Читать книгу Feuerwehr - Challenge - Jürgen Ruhr - Страница 11
VIII.
ОглавлениеPünktlich um eine Minute nach zehn Uhr betrat ich die Filiale der Sparkasse in Neuharlingersiel. Der gestrige Nachmittag war herrlich gewesen. Bingo und ich genossen einen langen Spaziergang durch warmen Sand und kaltes Meerwasser, wobei der Malinois sich offensichtlich an das vergangene Jahr erinnerte, als er versucht hatte, von dem Salzwasser zu trinken. Diesmal vermied er es, seine Schnauze in das salzige Nass zu stecken und nahm stattdessen dankbar von dem mitgebrachten Wasser, das ich ihm reichte. Ein wirklich herrlicher Nachmittag!
„Du wartest hier“, wies ich meinen haarigen Freund an und zeigte auf eine Stelle im Schatten. „Es wird nicht lange dauern und danach gehen wir wieder an den Strand.“ In Gedanken fügte ich hinzu: Und zum Mittag gönne ich mir endlich ein riesiges Steak mit einer doppelten Portion Pommes. Und viel, viel Mayonnaise. Die Aussichten für den heutigen Tag waren einfach nur rosig.
Die Sparkasse lag noch leer und verlassen vor mir, lediglich zwei Angestellte arbeiteten hinter einem langen Tresen an ziemlich veralteten Computerbildschirmen. Die klobigen Monitore konnte man gut und gerne als Antiquitäten bezeichnen, was mich zu einem Lächeln animierte. In diesem Teil der Welt schien die Zeit stehengeblieben zu sein, doch so lange ich hier mein Geld bekam, spielte das für mich keine Rolle. Einzig der in einer Ecke stehende übergroße Safe schien ziemlich neueren Datums zu sein. An seiner Front prangte eine moderne Zahlentastatur mit einem Handscanner. Offensichtlich gab es hier keinen separaten Tresorraum.
Einer der Sparkassenmitarbeiter, ein ziemlich dicker, kahlköpfiger Mann mit einem viel zu engem Hemd und übergroßen Schweißflecken unter den Achseln, erhob sich schwerfällig als er mich am Tresen bemerkte. Mit einer übertrieben theatralischen Geste drückte er eine Taste und kam dann auf mich zu.
„Moin. Was kann ich für sie tun?“
„Guten Morgen. Ich möchte von meinem Konto etwas Geld abheben“, lächelte ich und kramte meine Bankkarte hervor. „Leider ist die Karte defekt, so dass ich nicht an einem Automaten Geld bekommen kann.“
„Sind sie denn Kunde bei uns?“
Ich spürte, wie ich etwas bleich im Gesicht wurde. „Nein, aber ist das ein Problem?“
„Kein Problem, doch dann müssen wir neben den normalen Gebühren auch noch Transfergebühren berechnen. So von Bank zu Bank, sie verstehen?“
Ich verstand nicht, doch das war mir jetzt auch egal. „Ja, machen sie, was sie wollen. Hauptsache ich bekomme mein Geld.“
Der Dicke schob mir ein Formular hin. „Dann füllen sie das bitte aus. Die Auszahlung wird allerdings etwas dauern. Außerdem brauche ich auch noch ihren Personalausweis und natürlich die Karte.“
Inzwischen füllte sich der Vorraum der Sparkasse, drei weitere Kunden standen jetzt neben und hinter mir in einer Warteschlange. Zwei Frauen und ein Mann. Ich erkannte in einer der Frauen meine Vermieterin, die eine dicke Brieftasche, prallgefüllt mit Bargeld, in einer Hand hielt. Freundlich nickte ich ihr zu. „Moin, moin“, versuchte ich es im Ortsdialekt, „Frau Düün.“
„Herr Lärrperts, guten Morgen. Es heißt aber ‚de Düün‘. Bekomme ich jetzt endlich mein Geld? Kommen sie doch nachher direkt in mein Büro, damit wir die Formalitäten endlich abschließen können!“
Ich nickte gönnerisch. „Das dürfte kein Problem sein. Der freundliche Herr hier bearbeitet schon die Auszahlung.“
Der Dicke besah sich das Formular, nickte zufrieden und wies mit dem Zeigefinger, der ziemlich einer Wurst ähnelte, auf drei Stühle neben einem überdimensionierten Ständer mit Informationsbroschüren. „Wie gesagt: Es wird einen Moment dauern. Wenn sie dort so lange Platz nehmen würden. Sie finden dort auch interessante Prospekte über Versicherungen, günstige Kredite und Hypotheken. Bei Bedarf berate ich sie gerne.“
„Das hört sich aber wirklich interessant an“, gab ich sarkastisch von mir, was dem Mann aber nicht weiter auffiel. Er lächelte mich an und ich bemerkte, dass seine Zähne schadhaft und gelb vom Nikotin waren. „Ich rufe sie dann auf.“
Ich nickte. Das war ja schon fast wie beim Arzt. „Eine Nummer ziehen muss ich aber nicht?“, fragte ich scherzhaft, sah aber im selben Moment, das mein Späßchen bei dem Dicken nicht gut ankam.
