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Gülle und die alternative Art zu reisen

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Draußen angekommen, musste Ole erst einmal abrupt abbremsen, um nicht in einen riesigen Trecker zu laufen, der direkt vor der Eingangstür stand. Am Trecker angehängt war ein ebenfalls überdimensionaler Kesselwagen, der dem strengen Geruch nach Gülle geladen hatte. Daneben stand ein junger, langhaariger Mann und fluchte lauthals. Als dieser Ole und Lotta entdeckte, fing er auf einmal an, wild in Oles Richtung zu gestikulieren: „Sagt mal, habt ihr Dussels etwa genau hier, diese gummibereifte Kasperkiste abgestellt? Wo doch alle Welt weiß, dass wir heute Gülle fahren und ich hier rückwärts lang muss. Man, ich sehe doch nichts nach hinten raus, wenn ich hier wende und nun schaut euch Mal diese Sauerei hier an!“

Ole, der zunächst einmal geschockt war von der Titulierung seines geliebten VW-Busses und dann von dessen Anblick, merkte daraufhin, wie ihm die Knie weich wurden und er in sich zusammensackte. Dabei schlug er seine Hände vors Gesicht, damit er den Anblick, des eben noch frisch gewaschenen und jetzt zerbeulte, sowie mit Gülle übergossenen VW-Busses, nicht länger ertragen musste. Wodurch sich ein Rollentausch vollzog, denn nun war er es, der heulte und Lotta die, die sich neben ihn gehockt hatte, um ihm tröstend ihren Arm zu Verfügung zu stellen, während sie beschwichtigend auf ihn einredete. Sanft meinte sie dabei, dass das alles bestimmt nicht so schlimm sei, wie es im ersten Moment aussah und dass sie bestimmt eine Lösung finden werden. Ole jedoch war anderer Meinung, weshalb er etwas später sichtlich empört, abrupt aufstand, wobei er leise brummte, „Wieso in drei Teufelsnamen soll dies alles hier nicht so schlimm sein?“ Er wollte dies gerade lautstark ausformulieren, als er sich noch einmal und dann verwundert umschaute, denn der komplette Eingangsbereich war auf einmal stark bevölkert. Der Langhaarige hatte sich zwischenzeitlich beruhigt und fluchte nicht mehr, sondern lief nur noch nervös auf und ab. Man hatte die Servicehaube von seinem Camper geöffnet und eine Frau war gerade dabei die Gülle aus dem Lüftungskanal vorne abzuschöpfen. Andere wiederum waren damit beschäftigt, das Leck im Kesselwagen notdürftig zu flicken, nachdem sie seinen Surfboard-Mast dort herausgezogen hatten und wieder andere waren dabei die Einfahrt von der Gülle zu befreien. All dies lief so harmonisch, ohne Streit und ohne Hektik ab, so dass Ole sich insgeheim fragte: Ob dies das normalste auf der Welt für sie sei oder ob sie auf solche Notsituationen trainiert worden waren? Verwundert schüttelte er gerade seinen Kopf, als er auf einmal Lottas warme Hand in seiner spürte. „Siehst du, alles ist gut!“, sagte sie dabei beruhigend, bevor sie ihn geschickt ins Haus zurückführte.

In der Küche angekommen, ließ Ole ihre Hand los und ging mit schweren Schritten zurück zum Sofa, wo er sich frustriert hinsetzte, während er brummte: „Na ja, heute werden wir zumindest nirgendwohin mehr aufbrechen, soviel steht schon mal fest!“

„Ja, aber Morgen vielleicht, wer weiß?“, entgegnete sie weiterhin sanft. „Vielleicht war es ja Karma, weil das Universum uns etwas mitteilen wollte?“

„Ach Lotta, nun komm schon, das hatte doch nichts mit Karma zu tun, sondern mit einem kurzsichtigen, langhaarigen Bombenleger, der nicht rückwärtsfahren kann. Und was wollte das Universum uns schon mitteilen wollen, etwa fahrt nicht?“, patzte er sie an, während er sie kritisch betrachtete.

„Nein, das spüre ich genau! Vielleicht nur nicht so, sondern anders.“

„Wie anders, vielleicht zu Fuß oder doch mit der Bahn? Also, etwas genauer werden muss es da schon!“, verzog er gerade ungehalten sein Gesicht, als ein großer, starker Mann mit einem urfreundlichen Gesicht die Wohnküche betrat.

