Читать книгу Blutige Nordlichter - Julia Susanne Yovanna Brühl - Страница 10
Оглавление3.) Die Suche
Janina richtete sich in ihrem Bett auf und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
„Kommissar …“ sie stockte. Mia half ihr flüsternd: „Johnsen.“
Janina, die die unscheinbare Krankenschwester bereits vergessen hatte, drehte sich überrascht in ihre Richtung und nickte ihr dankbar zu. Dann wandte sie sich wieder ihrem Besuch zu.
„Kommissar Johnsen, wie, was …?“
Der Angesprochene unterbrach sie lächelnd mit einem „Guten Morgen, schön, Sie mit etwas mehr Farbe im Gesicht zu sehen! Ich wusste doch, dass Sie bei Mia in den besten Händen sind.“
Mia errötete leicht und stand auf, um dem Kommissar die Möglichkeit zu geben, auf dem einzigen Stuhl in diesem kargen Raum Platz zu nehmen. Doch der zog es vor zu stehen und ignorierte den frei gewordenen Stuhl.
Bevor ein zu langes Schweigen entstehen konnte, fuhr Johnsen fort:
„Frau Schwalb, ich möchte gleich zur Sache kommen.“ Er strich sich mit der linken Hand durch sein Haar, eine Geste, die er stets unbewusst vollführte, wenn er auf der Suche nach den richtigen Worten war.
Janina traten Schweißperlen auf die Stirn.
Sie schob ihren Schweißausbruch auf die viel zu warme Bettdecke, wusste jedoch, dass ihre Aufregung ihn hervorrief
Leicht verschwommen war sie sich der Tatsache bewusst, dass sie einen erbärmlichen Anblick bieten musste. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte sich auf Augenhöhe mit diesem Kommissar unterhalten, der so seltsam herumdruckste.
Doch Mia hielt sie zurück.
„Frau Schwalb, es ist besser, wenn Sie liegen bleiben, Sie wirken doch noch recht blass. Und außerdem ...“ Sie zupfte zaghaft an dem Ärmel von Janinas Hemd, um sie daran zu erinnern, dass sie außer eines gepunkteten Krankenhemdes nur noch eine Unterhose trug.
Janina zuckte zurück, nickte ihr dankbar zu und beschränkte sich darauf, sich möglichst aufrecht hinzusetzen.
Ihre Nerven lagen blank und ihr Bauchgefühl gab alarmierende Signale.
Aufmerksam sah sie Johnsen in seine dunkelblauen Augen. Was sie darin lesen konnte, versprach ebenfalls nichts Gutes. Der Kommissar gab Mia einen Wink, die daraufhin leise aus dem Raum huschte und mit einem leisen Klicken die Tür hinter sich schloss.
„Frau Schwalb, ...“ begann er, als sie alleine waren. Er unterbrach und räusperte sich, bevor er einen neuen Anlauf nahm.
„Frau Schwalb, es ist folgendermaßen ... die ursprüngliche Suchmannschaft ist erweitert worden. Mittlerweile durchkämmt die Bergrettung das gesamte östliche Steilufer des Sees, in dem auch eine Tauchmannschaft aktiv ist.“
Er machte eine kurze Pause und versuchte aus den Augen der jungen Frau eine Reaktion vorherzusehen. Als er merkte, dass sie anscheinend noch unschlüssig war, was seine Worte bedeuten sollten, fuhr er rasch fort.
„Wir hatten zunächst die Hoffnung, mithilfe der Wärmebildkamera des Hubschraubers in der weiteren Umgebung fündig zu werden, doch leider brachte auch der Suchflug keine Ergebnisse. Deshalb haben wir beschlossen, die Gegend zu Fuß zu durchsuchen.“ Er hielt inne. Erkannte sie, dass eine Wärmebildkamera nur dann keine Ergebnisse bringen konnte, wenn der Gesuchte keine Wärme mehr ausstrahlte, also bereits erkaltet war?
Wohl eher nicht, dachte er. Mist.
Er fuhr sich erneut durch die Haare. Seine Handflächen begannen feucht zu werden und er überlegte fiebrig, wie er nun am besten fortfahren sollte.