„Nummer ziehen? Was meinen sie?“
Ich winkte ab und wandte mich den Stühlen zu. „Schon gut, das sollte ein Witz sein ...“
Die Broschüren waren allesamt veraltet und handelten wirklich nur von Versicherungen und diversen Krediten. Ich ließ mich seufzend auf einen der unbequemen Stühle sinken und ging in Gedanken den kommenden Tag durch. Am Strand gab es leider keine Restaurants oder Bistros, so wie es in Holland gewesen war, aber bestimmt würde ich auch ein hübsches Restaurant im Ort finden. Vielleicht sogar ein Steakhaus ...
Während ich so vor mich hinträumte, wurde meine Hand plötzlich von etwas Feuchtem umschlossen. Erschrocken zucke ich zurück und betrachtete verwundert Bingo, der vor mir saß und mich fordernd anschaute. „Bingo, ich habe dir doch gesagt, dass du draußen auf mich warten sollst. Hunde dürfen hier nicht hinein, hast du denn das Schild nicht gesehen?“
Der Malinois versuchte wieder meine Hand ins Maul zu nehmen und mich vom Stuhl hochzuziehen. „Was soll das, Bingo?“, fragte ich schon leicht ärgerlich. „Die Sache hier wird noch etwas dauern, der Bankmensch muss wohl noch alles überprüfen. Also warte doch draußen auf mich. Ich komme bestimmt bald dran!“
Aber Bingo ließ sich nicht fortschicken, sondern legte sich jetzt flach unter den Stuhl, der direkt neben meinem stand. Wieder sah er mich an und gab ein leises Fiepen von sich. „Du kannst nicht hierbleiben, mein Freund.“ Ein wenig schmeichelte es mir, wie sehr der Hund an mir hing. Auch wenn er den Mädels in der Detektei oftmals den Vorzug gab. Aber bei all den Bestechungen mit Knochen, Leckereien und Streicheleinheiten war das ja auch nicht verwunderlich.
Doch dann erkannte ich den wahren Grund, warum Bingo zu mir gekommen war. Leider war es da auch schon zu spät.
An der Eingangstür polterte es laut, dann fiel ein Schuss. Die Kunden vor der Theke schrien erschrocken auf und eine laute Stimme mit einem mir unbekannten Akzent rief: „Alles hinlegen, sofort. Dies ist ein Überfall.“
Wieder fiel ein Schuss. Das hörte sich nach einer neun Millimeter CZ Pistole an, einem tschechischen Produkt der Ceská zbrojovka an. Bingo zog sich noch etwas weiter unter den Stuhl zurück. Ich wurde von dem Prospektständer halb verdeckt, doch es war lediglich eine Frage der Zeit, bis der oder die Gangster mich entdecken würden. Lautlos ließ ich mich zu Boden gleiten und kroch hinter den letzten Stuhl, so dass ich eine gute Sicht auf das Geschehen in der Bank hatte.
