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London, ein Tag im Frühling des Jahres n

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Norwegen. Nicht unbedingt meine Traumdestination. Es handelte sich aber in diesem Fall um eine Geschäftsreise, wofür ich dringend Flüge buchen musste. Dementsprechend würde ich ohne große Umstände etwas Neues kennenlernen...

Ich war eher der Typ für Sommer, Sonne, Strand und Meer. Sicherlich - einiges davon hatte Norwegen auch zu bieten, aber ich präferierte die Schweißperlen auf der Stirn gegenüber der Thermodecke zum Einschlafen.

Spanien stand ganz oben auf meiner Liste - immerhin hatte ich dort bereits ein Auslandsjahr an der Universität im Süden von Madrid verbracht. Auch die Sprache gefiel mir weitaus besser, hörte sich rhythmischer an und es schwang immer eine gewisse Lebensfreude und Leidenschaft in jedem heraustrompeteten Satz eines Spaniers mit.

Spanier mit dunklen Dreitagebärten, braunen Augen und passendem, eventuell sogar gelocktem Haar... Beim Lächeln kamen die strahlend weißen Zähne zum Vorschein, die den Anblick eines solchen Mannes noch um einiges attraktiver gestalteten. Richtig erkannt. Ich war wohl die Frau, die gegenüber heißblütigen Südländern nicht abgeneigt war. Dem Aussehen nach. Das Chaos, die Unpünktlichkeit und die Verpeiltheit der Spanier konnten eine sehr geradlinige und eher an schnelleren Abläufen interessierte Österreicherin richtig auf die Palme treiben.


Zurück zum Ausgangspunkt. Norwegen! Ich hatte vor einigen Monaten meinen neuen Job bei einer Software-Firma begonnen, wo ich mich um die Messe- und Konferenzauftritte und -angelegenheiten kümmern sollte. Nicht, dass ich ein solch großer Fan von Messen, damit verbundenem schlechten Essen und noch viel schlechterem Kaffee gewesen wäre, nein – was mich daran interessierte, war, schlicht und ergreifend die Möglichkeit nicht ständig im Büro sitzen zu müssen und stattdessen quer durch Europa fliegen zu können. Da nahm ich den ein oder anderen schmierigen Verkäufer-Typen in Kauf, lächelte milde und war dankbar um das einem von Gott mitgegebene Gehirn. Ich versuchte, nicht alle über einen Kamm zu scheren, es gab auch da die Netten.

Es stand die erste große Messe nahe Oslo an – der Schwerpunkt lag auf Marine und Schiffbau. Wer sich hier jetzt genauere technische Beschreibungen erwartet, den muss ich leider enttäuschen, mit dem Ingenieurswesen stand ich eher auf Kriegsfuß. Nur die Männer, die dieses Fach beherrschten, konnten mich immer wieder für sich gewinnen.


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Komisch fühlte es sich an, wenn ich auf meine bisherige Karriere mit dem anderen Geschlecht zurückblickte und plötzlich feststellte, dass ich nicht nur beim Aussehen sondern auch bei gewissen Charaktereigenschaften einen bestimmten Typ bevorzugte. Wie konnte es sein, dass ich als BWLerin und Sozial- und Wirtschaftswissenschafterin nie in den eigenen Reihen auf die Jagd ging? Den Stein der Weisen würde ich auch bei diesem Thema vermutlich nicht finden, aber ich kam zu dem Entschluss, dass das Drängen nach mehr Geld und Macht, genau jene Eigenschaft war, die mich am wenigsten an einem Mann interessierte.

Lustig musste er sein. Und ehrlich. Und je älter ich wurde desto mehr empfand ich auch eine gewisse Güte als anziehend. Grundsätzlich sollte er einfach mithalten können. Beim Wortwitz, beim spontanen Themenwechsel, beim Ausgehen, beim Intellekt und bei allen anderen grundlegenden Diskussionen des Lebens. Und meine Familie und Freunde sollte er natürlich auch mögen. Der heißblütige Spanier. Seines Zeichens Ingenieur. Haha, bei dieser Auflistung musste ich direkt selbst lachen.

Viel verlangte ich eigentlich nicht, weil es handelte sich dabei um immaterielle Eigenschaften. Diese allerdings in einer Person zu finden, war so wahrscheinlich, wie im Lotto zu gewinnen. Deswegen war ich vermutlich auch single. Halbheiten hatten mich noch nie im Leben interessiert. Vielleicht würde sich das ändern - sage niemals nie – aber selbst die Auswahl meiner Freunde verlief nach dem strengen Prinzip der Geradlinigkeit und ob man sich auf jemanden verlassen konnte oder nicht. Zweiteres wurde dann immer wieder sehr schnell aussortiert. Wer sich schon einmal auf die Suche nach solchen Zeitgenossen gemacht hatte, wusste bestens, dass sie sehr, sehr dünn gesät waren.

Ich wäre zu streng, wurde mir oft von den unterschiedlichsten Seiten vorgeworfen. Ja, mochte gut sein. Vielleicht war ich streng. Wenn aber Dinge für mich selbstverständlich waren, ich selbst an mich sehr hohe Ansprüche stellte und dementsprechend auch durchs Leben ging, dann konnte ich mir wohl von meinen Mitmenschen ein Minimum an Kooperation erwarten oder etwa nicht?