„Sehen Sie, Frau Schwalb, wir tun unser Möglichstes, um ihren Freund wiederzufinden, doch es besteht die Möglichkeit ...“
„Welche Möglichkeit?“ Janina saß stocksteif in ihrem Bett, die Augen vor Schrecken weit aufgerissen.
Johnsen holte tief Luft. Nun kam der Teil, den er gefürchtet hatte, der unangenehmste, auf den er sich einfach keinen Deut hatte vorbereiten können.
„Die Möglichkeit“, begann er erneut, „dass Herr Hendriksen weiter abgerutscht und in den See gefallen sein könnte“.
„Ja, deswegen sucht ja auch eine Tauchmannschaft, das habe ich schon kapiert!“ blaffte Janina, die das Naheliegendste offensichtlich nicht einsehen wollte.
„Richtig, aber die ist bis jetzt auch noch nicht fündig geworden.“
„Wie kann das sein?“ Die Verzweiflung in ihrer Stimme stach ihm ins Herz und raubte ihm die Worte.
Für einen Moment stand er nur still da und ließ ihren verständnislosen, nahezu vorwurfsvollen Blick auf sich ruhen.
Er ließ sich einen Augenblick Zeit, bevor er fortfuhr: „Frau Schwalb, ich habe mich informiert. Auch wenn es sich bei dem Hundalvatnet nur um einen See handelt, so doch um einen sehr großen, in dem durch seine vielen Zu- und Abflüsse stellenweise starke Strömungen herrschen. Die Tauschmannschaft wird, sobald es geht, erweitert und in nördlicher Richtung weitersuchen, denn es besteht der Verdacht, dass er durch eine Strömung in nördliche Richtung abgetrieben worden ist.
Ich bin zuversichtlich, dass unsere Männer ihn finden werden, nur ...“
Er gab sich einen Ruck. So Leid es ihm auch tat, er musste ihr die Wahrheit sagen.
„Ich bedauere sehr, Ihnen das sagen zu müssen, doch es besteht die nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass er bei einem weiteren, tieferen Sturz ums Leben gekommen ist.“
Er hielt den Atem an. Nun hatte er es hinter sich gebracht. Er unterdrückte den aufkeimenden Fluchtreflex, als er sah, wie seinem Gegenüber die Tränen in die Augen stiegen. Heulende Frauen waren ihm ein Graus.
„Aber warum sollte er denn ins Wasser gefallen sein? Er lag doch sicher auf dem Vorsprung und ich habe so schnell es geht euch zu Hilfe geholt!“ Janinas Stimme überschlug sich und ihre Mundwinkel zuckten verdächtig.
Johnsen trat unwohl von einem Bein aufs andere. Dann kam er an ihr Bett heran und hielt ihr ein verknittertes Taschentuch unter die Nase.
Janina ignorierte seine anteilnehmende Geste und ließ die Tränen hemmungslos die Wange hinunterlaufen.
Sie konnte nicht anders, als ungläubig in dieses mitleidig blickende Gesicht mit den tiefblauen Augen zu starren. Eine Woge des Zornes schwappte ohne Vorwarnung in ihr hoch und durchflutete sie jetzt.
Log er sie etwa an? In Sekundenschnelle schlug ihre Angst um Hendrick in Zorn um.
„Es gab keinen Grund, warum Hendrik weiter abgestürzt sein sollte! Warum finden Sie ihn nicht, Herr Johnsen? Er ist ein Stück hinter mir gegangen und als ich seinen Schrei gehört hatte, bin ich zurückgelaufen und habe ihn einige Meter unterhalb des Weges auf dem Vorsprung liegen sehen. Warum sollte er weiter abgerutscht sein? Er hatte mir doch gesagt, es würde alles gut werden, er würde auf meine Rückkehr warten! Und ich bin so schnell es ging gelaufen und habe Hilfe geholt!“
Die Erinnerung vom Vortag war mit einem Mal so präsent, als wäre sie noch mitten im Geschehen.
Sie konnte förmlich die spitzen Steine fühlen, die ihr in Hände und Knie stießen, als sie sich auf den Boden fallen gelassen hatte, um zu ihm nach unten zu sehen. Er war für sie unerreichbar gewesen. Und doch hatte ihr Freund trotz seiner Schmerzen ruhig und gefasst gewirkt. Sollte der Kommissar Recht haben? Aber warum hatte ihr Freund nicht noch ein wenig ausgehalten?
