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London, Ende März des Jahres n+1

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Anstatt beim Franzosen am Eck zum Frühstück fand ich mich am Freitag Morgen an meinem Schreibtisch wieder, wo ich einen Zettel vorfand, mit dem gemeinsam Jan sein Namensschild hinterließ, inklusive der Anmerkung, auch das habe er ‚vergessen‘ zurückzugeben. Es sollte wie eine Entschuldigung gedacht sein. War zumindest meine Interpretation der Dinge. Leider musste er schon um sieben Uhr morgens beim Chef der Chefs ‚Hab Acht!‘ stehen und so wurde eben nichts aus unserem kleinen morgendlichen Kaffeeklatsch über Cappuccino und Croissant.


Dass ich Jan diese Woche nicht mehr zu Gesicht bekam, war allerdings über jene Tatsache schnell vergessen, dass ich plötzlich eine SMS von Dragan erhielt. Unverhofft kommt ja bekanntlich oft. Ich hätte hoch gewettet, dass ich diesen Herren nie wieder zu Gesicht bekommen würde. Immerhin musste ich so nicht ganz auf mein Date der Woche verzichten und spazierte somit unerwarteter Weise am Sonntag Nachmittag durch die Columbia Road und lernte dabei einen wirklich netten und intelligenten Mann kennen. Woher mir der Terminus ‚Date der Woche‘ soeben unerklärlicher Weise wie von selbst auf das Papier geflattert ist, sei dahingestellt. Nicht, dass es so etwas wie ‚Dates der Woche‘ gab – nein, nein, wir sollten uns hierbei eher in größeren Dimensionen des gregorianischen Kalenders versuchen!

Auch nach solanger Zeit gehörte der Flower Market am Sonntag auf eben dieser Columbia Road zu einer meiner absoluten Lieblingswochenendbeschäftigungen. Die Menge, die am Samstag über den Broadway Market ein paar Straßen weiter nördlich spazierte, fand man hier am Tag des Herren zuerst kaffeeschlürfend, dann die Secondhand-Läden durchforstend, dann einen Lachsbagel verspeisend und schlussendlich mit viel zu großen Pflanzen für das kleine Zimmer, dafür aber für einen unsagbar günstigen Preis, Richtung Heimat schlendernd vor. Straßenmusiker untermalten das Bild von hippen Londonern, dem Duft von Blumen aus aller Welt und einem kunterbunten Treiben von speziellen Charakteren, die sich als Verkäufer von vielerlei Krimskrams oder aber Käufer von individuellem Schmuck, kleinen Dekorationsgegenständen und Vintageklamotten versuchten. Das Gesamtambiente war entspannt, also genau das richtige für den Start in einen ruhigen Sonntag. Jene, denen ein bisschen mehr nach Tumult zu Mute war, die konnten danach weiterziehen in die Brick Lane, wo sich die Massen durch die Vintagemärkte schoben.

Dragan und ich fingen klassisch an zu ‚daten‘. Es dauerte einige Zeit bis ich dieses Prinzip des Vereinigten Königreiches verstanden hatte. Ich war folgendes Prozedere gewohnt: man lernte sich kennen, traf sich, traf sich erneut und früher oder später befand man sich in einer fixen Beziehung. Pustekuchen! In London musste gedatet werden.

Um es kurz zu formulieren: das Wort „daten“ beinhielt immer noch viel Freiheit. Paare trafen sich und verbrachten schöne Stunden zusammen, aber jeder konnte weiterhin tun und lassen, was er wollte. Vielleicht war es genau jener (Nicht)Beziehungszustand, der sich für meine Generation am ehesten eignete. Alles Mitnehmen, nichts zu ernst nehmen und immer wissen, die Metropole würde das nächste Trostpflaster ausspucken.

Mein Leben lief gut dahin. Die Verabredungen mit Dragan wurden häufiger, wir hatten wirklich viel Spaß zusammen, gingen beide gerne in gute Restaurants und probierten neue Dinge aus und unsere Konversationen waren so, wie ich es mir von meinem Gegenüber erwartete. Und trotzdem. Nach einigen Treffen dachte ich, würde etwas passieren. Was genau, wusste ich vermutlich selbst nicht. Dass ich mich verliebte? Wahrscheinlich. Aber dieses Gefühl kam nicht auf. Ich mochte Dragan sehr, sehr gerne. Ich genoss es, Zeit mit ihm zu verbringen, ich konnte herzlich mit ihm lachen, aber Liebe war da keine im Spiel. Das war mir sehr bald klar. Aber auf der anderen Seite, dachte ich, warum nicht den momentanen Zustand genießen? Wir verbrachten eine schöne Zeit miteinander, beide schienen an den Treffen Gefallen zu haben und wenn es nicht die große Liebe wurde, was machte das schon aus? Rein gar nichts. Richtig.

Mir stand also ein Sommer voller Spaß und Abenteuer bevor; mit einem Mann in London, auch ein Besuch in Barcelona stand an. Außerdem machte sich große Aufregung in London breit – die Olympischen Spiele würden bald in die Stadt ziehen. Bei der Aussicht auf Sommer, Sonne und Meer konnte ich nur lächelnd den nächsten Monaten entgegenblicken.


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