu engen Cockpit. In der Frontscheibe kann er verschwommen sein Spiegelbild erkennen: einen Mann mit lederner Fliegerklappe, mit Kopfhörern und Mikrofon vor dem Mund. Ein kleines Lächeln scheint in seine Mundwinkel eingewachsen zu sein, aber seine übrigen Gesichtszüge machen dabei nicht mit. Seinen Augen fehlt jede Fröhlichkeit, denn hat mehr erlebt und erlitten als die meisten Menschen seines Alters.

Ein Gefühl der Allmacht ergreift ihn an seinem Arbeitsplatz in achttausend Meter Höhe: Er ist der Racheengel, und dies ist die Stunde der Vergeltung! Nun müssen sie da unten büßen für das, was sie ihm und seiner Familie angetan haben: der braune Pöbel, der Steine in die Fenster der elterlichen Wohnung im jüdischen Viertel am Grindel geworfen hat; die Nazi-Lehrer, von denen er schikaniert worden ist; die SS-Schergen, die seinen Vater, seine Mutter und seine Schwester abgeholt haben.

Fluchthelfer haben ihn im Herbst 1941 nach Dänemark und weiter zu Verwandten in die USA geschleust. Mit achtzehn wurde er amerikanischer Staatsbürger und meldete sich sofort zur Air Force. Vor einem Jahr wurde er zum Captain befördert. Seit zwei Monaten ist er mit seiner Crew und seiner Maschine im Süden von England stationiert.

Bei Beginn der Dämmerung fliegt Mandells Geschwader einen der letzten Luftangriffe des Krieges auf Hamburg. Er drosselt die Fluggeschwindigkeit seines Bombers mit der Kennung 909 TB 35 auf nur noch 290 Stundenkilometer. Der Höhenmesser fällt langsam bis auf dreitausend Meter. Der Bombenschacht ist noch geschlossen.

Am Himmel über seiner früheren Heimatstadt Hamburg empfindet Captain Mandell einen Moment lang Genugtuung, sogar eine furchtbare Freude über das, was er auf der Erde sieht: Am Hafen stehen Werften und Industrieanlagen in Flammen, über den Vierteln der feinen Leute an Alster und Elbe hängen schwarzgelbe Qualmwolken, und in den Vororten blitzen vereinzelte rote Bombeneinschläge. Östlich der City haben furchtbare Feuerstürme schon vor zwei Jahren große Wohngebiete in eine Ruinenlandschaft verwandelt.

Hinter der Fliegerbrille brennen Mandells Augen. Sein Atem geht stoßweise in die Sauerstoffmaske. Das Kehlkopfmikrofon der Bordsprechanlage scheuert an seinem Hals und in seinen Ohren kreischen Störsender, als habe man mehrere Kreissägen angeworfen.

Mit seiner linken Hand bedient er die Steuersäule, mit der rechten schiebt er die vier Gashebel der vier Turbomotoren gefühlvoll vor und zurück. Präzise muss er die schwere, polternde und holpernde Maschine auf Abstand zu den anderen Maschinen seines Geschwaders halten.

Endlich kommt das Angriffsziel in Sicht: Die Elbe. Die Hafenbecken. Die Ölraffinerien.

Links vor sich erkennt Mandell noch im Zwielicht die Innenstadt und die Alster. Die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend kehren zurück. Er muss heftig schlucken. Seine Wut schlägt in Wehmut um. Sein Triumphgefühl verwandelt sich in Trauer. Wie aus weiter Ferne hört er die Stimme seines Copiloten.

»Alles in Ordnung, Captain? – Alles okay, Paul ...?«

Mandell nickt, doch während er mit den Fingern seiner rechten Hand ein Victory-Zeichen macht, versucht er vergeblich, ein Zittern zu unterdrücken, das seinen ganzen Körper erfasst hat.

Im Behandlungszimmer rüttelte der Patient jetzt an seinen breiten Lederfesseln. Er warf den Kopf hin und her. Sein Pulsschlag erhöhte sich dramatisch.

Eilig stöpselten die Ärzte die Kanüle in seiner Armbeuge um. Ein Anästhesist ließ jetzt ein Beruhigungsmittel in seine Vene fließen.

Aus den Lautsprechern am Bett strömten beruhigende Geräusche in den Behandlungsraum. Meeresbrandung, Waldesrauschen, Vogelstimmen und das lang anhaltenden Gongen indischer Klangschalen.

Der Mann auf dem Bett beruhigte sich endlich. Seine Glieder und seine Gesichtszüge entkrampften sich.