„Glauben Sie, Herr Kommissar, dass er die Besinnung verloren hat und deshalb heruntergefallen ist oder dass ihm am Ende die Schmerzen zu unerträglich geworden sind und er freiwillig gesprungen ist?“
Der Kommissar nickte nachdenklich. „Ja, das ist alles im Bereich des Möglichen.“
Zitternd vor Fassungslosigkeit griffen Janinas Hände nach dem Bettlaken und krampften sich zusammen.
Johnsen regierte diesmal professionell. Er empfahl ihr, ihre Verwandten anzurufen, sich noch bis zum Mittag auszuruhen und bot ihr an, einen Rückflug zu organisieren. Zum Flughafen würde er oder sein Kollege sie bringen. Auf jeden Fall wäre es das Beste für sie, wieder nach Hause zurückzukehren. Allerdings müsste sie vorher noch einmal auf das Revier kommen, um ihre Aussage zu Protokoll zu geben.
Dann reichte er ihr seine Hand, die sich trotz mehrfachen Abwischens an der Hose immer noch schwitzig anfühlte. Janina dagegen konnte ihre nur schwer von dem Leinenbezug lösen. Dementsprechend verkrampft fiel ihr Händedruck aus.
Mit einem gemurmelten Abschiedsgruß verließ der Norweger den Raum und schickte Mia wieder hinein.
Die bemühte sich erneut, ihre Patientin zu einem Telefonat zu überreden, das ihr sicher Trost spenden würde.
Doch Janina fühlte sich wie gelähmt und starrte tatenlos auf ihr Handy, das ihr auf den Schoß gelegt worden war.
Achselzuckend ließ die Krankenschwester sie allein. Eine halbe Stunde später kam sie wieder und nötigte ihre Patientin diesmal geradezu, jemanden anzurufen. Endlich reagierte Janina und wählte die Nummer der Praxis ihres Bruders in Äthiopien. Während das Wartesignal ertönte, verspürte sie plötzlich den sehnlichen Wunsch, ihr großer Bruder Mirko wäre hier und würde sie in den Arm nehmen.
Sie erreichte ihn nicht. Nur eine englischsprachige Sprechstundenhilfe nahm ihren Anruf entgegen und teilte ihr mit, dass er sie sobald wie möglich zurückrufen würde.
Enttäuscht legte sie auf und ließ sich wieder auf ihr Kissen fallen.
Mia hatte diskret den Raum verlassen, als sie merkte, dass am anderen Ende der Leitung jemand abgehoben hatte. Diese junge Frau tat ihr ja so leid!
Sie ging zur Kantine, um den beiden anderen Patienten der Station und dann zuletzt auch der armen Frau Schwalb in Zimmer acht das Mittagessen zu bringen. Wie von dem netten Kommissars gebeten, legte sie auch ein leichtes Beruhigungsmittel bereit.
Als sie beim Herrichten aus dem Fenster auf die Straße sah, hielt sie verwundert einen Moment in ihrer Bewegung inne. Dort draußen stand ein kleiner, dunkelhaariger Mann in einem feinen Hemd, der gar nicht in diesen Ort passen wollte. Etwas an ihm verlieh ihm ein fremdartiges Aussehen. Beim genaueren Hinsehen konnte sie auch sagen, was es war. Es lag an der gelblichen Gesichtsfarbe und den schlitzförmigen Augen.
Nachdem sie ihn einen Moment lang verwirrt angestarrt hatte, zuckte sie mit den Achseln. Ein Fremder, na und? Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und vergaß den Unbekannten im selben Moment. Mit hastigen kleinen Schritten trug sie das erste Tablett in Zimmer Nummer fünf, in dem die greise Dame mit dem Wasser in den Beinen lag. Das Tablett mit der Suppe für Janina blieb derweil noch stehen.
Der Mann auf der Straße hatte sich umgedreht und hielt seinen Blick auf die zugigen Fenster des kleinen Krankenhauses gerichtet.
Ein leichtes Stirnrunzeln schlich sich auf seine Stirn, als er versuchte, etwas durch die hellgrauen Gardinen an den Fenstern der Mosjøen - Klinik zu erkennen. Er konnte sehen, wie sie sich bewegten, als Mia am Fenster vorbeiging.
Da lächelte er.