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Gabriele war mit Martina Sommer, einer jungen Kollegin der Spurensicherung, über die Straße ans Neckarufer getreten. Sie hielt die Dummheit ihres Partners keine Minute länger aus. Gegen die aufkommenden Gewaltfantasien zündete sie sich eine Zigarette an, die sie von Martina geschnorrt hatte. Eigentlich rauchte sie als Sportlerin nicht. Dieser Typ würde sie noch ins Grab bringen.

Martina zog an ihrem Glimmstängel und blickte schmachtend über die Straße: „Dass du auch immer so ein Glück hast!“

„Was meinst du?“, fragte Gabriele, die nicht verstand, was Martina meinte.

Die grinste zu Manfred hinüber. „Ach komm, du darfst mit dem süßesten Mann der ganzen Mordkommission zusammenarbeiten. Wenn das kein Glück ist!“

„Ja, ich könnte kotzen“, antwortete Gabriele knapp.

„Weißt du, ob er noch Single ist?“, bohrte Martina weiter.

Gabriele nahm ihr Smartphone aus der Tasche und ließ ihre immer noch entzückt schwärmende Kollegin alleine zurück. Als sie außer Hörweite von Martina war, wählte Gabriele die erste Telefonnummer im Telefonbuch. Erwin nahm das Gespräch sofort an.

„Und? Was habt ihr?“, meldete er sich ohne Gruß und Vorgeplänkel.

„Du besorgst mir einen anderen Partner oder du verlierst deine beste Ermittlerin an die Staatsanwaltschaft, weil ich ihn töten werde!“

„Langsam, langsam. Er ist noch neu, er arbeitet sich erst ein“, beschwichtigte Erwin seine Mitarbeiterin. „Aber was habt ihr nun?“

„Nichts Aktuelles. Ein totes Mädchen, muss schon länger tot sein, hatte ein geblümtes Kleid an“, erzählte Gabriele.

Erwin schwieg. Sie wollte schon das Gespräch beenden, als sie eine leicht gequälte Stimme hörte: „Geblümt? Grundfarbe blau?“

„Ja, glaube schon“, bestätigte sie verwundert.

„Ich komme zu euch!“, sagte ihr Chef und beendete das Gespräch.

Sie schaute ungläubig auf das Telefon. Er bewegte sich aus seinem Büro? Das hatte er schon seit seiner vorletzten Beförderung nicht mehr getan. Verdammt, er hatte sich schon im Bett kaum bewegt, was der wahre Grund für das Ende ihrer Beziehung gewesen war.

Verwirrt und in ihre Gedanken versunken ging sie zurück zum Fundort der Kinderleiche. Auf halben Weg kam ihr Manfred entgegen und verkündete, vollkommen von seinem Urteil überzeugt: „Ich würde sagen, der Baggerfahrer war es nicht! Aber zu hundert Prozent ausschließen kann man es nicht. Ich habe ihm gesagt, er kann gehen, soll aber Heidelberg nicht verlassen.“

„Ich fasse es nicht“, murmelte Gabriele vor sich hin.

„Was meinst du?“, fragte Manfred, der sie offenbar nicht verstanden hatte.

„Hast du gut gemacht, hab ich gesagt“, sagte sie laut und fügte dann noch hinzu: „Erwin kommt her, er will sich selbst ein Bild machen.“

Die Zeit, in der sie auf ihren Vorgesetzten warteten, verbrachten die beiden unterschiedlich. Während Gabriele versuchte, die Umgebung auf sich einwirken zu lassen, hatte Martina ihre Scheu überwunden und nun erste Tuchfühlung zum Objekt ihrer Begierde aufgenommen. Gabriele wünschte ihr von ganzem Herzen viel Erfolg, vielleicht würde er ja zur Spurensicherung wechseln und sie war ihn los.

So in Gedanken versunken fiel Gabrieles Blick auf einen Erdriss, der sich gut einen Meter über dem Erdloch, in dem sie das Opfer gefunden hatten, auf einer Länge von gut fünf Metern von Ost nach West erstreckte. Sie ging hin und schaute hinein. Der Riss schien tief zu sein.

„Hat jemand eine Taschenlampe?“, fragte sie an ihre Kollegen gewandt.

Zu ihrer Überraschung griff Manfred in seine Hosentasche und zog eine kleine Stablampe hervor. Sie leuchtete in den Spalt, konnte aber nichts erkennen, also versuchte sie, mit bloßen Händen etwas Erde zu entfernen.

Dann hörte sie die Stimme des Baggerfahrers: „Geh mal weg Mädchen!“, und schon hieb er kraftvoll mit einem Spaten ins Erdreich.

„Was die alles auf ihrem Bagger haben …“, bemerkte Manfred anerkennend.

Schnell war der Spalt so ausgedehnt, dass Gabriele den Kopf hineinstecken konnte. Was sie im schwachen Licht der Taschenlampe erblickte, ließ ihr den Atem stocken. Mit etwas Schwindel hörte sie ihre eigene, heisere Stimme.

„Ruf den Gerichtsmediziner zurück! Und er soll Verstärkung mitbringen, viel Verstärkung!“

Inzwischen hatte Gabriele die ungeteilte Aufmerksamkeit aller vor Ort befindlicher Beamten. So bemerkte niemand, wie ein kleiner, rundlicher Mann mit nur noch sehr spärlichem Haarwuchs sich der Leiche des Kindes näherte. Der Anzug spannte über dem Bauch und sein Atem war schwer, als er sich nach unten beugte. Der Mann nahm ein Polaroid-Foto aus der Tasche und verglich das von den Jahren sehr mitgenommene Kleidungsstück mit dem auf dem Foto abgebildeten. Er nickte. Er hatte gesehen, was er sehen musste. Er wusste nur nicht, ob er sich über die Erkenntnis freuen sollte.

Inzwischen waren auch die Kollegen, die bisher auf das Erdloch gestarrt hatten, auf den Mann aufmerksam geworden. Ein halblautes Murmeln kam auf: „Er kann laufen? Er hat sein Büro verlassen! Ist das Präsidium abgebrannt?“

Gabriele sprach den Neuankömmling an. „Erwin, was ist los? Ist dir nicht gut? Du bist so blass.“

„Ich kenne das Opfer“, erklärte Erwin.

Alle erwarteten, dass er den Worten noch etwas Erklärendes hinzufügen würde. Als er schwieg, fasste sich Gabriele ein Herz.

„Woher?“, fragte sie. „Wer ist sie?“

„Marie März, sie war mein erster Fall. War schlimm damals. Ihr Vater ist in einem Indizienprozess verurteilt worden. Die Beweislast war erdrückend, aber er hat nie gestanden und er behauptet bis heute, sie wäre entführt worden und noch am Leben. Wohl der Grund, weswegen er nach über 20 Jahren noch immer keine Bewährung bekommen hat.“

Marie

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