Читать книгу Das perfekte Wirtshaus - Jürgen Roth - Страница 18

Terrassiertes Terrain

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Für den automobil Herumreisenden in Sachen Wirtshauswesen dürfte es sich prinzipiell schicken, südwestlich von Würzburg über die Siegfriedstraße einen neuerlichen und hartnäckigen, ja verbohrt erfolgsverliebten Auffindungsversuch zu unternehmen, einen weniger strategisch angelegten als eher der sommerlichen Free-Mind-Gesinnung und also Aleatorik gehorchenden Erkundungsversuch, der zwar nicht Großrinderfeld oder Tauberbischofsheim, aber dann bereits Königheim, Schweinberg oder – in harter Annäherung an den Odenwald vom Bayerischen her, das hier mit seinen weiten Weizen- und Gerstenfeldern fast ein bißchen amerikanisch anmutet – schließlich das einstige Limes-Städtchen Walldürn zum Ziel hat; respektive Schneeberg vor Amorbach, der bloßen namensmagischen Erfrischungsversprechen in jederlei Beziehung wegen.

Und weil die Sätze, insbesondere nach langer Fahrt, auch mal kürzer sein können, kommt jetzt ein ziemlich kurzer: Realiter fündig wird man wirtshausspezifisch in Boxbrunn. Erst. Das mag an der Abschottung der in Bayern gewöhnlich von Umgehungsstraßen großzügig umgürtelten Landortschaften liegen, was dem Fremden das Vordringen in Gasträume welcher Art auch immer nicht unbedingt erleichtert, beziehungsweise und folglich daran, daß der Bayerische Hof in Boxbrunn direkt an der B 47, der Nibelungenstraße, herumsteht, im Grenzgebiet des Bayerischen Odenwaldes, vermutlich sogar exakt zwischen Amorbach und Michelstadt, aber das müssen andere ausmessen.

Da liegt er halt, der Bayerische Hof. Man bremst, man parkt vor dem Haus, und man sitzt im Biergarten, allein, in einem Straßengarten an einem Samstagspätnachmittag, auf einem schlicht terrassierten Terrain. Sechs Tische, Gartenstühle, Sonnenschirme. Feierabend. Das reicht. Mehr braucht der Mensch »eigentlich« (K. Rehse) nicht.

Das Landstraßenlokal ist eine unterschätzte Variante des Wirtshauswesens. Früher diente es allen möglichen Hand- und Fuhrwerkern, die dahergewalzt kamen, heute dient es, wie im Bayerischen Hof, ein paar Mittagstischgästen, den Wanderern, den sonstwie motivierten Umherziehenden und Genossen unserer Sorte, die eine durch und durch altmodische Rast einlegen wollen.

Ich schätze diesen unterschätzten Typus des Gasthauses sehr. Das Landstraßenlokal entfaltet als Mischkonzept für eine Gesinnung zwischen Modernität, vulgo Mobilität, und Ausharrungsvermögen, als Mixtur aus Komplettruhe und intermediärem Zivilisationsstraßensound, als Agora der vita contemplativa und vita activa vital pur eine eigensinnig spröde Idyllik. Oft genügt da ein eher schäbiger Verschlag im Hunsrück oder ein Snackpoint in der Eifel.

Ideal getroffen hat man es allerdings im Bayerischen Hof, der seit 1880 von der Familie Hilbert geführt wird und neben dem – leider nicht bekiesten – Biergarten ein Gästehaus, eine souveräne Küche, einen grandiosen alten Wirtssaal und personalseits eine geradezu fundamentale Freundlichkeit in die Gunstschale wirft. Meine Zeugen sind, das Gästebuch verrät es, u. a. Rudolf Schock, Marie-Luise Marjan, Piet Krüger (zweimal), Miss Germany Anke S. und eine Abordnung der World Disco Queen Corporation.

Unterdessen rutscht die Sonne wieder durch Faser- und gestreifte Lappenwolken. Apfel-, Birn- und Nußbäume säumen die Wiesen. Am Horizont steht der Wald. Meine Bachstelze, eben noch durch einen kecken Hüpfer vor dem nahen Unfalltod bewahrt, wippt nun interessiert über den Mittelstreifen der kerzengeraden Straße. Im Kopf macht sich längst ein angenehm sachter Schwurbel und Schwabbel breit. Aha, ein Auto! denkt man, und schon fliegt die Fliege in die Fränkische Grünkernsuppe.

Es grillt, es zirpt. Ein tastender Wind haucht über die Anhöhe, ungezwungen zeigt sich das nächste Getränk, gelb wie der Geruch des Sommers. Nach Mockmühl will ich aber auch mal.

Das perfekte Wirtshaus

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