„Moin, wir kennen uns ja noch gar nicht. Ich bin Dieter, Jonas Zweit-Opa! Wie ich gehört habe, kennt ihr beiden euch ja schon?“, kam er auf sie zu und sah Ole lächelnd in die Augen.

„Nur der Stimme nach!“, erhob Ole sich spontan und reichte Jonas Zweit-Opa die Hand, während er beschloss über diese weitere Ungereimtheit nicht weiter nachzudenken. „Hallo, und ich bin Ole, der unglückliche Besitzer der mit Gülle überzogenen, gummibereiften Kasperkiste dort draußen vor der Tür!“, zwang er sich ein gequältes Lächeln ab.

„Ja, das kann ich gut verstehen. Der Martin ist aber auch watt‘n Dösbaddel!“, nickte Dieter verständnisvoll, bevor er sich umdrehte, um sich einen Kaffee einzuschenken.

Mit dem dampfenden Pott Kaffee in der Hand kam Dieter zurück und setzte sich Lotta und Ole gegenüber auf einen Stuhl. Bedächtig nahm er einen vorsichtigen Schluck aus dem Becher, bevor er Ole mitfühlend betrachtete. „Tja, das ist ja nun Shit. Aber nun lass mal den Kopf nicht hängen, dat ward schon. Nur mit deinem Camper da draußen solltest du besser erst mal nicht mehr herumfahren. Der sollte zunächst einmal gebügelt werden und ich würde dringend empfehlen, dass die Lüftung kräftig gespült wird. Sonst riecht es auf Dauer in deinem VW-Bus, genauso wie bei meinen Schweinen und das will ja nun keiner!“, lachte er dann herzlich über seinen eigenen Witz.

„Ja aber, das dauert doch mindestens zwei Wochen!“, entgegnete Ole sichtlich empört, während er aus dem Fenster starrte.

„Ja, übern dicken Daumen magst du da wohl recht haben. Aber ich garantiere dir, danach ist der so gut wie neu. Das wäre ja gelacht, wenn der Martin deinen Camper nicht wieder hinbekommt. Denn wenn der nicht gerade auf den Trecker sitzt, ist er unser Mechanikus und schraubt an Allem herum, was hier so auf dem Hof mindestens zwei Räder hat. Oh, da fällt mir ein,“, grübelte er kurz, „übern Winter hatte er und sein Onkel an so einem alten Wohnmobil herumgeschraubt. Tja, und der ist nun mittlerweile wieder flott. Denn letzte Woche war er damit in Schönberg, zur HU“, strahlte Dieter die beiden kurz an, bevor er mit einem etwas nachdenklicheren Gesicht fortfuhr: „Man, da sag ich was! Lauft bitte nicht weg. Ich bin gleich wieder da“, sprang er auf und lief zur Tenne hinaus, während Ole ihm verdutzt hinterherrief: „Keine Angst, das wird schon nicht passieren, wie auch?“ Dann wandte er sich an Lotta: „Nur hoffentlich schraubt dieser Martin besser, als er mit dem Trecker rangiert!“

„Jo, da verlass dich mal drauf!“, war die prompte, leise Antwort von Dieter aus dem Off, bevor dieser laut: „Martin, Martin, wo steckt der Bengel den nun schon wieder. Hat hier irgendjemand den Martin gesehen?“, rief.

Währenddessen strahlte Lotta ihn an: „Und, was habe ich gesagt? Nun, da hast du deine Antwort!“

„Ja, okay,“, verdrehte Ole kurz die Augen, „aber wer weiß was das für eine Kiste ist! Und wieso nennt er sich Jonas Zweit-Opa und nicht Opa oder so?“

„Weil er zwar der Erzeuger von Nicole ist, doch haben sich Bianca und Dieter getrennt während der Schwangerschaft. Kurz darauf ist Bianca mit Peter zusammengekommen, der dann die Vaterrolle für Nicole übernommen hat. Logischerweise ist er daher auch der Opa für Jonas, wobei er außerdem auch der Neffe von Martin ist.“

„Ach so, alles klar!“, pflichtete er ihr mehr automatisch bei, während er erneut aus dem Fenster starrte. Dabei stellte er sich alle möglichen Varianten von Wohnmobilen vor, die in seiner Fantasie alle bunt bemalt waren und mit einem Regenbogen an der Seite, sowie mit einem Peace Zeichen vorne auf der Motorhaube. Dieser Tagalptraum endete erst, als Dieter vor dem Fenster auftauchte und ihnen mittels Handzeichen andeutete, zu ihm rauszukommen.