Zwei mit Sturmhauben maskierte und bewaffnete Männer hielten die Angestellten und die Kunden in Schach. Ein dritter verriegelte gerade die Eingangstüre und spähte angestrengt nach draußen. Alle drei Männer trugen lange, schwarze Mäntel unter denen sie wohl ihre Waffen verborgen hatte. Ich konnte neben der Pistole, die ich am Klang schon erkannt hatte, eine Maschinenpistole und eine abgesägte Schrotflinte ausmachen.
„Verhalte dich ruhig“, wisperte ich Bingo zu, doch das brauchte ich ihm wohl nicht extra zu sagen. Der Hund lag mucksmäuschenstill und ohne eine Bewegung unter dem Stuhl. Lediglich seine wachen Augen ließen die drei Männer nicht aus dem Blick.
Innerlich fluchte ich, dass meine Pistole bei Bernd im Waffensafe lag und nicht hier in meinem Schulterholster. Sicher, dies war mein Urlaub und wer rechnet schon mit einem Banküberfall in einem Ferienort, auch wenn die Sparkasse einsam neben einem Baugrundstück liegt. Doch mit der Waffe hätte ich die Situation jetzt leicht bereinigen können. Ohne irgendwelchen Kollateralschaden.
Oder zumindest nur mit geringem.
Der Mann an der Türe beobachtete immer noch die Straße, während der mit der Schrotflinte sich in den Bereich zu den beiden Angestellten begab. Die zwei Mitarbeiter konnte ich nicht sehen, da sie hinter der Theke auf dem Boden lagen.
„Du, aufstehen“, befahl der Gangster und Sekunden später erhob sich der schwitzende Dicke, der mich vorhin bedient hatte mit hochrotem Kopf. „Safe öffnen, sofort.“
Der Mann im weißen Hemd, das jetzt komplett durchgeschwitzt war, hielt die Hände neben dem Kopf in die Höhe. „Das kann ich nicht. Nicht sofort. Wir haben ein Zeitschloss, zum Öffnen brauche ich etwas Zeit.“
„Ich sagte öffnen, sofort!“ Der Gangster hielt dem Angestellten die Schrotflinte an den Kopf. „Oder ich schieße, dann öffnet dein Kollege bestimmt.“ Er stieß den Mann mit der Flinte an und scheuchte ihn zu dem Safe. „Los, öffnen!“
In diesem Moment fluchte der Mann an der Tür laut und rief seinen Kollegen etwas auf Russisch, Polnisch oder in einer ähnlichen Sprache, zu. Den Grund erkannte ich sofort, als das blaue Blinken der Lichter eines Polizeiwagens in den Raum fiel.
„Verdammt, wer hat Polizei alarmiert?“, rief der Gangster mit der Schrotflinte und stieß dem Dicken den Lauf in den Bauch. Der sackte sofort keuchend in die Knie und verschwand aus meinem Blickfeld. Doch ich erkannte, wie der Lauf der Schrotflinte sich nach unten senkte und ich hielt den Atem an. Würde es jetzt in dem Drama hier den ersten Toten geben?
Der Gangster riss sich allerdings offensichtlich zusammen, war aber jetzt sehr nervös. Ich hoffte, dass der Mann nicht durchdrehen und die Sache hier in einem Blutbad enden würde.
„Niemand“, hörte ich den dicken Glatzkopf jämmerlich sagen. „Von uns hat niemand die Polizei verständigt. Die Filiale wird wegen der Baustelle nebenan mit Kameras von einem Sicherheitsdienst überwacht. Die Leute dort werden die Polizei informiert haben.“
„Los, mach auf Safe, sofort!“, brüllte der Schrotflintenmann erneut und der Dicke kam zitternd und mit Tränen in den Augen wieder hoch.
Mit weinerlicher Stimme sagte er: „Ich kann den Safe nicht mehr öffnen, wenn der Alarm ausgelöst wurde. Das ist jetzt nicht mehr möglich!“
Der Gangster hob die Schrotflinte und schlug dem Angestellten mit dem Flintenschaft ins Gesicht. Wie ein gefällter Baum ging der Dicke zu Boden.
