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Die Social-Justice-Warriors

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In den 90er-Jahren fingen jedoch einzelne Wissenschaftler in den USA an, Teile der postmodernen Theorien in die Praxis umzusetzen. Ihnen ging es nicht mehr darum, die Gesellschaft nur zu »dekonstruieren« und sie so zu beschreiben. Sie wollten die Gesellschaft auch verändern, um die Machtgefälle in ihr zu zerstören und soziale Gerechtigkeit herzustellen. Und das geschieht, indem sie kontrollieren, was gemäß der postmodernen Theorien für soziale Ungleichheit verantwortlich ist: die Diskurse2. Also die Produktion von Wissen, die Sprache, die Normen und Alltagshandlungen einer Gesellschaft.

An den amerikanischen Unis entstanden seitdem ganze Forschungszweige, die sich der Durchsetzung der »Social Justice« – der sozialen Gerechtigkeit – verpflichtet haben. Zu diesen zählen bis heute mehrere Disziplinen, wie die »Gender Studies«, »Postcolonial Studies«, »Cultural Studies«, »Queer Studies«, »Fat Studies« oder einzelne Ansätze wie die »Critical Race Theory«, die »Critical Whiteness«, »White Privilege«, »White Fragility« oder die »Intersektionalität«. Im Zentrum dieser neuen Disziplinen steht nicht mehr der Anspruch, aufzuzeigen, wie die Welt ist, sondern wie die Welt zu sein hat. Diese »Social-Justice-Disziplinen« haben nichts mehr mit klassischer Wissenschaft zu tun. Vielmehr wurde hier aus einzelnen Bausteinen der Postmoderne eine neue Theorie gebastelt, die dann in Politik und Gesellschaft als absolute Wahrheit gelten soll.

Die Vertreter dieser Ansätze werden in den USA auch »Social-Justice-Warriors«, also Krieger für soziale Gerechtigkeit genannt, wobei der Begriff »Social Justice« nichts mehr mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zu tun hat, die ab den 50er-Jahren für die Rechte von Schwarzen, Frauen und Homosexuellen kämpfte. Vielmehr bekam der Begriff in den 2010er-Jahren eine neue Bedeutung, weil Aktivisten an den amerikanischen Unis immer aggressivere Methoden anwandten, um ihre Theorien in die Praxis umzusetzen. So wurden Veranstaltungen mit unbeliebten Rednern gesprengt, Kritiker niedergebrüllt, Events organisiert, bei denen man Menschen nach Hautfarbe trennte oder Professoren als Menschenfeinde diffamierte und deren Entlassung forderte3 4 5, wenn sie sich gegen die Theorien und Methoden dieser »Krieger« aussprachen.

Auch bei uns ist dieser in erster Linie akademische Trend angekommen. Es gibt heute mehrere Universitäten in Deutschland, die das Fach »Gender Studies« oder Geschlechterstudien anbieten. Aber auch in den Geisteswissenschaften, der Soziologie und der Pädagogik werden Theorien aus dem Social-Justice-Bereich gerade als besonders innovativer Trend aus den USA gefeiert. Viele glauben, dass man mit Hilfe dieser neuen Theorien eine ganz neue Wissenschaft betreiben könne, die sich aktiv gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung stellt. Und mehr noch: Die Aktivisten sind überzeugt, dass sie unsere Gesellschaft mit ihren Theorien in eine Utopie verwandeln können, in der kein Mensch mehr ausgegrenzt oder diskriminiert wird.

Besonders nach dem schrecklichen Tod von George Floyd waren in allen Medien immer wieder die Ansätze aus diesen Social-Justice-Disziplinen präsent. Es war und ist von »rassistischen Strukturen« die Rede, von »weißen Privilegien«, einer »weißen Vorherrschaft«, von »Intersektionalität« und »Postkolonialismus«.

Und obwohl niemand weiß, woher diese Begriffen eigentlich kommen, klammern sich immer mehr staatliche Institutionen, Politiker, Mitarbeiter in Ministerien und Landesregierungen, Universitäten, Schulen, aber auch anerkannte Zeitungen und Medien an diesen Social-Justice-Ansätzen fest. Doch diese Ansätze haben nichts, was ich im Folgenden nachzuweisen versuche, mit Ergebnissen seriöser Wissenschaft zu tun, sondern fußen auf einer Ideologie, die sich Aktivisten aus einzelnen Theorien der Postmoderne zusammengereimt haben. Und sie werden von den Aktivisten so dogmatisch verfolgt, dass sich die gesamte Gesellschaft dieser Ideologie zu unterwerfen hat.

Der Grund dafür liegt in dem utopischen Versprechen, das mit den Social-Justice-Ansätzen einhergeht: Denn wie bei Morus und K. I. Z. glauben die Social-Justice-Warriors tatsächlich, die eine ultimative Ursache, die eine Unterdrückergruppe gefunden zu haben, die für das gesamte Leid in der Welt verantwortlich ist, die unsere Verhaltensweisen, unsere Kultur, unsere Sprache und unser Denken unbewusst kontrolliert und die man entmachten, moralisch abwerten und verteufeln muss, um die absolute Gerechtigkeit herzustellen: weiße heterosexuelle Männer.

Schäm dich!

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