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2.) Der Asiate

„Guck mal, Mama, hinter uns sitzt Chackie Chan!“ Genervt blickte der Mann, der in der Tat entfernt an den asiatischen Schauspieler erinnerte, über den Rand seiner Zeitung direkt in die großen Kulleraugen eines kleinen Jungen. Der hatte sich auf seinen Sitz gestellt und nach hinten umgedreht. Mit Müh und Not war der freche Fratz groß genug, um über die Rücklehne schauen zu können und nun quäkte er auf seinen Zehenspitzen stehend lauthals herum.

Angewidert sah der Asiate auf die Rotzglocke unter der Nase des vielleicht Vierjährigen und fragte sich, warum die Kinder von heute nicht mehr anständig erzogen wurden. Er starrte dem Jungen unverwandt an, während seine Mutter peinlich berührt versuchte, ihren Nachwuchs wieder zurück auf seinen Hintern zu befördern und im Flüsterton mit ihm schimpfte.

Ihre gepresst klingende Entschuldigung hatte der Mann mit einem eiskalten Blick aus seinen tiefschwarzen Augen und einem kaum merklichen Nicken angenommen.

Die Mutter musste insgeheim ihrem Buben Recht geben: Der Mann hinter ihr sah Chackie Chan wirklich sehr ähnlich. Als sie sich für sein Benehmen entschuldigte, ahnte sie jedoch nicht, dass der Passagier hinter ihr kein Wort von dem, was ihr Sohn gerade gepiept hatte, verstanden hatte.

Zu seinem Sprachschatz zählten kultivierte Sprachen, die er fließend beherrschte. Darunter fielen Französisch, natürlich Englisch, zwei Dialekte Chinesisch und Vietnamesisch. Aber dieses raue Gekrächze der Norweger verstand er beim besten Willen nicht. Trotzdem, so eine Ungezogenheit, einfach auf fremde Leute zu zeigen und herumzukreischen!

Er hasste es, angestarrt zu werden. Und nun dieses Gewürm ihn auch noch zum Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit gemacht. Er beschloss, die neugierigen Blicke zu ignorieren und vertiefte sich erneut in seine Lektüre. In seinen gelblichen Händen – ganz normal für einen Menschen aus dem Osten – auch wenn die Dame neben ihm immer wieder einen bedauernden Blick auf ihn warf, als hätte er eine schwere Krankheit, hielt er einen flachen Bildschirm, auf dem er einen interessanten Text las. Er spürte den Blick seiner neugierigen Sitznachbarin und sah sie mit wütend blitzenden Augen an, woraufhin sie ihre Nase sofort wieder in ihre „Gala“ steckte.

Die alte Schachtel, dachte er sich, fliegt wohl auch zum ersten Mal. In was für einem Provinzloch landete er denn hier, wo es weit und breit überhaupt keine anständigen Leute zu geben schien? Wahrscheinlich war er auch noch der erste Asiate, der diesen gottverdammten Flughafen am Ende der Welt betreten würde!

Er warf einen letzten Kontrollblick nach rechts und runzelte dann die Stirn, als er versuchte, seine Gedanken wieder auf seine Lektüre zu lenken. Er hatte sich noch einiges vorgenommen. Schließlich musste er so viel wie möglich über seine Mission von vornherein im Kopf haben.

Regel Nummer eins: nichts notieren, damit man ihm nichts nachweisen konnte. Deshalb hieß es stets: Hirn anschalten, mitdenken, merken. Keine Beweise.

Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie zur Landung ansetzen würden. Also galt es, die Zeit zu nutzen.

Eine Viertelstunde später war es so weit.

Seufzend blickte er aus dem Fenster und legte brav seinen Gurt an, als der Pilot die Durchsage machte, dass sie nun zur Landung ansetzen würden.

Die Dame neben ihm beobachtete aus ihren Augenwinkeln, wie er sorgfältig sein Tablet zunächst in eine graue Hülle mit dem obligatorischen angebissenen Apfel schob und anschließend in einer schwarzen Tasche verschwinden ließ. Zuvor hatte sie noch einen kurzen Blick auf den Text werfen können, in den sich ihr Sitznachbar vertieft hatte. Es war die englische Version der örtlichen Nachrichten, ganz zuoberst hatte irgendetwas vom Lomsdal-Visten-Nationalpark gestanden und daneben war das Foto eines jungen, gutaussehenden Mannes abgebildet. Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass der Schlitzaugenmann sich weniger für den Text, als vielmehr für dieses Foto interessiert hatte.

Die an sie herantretende Stewardess, die sie freundlich darauf hinwies, ebenfalls ihren Gurt anzulegen, lenkte ihre Gedanken in eine andere Richtung.

Blutige Nordlichter

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