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Malta, zu Ostern des Jahres n+1
ОглавлениеUm die Sommerfreuden schon etwas vorzuziehen, beschlossen meine Freundin Babsi und ich, es war dringend an der Zeit, einen Kurzurlaub einzulegen. Malta stellte für uns beide eine neue Destination dar, wo wir gemütlich ein bisschen Kultur mit gutem Wein und Strand kombinieren konnten. Gesagt, getan.
Auf dem noch menschenleeren Gozo, der kleinen Nachbarinsel Maltas, angekommen, erwartete uns traumhafte Landschaft, gepaart mit den ersten warmen Sonnenstrahlen. Kleine Dörfer schmiegten sich in die Landschaft und die Vorsaison verlieh unserem Urlaub etwas von Exklusivität. Viele Restaurants waren noch geschlossen, in den Hotels waren wir fast überall die einzigen Gäste. Ich mochte jene Ziele, wo sich nicht der Massentourismus durch die Straßen schob oder jede Speisekarte fünf Sprachen oder - noch schlimmer - Bilder aufwies. Speziell auf Gozo waren wir im absoluten Nichts angekommen. Es war eine Herausforderung die ersten Tage unseren morgendlichen Kaffee zu finden und abends ein Lokal, das nach 18 Uhr geöffnet hatte. Die Weinpreise ließen allerdings unsere Herzen höher schlagen und unsere Mundwinkel befanden sich fast bei den Ohrläppchen. Sieben Euro für einen Liter Wein, der außerdem gut schmeckte! Wir waren im Paradies angelangt. Keine weiteren Fragen, wir blieben und waren glücklich.
Wie es solche Freundinnenurlaube so auf sich hatten, wurde natürlich auch viel über die Männerwelt gesprochen. Geschichten wurden ausgetauscht, viel über Erlebnisse gelacht, aber auch über so manchen Herren der Schöpfung geschimpft.
So kam es, dass wir uns eines Abends in einem herrlichen Fischrestaurant direkt am Wasser in der Bucht von Xlendi wiederfanden. Unser Hotel war nur drei Türen weiter, somit konnten wir unser Auto beruhigt stehenlassen und auf den Spuren von Dionysos und Bacchus Lust wandeln. Das Meeresfrüchteangebot war ein Traum, auch die Preise ließen einen in himmlische Höhen aufsteigen. Es wurde geordert, wir hatten uns auch gleich auf einen Wein geeinigt und dann begann der Untergang. Mir war nicht klar, was an diesem Abend in der Luft lag, aber wir waren irrsinnig schnell wirklich betrunken. Und worauf fällt dann das Gesprächsthema meist?
Babsi hatte sich ein wenig in ihren Chef verschaut. Er war bereits über 40, natürlich verheiratet und hatte zwei Kinder. Die beiden waren schon eifrig am Texten und so wurde ohne speziellen professionellen Hintergrund die ein oder andere Mittagspause miteinander verbracht. Babsi hatte sehr ähnliche Vorstellungen von Beziehungen wie ich. Damals waren wir noch entsetzt darüber, dass ein verheirateter Mann überhaupt das Interesse an einer von uns anmelden konnte. Jetzt, einige Jahre später, mussten wir leider der Tatsache ins Auge blicken, dass wir nicht die Ausnahmen sondern die Regel waren.
Sie war am Kämpfen mit sich selbst. Sie fühlte sich sehr zu diesem Mann hingezogen und nachdem er ihr eindeutige Avancen gemacht hatte, war auch klar, dass die Sympathie auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber das konnte sie ja nicht tun! Der Mann war verheiratet! Wie gut konnte ich mich in ihre Lage versetzen und plötzlich brach alles aus mir heraus.
Während wir ein Glas nach dem anderen bestellten, bemerkten wir nicht, dass sich das Restaurant zuerst rund um uns gefüllt und dann wieder geleert hatte. Der Kellner blickte ungeduldig auf die Uhr, aber wir hatten um neun Uhr noch kein Interesse, den Abend für beendet zu erklären. Ich erzählte ihr von Anfang an, wie Jan und ich uns kennengelernt hatten, dass erst fast ein Jahr später mir ein Licht aufging, ich erzählte von unserer Konferenz in Noordwijk und dass wir die Wanderung zum Preikestolen geplant hatten. Ich redete und redete und war eindeutig nicht zu stoppen.
