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3.4 Beeinträchtigte Kommunikation als Teilsymptomatik bei akuten Aphasien

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Aktivitäten und Anforderungen

Eine sprachsystematische Sicht auf die Symptomatik muss ergänzt werden durch die subjektive Bedeutung der Sprachverwendung in partnerschaftlichen, familiären, privaten, beruflichen und öffentlichen Kontexten. Dies gilt auch für die Akutphase. Aus dialogischer Sicht ist zu fragen, welche Sprachaktivitäten und Sprachanforderungen zu welchem sprachlichen Selbstbild geführt haben. Eine Lehrerin hat zum Beispiel das Selbstbild einer professionell sprechenden und schreibenden Person, die gewohnt ist, entsprechende sprecherische und schriftsprachliche Anforderungen zu bewältigen.

Eine Aphasie ist ein Absturz aus dem Lebenskontext. Der Verlust der Sprach- und Dialogfähigkeit wird als bedrohlich erlebt. Nicht sprechen zu können führt zu einem Gefühl der Ohnmacht. Allen Beteiligten in der Rehabilitation geht es letztlich darum, trotz aller Widrigkeiten der Ohnmacht entgegenzuwirken und das Gespräch aufrecht zu halten. In diesem Zusammenhang gewinnt der Begriff Strategie eine große Bedeutung.

Kommunikation hat Vorrang

Die Therapie des Sprachabrufs ist die klassische linguistische Therapie, die in jedem Lehrbuch einen sehr breiten Raum einnimmt (vgl. stellvertretend Huber et al. 2013) und über einen langen Zeitraum den Forschungsfokus dominiert hat. Das Zurechtfinden im Alltag bzw. die Teilhabe am partnerschaftlichen, familiären, beruflichen, privaten und öffentlichen Leben beruht letztlich auf Kommunikation. Deshalb sollte hier auch der Schwerpunkt der Bemühungen im Rahmen der Rehabilitation liegen. Dies gilt auch für die frühe Rehabilitation.

Während für die Verbesserung von Basisfunktionen und Sprachabruf das didaktisch aufbereitete Üben sinnvoll ist, ist für das Ermöglichen bzw. Aufrechterhalten der Kommunikation unter erschwerten Bedingungen das Vermitteln von Strategien in Beratungs- bzw. Coachingsituationen oder im Rahmen einer Gruppentherapie entscheidend. Die Vorrangstellung einer kommunikativ-alltagsorientierten Ausrichtung der Therapie haben in letzter Zeit unter anderen Steiner 2016, Wilkinson 2016 sowie Petzer & Steiner 2018 betont.

Der Gedanke ist dabei alles andere als neu. Stellvertretend sei Birchmeier (1984) erwähnt, die bereits vor der ICF-Diskussion treffend formuliert:

»Ein erheblich gebesserter Patient, der mit seinen Restdefiziten nicht zurechtkommt, der sich trotz Besserung nicht mit seiner Umwelt zu verständigen vermag, ist ein Misserfolg, und auch der schwerstgeschädigte Patient, der befähigt wird, sich – mit welchen Mitteln auch immer – mit Mitmenschen zu verständigen, ist ein Erfolg« (Birchmeier 1984, 98).

»Ob der Aphasiker von seinem restlichen Sprachvermögen nützlichen Gebrauch machen kann, hängt entscheidend vom kommunikativen Klima ab. (…) Angesichts dieser Tatsache(n) kann man sich sehr wohl fragen, ob es nun nicht die Sache der Sprachgesunden wäre, eine Haltung zu entwickeln, die dem Sprachgestörten das Kommunizieren leichter macht« (Birchmeier 1984, 203).

Normalität in Gesprächen

Um die Symptomatik der beeinträchtigten Dialogfähigkeit zu beschreiben, braucht es Wissen zur normalen Struktur und den normalen Abläufen in Gesprächen von Sprachgesunden. Nur so können aphasiebedingte Abweichungen eingeordnet werden. Aphasiebedingte Störungen unterscheiden sich dabei größtenteils nur im Ausmaß der Ausprägung. Seltener ist die Abweichung von einer Qualität, die in Gesprächen der Sprachgesunden nicht vorkommt (z. B. Logorrhoe).

Die Struktur, die Initiierung und die Beendigung von Gesprächen sind von den Personen und von der Situation abhängig. Dies wird mit dem Terminus kontextuelle Angemessenheit zusammengefasst. Darüber hinaus sind Kooperation (Zusammenarbeit), Koordination (Abgestimmtheit) und Konstruktion (Sinnverhandlung) Eckpunkte des gelingenden Gesprächs. Verstehen wird konstruiert im Zusammenwirken der Partner. Gespräche sind nicht nur verbale Akte, sondern nutzen Multimodalität; nonverbale und paraverbale Begleiter haben eine entscheidende Bedeutung.

Gespräche dienen nicht nur dazu, Informationen auszutauschen, sondern haben die Funktion, sozialen Kontakt herzustellen, zu gestalten oder zu definieren. In diesem Zusammenhang ist für das Gelingen in Gesprächen die Aufrechterhaltung von Ebenbürtigkeit entscheidend. Bauer und Auer (2009) haben dies mit Facework bezeichnet. Dieses ist besonders wichtig, wenn es Schwierigkeiten im Gespräch gibt. Von daher ist der Umgang mit Missverständnissen (breakdown und repair) in Aphasie überschatteten Gesprächen sowohl bei Bongartz (1998), bei Bauer und Auer (2009) sowie bei Collmann und Steiner (2019) der Schlüssel zum Verstehen bzw. zur Analyse von Aphasie-Gesprächen.

