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Kapitel 25

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Tom

Er hatte ziemlich lange geschlafen. Zwischendurch war er aufgewacht, hatte sich jedoch geweigert, das Bett zu verlassen. Zu viele Dinge lähmten ihn und er schaffte es einfach nicht mehr, ihrer Herr zu werden. Er fragte sich bereits die ganze Zeit, ob er wegen Lynn ein schlechtes Gewissen haben sollte und wenn ja, wie es sich wohl hätte anfühlen müssen. Tom brachte es nicht fertig, irgendeinen Gedankengang zu Ende zu bringen. Vermutlich drehte er vollkommen durch. Selbst das Tageslicht schien nicht mehr so hell zu sein, wie es an der Oberfläche üblich war. Die Finsternis in seinem Kopf dämpfte alles Licht zu einem spärlichen Dämmerzustand herab.

Schließlich raffte er sich auf und lief ans Fenster hinüber. Tom stellte fest, dass der nächste Tag längst angebrochen war. Stille hüllte das Haus in kaltes Schweigen. Vermutlich war Sam schon fort. So war es wohl das Beste, dachte er bei sich, bis sich alle wieder beruhigt hatten. Insgeheim hoffte er, dass die Sache mit Samuels Frau nicht von Dauer war. Wie sollte sie auch? Irgendwann würde sein Sohn zurückgehen und sich wieder dem Volk unterordnen, dem er tatsächlich angehörte. Und dorthin konnte die Rothaarige ihm schlecht folgen. Wenn nur erst die elende Rebellion …

Er verdrängte den aufkommenden Schmerz und die Sorge um Amy.

„Lynn?“, rief er, während er in seine Jeans schlüpfte. „Bist du da?“

Für gewöhnlich erfüllte ihr Summen um jene Uhrzeit die untere Etage, während sie einen Kaffee aufsetzte, bevor sie gemeinsam zum Institut fuhren. Doch an dem Tag war es still dort unten.

„Lynn?“

Er dachte an ihr letztes Gespräch zurück. Oder besser gesagt, an ihren letzten Streit. Er hatte nicht vor, ihrem Drängen nachzugeben und sank bekümmert aufs Bett hinab. Dachte seine Frau etwa allen Ernstes, dass sie mit ihrer Liebe alles retten konnte? Er lachte verächtlich. Liebe. Ein viel zu überbewertetes Gefühl, dem er offenbar unterbewusst die Schuld daran gab, dass er sich so elend fühlte. Und dass alles erst soweit gekommen war.

Lynn?, rief er mittlerweile in Gedanken nach ihr, weil sie noch immer nicht antwortete.

Er knöpfte sein Hemd zu und eilte die Treppe hinunter. Irgendein seltsamer Geruch lag in der Luft und stieg ihm gleich in die Nase. Vermutlich ein … Hund? Hatten sie gestern noch Besuch gehabt?

„Komm schon, Lynn. Es ist Zeit, wir sollten uns beeilen.“

In der Küche war sie auch nicht. Das Haus war still und leer. Vielleicht ist sie einkaufen, dachte er und schüttelte den Gedanken gleich wieder ab. Sie wusste doch, dass er nach Woods Hole musste. Etwas genervt über den Verbleib seiner Frau, angelte er sich eine Tasse aus dem Schrank, als sein Blick auf den Tisch fiel und auf den kleinen Zettel, der dort lag. Er trug ihre Handschrift. Tom stutzte für eine Sekunde, stellte die Tasse ab und überflog die geschwungenen Zeilen.

Tom,

ich besuche eine Freundin aus meiner Zeit in Colorado,

sie verbringt das Wochenende in Philadelphia.

Sollten dir in der Zwischenzeit ein paar gute Gründe einfallen,

wieso du mich zurückhaben willst, lass es mich wissen.

Lynn

Fassungslos las er die Nachricht noch einmal. Das konnte unmöglich ihr Ernst sein! Mit zerknirschtem Gesichtsausdruck knüllte er das Papier zusammen und schleuderte es brüllend an die Wand. Dann raufte er sich die Haare. Sollten sie doch alle verschwinden! Er würde schon irgendwie allein zurechtkommen. Wenn es das war, was die Menschenwelt ihnen zu bieten hatte …

Tom sank zu Boden und ließ sich von jener Schwäche überkommen, gegen die er zunehmend machtlos war. Lange würde es ohnehin nicht mehr gutgehen mit ihm und dem Vakuum in seinem Kopf. Allein, dass er doppelt so viel geschlafen hatte, als er jemals benötigt hätte, zeigte ihm, dass die gähnende Schwärze einen weiteren Triumpf in ihm errungen hatte. In Sekundenschnelle huschten gleißende Blitze durch seine Erinnerungen. Bilder aus einer längst vergangenen Zeit an Lehandras Seite. Einer Zeit, in der er die Kraft zu Kämpfen noch gehabt hätte. Doch jene Zeit war längst in lähmender Schwäche untergegangen.

Das Flüstern der See

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