Читать книгу Schäm dich! - Judith Sevinç Basad - Страница 13
So eine Weltsicht ist vor allem eines: rassistisch
ОглавлениеWas mit »sozial konstruiert« eigentlich gemeint ist, bringt die Soziologin Robin DiAngelo gut auf den Punkt. DiAngelo gilt als Koryphäe in der Antirassismus-Forschung. Ihr Buch »White Fragility« ist ein internationaler Bestseller. Dort heißt es, dass Schwarze das Trauma des Kolonialismus »kollektiv« in ihren »Körpern« trügen, weil es in ihrem »Nervensystem«18 verankert sei. Das »rassifizierte Trauma« läge aber auch den »meisten weißen Amerikanern«19 im Körper, indem sie unterbewusst Schwarze entmenschlichen würden. Die »Kräfte des Rassismus«, so schreibt die Autorin weiter, prägten sie als weiße Frau sogar schon »vor ihrem ersten Atemzug«20. Mit anderen Worten: Spezielle Verhaltensweisen, also das Opfer- und Tätersein, eine »gute« und »schlechte« Moral, die Identität des Rassisten oder des Ausgebeuteten, sind Schwarzen und Weißen angeboren.
Im selben Buch schreibt DiAngelo übrigens Folgendes: »Weißsein ist nicht real«21, also »sozial konstruiert«. Dies zeigt, wie krass sich die Social-Justice-Bewegung in der eigenen Ideologie verheddert hat – und wie ideologisch man sich an postmodernen Theorien orientiert. Denn einerseits sind nicht mehr nur Normen und abwertende Klischees über Menschen ein Ergebnis von Macht, sondern auch biologische Tatsachen wie Hautfarben und das Geschlecht. Aber dieser Konstruktivismus gilt nicht für alle Dinge. Und vor allem nicht für alle Menschen.
Vielmehr teilen die genannten Autorinnen die Gesellschaft in Täter und Opfer ein. Das Prinzip: Alle Dinge, die von weißen heterosexuellen Männern erfunden wurden, wie Wissenschaften, Normen, Sprache und Kultur – also unser gesamtes »System« –, sind »sozial konstruiert«, also eigentlich nicht existent. Alle Dinge, die jedoch von Schwarzen, Dunkelhäutigen und den selbsternannten Randgruppen erfunden oder erfahren wurden – vornehmlich ihr Schmerz22 – sind nicht »sozial konstruiert«, sondern gehören zur Realität. Nur sie sind »wahr«, nur sie existieren.
In der Welt der Social-Justice-Warriors geht es somit zu wie bei »Alice im Wunderland«: Beliebige Dinge können plötzlich aus der Realität verschwinden, Argumente per se als »falsch« abgestempelt und biologische Fakten überwunden werden – solange sie nicht von der »Opfer-Gruppe« geäußert, erfunden oder legitimiert wurden.
Es ist absurd: Auf der einen Seite wird völlig zu Recht Kritik an der Rassentheorie des Kolonialismus geübt, die Schwarze und Dunkelhäutige abwertet und ihnen Stereotype aufzwingt. Auf der anderen Seite wird die koloniale Prägung, die Schwarze nur als Opfer wahrnimmt, als derart tiefsitzend und unüberwindbar dargestellt, dass sie sich im Grunde nicht von der eben noch kritisierten Rassenideologie unterscheidet.
Durch diese begriffliche Irreführung wird vor allem eines erreicht: Weißen wird aufgrund der Hautfarbe nicht nur Rassismus unterstellt. Ihnen wird qua Hautfarbe auch die Fähigkeit abgesprochen, Rassismus überhaupt erkennen zu können.
Wenn in Medien und Politik also von »strukturellem Rassismus«, von einem »rassistischen System« oder von »struktureller Diskriminierung« die Rede ist, dann geht mit diesen Begriffen immer ein spezielles Weltbild einher: Der Glaube an ein System, an eine koloniale Matrix, in der es keine objektiven Wahrheiten gibt. Und der Glaube an eine Herrschaft, in der weiße heterosexuelle Männer qua Geburt Unterdrücker sind, die es in allen Bereichen des Lebens zu entmachten gilt.