Draußen vor der Filiale ertönte eine Stimme, die durch ein Megaphon verstärkt wurde. Das übliche Vorgehen der Polizei, um mit Bankräubern und Geiselnehmern zu verhandeln. Der Polizist wies darauf hin, dass sie telefonisch mit den Gangstern in Kontakt treten wollten. Im gleichen Moment klingelte auch schon eines der Telefone im Angestelltenbereich. Der Mann mit der Schrotflinte blickte die beiden anderen an und sagte etwas in der fremden Sprache. Nachdem der Mann mit der Pistole ihm geantwortet hatte, hob er den Hörer vom Telefon ab.
„Da?“, meldete er sich und lauschte angestrengt. Dann sprach er wieder seinen Kumpel mit der Pistole an, der sich jetzt zum Telefon begab. Zurück blieb der Gangster an der Tür, der nun die Kunden mit seiner Maschinenpistole in Schach hielt.
Das Telefongespräch zog sich eine ganze Weile hin, doch leider konnte ich nur verstehen, was der Bankräuber sagte. Seine Forderung beinhaltete das Übliche, so wie man es aus diversen Filmen kannte. Er verlangte zwei Millionen Euro und einen Hubschrauber für die Flucht. Wie ich den Worten entnehmen konnte, sollte im Gegenzug zunächst eine der Geiseln freigelassen werden. Der Mann mit der CZ Pistole schien damit einverstanden zu sein und wies den Gangster mit der Schrotflinte an, den Angestellten, dem der offensichtlich die Nase gebrochen hatte, vor die Tür zu schicken. Der legte die Flinte beiseite und half dem Dicken, der noch ziemlich benommen schien, zur Tür. Nachdem der Gangster mit der MP einen Flügel vorsichtig geöffnet hatte, wurde der Filialmitarbeiter ins Freie gestoßen. Er stolperte einige Schritte auf die Straße zu, strauchelte und fiel zu Boden. Sofort waren zwei Sanitäter bei ihm. Leider konnte ich die Vorgänge draußen aus meiner Perspektive nur mehr erahnen, als wirklich sehen, doch inzwischen mussten sich zu dem einen Polizeiwagen noch mehrere Fahrzeuge gesellt haben. Das ließ sich an den vielen Blinklichtern erkennen.
Inzwischen beratschlagten sich die drei Bankräuber und schließlich durchsuchte der mit der Schrotflinte die Kunden nach Schmuck und Bargeld. Ich hörte meine Vermieterin kurz aufheulen, als der Mann ihr die Geldbörse mit dem vielen Bargeld abnahm. Hoffentlich riss die Frau sich zusammen und machte jetzt keinen Fehler! Es könnte ihr letzter sein. Doch Rieke de Düün verhielt sich still. Sie würde über den Verlust des Geldes hinwegkommen.
Ich lotete derweil meine Möglichkeiten aus, die aber leider äußerst beschränkt waren. Die Erfolgschance gegen diese drei schwerbewaffneten Gangster lag nahezu bei null und mein Eingreifen würde vermutlich lediglich zu einem Blutbad führen.
Ich blickte mich in dem Raum um. Da war der Kundenbereich, abgetrennt von den Angestellten durch die lange Theke. Am Ende der Theke, fast schon mir gegenüber, befand sich ein durch mehrere spanische Wände abgetrennter Bereich, der vermutlich für die individuelle Kundenberatung genutzt wurde. Ich überlegte, wie ich einen der Gangster vielleicht dorthin locken könnte, um ihn unschädlich zu machen.
Doch meine Gedanken wurden durch das typische Geräusch eines sich nähernden Hubschraubers unterbrochen. Die drei Gangster sahen sich an und klatschten in die Hände. Im gleichen Moment schrillte das Telefon und der Mann mit der Pistole eilte zurück in den Angestelltenbereich.
Ich wunderte mich, dass die Polizei so schnell klein beigegeben hatte, immerhin spielten sie sonst eher auf Zeit.
„Was soll das heißen?“, hörte ich den Bankräuber sagen und es klang ziemlich ärgerlich. Dann lauschte er erneut ins Telefon. „Nein, ich gesagt zwei Millionen. Die werden sie doch wohl auftreiben können. Ich ihnen gebe dreißig Minuten von jetzt an, dann stirbt erste Geisel. Haben sie verstanden? Dreißig Minuten von jetzt an!“ Er warf den Hörer auf die Gabel und fuchtelte wild mit seiner Pistole herum. Dann ging er zu seinen Kumpanen zurück und beriet sich mit denen.