Zur Orientierung für die Praktikerin und den Praktiker lassen sich zehn klassische, sich überschneidende Störfaktoren benennen, die das Gelingen der Verständigung beeinträchtigen. Diese sind in Anlehnung an Petzer & Steiner (2018):

1. Mangelnde Kooperation im Gespräch.

2. Die Art der Äußerung ist kontextuell unangemessen (uninformativ, irrelevant, weitschweifig, sprunghaft, ungenau u. a.).

3. Der Umfang der Äußerung ist unangemessen (Sprechmenge im Turn).

4. Die Koordination im Gespräch ist arrhythmisch (unpassende Pausen, Wiederholungen, Abbrüche, pausenloser oder überlappender Sprecherrollenwechsel)

5. Die Ebenbürtigkeit wird verletzt.

6. Das Gespräch löst ungute Gefühle aus (Vorwürfe, Unzufriedenheit, Ungeduld, Desinteresse, bedrängende Fragen u. a.).

7. Es kommt zu kumulierten und in der Folge zu unauflösbaren Missverständnissen.

8. Fehlende Signale des Verstehens verunsichern das Gespräch.

9. Mangelnde Initiative im Gespräch und/oder Themen- bzw. Gesprächsabbruch erschweren den Gesprächsfluss.

10. Sprachbegleitende und sprachersetzende Mittel zur Verständigung (Schrift, Gestik, Mimik) bleiben uneindeutig.

Über die individuell ausgerichtete Beschreibung der Symptomatik des beeinträchtigten Gesprächs ergibt sich im besten Fall ein Bild der Erschwernisse in Gesprächssituationen, und aus der Identifikation von Fehl-Mustern lassen sich Steuerungsmöglichkeiten über Gesprächsstrategien entwickeln.

Komplexitätsreduzierung

Es ist sehr wichtig, die Beschreibung der Symptomatik, die Diagnostik und die Therapie des Gesprächs überschaubar zu halten. Gespräche sind komplex, dynamisch und schnell. Es ist von daher sinnvoll, die Komplexität zu reduzieren, um überhaupt in Kontakt zu kommen. Die Dialogleistungsstufen nach Steiner (2010) sind ein solcher Versuch der Reduktion. Vor dem Dialog steht die Fähigkeit, sich äußern zu können, und davor ist es erforderlich

• kontaktfähig,

• gesprächsteilhabefähig,

• kommentarfähig,

• antwortfähig,

• gesprächsimpulsfähig und

• gesprächsgestaltungsfähig zu sein.

Die sechs Stufen können auch mit der Dreiteilung emotionale, kontaktive und informative Kompetenz für Gespräche zusammengefasst werden (vgl. Steiner 2010).

Eine weitere Vereinfachung des Konstruktes Dialogkompetenz ist die Reduzierung des Gesprächsablaufs auf Rhythmus (Tempo), Klima und Information (vgl. Steiner 2010). Gespräche unter erschwerten Bedingungen gelingen, wenn

• der Rhythmus träge ist durch Reduzierung des Tempos,

• emotionale Stressoren erkannt und vermieden werden und die Ebenbürtigkeit aufrechterhalten wird und

• die Ansprüche an Korrektheit sowie an Eindeutigkeit und Relevanz der Information gemindert werden.

Gelingende Gespräche

In der Regel wird die Therapeutin mehr Energie auf Gesprächs-Förderer, also Strategien, die Verständigung unterstützen, legen als auf Gesprächs-Hemmnisse. Dies ist bereits bei der Beschreibung der Symptomatik wichtig.

Mit Strategien im Gespräch ist gemeint, bewusst zu kommunizieren, ohne die Authentizität zu verlieren. Beispiele in Form von Merksätzen können sein:

• Kommunikation mit allen Mitteln ist erlaubt.

• Das Verstehen will über Signale oder über Worte gesichert werden.

• Wir achten aufeinander – träge Turns sind erwünscht.

• Die Aufrechterhaltung der Ebenbürtigkeit ist wichtiger als Information.

• Missverständnisse brauchen Geduld oder werden vertagt.

Gelingende Gespräche sind mit Aphasie möglich, so wie misslingende Gespräche auch ohne Aphasie möglich sind. Der Wille zur Kooperation, ein ausgewogener Sprecher-Hörer-Anteil, das Bearbeiten von Missverständnissen, Verantwortung für das Thema oder für Themenwechsel oder Achtsamkeit der begleitenden Emotionen in Gesprächen sind Punkte, die hilfreich sind im Umgang miteinander. Wenn unter erschwerten kommunikativen Bedingungen strategisches und authentisches Verhalten zusammenkommen, hat Verständigung mehr Chancen zu gelingen.

Aufgrund der enormen Vielfalt der Symptome in den drei sich überschneidenden Dimensionen Basisfunktionen, Sprachabruf und Dialog schlagen wir im folgenden Kapitel Diagnostik ein Verfahren vor, das je nach Institution, nach Phase im Rahmen der Akutrehabilitation und je nach individuellem Einzelfall optionale Bausteine für die Indikationsklärung und für weitere therapeutische Entscheidungen bereithält.

Frühe Aphasiebehandlung

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