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1 Zur Rolle der Logopädie in der Akutphase der Rehabilitation aus ärztlicher Sicht Michaela M. Pinter

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Aphasie, abgeleitet vom Griechischen »Aphasia« (Sprachlosigkeit), ist eine erworbene Störung der Sprache aufgrund einer Läsion unterschiedlichster Ätiologie in der dominanten, zumeist linken Hemisphäre des Cerebrums. Bereits in der Antike wurden Sprachstörungen bedingt durch Verletzungen des Gehirns beschrieben, die Zusammenhänge zwischen Aphasie und Lokalisation der Verletzung im Gehirn wurden jedoch erst im 19. Jahrhundert systematisch untersucht. Armand Trousseau, Professor der klinischen Medizin in Paris, führte als erster im Jahr 1864 den Begriff der Aphasie in den medizinischen Sprachgebrauch ein.

Sprache und die Fähigkeit zur Kommunikation sind essenzielle Teile unseres menschlichen Daseins. Nur der Mensch besitzt die Fähigkeit, sich auf hohem Komplexitätsniveau lautlich mitzuteilen. Verbale Kommunikation erlaubt dem Menschen, Wünsche zu äußern, Anweisungen zu erteilen, Diskussionen zu führen und Emotionen zu verbalisieren. Die Sprache ist unser Instrument, um in unserem sozialen Kontext aktiv und effizient zu agieren. Unvorstellbar, dass die Sprache mit einem »Schlag« wegbricht.

In der Phase eines akuten bzw. subakuten Sprachverlusts besteht ein hoher Zeitdruck, neben einer groben Erfassung der vorherrschenden Symptome die richtigen diagnostischen und therapeutischen, z. T. invasiven Interventionen zeitnah zu setzen. Diagnostik und Therapie bei allen neurologischen Erkrankungen einhergehend mit einer Aphasie sind eine interdisziplinäre Domäne und nur im Team effizient möglich. Das Gebot der therapeutischen Empathie ist für uns als Diagnostiker und Behandler, die individuelle Bedeutung für den einzelnen Betroffenen verstehen zu lernen, der mit einem »Schlag« der Sprache zum Teil oder vollständig nicht mehr mächtig ist. Das einmalige Erlebnis von Betroffenen, Bedürfnisse nicht mehr verbalisieren zu können und Anforderungen aufgrund des beeinträchtigten Sprachverständnisses nicht mehr nachkommen zu können, ist für uns als Diagnostiker und Behandler nahezu unvorstellbar. Nichtsdestotrotz ist diese Vergegenwärtigung des individuellen Erlebnisses Grundpfeiler eines empathischen therapeutischen Verhaltens und somit Basis für eine effiziente Aphasie-Therapie beim Betroffenen.

In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts war Logopädie bei akuter und subakuter Aphasie keine Selbstverständlichkeit, sondern eher die Ausnahme. Logopädie war nicht zwingend Teil des interdisziplinären Teams an einer neurologischen Abteilung im Erwachsenenalter – dies ist nun Geschichte. Im Laufe der letzten vier Jahrzehnte hat sich die Logopädie im Erwachsenenalter gewissermaßen als Selbstverständlichkeit des neurologischen und neuropsychologischen Therapieangebots etabliert, und alle Professionen des interdisziplinären Teams respektieren die hohe Fachkompetenz der Logopädie und erkennen die Wertigkeit sowie die Relevanz der Logopädie zum Wiedererlangen der Sprache bei Betroffenen an.

Nach abgeschlossener Akutdiagnostik fungiert der Neurologe einerseits als Initiator, welcher neben additiven medikamentösen Therapiestrategien nicht invasive interventionelle Therapiemaßnahmen wie transkranielle Gleichstromtherapie (Direct current stimulation – tDCS) oder repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) indiziert, andererseits als Moderator des interdisziplinären Teams, welcher in holistischer Sichtweise therapeutische Schwerpunktsetzungen koordiniert und diese adaptiert an die individuellen Bedürfnisse des Betroffenen.

Prinzipiell ist die Indikation für eine logopädische Aphasie-Therapie gegeben, sobald in mindestens einer Sprachdomäne wie Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben sich eine alltagsrelevante Störung abzeichnet. Vorrangiges Ziel der Aphasie-Therapie ist die Verbesserung der sprachlichen Funktionen, die Optimierung der Kommunikation und konsekutiv die Begünstigung der aktiven Teilnahme am sozialen Leben, unter Einbezug der sozialen Umgebung. Angehörige eines Betroffenen mit Aphasie müssen Teil des therapeutischen Prozesses sein, da ein guter familiärer und sozialer Hintergrund sich positiv auf die Rehabilitation der Aphasie auswirkt und das Rehabilitationspotential dadurch potenziert werden kann.