Draußen flog der Hubschrauber wieder davon.
Dreißig Minuten. Dass die Männer äußerst brutal vorgingen, hatten sie ja schon bei dem Dicken dokumentiert. Ich zweifelte nicht daran, dass sie ihre Drohung wahrmachen würden. Es war an der Zeit, einen handfesten Plan zu entwickeln, jetzt konnte ich nicht hoffen, dass der Zufall mir zu Hilfe kam.
Die verschiedenen Pläne, die ich mir überlegte, verwarf ich direkt alle wieder. Die Zeit verging und ich wurde zusehends verzweifelter. Einzig die Option, mich zur Exekution anzubieten, blieb mir noch und das war eigentlich auch keine so gute Idee. Wer garantierte denn, dass die Bankräuber nach mir nicht weitere Geiseln hinrichten würden?
Exakt neunundzwanzig Minuten vor dem Verstreichen der Frist ließ sich das Flappen der Rotorblätter wieder vernehmen.
Erneut klingelte das Telefon.
Wieder nahm der Gangster mit der Pistole den Anruf an und nach einigen Sekunden machte er zu seinen Kumpanen das ‚Daumen hoch‘ Zeichen. Offensichtlich war die Polizei auf seine Forderungen nun doch eingegangen.
In diesem Moment veränderte sich das Rotorengeräusch, es schien als würde der Motor des Helikopters stottern, dann verklang er plötzlich gänzlich. Sekunden später ließ sich von draußen eine Explosion, die in einiger Entfernung stattgefunden haben musste, hören. War der Hubschrauber abgestürzt?
Meine Ahnung schien sich zu bestätigen, denn jetzt fluchte der Gangster lautstark am Telefon. „Abgestürzt?“, hörte ich ihn schreien. „Mit ganze Geld?“ Er lauschte kurz, dann fluchte er vernehmlich in seiner Landessprache. „Zwei Stunden? Neuer Hubschrauber? So jetzt gut zuhören, wir jetzt fordern vier Millionen. Vier Millionen und keinen Cent weniger! Und diesmal keine Hubschrauber, sondern Wagen gepanzert. So ein Riesending, wenn du verstehst, was ich meine! In spätestens einer Stunde ist Auto hier direkt vor Türe. Und keine Ausreden mehr!“ Er warf den Hörer ärgerlich auf den Schreibtisch und kehrte zu seinen Kumpels zurück.
Eine Stunden Galgenfrist. Und mir war bisher nichts eingefallen! Erneut blickte ich sinnend auf den abgegrenzten Bereich. Wollte ich dorthin gelangen, dann müsste ich quer durch den hinteren Teil der Filiale robben, was unweigerlich die Entdeckung durch die Gangster nach sich ziehen dürfte.
Die Zeit verrann und ich zermarterte mir das Hirn.
Doch dann wurde mir die Entscheidung abgenommen: Mein Handy klingelte schrill und anhaltend. Sofort stand der Mann mit der Pistole neben mir und zur Begrüßung bekam ich einen Tritt in die Seite.
„Sieh einmal an“, sprach er. „Da ist ja noch Kunde. Meintest wohl, du hier verstecken?“ Dann wandte er sich an die beiden anderen Gangster und sprach in gebrochenem Deutsch zu ihnen, so dass ich es auf jeden Fall verstehen musste: „Ich glaube, hier jemand, der als erster erschossen! Wir müssen Exempel statuieren. Und zwar jetzt!“
Bingo, der weit unter seinem Stuhl lag, entdeckte er zum Glück nicht. Im Endeffekt wären die Kerle noch darauf gekommen, meinen treuen Freund zu erschießen! Ein Mann und sein Hund - doch was wären die Zwei schon, wenn der Hund tot sein würde? Andererseits - auch ein erschossenes Herrchen wäre nicht gerade die beste Option.
