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Kapitel 20
ОглавлениеTom
Tom stand im Wohnzimmer und schaute durch die riesige Glasfront in die Dünen hinaus. Er war kurz zuvor aus dem Institut zurückgekehrt und suchte nach Ablenkung.
Die Sache mit seinen neuesten Studien würde sich noch etwas hinziehen, was wiederum zur Folge hatte, dass die davon abhängigen, dringend notwendigen Gelder auch auf sich warten ließen. Ein verdammter Teufelskreis! Und alles nur, weil die idiotische Politik das Projekt nicht unterstützte …
Er lehnte den Kopf an das Fensterglas und schloss die Augen, als ein Schwindelgefühl ihn überkam. Seit Tagen hatte er kaum gegessen. Sein Magen schmerzte und doch wusste er, dass er keinen Bissen hinunter bekommen würde. Die ganzen Sorgen wuchsen ihm langsam aber sicher über den Kopf.
Plötzlich spürte er Lynns Wärme auf seiner Haut, lange bevor sie ihre Hand auf seine Schulter gelegt hatte. Er atmete tief durch, ohne sich umzudrehen. Die Anwesenheit seiner Frau machte alles nur noch unerträglicher. In den letzten Jahren hatte sie ihn stets in Frieden gelassen, aber neuerdings begann sie aus unerklärlichen Gründen zu nerven und ihn mit ihrer Liebe zu erdrücken – mit ihrer Liebe und dem Wunsch, sich seines Kopfes und seiner Vergangenheit zu bemächtigen.
„Gibt es was Neues in Woods Hole?“, fragte sie sanft.
Er hatte keine Lust zu antworten, doch das würde sie nur noch mehr dazu antreiben, ihn zu durchbohren.
„Nein. Dass ich nicht vorankomme und ständig im Kreis laufe, weißt du ja bereits“, sagte er und spürte, dass sie darauf wartete, dass er sie nach ihrem Befinden fragte. Tom drehte sich um und überwand sich, auf sie einzugehen. „Und bei dir?“
„Sam und ich waren gestern bei Amy – die Früchte, du weißt schon.“
„Tatsächlich?“ Urplötzlich war er an einem Gespräch interessiert – immerhin ging es um seine Tochter. „Wie geht es ihr? Wo stecken die beiden denn? Sind sie in Gefahr?“
„Ich habe keine Ahnung, Tom. Sie sind weit draußen, in den Seamounts, unterwegs Richtung Osten. Sie wollen den Golfstrom nutzen und wissen selbst nicht, wohin.“
Er raufte sich die Haare und bereute zutiefst, seine Tochter dort unten zurückgelassen zu haben. Tom hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei der Sache gehabt. Wenn etwas schiefging, dann war es ganz allein seine Schuld und seine Verantwortung. Lynn streichelte zärtlich über seine Schläfen und am liebsten hätte er ihre Hand fortgestoßen.
„So darfst du nicht denken, mein Liebster. Amy ist glücklich an Malahans Seite. Und offenbar ist ihnen niemand gefolgt. Sie können es schaffen.“
„Ich hatte gehofft, dass sie hier in der Nähe sesshaft werden“, gestand er.
„Das werden sie sicher irgendwann. Olamanassa hat auch noch ein Wort mitzureden, schließlich kann er diese Rebellion nicht ewig dulden.“
Er wollte aufbrausen, als ihm alles zu Kopf stieg, doch er zwang sich, seine größte Charakterschwäche vorerst hinunterzuschlucken. Das Ganze war doch sinnlos!
„Hör zu, Lynn, ich … ich werde mich ein wenig hinlegen …“
„Geht es dir nicht gut?“
„Lass mich bitte allein.“
„Tom!“ Sie hielt ihn zurück, doch er zog seinen Arm weg.
„Rede mit mir, bitte!“ Ihr flehender Blick durchdrang ihn und Tom war kurz davor, zu explodieren.
„Es gibt nichts zu bereden.“
„Das sehe ich anders. Du machst dir Sorgen um Amy.“
„Um Amy?“, rief er. „Um genau zu sein, liegt meine Tochter mir so sehr am Herzen, dass ich den ganzen anderen Mist am liebsten aus meinem Kopf vertreiben würde, um klar denken zu können! Die Geschichte mit Sam und dieser Menschenfrau, die Studien, die Gelder … die Rebellen – das ist einfach alles zu viel! Und unbedeutend gegen das, was Amy gerade durchmachen muss!“ Er sank auf das Sofa und sie hockte sich vor ihn.
Ihre bedingungslose Liebe, die ihn mehr und mehr überforderte, hatte er nicht mit aufgezählt.
„Allein diese Sache in deinem Kopf reicht aus, um dich zu schwächen“, flüsterte sie. „Wieso bist du nur so stur? Lass uns endlich alles aufarbeiten und du wirst sehen, wie du wieder zu Kräften kommst.“
„Lynn!“, fuhr er sie wütend an. „Hör, verdammt noch mal, endlich damit auf! Ich will es nicht, hast du das begriffen? Ich komme sehr gut ohne deine Hilfe klar! Seit Neuestem gehst du mir tierisch auf die Nerven mit dieser Angelegenheit! Kümmere dich um deinen eigenen Kopf, verstanden? Sag mir lieber, wo dieser Junge steckt. Müsste er sich nicht längst auf Boston vorbereiten?“ „Ich bin hier, Dad.“ Er schaute auf und bemerkte Samuel, der an der Wand lehnte. Lynn erhob sich und verließ schluchzend den Raum. Sam schaute ihr traurig nach.
„War das wirklich notwendig? Siehst du nicht, wie sehr sie um dich kämpft?“
„Misch dich da nicht ein, Junge, davon verstehst du nichts!“, fauchte er.
„Falsch, Tom, ich fürchte, in diesem Fall bist du es, der nicht versteht, was du ihr antust!“ „Wann reist du ab? Beginnt Montag nicht dein Studium?“ „Richtig. Am Montag beginnt das Semester.“ „Und?“ „Du kannst es wohl kaum erwarten, mich los zu sein. Keine Sorge, Samstag verschwinde ich.“