„Man, der Martin hat ein ganz schön schlechtes Gewissen, dass er euch euren Tourstart so versaut hat. Darum fand er meinen Vorschlag auch auf Anhieb gut. Er bügelt deinen VW-Bus, spült die Lüftung und macht alles wieder Chic, während ihr seinen frisch renovierten Camper nehmt“, sagte Dieter. Dann drehte er sich um und lief in Richtung der Stallungen davon, die sich auf der Rückseite des Gebäudes befanden, wobei er ihnen andeutete, ihm zu folgen. So liefen Lotta und Ole ihm hinterher, wobei Ole gespannt war, ob sein Tagalptraum gleich real wird.

Vor einem großen hölzernen Rundbogentor blieb Dieter stehen und öffnete es. „Wartet bitte kurz,“ trat er ins dunkle hinein, woraufhin das Dunkle kurze Zeit später einer ungemütlichen Neon Beleuchtung wich und so im Inneren eine große Halle mit landwirtschaftlichen Geräten zum Vorschein kam, an dessen Ende ein altes Pilote Wohnmobil mit Alkoven auf Renault Basis stand. Dieser war bei weitem nicht mehr das neueste und modernste Modell. Doch entsprach das widererwartend unbemalte Wohnmobil auch keinem von den Modellen, die Ole in seinen TagAlbträumen vor seinem geistigen Auge gesehen hatte.

„Na, was meint ihr?“, strahlte Dieter sie an. „Der sieht doch ganz schnieke aus und zu zweit mehr als ausreichend!“, dabei gab er ein Code in ein Zahlenkeyboard ein, bevor er ein Schlüssel aus dem dahinterliegendem Schlüsselkasten nahm.

„Na ja das schon, aber so funfzehn Jahre hat der doch bestimmt schon auf dem Buckel, oder?“, entgegnete Ole skeptisch und fing sich prompt einen Ellbogenstoß von Lotta ein, die mit strahlenden Augen neben ihm stand.

„Jo, da magst du wohl recht haben. Wenn ich mich Recht entsinne, ist der sogar von 1991!“, nickte Dieter ihm zu. „Aber wie gesagt frisch renoviert und mit einigem Schnickschnack“, fügte Dieter gelassen hinzu, während er die Aufbautür aufschloss. „So, dann lass uns mal gucken!“, betrat er das Wohnmobil, bevor er eine einladende Handbewegung machte. „Schaut mal, der hat sogar im Alkoven ein richtiges Doppelbett, also jede Menge Platz für alles was Spaß macht!“, zeigte er über die Fahrerkabine. Der Gedanke daran ließ Ole jedoch sofort wieder erröten, in Gegensatz zu Lotta, die mit einem Satz oben im Alkoven war. Auf und ab wippend sprang dann ihr drahtiger Körper ausgelassen hin und her, um die Matratze zu testen und um nebenbei Ole von seinem Irrglauben zu befreien, dass sie ganz auf Unterwäsche verzichtet.

Um sich von diesem Gedanken abzulenken, inspizierte Ole lieber den Rest des Wohnmobils. Nachdem er die Gasflasche gefunden und aufgedreht hatte, stellte er zufrieden fest, dass die beiden Kochstellen und der Kühlschrank auf Anhieb funktionierten. Dann schaute er gewissenhaft die Schränke durch, die dringend gereinigt, genauso wie die Polster ausgeklopft und gelüftet werden müssten. Ansonsten war alles, entgegen seinen Erwartungen, in einem tadellosen Zustand.