„Los, aufstehn. Auf die Beine, sofort!“ Wieder traf mich ein Tritt in die Seite und ich erhob mich schwankend, wobei ich mich am Stuhl festhielt und mit meinem Körper den Hund so gut es ging verdeckte. „Zur Tür, dawai, dawai.“ Ich erhielt mit der Pistole einen Stoß in den Rücken, der mich in Richtung Eingangstür stolpern ließ.
Mein Handy hatte inzwischen aufgehört zu klingeln und ich fragte mich, wer denn angerufen haben mochte. Ein verpasster Anruf und ich würde vermutlich nie erfahren, wer nach mir verlangt hatte ...
Hinkend und in leicht gebückter Haltung schlich ich auf die Türe zu, an der der Mann mit der Maschinenpistole schon auf mich wartete. Ich konnte sein Grinsen unter der Sturmhaube förmlich spüren. Auch der Typ mit der Schrotflinte gesellte sich zu uns. Vermutlich wollte jeder der drei den tödlichen Schuss auf mich abgeben und damit zeigen, was für ein ganzer Kerl er war. Doch kampflos würde ich nicht sterben, Hauptsache die Sparkassenkunden wurden nicht in Mitleidenschaft gezogen. Doch die lagen allesamt noch am Boden und hielten ihre Arme schützend über den Köpfen. Auch der andere Angestellte ließ sich nicht blicken.
Der Mann mit der MP lachte leise, als er die Tür aufzog. Er hielt die Waffe mit dem Lauf nach unten in der linken Hand und an sich hätte er ein leichtes Ziel für mich sein können. Wäre da nicht die tschechische Pistole, die auf meinen Rücken gerichtet war. Der Plan der Gangster sah vermutlich vor, mich mit einem Kopfschuss aus der CZ zu töten, was ja auch am effektivsten sein durfte.
Ich sah keine Möglichkeit, meinem Schicksal zu entgehen und hoffte auf ein Wunder. Vor meinem inneren Auge erschienen der Strand, Bingo und unser gestriger gemeinsamer Spaziergang. Die Sonne stand mittlerweile ziemlich hoch am Himmel und es war für diese Jahreszeit eigentlich zu warm. Kein wirklich guter Tag zum Sterben. Draußen blinkten die Polizeilichter und hinter den Wagen standen verdeckt Polizisten, die die Situation sorgfältig beobachteten. Gab es irgendwo Scharfschützen, die mich vielleicht retten konnten? Ich hinkte langsam weiter, wollte den Augenblick so lange wie möglich herauszögern und sah mich unauffällig nach mit Gewehren bewaffneten Beamten um.
Doch leider entdeckte ich niemanden.
Noch zwei Schritte, dann würde ich durch die Tür treten. Zwei hinkende Schritte zum Tod.
In diesem Moment erklang ein jämmerliches Jaulen aus dem hinteren Teil des Sparkassenraumes. Das konnte nur Bingo sein!
Der Mann mit der Pistole wies die beiden anderen in seiner Sprache an und eilte zu dem abgegrenzten Bereich. Das Jaulen erklang erneut und ich stellte fest, dass es eindeutig aus dem Bereich hinter den spanischen Wänden kam. Ich konnte trotz der gefährlichen Situation ein Grinsen nicht verhindern. Auch wenn die Schrotflinte jetzt genau auf meinen Kopf zielte. Aber offensichtlich hatte Bingo die kurze Gelegenheit genutzt, sich hinter die Abtrennung zu schleichen, die der Gangster mit der CZ in diesem Moment erreichte.
Mir wurde plötzlich flau im Magen. Würden heute ein Mann und sein Hund sterben? Würde heute dieses Dreamteam von Mensch und Hund ein für alle Mal auseinandergerissen? Von der Welt getilgt?
Aber noch bevor der Gangster die erste der spanischen Wände erreichte, schoss von der Seite ein dunkler Schatten auf ihn zu, verbiss sich in seinen Arm und die Pistole fiel scheppernd zu Boden. Der Mann schrie auf, vermutlich mehr vor Schreck, als vor Schmerz, doch sogleich folgte ein gurgelnder Schrei des Entsetzens, als Bingo ihm an die Kehle ging und ihn zu Boden zog.
