Читать книгу Schäm dich! - Judith Sevinç Basad - Страница 14
Weiße Privilegien: Wer ist das größte Opfer?
ОглавлениеIm Januar 2020 warf mir die Antirassismus-Aktivistin Jasmina Kuhnke auf Twitter vor, dass ich mich nicht über Rassismus äußern dürfe, weil ich »privilegiert« sei. Der Grund: Meine Haut sei »zu weiß« und mein Name zu deutsch. Ein anderer User forderte mich dazu auf, Reparationsleistungen an die Autorin Sibel Schick zu zahlen, weil sie türkische Wurzeln hat – also Rassismus erfährt – und ich aufgrund meiner Hautfarbe zum ausbeuterischen Westen gehören würde.
Das ist schon häufiger vorgekommen. Und es ist witzig. Denn hier zerstört sich die Theorie der kolonialen Matrix selbst. Fakt ist: Ich habe türkischen Migrationshintergrund. Mein Vater ist in den 60ern nach Deutschland gekommen und hat meine deutsche Mutter geheiratet. Meine Eltern zogen in eine oberfränkische Kleinstadt und arbeiteten erst auf dem Markt, dann in eigenen Geschäften als Blumenhändler. Das bedeutete: mitunter prekäre Verhältnisse, körperlich harte Arbeit und wenig Freizeit.
Migrationshintergrund, niedriger Schulabschluss der Mutter und Arbeiterklasse: Nach allen Statistiken über den Bildungserfolg von Migrantenkindern gehöre ich, zumindest formal gesehen, nicht zu der sozialen Gruppe, der man besonders hohe Erfolgschancen im intellektuellen Bereich nachsagt.
Hier wird deutlich, wie rassistisch es ist, Menschen wegen ihrer Hautfarbe irgendwelche Privilegien zu unterstellen. Denn ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man die Empfehlung fürs Gymnasium nicht bekommt, weil der Vater Türke ist und im Gegensatz zum bayrischen Ärztesohn »nur« Blumen verkauft. Oder wie bitter es ist, wenn die eigenen Eltern nicht genügend Geld haben, um dir den Führerschein zu bezahlen, während deine Freunde ihr knallgelbes Cabriolet vor der Schule parken.
Ich habe keine Lust aufzuzählen, wie oft, wann und wie meine Familie ausgegrenzt wurde, weil meine Eltern sich nie als Opfer der Gesellschaft gesehen haben. Wenn es Menschen gab, die meiner Familie blöd gekommen sind, haben wir den Fehler nicht bei uns gesucht, sondern bei denen, die sich uns gegenüber rassistisch verhalten haben.
Oder anders gesprochen: Meine Eltern wollten das Beste für ihre Kinder. Und das Beste für die eigenen Kinder zu wollen, heißt nicht, bei Ungerechtigkeiten demonstrativ einzuknicken oder den Kindern einzureden, dass sie Opfer des Systems sind und sowieso nichts erreichen werden. Eltern, die ihre Kinder lieben, stehen hinter ihnen. Sie bestärken sie darin, trotz aller Hürden und Widerstände die Dinge im Leben zu erreichen, die sich die Kinder wünschen.
Dass ich ein Opfer sein soll, fand ich erst heraus, als ich an der Uni von den ausbeuterischen Strukturen erfuhr, und seitdem ich die Artikel lese, die fast täglich in Zeitungen publiziert werden und auf Social Media Tausende Klicks abräumen. »Arbeiterkindern fehlen in der Regel die Beziehungen, der Habitus und das Selbstbewusstsein, die so wichtig sind für den akademischen und beruflichen Erfolg«, stand neulich auf einem Sharepic des Deutschlandfunks.1 Das ist natürlich wahr, statistisch gesehen. Aber seit einiger Zeit reiten viele Medien so offensiv auf diesem Stereotyp herum, dass ich keinen Unterschied mehr zu meinem oberfränkischen Grundschullehrer sehe, der mir den Weg in die höhere Schulbildung versperrte. Denn noch mal: Ich habe mich nie als Opfer gesehen. Wie können sich Medien und Aktivisten also anmaßen, mich anhand irgendwelcher Statistiken immer wieder in die Rolle des unterprivilegierten Migranten zu pressen?
Auf was ich eigentlich hinaus will, ist Folgendes: Dass das ganze Gerede von einer »sozialen Konstruktion« Bullshit ist. Denn es geht im Social-Justice-Aktivismus um nichts anderes als um Hautfarben. Und darum, dass man Weißen aufgrund ihres »zu weißen« Erscheinungsbildes unterstellt, reiche Eltern zu haben, in sicheren Verhältnissen aufgewachsen zu sein und keine Ausgrenzung erfahren zu haben. Kurz: Dass sie »privilegiert« sind und deswegen die Welt nur aus einer ausbeuterischen »weißen« Perspektive betrachten können.