Als Dieter dies zufrieden wahrnahm, fragte er: „Und, wie wäre es nun mit einer kleinen Probefahrt?“

„Okay, warum nicht! Dann kommt jetzt wohl der Moment, wo der Elefant sein Wasser lässt“, entgegnete Ole erneut skeptisch. Weil er sich noch immer nicht mit der Tatsache abfinden wollte, dass er gerade diesen Oldtimer gegen seinen flotten Camper eintauschte. So setzte er sich etwas widerwillig auf den Fahrersitz, stellte diesen und die Spiegel routiniert ein, bevor er den Schlüssel im Zündschloss herumdrehte.

Nach einer kleinen Ewigkeit erlosch die Glühkerzenanzeige endlich und Ole drehte den Zündschlüssel gespannt weiter, woraufhin der Motor auf Anhieb zum Leben erwachte. Dabei ruckelte das ganze Wohnmobil kurz bedenklich und aus dem Auspuff kam eine große blau/schwarze Wolke heraus, wie er im Außenspiegel sehen konnte.

Nach kurzem warten, löste er die Handbremse und bugsierte vorsichtig das alte, ausladende Gefährt durch die Halle, wobei ihm der Alkoven, in dem Lotta immer noch lag, sehr irritierte, da er ihm die Sicht steil nach oben nahm. So kam er beim Torbogen kurz zum Stehen, um kritisch nach oben zu sehen.

„Keine Bange, dat passt schon mein Jung!“, meinte Dieter daraufhin aufmunternd.

Vor der Halle deutete ihm Dieter an nach rechts, ums Haupthaus herum zu fahren. So kamen sie an der Stelle vorbei, wo Oles Camper, mit noch immer geöffneter Seitentür und Serviceklappe, stand. Dieser Anblick war für Ole kaum zu ertragen und er schluckte heftig, um nicht lauthals loszufluchen. Deshalb versuchte er möglichst nicht so genau hinzuschauen und gab stattdessen Gas, während er in Richtung des Waldweges fuhr, auf dem er hergekommen war.

Als er die normale Landstraße endlich erreicht hatte, trat er das Gaspedal probehalber so weit durch, bis er das Bodenblech erreichte. Daraufhin beschleunigte das Wohnmobil gemächlich, bis er bei knapp 120 km/h im 4. Gang seine Höchstgeschwindigkeit erreichte, wobei die Geräuschkulisse im Wageninneren immer unerträglicher wurde. Dann musste Ole aber auch schon wieder abbremsen, um nicht aus der nur leichten Kurve getragen zu werden.

„Sportlich ist etwas anderes!“, sah Ole daraufhin belustigt zu Dieter hinüber.

„Na ja,“, erwiderte Dieter irritiert Oles Blick, „zum Glück habt ihr es ja nicht eilig und könnt gemütlich fahren!“

Bei dem Wort: Wir, fiel Ole schlagartig ein, dass sich Lotta zuletzt oben im Alkoven befunden hatte. Daraufhin verringerte er sanft, aber bestimmt die Geschwindigkeit des Fahrzeuges, bevor er entgegnete: „Ja, da hast du wohl recht!“ Dann hob er verärgert seine Augenbrauen: „Und meinen schicken Camper hatte Martin als gummibereifte Kasperkiste beschimpft und was bitte schön, ist das hier?“

„Eine Möglichkeit, die uns jetzt doch noch unmittelbar nach Süden in die Sonne und mich nach Hause bringt. Ist das nicht super! Die Moiren meinen es wieder einmal sehr gut mit mir und auch mit dir. Daher habe ich ein echt gutes Gefühl, weiß du!“, sagte Lotta, die zwischenzeitlich aus dem Alkoven geklettert war und jetzt genau hinter Ole in der Sitzecke saß.

„Ach, und was versteht dein Gefühl oder die Moiren von Autos?“, betrachtete Ole sie leicht verärgert mittels Rückspiegel.

„Nichts, wenn ich ehrlich bin. Aber von Menschen, außerdem verlass ich mich immer darauf, dass alles im Leben vorbestimmt ist.“

Ole, der auf solche Themen zurzeit nicht näher eingehen wollte, brachte daher seine wahren Gedanken lieber nicht zum Ausdruck. Stattdessen lächelte er vordergründig, während er betont freundlich sagte: „Na gut, wenn du meinst. Dann verlasse ich mich mal auf dein Gefühl.“

„Echt. Klasse, das wirst du bestimmt nicht bereuen!“, lächelt Lotta zufrieden zurück.