Der Type mit der Schrotflinte schwenkte herum, wollte seine Waffe auf Bingo richten und abdrücken. Doch dazu kam er nicht mehr. Blitzschnell - und plötzlich ohne jegliches Hinken - wirbelte ich herum, bekam den Arm des Schützen zu fassen und beschrieb zusammen mit ihm eine kreisende Bewegung.
Donnernd löste sich ein Schuss, doch die Schrotladung traf nicht Bingo, sondern den Gangster mit der Maschinenpistole in den Kopf, der wie eine überreife Melone auseinanderflog. Blut und Hirnmasse verteilten sich auf den Glasscheiben der Türen und der tote Körper sackte zu Boden.
Doch darauf achtete ich jetzt kaum noch. Mir genügte, dass der MP Schütze ausgeschaltet war und ich nutzte meinen Schwung, um den Arm des dritten Räubers mit aller Kraft herumzureißen. Ein krachendes Geräusch sagte mir, dass nicht nur ein Knochen gebrochen war und der Gangster schrie plötzlich wie am Spieß. Ich ließ den Arm los, der offensichtlich sogar aus dem Gelenk gerissen war, wirbelte herum und schickte einen Fußtritt in die Magengegend des Mannes. Der klappte zusammen wie ein Taschenmesser und ein schwungvoller Stoß mit meinem Knie mitten in sein Gesicht brach ihm dort die Nasen- und Wangenknochen und schickte ihn ins Land der Träume.
Wenigstens hörte jetzt sein Jammern auf und eine beruhigende Stille trat ein. Zumindest nahezu Stille, denn jetzt drang das Klingeln des Telefons an mein Ohr.
Ich überblickte kurz die Situation. Bingo stand zähnefletschend über dem Pistolenschützen, dessen Sturmhaube zerfetzt war. Blut rann aus Gesicht und Hals und der Unterkiefer war vollkommen zerstört. Doch der Mann lebte und hielt ängstlich die Hände vor den Rest seines Gesichtes. Ich nahm MP und Schrotflinte an mich und ging zum Telefon.
„Hören sie“, begrüßte mich eine männliche Stimme, „was ist da drinnen los? Wir haben doch gesagt, dass wir alle Forderungen erfüllen und der Wagen wird in gut einer halben Stunde vor der Sparkasse stehen. Warum wurde geschossen und wer ist der Mann, der an der Türe getötet wurde?“
„Guten Tag“, begrüßte ich den Polizisten nachdem endlich sein Redefluss stoppte. Hier spricht Jonathan Lärpers, die Sache ist erledigt. Es gibt einen Toten und zwei Verletzte, doch dabei handelt es sich um die Gangster.“
„Wer spricht da?“
„Jonathan Lärpers.“
„Jonathan Lärpers?“
„Korrekt. Jonathan Lärpers.“
Der Polizist am anderen Ende überlegte einen Moment und ich konnte hören, wie er sich mit jemandem leise beriet. „Jonathan Lärpers? Sind sie einer der Bankräuber?“
Ich stöhnte. „Nein, ich bin ein unbescholtener Sparkassenkunde. Ich wollte eigentlich nur etwas Geld für meinen Urlaub abholen, also unseren Urlaub, doch dann kamen diese Bankräuber. Mein Hund und ich haben die Situation aber bereinigt. Und von den Kunden, sowie der Angestellte der Sparkasse hier wurde niemand verletzt.“
„Jonathan Lärpers, korrekt? Sie und ihr Hund?“
Ich nickte. „Ja, Bingo.“
„Bingo? Wollen sie jetzt mit mir spielen, Bingo spielen?“
Ich stöhnte erneut. Doch diesmal so laut, dass der Mann am anderen Ende der Leitung mich auch unbedingt hören musste. „Der Hund heißt Bingo. Ein Malinois. Wir sind ein Team, ein Dreamteam sozusagen. Ein Mann und sein Hund, sie verstehen?“
„Nein, das verstehe ich nicht. Können wir denn jetzt die Bank stürmen?“
„Das ist nicht notwendig, die Gangster sind erledigt. Kommen sie einfach herein und bringen sie auch einen Arzt und Sanitäter mit.“ Dann fiel mir noch etwas ein und ich fügte hinzu: „Und einen Leichensack für den Mann ohne Kopf ...“
Die Polizisten - ein Spezialeinsatzkommando - stürmte trotzdem in oft trainierter Formation in die Sparkassenfiliale, wobei sämtliche Glasscheiben zur Straße hin zu Bruch gingen. Mich wunderte, dass bei dem Einsatz nicht noch einige der Kunden zu Schaden kamen und auch ich stand mittlerweile mit erhobenen Händen neben dem Telefon. Als die Beamten bemerkten, dass keine Gefahr für sie bestand, wurde ein Großteil der Männer wieder zu den Wagen geschickt. Dafür strömten jetzt mehrere Sanitäter in die Filiale.
