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3.2 Beeinträchtigte Basisfunktionen als Teilsymptomatik bei akuten Aphasien

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Mit Basisfunktionen meinen wir die mit der Sprachfähigkeit korrespondierenden kognitiv amnestischen Hirnfunktionen. Beeinträchtigte Basisfunktionen sind ein Teil der vielfältigen Begleitstörungen, auf die zunächst kurz eingegangen werden soll.

vielfältige Begleitstörungen

Die vielfältigen Begleitstörungen lassen sich am besten ordnen durch Zuweisung zu den entsprechenden hauptsächlich zuständigen Professionen. Zu nennen sind neurogen mitverursachte

• Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen sowie motorische/sensorische Einschränkungen der Mimik, Störungen der Speichelsekretion, Störungen des Atemsystems, Dys- bzw. Akalkulie u. a. als Neben- oder Hauptdiagnose zusätzlich zur Aphasie (Logopädie, Ergotherapie, Medizin, Pflege und Physiotherapie),

• körperliche Probleme wie Hemiparesen bzw. -plegien (Physiotherapie, Ergotherapie, Medizin und Pflege),

• psychische Probleme, die den Primärbetroffenen im Sinne einer Post Stroke Depression, aber auch dessen Umfeld (sekundärbetroffene Partner oder Kinder) betreffen (Psychologie, Logopädie, Medizin und Seelsorge),

• neuropsychologische Probleme wie Aufmerksamkeits-, Orientierungs-, Konzentrations-, Gedächtnisstörungen, Neglect, Hemianopsie (Neuropsychologie, Ergotherapie, Medizin und Logopädie) und

• internistische und/oder neurologische Komplikationen wie z. B. anhaltende Hypertonie, Pneumonie oder andere Infektionen, anhaltender Hirndruck, schlecht einstellbarer Diabetes Mellitus, Epilepsie (Medizin, vgl. Simon 2019).

Im Team sind dann unter der Führung der ärztlichen Profession, die sich aus der obligaten Nennung in allen disziplinären Teilbereichen ableitet, medizinische und therapeutische Maßnahmen abzustimmen. Die Liste der möglichen Begleiterscheinungen ist lang, aus logopädischer Sicht nehmen auf die Behandlungsplanung und -durchführung unter anderem direkten Einfluss:

• Schmerzen, Hemiplegie/-parese,

• Apraxie, Anosognosie, Agnosie, Dyskalkulie, Gedächtnisstörung, Vigilanz- bzw. Antriebsminderung, Neglect, Hemianopsie, Aufmerksamkeitsstörungen,

• nicht ausreichend korrigierte Hör- bzw. Sehminderungen, unzureichender Zahnersatz,

• Post Stroke Depression (PSD) und Post Stroke Fatigue (PSF) als Müdigkeit und leichte Erschöpfbarkeit, Affekt- und Impulskontrolle mit Beeinträchtigung der Handlungsplanung als Teil der exekutiven Funktionen, andere Gemütsstörungen wie Angstzustände, psychische Labilität, Apathie, Schlafstörungen.

Auf diese lange Liste der Begleitstörungen, die sich im Rahmen der frühen Aphasiebehandlung teils erst im Verlauf zeigen und die diagnostische und therapeutische Planung erheblich beeinflussen können, gehen wir im Folgenden nicht weiter ein.

Interprofessionelle Kooperation

Interprofessionelle Kooperationen sind nach der Listung der Probleme im letzten Abschnitt auf jeden Fall entscheidend für das Gelingen der frühen Rehabilitation. Jede Institution sollte überlegen, wie die Führung für Teamkommunikation und -entscheidungen seitens der ärztlichen Profession unter Einbezug von Pflege und therapeutischen Abteilungen gestaltet werden kann. Kapitel 7 widmet sich diesem Thema. Im Folgenden gehen wir bereits jetzt auf die Zusammenarbeit von Neuropsychologie und Logopädie ein, da wir hier eine besonders enge Verbindung im Rahmen der Aphasiebehandlung sehen.

Neuropsychologie

Basisfunktionen für die Sprachfähigkeit liegen im Bereich der Kompetenzüberschneidung von Neuropsychologie und Logopädie. Im stationären Setting kann die Logopädin wichtige Informationen von der Neuropsychologin über das Dokumentationssystem oder im direkten fach- und fallbezogenen Austausch einholen. Beide Professionen sollten beachten, dass eine Zusammenarbeit in der stationären Situation teils gut, aber ambulant nur sehr bedingt möglich ist, da es kaum neuropsychologische Praxen gibt. Von daher will die Zusammenarbeit der beiden Professionen für den Patienten gut dokumentiert und für den Übergang bzw. den Austritt aus der ersten Phase der frühen Rehabilitation gut kommuniziert werden.