Woraufhin auch Dieter sich wieder entspannte: „Jo, dann lass uns jetzt mal wieder zurück nach Hause. Die Arbeit macht sich ja schließlich nicht von selbst!“

Zurück auf dem Gut wollte Ole das Wohnmobil gerade neben seinem Camper abstellen, um das Gepäck und die Vorräte umzuladen. Doch da schüttelte Dieter verneinend mit dem Kopf: „Lass das mal lieber bleiben mein Jung. Denn der Martin muss hier bestimmt noch einmal lang! Außerdem wird es wohl besser sein, deinen Bus aus der Sonne zu nehmen.“

Beides überzeugte Ole, weshalb er erst das Wohnmobil zurück in die Halle bugsierte, bevor er mit Dieter und Lotta zum VW-Bus zurückging, um diesen in die Halle zu schieben.

Von dem Geruch angewidert, den sein VW-Bus verströmte, verzog er gerade sein Gesicht, als er Dieter leise, aber bestimmend hinter sich sagen hörte: „Lotta, ich freue mich echt dich hier hinten zu sehen. Aber auf dem Fahrersitz machst du dich jetzt echt besser!“

Verwundert drehte er sich zu der Stimme hin um und erkannte so Lotta, die sich hinterm VW-Bus in Stellung gebracht hatte, bevor sie die Arme in die Hüften stemmte und Dieter kurz streng ansah. Dann zuckte sie resignierend mit den Schultern und kam seinen Wunsch nach.

Da musste Ole zum ersten Mal seit langem wieder amüsiert grinsen: Lotta ist echt ein Pfundsweib! Aber tauschen wollte er nicht mit ihr.

In einer entlegenen Stallung angekommen, durchsuchte Ole als erstes sein Gepäck nach einem Tuch, dass er mit seinem guten Eau de Parfüm einsprühte, bevor er es sich vor die Nase schnürte. Dann machte er sich daran, seine Sachen aus dem Camper auf einen Bollerwagen zu räumen, um sie hinüber, in die andere Halle zum Camper zu karren. Lotta ging währenddessen zurück ins Gutshaus, um Putzzeug zu holen. So verging der Rest des Tages, durch intensives Putzen und Räumen, wie im Fluge, bis, kurz vor sechs, Dieter wiedererschien. Neugierig betrat er das Wohnmobil, bevor er anerkennend Lotta zu nickte: „Man, das schaut ja sauberer aus als bei mir in der goden Stuv! Und richtig gemütlich hast du es auch schon hergerichtet. Dann lass mal jetzt gut sein. Die Frauen haben das Abendbrot fertig und ihr müsst bestimmt Hunger haben!“

„Danke, aber ich habe lediglich gewischt und Ole hat geräumt!“, legte sie denn Putzlappen in die Spüle und lächelte Dieter an. Dann folgten sie ihm schweigend in die große Wohnküche, wo der große Tisch, im Gegensatz zu morgens, fast komplett besetzt war.

Beim Hineingehen hielt Lotta Ole kurz zurück, bevor sie sich an die Anwesenden wandte: „Hallo zusammen! Wie ihr euch vielleicht denken könnt: Dies ist Ole,“, schwang ihr Unterarm hoch und ihre Hand zeigte auf ihn, „der Freund von Mayas Freund, der so nett ist, mich nach Barcelona mitzunehmen. Was, wie ihr ja ebenfalls mitbekommen habt, sich etwas verzögert“, stellte sie ihn erst förmlich vor, bevor sie sich abrupt von ihm abwandte und zum Herd hinüber ging.

Ole konnte währenddessen spüren, wie sich etwa fünfzehn Augenpaare auf ihn richteten. So sah er sich nervös im Raum um und entdeckte dabei nur einen kleinen Jungen, der dann wohl Jonas sein musste. Eingekeilt saß er zwischen zwei Frauen und strahlte Ole mit seinen hellblauen Augen an. Als sich ihre Blicke trafen, hob Ole seine Hand zum Gruß: „Danke nochmal, für den Tipp vorhin!“, versuchte er besonders cool zu sagen, wobei er ihm unsicher zu zwinkerte.