Als wir erneut ein Glas Wein bestellen wollten, erklärte uns der Kellner, er sei müde und wolle ins Bett. Aber anstatt uns aufzufordern, zu gehen, bat er uns, doch das Geld auf den Tresen zu legen, für was auch immer wir noch konsumieren würden. Ach ja, und die Türe sollten wir hinter uns schließen. Etwas verdattert sahen Babsi und ich uns an. Weder ihr noch mir war es jemals passiert, dass wir ein Lokal für uns hatten und nach der Sperrstunde dort schalten und walten konnten, wie es uns beliebte.
Nachdem wir bereits sehr angeheitert waren, freuten wir uns über diese Fügung des Schicksals. Ich redete weiter und redete weiter... bis ich endlich zum Kern der Sache kam und meine Bedenken bezüglich meiner Reise nach Norwegen äußerte. Während der letzten Wochen hatte ich darüber nachgedacht, wie es wohl sein würde, zwei Nächte mit einem meiner Kollegen eine Wohnung zu teilen. Eine Wohnung! In diesem Fall war es nicht so, dass jeder nach dem Dinner seiner Wege ging sondern wir eben wirklich 48 Stunden am Stück die Zeit miteinander verbringen mussten. Irgendwie hatte ich ein mulmiges Gefühl. Was, wenn Jan zudringlich werden würde? Ich schätzte ihn grundsätzlich nicht so ein, aber ein leicht unangenehmes Gefühl in der Magengegend blieb.
Meine Freundin belächelte mich, als ich meine Bedenken äußerte und sagte mir direkt auf den Kopf zu: „Julia, das ist ja genau, was du willst!“ Mein Blick mag zwar schon verschwommen gewesen sein und meine Lippen waren mit Sicherheit um einiges röter gefärbt als es akzeptabel war, aber mein Gehör funktionierte noch einwandfrei. Was sollte das heißen, ich wollte das?
Diese Direktheit war eine Eigenschaft, die ich sehr an meinen engsten Freunden schätzte. Auch, wenn es im ersten Moment oft hart war, die Meinung geradewegs auf den Kopf zugesagt zu bekommen, so war es mir doch um einiges lieber, als stundenlang um den heißen Brei zu reden. Ich erklärte ihr, dass selbst, wenn ich eine Gefühlsregung dahingehend hätte, ich das auf keinen Fall tun konnte. Warum? Weil es sich einfach nicht gehörte, sich an einen verheirateten Mann ranzuschmeißen und weil ich nicht in jene Kategorie ‚Frau‘ eingereiht werden wollte, die ich als nicht gut hieß.
Wild gestikulierend sprach Babsi plötzlich ein Machtwort. Wir seien ohnehin zu gut für diese Welt und es wäre eindeutig einmal an der Zeit, dass wir das tun sollten, was uns Spaß machte, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen. BAM! Ich schaute verwirrt von meinem Weinglas auf. Wir waren uns in diesem Bezug sehr ähnlich. Immer stellten wir andere mit ihren Bedürfnissen vor unsere eigenen und meist schauten wir am Ende durch die Finger.
Weinglasschwenkend und uns erneut zuprostend kamen wir zu dem Entschluss, dass es mit 29 Jahren endlich an der Zeit war, das zu ändern. Wir beschlossen, ab jetzt ‚links‘ zu gehen. Die Definition ‚links‘ kam daher, weil wir ‚rechts‘ als den normalen Weg empfanden. Es musste niemand anderer verstehen, für uns in unserem Nebel war sonnenklar, dass ‚links‘ den richtigen Weg vorgab und wir von jetzt an, Dinge gegen unsere Norm tun würden. Und dazu gehörte auch in Bezug auf unsere verheirateten Männer, das zu tun, wonach uns im jeweiligen Moment der Sinn stand. Babsi fand sich dementsprechend zwei Monate später schmusend im Regen in Covent Garden wieder, ich hingegen blickte Norwegen weiterhin mit ungutem Gefühl entgegen.
Wie aufgetragen legten wir gegen Mitternacht unsere Zeche auf den Tresen; wir schlossen auch brav die Tür des Restaurants hinter uns und auf dem Weg zu unserem Hotel ums Eck konnten wir nur kudern. Was für ein Abend! Während ich meine Lippen vom Wein befreite, blickte ich in den Spiegel und wiederholte noch einmal laut: „Julia, geh links!“ Was sollte schon Großartiges passieren? Auf dem Weg zum Bett handelte ich mir noch den ein oder anderen blauen Fleck ein, weil ich gegen Sessel und Bettkante stieß. Endlich fand mein Kopf Ruhe auf dem Kissen und ich fiel in einen tiefen Rotweinschlaf. Als wir am nächsten Morgen erwachten, lachten wir noch mehr bei der Erinnerung an einen privaten Abend im Sterne-Restaurant auf Gozo.