Aphasie-Therapie in den ersten vier Wochen nach Akutereignis soll Automatismen und Fehlkompensationen hemmen, Adaptationsprozesse steuern und adäquates Kommunikationsverhalten im sozialen Umfeld erreichen. In nationalen und internationalen Leitlinien zur Aphasie-Therapie wird zumeist festgehalten: In der akuten Phase ist bei gegebener kognitiver und emotionaler Verfassung des Betroffenen eine intensive logopädische Intervention in einer dem Schweregrad der Aphasie angemessenen Anzahl an therapeutischen Sitzungen so früh wie möglich indiziert; in der postakuten Phase bis ungefähr einem Jahr nach dem Akutereignis richtet sich die Frequenz nach dem jeweiligen individuellen Verlauf des Betroffenen; auch in der folgenden chronischen Phase werden mit periodisch angewandter, zeitlich begrenzter intensiver Aphasie-Therapie von mehreren Wochen noch signifikante Verbesserungen erzielt, sofern eine Lernfähigkeit und Motivation beim Betroffenen gegeben ist. Die klinische Erfahrung der letzten Jahrzehnte lehrt uns, dass Aphasie-Therapie unter gegeben kognitiven Ressourcen und optimalen psychosozialen Verhältnissen des Betroffenen keinen Endpunkt kennt. Wert ist es, bei nachgewiesenen laufenden Fortschritten und konkreten, realistischen therapeutischen Zielsetzungen periodisch weitere zeitlich begrenzte intensive Therapiephasen zu indizieren, um die Kommunikation zu optimieren und somit die weitere aktive Teilnahme am sozialen Leben unter Einbezug der sozialen Umgebung zu forcieren.

Auch wenn das Setting im stationären Bereich weitgehend zufriedenstellend hinsichtlich Intensität und Dauer ist, so ist die Frequenz der Aphasie-Therapie im ambulanten Bereich vielfach unzureichend. Nach der Aphasie-Behandlung im stationären Bereich mit einem intensiven therapeutischen Setting suchen viele Betroffene eine einfache Heimtherapie, um die wiedergewonnen sprachlichen Funktionen weiter auszubauen. Nachgewiesen ist, dass die Kombination von einem sinnvollen Funktions- und Strategietraining mit psychosozialer Unterstützung durch Angehörige den Transfer des Therapieerfolgs in den Alltag optimieren kann.

Schnell zu etablieren als zusätzliches Aphasie-Heimtherapie wäre neben der logopädischen Aphasie-Therapie zuhause die bereits in Institutionen additiv angewandte nicht invasive interventionelle Therapie der transkraniellen Gleichstromtherapie – ähnlich der funktionellen elektrischen Stimulation in der motorischen Rehabilitation.

Auch sollten bestehende logopädische Therapieprogramme wie multisensorische Lern-Tools, etabliert zum selbständigen Wieder-Erlernen von Sprache – am Computer oder am Tablet – spielerischer gestaltet werden und mit Belohnungsprozessen versehen werden, welche die Motivation des selbständigen Lernens der Betroffenen forcieren.

Erste Ansätze zeigen, dass Apps im Zuge der Aphasie-Therapie eine beratende und unterstützende Funktion haben können. Noch wenig verbreitet sind Aphasie-Apps mit einer Vielzahl an Aufgaben wie Übungen zum Sprachverständnis, zur Wortfindung auf Wort- und Satzebene, zum Lesen und Schreiben, zum Ergänzen von Sätzen und Wörtern sowie diverse Grammatikübungen, welche dem Leistungsvermögen des Betroffenen in verschiedenen Schwierigkeitsgraden stets neu angepasst werden können. Da durch haptische Therapie 90 % der Merkleistung gegeben ist, sollte dieses Wissen in der Entwicklung zukünftiger Aphasie-Apps einfließen.

Die Welle der Digitalisierung und der digitalen Transformation wird auch vor der modernen Aphasie-Therapie nicht Halt machen. Die Option einer telerehabilitativen Online-Aphasie-Therapie, welche vor allen Dingen Betroffenen in der chronischen Phase eine hochfrequente und intensive Aphasie-Therapie zuhause ermöglicht, befindet sich noch in den Anfangsschuhen.

Aufgabe der Forschung in der Aphasie-Therapie wird es in Zukunft sein, neue Therapiemethoden und spezifisch konzipiertes Therapiematerial folgend dem Konzept der interaktions-, emotions- und motivationsfokussierten Aphasie-Therapie zu entwickeln und zu etablieren. Tele-Aphasie-Therapie wird nicht Ersatz der physischen logopädischen Aphasie-Therapie sein, sondern eine additive therapeutische Strategie in der modernen diversen Aphasie-Behandlung im Einzel- und Gruppensetting.

Frühe Aphasiebehandlung

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