„Klar, kein Problem!“, antwortete Jonas, während er seine Nudeln mit Tomatensoße seelenruhig weiter aß. Währenddessen versuchte die junge, asketisch wirkende Frau rechts neben ihm, die Verteilung der Tomatensoße, die von seinen Spagetti aus überall hin spritzte, einzudämmen. Als sie dies einigermaßen geschafft hatte, sah sie hoch und lächelte Ole ebenfalls an: „Hallo, und ich bin Nicole, Jonas Mutter, und es freut mich sehr dich kennenzulernen!“

„Moin!“, gab er daraufhin freundlich zurück, bevor sein Blick zu der Frau hinüber wanderte, die links von Jonas saß. Diese trug ein ähnliches Tuch um den Kopf gewickelt, wie Maya bei der Party vor zwei Wochen und auch sie lächelte ihn freundlich an, während sie sagte: „Danke übrigens, dass du unsere Lotta mit zurücknimmst. Ach, sie war ja schon so verzweifelt, dass sie sich wieder allein in so einen schrecklichen Zug herumquälen muss. Diese Stahlkolosse sind aber auch schrecklich, ganz zu schweigen von den vielen fremden und zumeist durchgeschwitzten Leute, die dort mitreisen. Da kann ich unsere Lotta aber auch gut verstehen, dass sie da keine Lust draufhat“, verzog sie kurz angewidert ihr Gesicht, bevor sie wieder aufgesetzt lächelte. „Ach ja, ich bin übrigens Bianca, die stolze Oma von unserem Jonas hier. Wie mir scheint, kennt ihr euch ja schon.“

„Nur der Stimme nach, bis eben. Er hatte mich vorhin netterweise auf etwas hingewiesen!“, zwinkerte er Jonas dieses Mal verschwörerisch zu, wobei er hoffte, dass dieser mit seinen Spagetti noch genug abgelenkt war.

„Ja, mein kleiner Enkel hier ist ein echt aufgeweckter Junge!“, wuschelte Bianca ihm kurz in seinen kurzen, blonden Haaren herum, während dem dies nicht zu gefallen schien.

Dann erschien Lotta zum Glück wieder und führte ihn zum Herd hinüber, wo sie ihm eine große Portion Kartoffelsuppe in eine Schüssel füllte. „Willst du auch eine Wurst?“, sah sie ihn danach fragend an und als er nickte, bekam er noch eine dicke Knackwurst obendrauf. Ihren eigenen Teller füllte sie dann jedoch nur bis zur Hälfte voll.

„Willst du gar keine Wurst?“, fragte er sie daraufhin vorsichtig, weil er sich fragte, ob es ihr nicht gut ginge.

„Nein, ich bin meist Vegetarierin!“, handelte Lotta die Sache kurz ab und führte ihn zum Ende des Tisches, wo noch Plätze frei waren und wo, ob es der Zufall so wollte oder auch nicht, ebenso Martin saß, der ihn erwartungsvoll anlächelte: „Na, wie gefällt dir mein Wohnmobil? Nicht mehr der Allerneuste, ich weiß. Aber ich bin trotzdem sehr stolz auf ihn!“

Während Ole sich daraufhin noch eine diplomatische Antwort überlegte, kam Lotta ihm zuvor: „Das kannst du auch, denn der ist echt toll und wir freuen uns sehr, dass du ihn uns ausleihst!“, strahlte sie erst Martin und dann Ole auffordernd an.

„Ja ist er. Vielen Dank, nochmal!“, lächelte Ole daraufhin in Martins Richtung, wobei er wirklich kurz lächeln musste, und zwar wegen Lottas ausgleichende Art. Dann jedoch wurde er wieder ernst: „Und du meinst wirklich, dass du meinen Camper wieder hinbekommst?“

„Klar, das sollte kein Problem sein“, gab Martin selbstbewusst zurück, bevor er kleinlaut anfügte: „Ach ja, Dieter meinte noch, ich sollte mich bei euch entschuldigen, wegen den ganzen Unannehmlichkeiten und so. Also entschuldige bitte, ich habe dein VW-Bus echt nicht gesehen.“

„Okay, Entschuldigung angenommen, also Schwamm drüber. Nur sag mal, hast du das mit dem Autoschrauben mal gelernt oder wieso bist du dir da so sicher, dass du meinen VW-Bus wieder hinbekommst?“, sah Ole ihn erneut skeptisch an.