Die Sprachfähigkeit ist abhängig von anderen mentalen Funktionen bzw. sollte als Teil des kortikalen Leistungs-Netzwerkes angesehen werden. Kognition ist unter anderem die Basis für den Wissenshintergrund in sprachlichen Akten und damit auch die Grundlage für das sprachliche Thema. Ebenso ist das Gedächtnis sehr nah am Thema und sichert den roten Faden. Aufmerksamkeit und geteilte Aufmerksamkeit sind wichtig im Prozess zwischen Sprachplanung und -umsetzung. Im Kontext der Rehabilitation nach einer Hirnschädigung wird Sprache und Kognition-Gedächtnis-Aufmerksamkeit arbeitsteilig angegangen, wobei sich Neuropsychologinnen und Neuropsychologen in ihrer praktischen Tätigkeit teils eher als Diagnostikerinnen und Diagnostiker definieren und teils auf einer Stroke Unit nicht vertreten sind. Damit bleibt die Logopädin oder der Logopäde therapeutisch im schlecht trennbaren Netzwerk Sprache-Kognition-Gedächtnis-Aufmerksamkeit zum Teil auf sich allein gestellt.

Nun ist es aber so, dass gerade im Kontext der akuten Aphasie zahlreiche neuropsychologische Begleiterscheinungen auftreten, die regulär zur Bearbeitung des Falles anstehen. Basisfunktionen verzerren dabei die Diagnostik (Nobis-Bosch et al. 2013) und beeinflussen oder dominieren den Therapieprozess.

Vereinfachung

Der Begriff Basisfunktionen, wie wir ihn hier verwenden, fasst komplexe, schwer trennbare Konstrukte der Hirntätigkeit zusammen. Kognition kann als Oberbegriff verstanden werden für Informations- und Gedächtnisspeicherung, -verarbeitung und -abruf, Wahrnehmungsprozesse, Orientierung, Konzentration und (geteilte) Aufmerksamkeit. Problemlösung, exekutive Funktionen, Kooperationsfähigkeit sowie situative Einschätzungen und Kontrolle eines adäquaten Verhaltens sind ebenfalls hier zu subsummieren. Wir konzentrieren uns im Rahmen dieses Buches auf praktische Belange. Einsichtig ist, dass alle genannten, sich teils überschneidenden Facetten der Hirnfunktion als sprachermöglichende oder sprachunterstützende Elemente eine Rolle spielen; kognitive Facetten sind somit die Voraussetzung für lautsprachliche und schriftliche Kommunikation. Eine Trennung von kognitiven und sprachlichen Prozessen ist eine künstliche. Eine exzellente Übersicht über die verschiedenen neuropsychologischen Begleitstörungen und deren Bedeutung für die Sprachtherapie finden sich in Eibl (2019a, S. 74–98).

kognitive Kommunikationsstörungen

Hirnschädigungen führen zu kognitiv-kommunikativen Störungen, die nicht nur rein sprachlich zu erklären sind. Zum Gespräch gehört beispielsweise, Situation und Intention abzuschätzen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen, sich auf Wesentliches zu fokussieren, sich kooperativ und erwartbar zu verhalten oder zu reagieren, um ein Thema zu entwickeln.

Durch die Verwobenheit von kognitiven und kommunikativen Leistungen ist davon auszugehen, dass nicht nur Schädigungen der dominanten (zumeist linken) Hemisphäre, sondern auch rechtshemisphärische Schädigungen kognitiv gesteuerte Kommunikationsstörungen verursachen (vgl. Büttner & Glindemann 2018). Die Gesprächspartner zeigen sich nach Büttner & Glindemann in der Kommunikation unflexibel, distanzlos, umständlich, unorganisiert oder wenig zielführend. Diese »weiche« Symptomatik muss zwingend mit dem prämorbiden Sprach- bzw. Kommunikationsverhalten in Beziehung gesetzt werden. Klassische aphasische Symptome können die Kommunikation weiter erschweren.

Als strategische Ordnung der sich überschneidenden Konstrukte bzw. Facetten haben Steiner und Zöllner (2019a, 2019b, 2019c) für ein logopädisch ausgerichtetes Hirnfunktionstraining folgenden Vorschlag gemacht:

• Informationsverarbeitung,

• Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und

• Planungskompetenz.

Das Programm ist in einem sehr einfachen Format gehalten und will Anregungen für individuell zu erstellende Übungen geben.

Frühe Aphasiebehandlung

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