Da stellt sich mir aber noch eine andere Frage: Wie muss eine Türkin genau aussehen, damit sie von den Aktivisten als volle, als »genuine Türkin« anerkannt wird? Haben die Aktivisten immer eine Palette mit Hautfarben parat, der sie entnehmen, ab wann jemand dunkel genug aussieht, um zu den »wahren« Ausgegrenzten zu gehören?
Tatsächlich traten neulich sieben schwarze Autorinnen, darunter Alice Hasters, von der Nominierung des »25 Frauen Awards« des feministischen Magazins »Edition F« zurück.2 Der Grund: Sie seien zwar schwarz, aber sähen dennoch »zu weiß« aus und würden somit den Platz für die Frauen versperren, die eine noch dunklere Hautfarbe haben und daher noch stärker ausgegrenzt werden. Die ganze Aktion endete damit, dass die Veranstalter den Preis nicht vergaben. Wahrscheinlich weil sie aufgrund der nun einheitlich weißen Nominierten Angst hatten, in der Öffentlichkeit als Rassisten dazustehen.
Es ist grotesk, wie diese Suche nach »dem echten Schwarzen« in aller Öffentlichkeit gehypt wird, ohne dass diese im Kern rassistische Denkart auf große Kritik stoßen würde. So schreibt Alice Hasters in ihrem Buch, dass die Figur »Carlton« in der Serie »Der Prinz von Bel-Air« eigentlich kein »richtiger« Afroamerikaner sei, weil er sich »zu weiß« verhalten würde – also uncool ist, einen Pulli über den Schultern trägt und zu oft mit Weißen in der High Society abhängt.3 Und Beyoncé wurde von Aktivisten dafür kritisiert, dass sie auf den Promo-Fotos für ihr neues Album »zu weiß« aussehen und damit Schwarze und Asiaten »verraten« würde.4
Es scheint also nicht nur eine Sehnsucht danach zu geben, Weißsein per se zu verteufeln und abzuwerten. Bizarr ist auch, wie man sich auf die Suche nach einer Person macht, die ein noch größeres Opfer ist als man selbst. Die Grundlage für diese Diskriminierungsolympiaden ist wieder ein Ansatz, der aus der Social-Justice-Disziplin kommt: die Intersektionalität.
Das Konzept fußt auf der Annahme, dass es unterschiedliche Arten von Diskriminierung gibt, die sich summieren können: Eine weiße Frau erfährt etwa mehr Schmerz wegen Sexismus als ein weißer Mann. Eine schwarze Frau erfährt aber mehr Schmerz als eine weiße Frau, während eine lesbische Schwarze mehr Leid erfährt als eine homosexuelle Frau mit weißer Hautfarbe. Das endet dann mit folgender Logik: Nur die Person, die das größte Leid erfährt, darf Vorteile genießen, wie etwa Preise gewinnen, Artikel in Zeitungen schreiben oder befördert werden. Alle anderen sind »privilegiert« und sollen Auszeichnungen ablehnen, keine Artikel schreiben und auf ihre Karriere verzichten.
Und genau das wird auch gefordert. So plädierte ein Artikel in der taz mit dem Titel »Man muss auch mal verzichten«5 dafür, dass Menschen mit »Privilegien« den Platz für Unterprivilegierte frei machen sollten. Erfolg und Status sind hier so etwas wie eine kulturelle Ressource, »Stücke von einem Kuchen«, die man gerecht verteilen müsse.
»Privilegierte müssen aktiv verzichten«, liest man in der taz. Das bedeutet: Männer und Weiße sollten zum Beispiel ihre Beförderung ablehnen und sie lieber einer Frau oder einem »People of Color« überlassen. Ich frage mich, wie das in der Realität aussehen soll. Vielleicht so: »Hey Gülgün, ich habe mir überlegt, meine Kolumne an dich abzugeben, weil du türkischer aussiehst, dein Name türkischer klingt und du dazu noch auf Frauen stehst … du Opfer.« Oder so: »Hey Lisa, ich habe erfahren, dass du als Frau ein viel größeres Opfer bist als ich und nicht richtig zum Zug kommst. Willst du meine Beförderung haben?« Fakt ist: Gülgün oder Lisa wären sicher nicht begeistert, wenn ein Arbeitskollege sie derart gönnerhaft auf ihr Geschlecht oder ihre Hautfarbe reduzieren würde.
Aber das ist dem taz-Journalisten egal. Für ihn zählt nur die Täter-Opfer-Relation. Deswegen fordert er auch, dass man »den Privilegierten« ihre Jobs »ohne Rücksicht« wegnehmen solle. Das ist vor allem eines: totalitär. Dennoch werden in den Medien die Ansätze der »Intersektionalität« wie eine neue Heilslehre gefeiert.
