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Hinter den Steinen

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Es ist nicht leicht in Miltenberg am Main. Wo soll man hin? Die kleine, alte Stadt, für deren wie aus einem Baukasten für überzeitliche Fachwerkharmonie zusammengefügten Marktplatz mit dem berühmten Steinbogendurchgang hinauf zur Burg, dem Schnatterloch, sogar Adorno ein paar lobende Worte übrig hatte, dieses im Fremdenverkehrsjargon zur »Perle« ernannte Städtlein hält einen auf Trab, trotz der allerkürzesten Wege im überwiegend beschatteten Altstadtbereich.

Wo soll man hin? In den Riesen? Jene ehemalige Fürstenherberge, die als ältestes Wirtshaus Deutschlands firmiert und in deren hoher Schwemmenhalle man auf der dunklen, umlaufenden Holzbank das geschätzte Faust-Bier trinkt? Oder in westlicher Richtung die Hauptstraße, die Achsengasse, hinunter, um in der unerbittlich gemütlichen Créperie des politischen Universaldenkers Karl-Heinz Jalufka Seit’ an Seit’ mit den Herren Ramazan, Neubert und Scherer-Wolfgang zu Pfannkuchen mit hausgemachtem Zwetschgenmus das eine oder andere Faust- oder Kalt-Loch-Bräu umzuochsen? Oder vorher erst rasch noch in den wunderbar anheimelnden Hof des Museums am besagten und besungenen Marktplatz, wo die »Stadt aus Holz« Gebäudlichkeiten aus dem 14. Jahrhundert, das grandiose Weinhaus am Markt inklusive polygonem Erker und eine höchst geheimnisvoll erbaute Sandsteinkirche herzeigt? Oder, vierzig Meter retour, doch gleich und den ganzen Tag lang in die Brauerei Kalt-Loch, das Traumpendant zum Jalufkaschen Hammeretablissement?

Ohne irgend jemandem Unrecht zu tun – das darf wohl vorderhand am nachdrücklichsten angeraten sein. Drei bis vier fränkische Mahlzeiten wären da, startend, sagen wir, um 11.37 Uhr, im ein wenig zu putzig benamsten Bräustüble mit der nötigen, heutzutage so verachteten Langsamkeit zu verräumen. Zum Auftakt böte sich der Spessarträuberspieß an, gegen 15 Uhr käme die Schweinshaxe mit Semmelknödeln dran, und um den frühen Abend herum würden die mit Bergkäse überbackenen Lendchen aufgefahren, im Herbst wahlweise mehrere Gänse. Für den Nachtisch, gebongt, alright, d’accord, steht Nachbar Jalufka gerade.

Daß »der Tourismus die Gaststätten versaut«, weiß Kalt-Loch-Brauer Axel Schohe nur zu genau. Die Braustube ist von den Umbauunheiltendenzen der letzten Jahre verschont geblieben. Die Decke zieren Sandsteinbögen, die Tische sind Tische, die Tische sind: groß, schmucklos, blank.

Vernunft heute bemißt sich bisweilen daran, den grunddummen Geist der Zeit einfach nicht mal zu ignorieren. Dieselbe Ratio prägt die hier verfertigten Biere. Die Sudpfanne wird noch mit Holz befeuert, es wird offen vergoren, und die intermahlzeitliche Getränkezufuhrerörterung schwankt alsdann inflammiert zwischen dem Hopfengeniestreich Schloß-Pils, dem zierlich gemalzten und perfekt komponierten, vereinzelt bis in den Frankfurter Raum vorgedrungenen dunklen Landbier oder dem ganzjährig in die Runde spendierten Doppelbock. Hinter diesen Steinen können sie brauen, im emphatischen Sinn – leider lediglich 4.000 hl pro Jahr.

Hinter den Innenhofmauern des verschachtelten Kalt-Loch-Gebäudes verbirgt sich auch die älteste, um 1290, keine sechzig Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt entstandene Synagoge Deutschlands. Im Zentrum der damaligen »Judenstadt«, des heutigen Schwarzviertels, gelegen, diente sie bis 1429, bis zur ersten Vertreibung der Juden aus Miltenberg, als religiöses und soziales Zentrum. Zu besichtigen sind noch das Deckenrippengewölbe und die Spitzfenster. 1877 kaufte die seit 1580 bestehende Brauerei das Gebäude, man zog eine Zwischendecke ein und lagerte hier fortan Hopfen und Malz, während die Kultusgemeinde eine neue Synagoge hinter dem Riesen errichtete. Der dritte Synagogenbau wurde 1938 geschändet und zerstört, 1942 wurden die letzten beiden jüdischen Mitbürgerinnen nach Theresienstadt deportiert.

Hier und jetzt wandeln die Miltenberger übers Kopfsteinpflaster der Hauptstraße. »Sonne in dieser Straße, und wir sind in Italien«, murmelt ein Mann, und das wäre wirklich zu schön, um wirklich und wahr zu sein.

Das perfekte Wirtshaus

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