Читать книгу Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht - Julia Fritz - Страница 10
2.1.1 Schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen
ОглавлениеVergleicht man die Bildungsangebote, Projekte und Initiativen zur Förderung der verschiedenen schulischen Fremdsprachen, ist auf die privilegierte Stellung des Französischen hinzuweisen, die in der 2004 verabschiedeten „Strategie zur Förderung der Partnersprache“ explizit festgehalten wurde (vgl. KMK 2013a: 9). Aufgrund bilateraler Abkommen1 zwischen den beiden Ländern genießt die Sprache insofern staatliche Unterstützung, als sich die Bundesregierung verpflichtet hat, durch vielfältige Maßnahmen die Zahl der Französischlernenden zu erhöhen. Diese reichen von der Einrichtung deutsch-französischer Kindergärten und Gymnasien sowie der Möglichkeit, das deutsch-französische Abitur abzulegen, über Aus- und Fortbildungsangebote im Rahmen des deutsch-französischen Lehreraustauschs bis hin zur regelmäßigen Durchführung eines deutsch-französischen Tages an Schulen sowie der im Abstand von zwei bis drei Jahren stattfindenden Treffen zwischen den deutschen Kultusministern, den Recteurs d’Académies und dem französischen Bildungsminister (vgl. KMK 2013a: 4f.). Die Möglichkeit, über staatlich geförderte schulische und außerschulische Austauschprogramme sehr früh mit der französischen Kultur und Sprache in Kontakt zu kommen, lässt sich insofern als ein Alleinstellungsmerkmal unter den Sprachenfächern hervorheben.
Betrachtet man die historische Entwicklung des Französischen als Unterrichtsfach in Deutschland, ist festzuhalten, dass es bereits seit dem 19. Jahrhundert beinahe an allen höheren Schulen flächendeckend unterrichtet wurde und unter allen modernen Fremdsprachen die größten Unterrichtsanteile verzeichnen konnte. Mit der Einführung der freien Fremdsprachenwahl Anfang des 20. Jahrhunderts trat jedoch die englische Sprache in immer stärkere Konkurrenz zur französischen und überholte diese nur wenig später (vgl. Reinfried 2012:178) – eine Entwicklung, die spätestens mit der Verabschiedung des Düsseldorfer Abkommens der Ministerpräsidenten im Jahr 1955 besiegelt wurde. Das Abkommen regelte die verbindliche Sprachenfolge am Gymnasium. Mit Ausnahme des altsprachlichen Gymnasiums, an dem Latein für den Beginn des Fremdsprachenunterrichts vorgesehen war und erst ab der siebten Jahrgangsstufe eine moderne Fremdsprache folgte, sollte an den anderen beiden gymnasialen Schulformen, dem neusprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium, mit Englisch begonnen werden.2
Ausnahmeregelungen, die einen Beginn mit Französisch oder Latein als erster Fremdsprache vorsahen, waren nur sehr vereinzelt möglich. Andere moderne Fremdsprachen, z.B. Italienisch, Russisch oder Spanisch, fanden im Düsseldorfer Abkommen keine Erwähnung (vgl. Christ 1991:103).
Verstärkt wurde diese Regelung einige Jahre später im Rahmen des Hamburger Abkommens von 1964, das auch für die Haupt- und Realschulen Englisch als erste Fremdsprache bestimmte3. Während also beinahe alle SchülerInnen in dieser Zeit Englisch lernten und am Gymnasium als zweite Fremdsprache in der Regel Latein gelehrt wurde, erhielten die wenigsten Lernenden Unterricht in einer anderen modernen Fremdsprache. Die Novellierung des Hamburger Abkommens 1971, nach der die erste Fremdsprache eine lebende Fremdsprache oder Latein sein sollte, änderte an dieser Dominanz recht wenig (vgl. ebd.: 102ff.). Als ein wichtiger Eingriff, der die Entwicklung des Unterrichtsfaches Französisch schon zeitig in hohem Maße beeinflusst hat, muss demnach die bundesweit beinahe flächendeckende Verbreitung des Englischen als erste Fremdsprache ausgemacht werden (vgl. u.a. Meißner 1992).
Die Einführung der reformierten Oberstufe Anfang der 1970er Jahre (vgl. u.a. Klenner 1975; Keller 1977; Christ 1978), die damit verbundene Erweiterung des Sprachenangebots bei gleichzeitiger Reduzierung des Stundenkontingents4 sowie die weitgehende Wahlfreiheit von Fächern in der Oberstufe brachten für die Fremdsprachen Einbußen zugunsten der Fächer Biologie und Gesellschaftswissenschaften (Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde) mit sich (vgl. Keller 1977:21), mehr Konkurrenz zwischen den Sprachen sowie für das Fach Französisch einen Verlust von etwa einem Drittel der Lernerschaft in der gymnasialen Oberstufe (vgl. Christ 1991:107). Und obwohl die Überlegungen zu einem Grundkonzept für den Fremdsprachenunterricht (KMK 1994:40) für möglichst viele SchülerInnen Anreize und Möglichkeiten schaffen sollten, zwei, drei oder mehr Fremdsprachen zu erlernen, ergibt sich spätestens seit dem Schuljahr 2004/05 ein deutliches Mehr an Lernzeit zugunsten des Faches Englisch, nachdem in allen Bundesländern schrittweise die erste Fremdsprache ab der dritten Jahrgangsstufe mit in der Regel zwei Wochenstunden in das obligatorische Fächerangebot aufgenommen wurde5. SchülerInnen, für die sich nach der Primarstufe eine acht- oder neunjährige Schullaufbahn am Gymnasium anschließt, genießen so in der Regel zwischen acht und zehn oder mehr Jahre Englischunterricht, während sich für den Französischunterricht ein langfristiger Trend abzeichnet, Einsparungen an den Stundentafeln vorzunehmen (vgl. Reinfried 2008:150) und das Fach häufig nach vier oder fünf Jahren wieder abgewählt werden kann.
Dieses auf die Lernzeit bezogene Übergewicht wird noch verstärkt, betrachtet man bei einem Vergleich beider Sprachen die für MuttersprachlerInnen des Deutschen vermeintlich höhere Lernökonomie des Englischen, die zugleich eine schnellere Kommunikationsfähigkeit erlaubt. Dass Französisch schwer erlernbar erscheint (vgl. Reinfried 2008:150), wird also nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass es unter weniger optimalen Bedingungen als die erste Fremdsprache Englisch unterrichtet wird, zumal Kinder häufig „grammatische Kategorienbildung erst am Gegenstand der 2. Fremdsprache – nicht oder weniger an der Muttersprache – kennen[lernen]“ (Meißner 1997:19).
Zwar existiert in allen Bundesländern die Möglichkeit, Französisch – als einzige obligatorische Fremdsprache neben Englisch – bereits in der Grundschule zu belegen6. Dennoch wird dem Übergewicht des Englischen sprachenpolitisch nach wie vor wenig entgegengesetzt und so bleibt darauf zu verweisen, was Christ bereits vor beinahe vierzig Jahren konstatiert:
Eine wirkungsvolle Diversifizierung des Fremdsprachenunterrichts ist allerdings nur dann durchführbar, wenn eine Bewußtseinsänderung in der Öffentlichkeit stattfindet, wenn die Betroffenen davon überzeugt werden, daß Diversifikation des Fremdsprachenunterrichts sinnvoll ist. (Christ 1980:205)