Zwei Polizisten traten zu mir und einer sicherte sofort die auf dem Schreibtisch liegenden Waffen. Der andere schaute mich prüfend an. „Sind sie dieser Jonathan Lärpers?“
„Das bin ich. Haben wir eben miteinander gesprochen?“
Der Mann nickte. „Ich bin der Einsatzleiter. Sie sind also kein Bankräuber?“
„Nein, ich bin kein Bankräuber. Fragen sie die Frau Düün, das ist meine Vermieterin der Ferienwohnung.“ Die Frau diskutierte gerade mit einem anderen Beamten und zeigte auf den Gangster, der noch ihre Geldbörse mit den vielen Scheinen darin haben musste.
Der Einsatzleiter nickte und besah sich die Verletzten, die jetzt von Sanitätern versorgt wurden. Auch um die Leiche im Eingangsbereich kümmerte sich schon jemand. Ich fragte mich, ob nicht zunächst die Spurensicherung hier tätig werden musste, doch die Polizisten würden schon wissen, was sie taten. „Haben sie die Gangster so zugerichtet?“
Ich lächelte. „Nur teilweise. Den dort hinten hat Bingo zwischen gehabt und der ohne Kopf wurde von seinem Kumpel erschossen, als ich mit ihm kämpfte. Aber da hatte er noch seinen Kopf auf dem Hals. Vor dem Schuss zumindest.“
„Bingo?“
Ich schüttelte den Kopf. Nein, der hat seinen Kopf doch noch auf dem Hals. Ich meine den Gangster.“
„Der Gangster heißt also Bingo. Woher wissen sie seinen Namen?“ Jetzt betrachtete mich der Polizist doch wieder misstrauisch, so als würde ich entgegen meiner Aussage zu den Räubern gehören.
Erneut schüttelte ich den Kopf. „Wie der Bankräuber heißt, weiß ich nicht. Mein Hund heißt Bingo. Und ist ein Malinois.“
„Bingo?“ Der Mann kratzte sich am Kopf. „Ein merkwürdiger Name für einen Malinois. Nun, egal. Bitte halten sie sich zu unserer Verfügung, der Kollege muss noch ihre Aussage aufnehmen.“
Ich nickte, dann dachte ich an den Hubschrauberabsturz und sprach den Mann noch einmal an: „Warten sie, einen Moment bitte. Hat der Pilot den Absturz überlebt?“
„Der Pilot?“, echote der Polizist und sah mich fragend an. „Welcher Pilot?“
„Der Hubschrauberpilot. Wir haben doch deutlich hören können, dass der Helikopter abgestürzt ist.“
Der Einsatzleiter lachte und klopfte mir auf die Schulter. „Ja, mein Lieber. Eine geniale Idee, nicht wahr? Stammte ja auch von mir. Nein, es gab keinen Absturz, es gab noch nicht einmal einen Helikopter. Wir haben einfach eine riesige Soundanlage am Ende der Straße postiert und eine Tonaufnahme ablaufen lassen. Um Zeit zu gewinnen, verstehen sie?“
„Kein Helikopter, kein Absturz?“ Während der Mann zu seinen Leuten ging, dachte ich über den Trick nach und musste zugeben, dass die Polizei hier doch nicht so dumm war, wie ich zunächst angenommen hatte. Wir waren alle auf den Trick hereingefallen und hätten die Gangster mich nicht unbedingt erschießen wollen, dann wäre es vermutlich zur Geiselbefreiung durch das Einsatzkommando gekommen.