Ich hatte generell das Gefühl, dass sich nach Beenden des Studiums ein gewisser Lebensfrust breit gemacht hatte. Mir wurde bewusst, dass die schönste und unbeschwerteste Zeit des Lebens vorbei war. Die Studentenjobs wechselten in eine 40-Stunden-Woche, das stundenlange Kaffeetrinken mit Freunden wich einem Gespräch, das, wenn ich großes Glück hatte, einmal die Woche stattfand und die Geldsorgen richteten sich nicht nach dem bereits vierten Ausgehabend der Woche sondern nach Mieten, Autokäufen und anderen lebenserhaltenden notwendigen Maßnahmen, so wie ab und zu auch Lebensmittel zu kaufen, die doch tatsächlich für die Aufbewahrung im Kühlschrank gedacht waren. Ja, das hörte sich nicht nur so erwachsen und langweilig an - genau das war es auch!

Deswegen hatte ich nach Studienende – und zugegeben einer langen Reise und mehreren Monaten des Trauerns über den Verlust der Jugend - kurzerhand beschlossen, nicht nur den Wohnort sondern auch gleich noch das Land mit dazu zu wechseln.


Auf London fiel die Wahl! Die 10 Millionen Einwohner Metropole hatte einiges mehr zu bieten als schlechtes Wetter. Genau das war der Stereotyp, den jeder von dieser einzigartigen Stadt vor Augen hatte. ‚Da regnet’s doch immer!‘ war immer das, was ich als erstes hörte, wenn ich sagte, worauf meine Entscheidung gefallen war, um immerhin einen langen und nicht unbedeutetenden Abschnitt meines Lebens zu verbringen.

Natürlich blieb die Sahara-Hitze aus, aber der Regenschirm verließ eindeutig seltener das Haus als in meiner Heimatstadt Salzburg, wo es nicht umsonst den berühmt-berüchtigten ‚Salzburger Schnürlregen‘ gab. Wenn der erst einmal beschlossen hatte, ins Land zu ziehen, konnte ich nicht viel mehr machen als das Haus nicht zu verlassen und die Decke über den Kopf zu ziehen. Scheußlich!

London offerierte alles – die Liebe zum Leben, die Lebendigkeit, die Schnelllebigkeit der Stadt im Generellen gepaart mit der Langsamkeit des Anstellens im Speziellen, die Kultur, die Kunst, die Kulinarik, den Sex, die Anonymität, den Alkohol, die Vielfalt und die Internationalität. Dinge, mit denen ich lernen musste umzugehen, aber die mich irgendwann so in ihren Bann zogen, dass ich mir ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen konnte. In nur wenigen Straßenzügen konnte sich die heile Welt von aneinandergereihten, viktorianischen Häusern mit Mittelklassewagen vor der Haustüre in die Rauhheit der ehemaligen Fabrikshallen verwandeln, die gerade im Wandel standen, eine zukünftig berühmte Galerie oder ein Loft für einen ‚Cityboy‘ zu werden.

Wo wir denn schon wieder bei den Männern wären. ‚Cityboys‘ – eine ganz spezielle Gattung. Männer in den Zwanzigern und Frühdreißigern, die ihr Geld in der Londoner City, dem Financial District, verdienten. Bald gehörte der Anzug aus der Savile Row genauso zur Grundausstattung wie das Zigarrenrauchen, der Alkohol in Massen und oft auch die Drogen.

Gut aussehen taten sie, Geld machte ja bekanntlich auch sexy, aber trotzdem hatte ich um diese Spezies immer einen weiten Bogen gemacht. Vielleicht hatte ich auch nur einen einzigen Netten kennengelernt. Mein erster Mitbewohner arbeitete nach wie vor innerhalb der Squaremile; er hatte aber nie seine Persönlichkeit und seine Bodenständigkeit verloren. Ja, Geld hatte er, aber es war immer eine Frage dessen, wie präsentierte ich mich damit oder war überhaupt eine Diskussion darüber nötig. Ich war der Überzeugung, dass in diesem Bereich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mein Traummann nicht auf mich warten würde.

Ich wusste nicht, ob es ihn generell gab – den Traummann. Ich glaubte sehr wohl, dass man einem Menschen begegnen konnte, wo sehr viel passte, wo mehr passte als mit allen anderen Menschen, die man davor getroffen hatte. Was aber nicht bedeutete, dass es nicht noch einen gab, der besser oder auf eine andere Art und Weise zu einem passte. Und was, wenn einen derjenige welche nicht wollte? Dann bekam man eigentlich auch gar nicht die Gelegenheit, herauszufinden, ob der Traummann wirklich so traumhaft war.

Vermutlich war das alles relativ im Leben. Auch die große Liebe. Relativ und sehr subjektiv. Wer weiß, wie meine Arbeitskollegin die große Liebe definierte oder mein Nachbar nach seiner Traumfrau suchte? Vermutlich kam es nur auf dieses Gefühl an. Dieses eine Gefühl, jemanden in die Augen zu schauen... und zu schauen, weil man nicht wegschauen wollte, weil man endlich angekommen war.


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Als ich endlich eine gute Verbindung von London nach Oslo gefunden hatte und auf Buchen klicken wollte, schien in dicken Lettern die Warnung auf, dass das Zeitlimit überschritten war. Das war doch gar nicht möglich! War ich wirklich in meinen Gedanken so weit abgedriftet, dass ich die Buchung nicht rechtzeitig abgeschlossen hatte? Ausgerechnet eine Flugbuchung – was sonst zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Der Moment, wo ‚Bestätigt‘ auf dem Bildschirm aufflackerte und dann der Kalender am Handy vermeldete: ‚Sie haben erfolgreich eine Reise zu Ihrem Kalender hinzugefügt.‘ Einfach unschlagbar! Schnell ging ich zurück zur ersten Seite und buchte meinen Flug nach Norwegen für ein paar Monate später.

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