Nehmen wir etwa einen Beitrag von Deutschlandfunk Kultur. Es sei ein Mythos, so heißt es hier, dass reiche heterosexuelle Männer erfolgreich seien, weil sie hart gearbeitet hätten. Vielmehr seien sie nur aufgrund ihrer »unsichtbaren Privilegien«, die man ihnen in »die Wiege gelegt«6 hätte, besser gestellt. Wenn »Privilegierte« also auf ihren Ehrgeiz verweisen, dann ist das nur eine Abwehrreaktion, um zu kaschieren, dass sie das Versagen von Queers, Frauen und Migranten zu verantworten haben. Ja, noch mehr: Indem »die Privilegierten« ihre Vorteile leugnen, schaffen sie »noch mehr Ungerechtigkeit«, liest man hier.
Denn der Vorteil der einen basiert auf dem Leid der anderen. Die Lösung ist – die Entmachtung des »weißen Mannes«. Und die wird hier auch explizit gefordert: »Ich will, dass der weiße Mann diese Privilegien nicht mehr hat«, sagte ein interviewter Autor in dem Beitrag des Deutschlandfunks.
Hier wird im wahrsten Sinne des Wortes Kulturmarxismus7 betrieben: Dadurch, dass die Aktivisten davon ausgehen, dass es in einer Gesellschaft immer eine kulturell herrschende Gruppe gibt, die alle anderen unterdrückt, kann deren Herrschaft nur aufgelöst werden, indem diese Gruppe entmachtet wird. Ihr soll aber nicht mehr wie beim klassischen Marxismus das Eigentum weggenommen werden, sondern die kulturellen, ja sogar die psychologischen Ressourcen. Also: Erfolg, Karriere, Selbstbewusstsein, Sicherheit, Geborgenheit, Glück und Zufriedenheit.
»Privilegierte« sollen nicht nur ihre Erfolge und ihr Selbstvertrauen in Frage stellen, indem sie sich einreden, ihre Ziele im Leben nicht durch Leistung erbracht zu haben. Sie sollen sich zudem für ihre Hautfarbe und ihr Geschlecht schämen und – falls notwendig – »weiße Tränen« weinen oder »einfach mal leise sein«, wenn eine unterdrückte Gruppe spricht. Denn: »Privilegierte« seien »auf der Seite, die Gewalt ausübt«, sie seien auf der »Täter*innenseite« und würden wegen der Gräuel des Kolonialismus eine »Generationenschuld fühlen«, heißt es. Privilegien solle man also durch »einen längeren Prozess« »verlernen«, sie »aus dem Empfinden, aus der Haltung« verbannen, sie »aus sich herauskriegen«, heißt es in dem Beitrag des Deutschlandfunks.
Und das wurde auch gleich in die Praxis umgesetzt. Auf Facebook postete der Sender eine Checkliste, auf der die Leser ihre Privilegien ankreuzen konnten.8 »Auf wie viele Privilegien kommen Sie – und wie oft haben Sie schon darüber nachgedacht?«, wird dort gefragt. Auf der Liste konnte man folgende Punkte ankreuzen: »Ich bin weiß«, »Ich bin heterosexuell«, »Ich bin ein Mann«. Aber auch ganz abstruse Sätze wie »Ich arbeite in einem bezahlten Job« oder »An Flughäfen bin ich in Sicherheitskontrollen nicht nervös«. Die Message dahinter ist klar: Je mehr Punkte man ankreuzt, desto privilegierter ist man und desto mehr soll man sich für seine Erfolge, Hautfarbe oder Geschlecht schämen.
Der Sender kämpft hier nicht gegen Diskriminierung, sondern für Diskriminierung. Denn Menschen werden nicht mehr als Einzelpersonen gesehen, sondern aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts und ihrer Sexualität in Täter und Opfer eingeteilt. Also: Frauen, Schwarze und Queers sind Opfer und sollten mehr Rechte genießen. Männer, Weiße und Heterosexuelle, sind indes Täter, denen das Wort entzogen, die schlechter gestellt oder umerzogen werden sollen.
Das alles wird mit dem Kampf gegen die koloniale Matrix gerechtfertigt: also mit dem Kampf gegen ein »unsichtbares System«9, gegen »strukturelle Benachteiligung«, gegen die kulturelle Herrschaft des weißen Mannes.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich gibt es Diskriminierungserfahrungen von Minderheiten. Natürlich gibt es Statistiken, die belegen, dass Frauen, Migranten oder Kinder, die in bildungsfernen und finanziell schwachen Milieus aufwuchsen, karrieretechnisch häufig auf der Strecke bleiben. Es ist auch evident, dass kopftuchtragende Frauen und Menschen mit dunklerer Hautfarbe oder einem ausländisch klingenden Namen bei der Wohnungs- und Jobsuche benachteiligt werden. Gewalt und Hasskriminalität gegen Muslime, Frauen, Juden und Homosexuelle sind in Deutschland Realität. Ganz klar: Das ist ein Missstand, den man beseitigen sollte.
Aber diese Erfahrung als einzige Ursache dafür zu sehen, dass Frauen und Migranten ihre Ziele im Leben nicht erreichen können, ist falsch.