»Welches Jahr haben wir jetzt?«, fragte ihn der Psychotherapeut nach einer Weile und löst seine Fesseln.

»Neun-zehn-hundert-drei-und-neunzig.«

»Und welchen Monat?«

»Juli.«

»Welchen Wochentag?«

»Mittwoch.«

Und ohne gefragt zu werden, sagte der dünne Mann mit der Narbe langsam und deutlich: »Ich bin in einer Klinik in Manhattan ... Es ist sehr heiß draußen ... Ich wohne im Plaza Hotel am Central Park.«

»Willkommen zurück in unserer Welt«, sagte der Therapeut. »Wie fühlen Sie sich?«

Ihm sei noch ein wenig schwindelig und sein Kopf dröhne, als habe er einen Kater.

Er blinzelte im Liegen durch die nun halbgeöffnete Jalousie. Am Himmel über Manhattan setzte gerade eine Passagiermaschine der American Airlines zur Landung auf dem La Guardia Airport an.

»Können Sie sich daran erinnern, was Sie uns gerade erzählt haben?«

Der verkabelte Mann richtete sich vorsichtig auf.

»Ich glaube schon. Ja, an jedes Detail ...«

Seine Schultern zuckten. Und nachdem man ihm die Handfesseln abgenommen hatte, schlug er seine Hände vors Gesicht.

»Es war sehr anstrengend für Sie«, sagte der Therapeut. »Sie müssen sich erst einmal erholen. Und viel trinken!«

Er reichte dem Patienten ein großes Glas mit Mineralwasser.

»Wenn Sie einverstanden sind und sich gut fühlen, können wir unsere Behandlung morgen zur gleichen Zeit an derselben Stelle Ihrer Erinnerungen fortsetzen, an der wir jetzt unterbrochen haben. Ich glaube, Sie haben noch viel zu erzählen«.

»Gut, einverstanden.«

Als der Psychotherapeut und der Neurologe das Behandlungszimmer verließen, wartete im kühl möblierten Empfangsraum der Klinik schon aufgeregt der Kardiologe auf sie. Er zeigte seinen Kollegen eine Seite der vorletzten Wochenendausgabe der New York Times. In der unteren Hälfte deutete er auf einen kurzen Bericht unter einem dreispaltigen Foto. Die Überschrift lautete: »U.S. Bomber Crashed on Golf Course in Germany – 48 Years Ago!«

Auf dem Pressefoto aus Deutschland war das verbeulte, rostige, erdverdreckte Cockpit eines abgestürzten Bombers der U.S. Air Force zu sehen, neben dem ein gewaltiger Bagger stand. Im Hintergrund konnte man noch ein schlossartiges Gebäude mit Giebeln und Türmchen erkennen. Und davor ein Stück eines Golfplatzes mit einer kleinen Fahne, die ein Loch auf einem der Grüns markierte.

Im Text hieß es: »Bei Baggerarbeiten auf dem Gelände des exklusiven Golfclubs Schloss Herrensee in Norddeutschland sind Mitte vergangener Woche Arbeiter auf das Wrack eines amerikanischen Bombers aus dem Zweiten Weltkrieg gestoßen. Am demolierten Heck ist noch die Kennung 909 TB 35 zu lesen und am Cockpit sind die Überreste einer handgemalten Aufschrift zu entziffern: ›Pride of New York‹.«

Es handele sich um eine von Boeing gebaute Maschine des Typs »B-17«, der wegen seiner Kampfstärke und Robustheit »Flying Fortress« genannt wurde. Vier jeweils 1200 PS starke Triebwerke hätten diese fliegenden Festungen mit ihren neun- oder zehnköpfigen Besatzungen und mit drei Tonnen Bombenlast bis zu sechstausend Kilometer weit transportieren können.

»Nach bisherigen Ermittlungen«, so schrieb die New York Times weiter, »ist der jetzt in Norddeutschland aufgetauchte Bomber im Frühjahr 1945 vermutlich nach einem Angriff auf die Hafenstadt Hamburg von der deutschen Flugabwehr abgeschossen worden.« Man habe in der Maschine oder in der Nähe bisher jedoch weder Skelette noch Uniformreste finden können. Von den Besatzungsmitgliedern fehle jede Spur.

Der Psychotherapeut faltete die Zeitungsseite sorgfältig zusammen.

»Jedenfalls wissen wir mehr über diese Geschichte als die Times«, sagte er, bevor er den Artikel in die Mappe mit seinen Patienten-Unterlagen legte. »Immerhin kennen wir schon den Piloten.«

Der fünfte Schatten

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