„Ja, in meinem vorigen Leben war ich Karosserieschlosser, also mach dir darüber mal keinen Kopf. Den bekomme ich schon wieder hin!“, nickte Martin und lächelte zuversichtlich.

„Okay, na ja dann!“, lächelte Ole daraufhin ebenfalls, bevor er stutzte: „In meinem vorigen Leben, wie meinst du denn das?“

„Ach so, als Karosserieschlosser habe ich gearbeitet, bevor ich mich in meine Lisa verliebt habe und zu ihr auf den Hof gezogen bin“, lehnte Martin sich zurück und gab so den Blick auf die junge Frau neben sich frei. „Das ist übrigens meine Lisa hier!“, stellte er sie dann noch einmal förmlich vor.

„Hallo, nett dich kennen zu lernen! Ich bin die Lisa, Dieters Stieftochter“, stellte sie sich dann noch mal selbst vor.

„Ähm ja, freut mich auch!“, nickte er ihr freundlich zu, wobei er erneut stutzte: „Entschuldige, sehe ich das richtig: Ihr alle hier auf dem Gut seid irgendwie miteinander verwandt oder anders miteinander verbandelt und dennoch lebt und arbeitet ihr hier alle zusammen?“, kratzte er sich nachdenklich am Kopf.

„Ja na klar, warum sollten wir denn nicht?“, sah sie ihn kurz irritiert an. „So können wir uns gegenseitig helfen und sind jederzeit füreinander da. Stimmt doch Dicker, oder?“, knuffte sie Martin dabei sanft auf die Schulter.

„Ja Seuten, genau das ist so schön hier!“, nickte er und rieb sich kurz die Schulter, bevor er sich an Ole wandte: „Na ja, ich kannte das ja vorher auch nicht. Doch ich muss sagen, mittlerweile finde ich diese Form des Zusammenlebens richtig prima!“

„Ach, und wieso?“, sah Ole ihn ungläubig an.

„Weil ich feststellen musste, dass die ansonsten überall übliche Kleinfamilie nur zur Vereinsamung des einzelnen führt. Denn da dreht sich immer alles nur ums Geld oder um Macht!“

„Shit, wie kommst du denn auf diese krasse Aussage?“, sah Ole ihn sichtlich überrascht an.

„Na warum wohl, weil unter anderen meine Eltern es mir so vorgelebt haben.“

„Oh, du meinst sie haben sich scheiden lassen?“

„Richtig, da sie statt miteinander, immer nur übereinander geredet haben und ihre ganze aufgestaute Frustration haben sie dann an mir ausgelassen. Echt ätzend sage ich dir! Kein Wunder, dass ich lange Zeit keinen Bock auf eine feste Beziehung hatte!“, verbarg Martin plötzlich sein Gesicht in seinem langen Haar, wobei er die Tischplatte anstarrte.

„Komm schon mein Held,“, legte Lisa sanft ihre Hand auf sein Bein, „alles ist gut. Diese dunkle Zeit ist doch schon längst vorbei. Jedoch spüre ich gerade, dass du wohl noch weiteren Redebedarf hast. Das machen wir später, okay?“ lächelte sie ihn kurz milde an. Dann wandte sie sich Lotta und Ole zu: „Ach, ihr müsst wissen, er ist halt immer noch sehr emotional, wenn es um seine Eltern geht. Und du,“, wandte sie sich plötzlich direkt an Ole, „du verstehst dich doch hoffentlich noch mit deinen Eltern, oder?“

„Äh, nein?“, sah er sie verdutzt an, wobei er sich ad-hoc mit der Situation wieder mal überfordert fühlte. Weshalb er schroff anfügte: „Zumindest nicht mit meinem Vater. Ist jetzt aber auch egal, da mittlerweile alle drei tot sind. Und deshalb gibt es auch keinen Grund, das Thema weiter zu vertiefen. Außerdem würde ich jetzt gerne die Suppe essen, solange sie noch heiß ist!“ Wodurch sich seine Unsicherheit auf Lisa und Lotta übertrug, die sich daraufhin fragend anschauten.

Wobei Lotta sich als erste wieder fing: „Man, das ist aber ganz schön traurig! Dann können sie aber nicht sehr alt geworden sein. Mein Beileid!“, umarmte sie ihn spontan und drückte ihn fest an sich. Dann betrachtete sie ihn eingehend: „Vielleicht ist das ja der dunkle Fleck in deiner Aura, der mich vorhin etwas verunsichert hat. Aber du hast Recht, vielleicht sollten wir erst einmal essen.“

So kam Ole doch noch in den Genuss, seine Suppe in Ruhe und im heißen Zustand essen zu können, und diese schmeckte so gut, wie sie aussah. Dennoch konnte er sich nicht auf dessen Geschmack konzentrieren, denn in seinen Gedanken ging er immer wieder die ganzen Ereignisse des Tages noch einmal durch. Als er den Inhalt seines Tellers hinuntergeschlungen hatte und zu den anderen wieder hochsah, sprach Lotta ihn unvermittelt an: „Möchtest du eigentlich lieber mit den anderen Männern eine Runde Doppelkopf spielen oder kommst du mit mir raus zum Teich?“

„Doppelkopf?“, sah er sie kritisch an. „Ehrlich gesagt kann ich dem Spiel nicht mehr viel abgewinnen. Da komm ich lieber mit raus.“

„Na, du hast es bloß noch nie richtig probiert, stimmt’s?“, meinte Martin daraufhin etwas provozierend.

„Doch natürlich! Denn als ich bei der Bundeswehr war, habe ich es mit meinen Kameraden jede Mittagspause gespielt und dass die ganzen 4 Jahre lang. Glaub mir, ich kenn dieses Spiel sehr gut!“, trotzte Ole spontan, wobei er sich gar nicht bewusst war, was er damit lostrat. Denn auf einmal war es still am Tisch und alle schauten ihn entgeistert an.

„Was, du warst bei der Bundeswehr und hattest dich auch noch verpflichtet!“, spie ihm ein Mann die Wörter förmlich entgegen, so als handelte es sich dabei um ein Kapitalverbrechen.

Überrascht schaute Ole daraufhin den Mann an, der neben Bianca saß und von dem er meinte, dass dies Peter sein musste. Dann sah er verunsichert Lotta an, die ihn ebenfalls mit großen Augen anschaute, was ihn noch mehr verunsicherte. Und so in die Defensive gedrängt, ging er verbal zum Angriff über: „Ja, wieso denn nicht! Ich war bei den Marinefliegern in Kiel und dessen vorrangiger Auftrag war und ist die Seenotrettung, also eine ziemlich wichtige Aufgabe, wie ich finde!“, nickte er in die Runde, um so seine Aussage zu unterstreichen.

„Jo, das ist es wohl!“, nickte Dieter zustimmend in seine Richtung, bevor er sich an die anderen wandte: „Na siehste Peter, alles halb so wild und nun beruhigt euch mal alle wieder. Immerhin musste er dabei ja niemanden umbringen!“

„Nein, natürlich nicht!“, sah Ole weiterhin aufgebracht Peter an. „Ich bin doch kein Rambo und als ich bei der Bundeswehr war, wollte man uns eh noch nicht im Irak oder sonst wo in der Welt dabeihaben.“

„Rambo, wer?“, blickte Peter ihn daraufhin fragend an.

„Na, Sylvester Stallone, als die Kampfmaschine schlechthin!“, sah Ole dabei erstaunt in die fragenden Gesichter am Tisch, wobei Martin als einziger verhalten lächelte. „Wie, schaut ihr etwa kein Fernsehen?“, fügte er daraufhin unsicher an.

„Nein, so etwas haben wir nicht!“, entgegnete Peter trocken.

„Ja aber…, wozu habt ihr dann eine Satellitenschüssel auf dem Dach?“

„Na fürs Internet oder glaubst du etwa die blöde Post, legt uns ein Breitbandkabel hierher? Das würde diesem alten Bürokraten-Verein doch im Traum nicht einfallen!“, echauffierte sich Peter erneut.

„Peter, du oller Pomuchelskopp,“, dröhnte Dieters dunkle, beruhigende Stimme daraufhin durch die Küche. „Nun beruhige dich mal wieder! Ole hat dir nichts getan und die Post gibt es in dieser Form auch schon seit Jahren nicht mehr. Also komm rüber und spiel eine Runde mit uns!“, machte er dabei eine einladende Bewegung in seine Richtung.

Drei sind keiner zu viel

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