Читать книгу Vertrauen Sie mir, Mylady - Julie Bloom - Страница 10
Оглавление6. Kapitel
Am nächsten Morgen verließ Harry widerwillig und niedergeschlagen sein Bett. Am liebsten wäre er heute gar nicht aufgestanden. Er wusste nun nicht mehr, worauf er sich noch freuen oder was er tun sollte. Es schien hoffnungslos zu sein. Vielleicht hatte er Clara für immer verloren. Vielleicht wollte sie ihn tatsächlich nicht mehr sehen.
Harry ging die Treppen hinunter zum Speisezimmer, um etwas zu frühstücken, auch wenn er keinen Appetit hatte. Da stand plötzlich jemand in der Eingangstüre. Harry traute seinen Augen nicht.
“Phil!”, rief Harry, beschleunigte seine Schritte und lief auf den unerwarteten Gast zu.
Er war noch nie so froh darüber gewesen, seinen etwas älteren Bruder zu sehen.
“Was machst du denn hier? Ich wusste gar nicht, dass du nach London kommst”, fügte Harry hinzu.
“Ich dachte mir, ein kleiner Überraschungsbesuch bei meiner Tante und meinem kleinen Bruder wäre mal wieder eine gute Idee. Ich habe kurzfristig zwei Wochen Urlaub bekommen und hier bin ich nun.”
Harrys Bruder war schon immer für eine Überraschung gut gewesen, oftmals leider nicht für eine Gute. In diesem Fall war es aber eine wunderbare und willkommene Überraschung, fand Harry.
“Ich bin so froh, dass du hier bist, Phil. Tante Feodora ist in Bath und ich brauche dringend jemanden zum Reden”, beteuerte Harry und ließ abrupt seinen Emotionen freien Lauf.
Er erzählte Phil alles, was in den letzten Wochen geschehen war und auch von seinen intensiven Gefühlen für Clara. Er war so verzweifelt gewesen und es tat nun derart gut, es jemandem anzuvertrauen, der ihn gut kannte.
Während Harry eher sensibel und feinfühlig war, war sein Bruder Phil schon immer ein richtiger Draufgänger gewesen. Er überlegte nie lange, bevor er irgendetwas tat, und war daher schon so manches Mal in schwierige Situationen geraten, aus denen ihm seine Familie wieder heraus helfen hatte müssen. Doch jetzt war Phil ein wenig älter und bestimmt schon vernünftiger geworden. Wenn er sich auch nach wie vor weigerte, sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen. Er war ein Freigeist durch und durch und genoss sein unabhängiges Leben in vollen Zügen. Phil war resolut, laut, aktiv und stets energiegeladen. Anders kannte Harry ihn gar nicht.
Sein ältester Bruder Alex war da anders. Er ähnelte eher dem sanften Gemüt von Harry und konnte sich auch sehr einfühlsam und ruhig verhalten. Er war aber leider nicht hier. Also war es nun Phil, dem er sein Herz ausschüttete und seine Geschichte erzählte.
Zu Harrys Überraschung zeigte sich Phil aber äußerst verständnisvoll und war bemüht, seinen kleinen Bruder zu trösten und ihm Mut zuzusprechen. Er versicherte Harry, ihm zu helfen und sich mit ihm gemeinsam einen guten Plan zu überlegen. Sie könnten auch sofort mit dem Pläneschmieden beginnen. Zuvor würde Phil aber dringend ein ausgiebiges Frühstück benötigen, teilte er Harry mit einem Augenzwinkern mit. Er hätte seit gestern Mittag keine Mahlzeit mehr zu sich genommen. Harry musste schmunzeln - über die Situation, seinen Gefühlsausbruch und den unsterblichen Humor seines älteren Bruders. Harry war einfach nur froh, dass Phil nun hier war.
Wenig später saßen die beiden Brüder bei einem gemeinsamen Frühstück und begannen damit, sich einen guten Plan auszudenken, wie Harry nun endlich in Erfahrung bringen konnte, was mit Clara los war. Nach vier Scheiben Toastbrot, einer Tasse Kaffee und einer extrem großen Portion Rührei hatte Phil plötzlich einen Einfall.
“Ich habe es, kleiner Bruder! Irgendwie müssen wir es schaffen, dass einer von uns in das Haus der Wintersfields eindringen kann, um dort mehr zu erfahren. Außerhalb des Hauses wird uns bestimmt niemand mehr Informationen geben wollen als die, die du schon bekommen hast. Da verhalten sich die Londoner - wie immer - ganz diskret.”
“Aber wie sollen wir unbemerkt in das Haus gelangen? Und wen sollten wir dort befragen? Ich kann doch Clara nicht einfach in ihrem Zimmer überfallen. Was, wenn es doch sie ist, die mich gar nicht mehr sehen will. Das wäre ein Skandal!”
“Nein, kleiner Bruder. Du denkst viel zu simpel. Ich habe mir Folgendes überlegt.”
Phil hielt einen Moment inne, um danach etwas theatralischer fortzufahren.
“Ich werde mich als Arzt verkleiden und deiner kleinen Miss Clara einen Besuch abstatten. Keiner der Wintersfields kennt meine Wenigkeit und als Arzt habe ich die perfekte Tarnung. Das einzige Risiko besteht darin, dass es Miss Clara gut geht und sie eigentlich gar keinen Arzt bräuchte. Für diesen Fall werde ich nicht ihren Namen benützen, sondern lediglich kundtun, dass nach mir geschickt wurde, um nach der jungen Dame zu sehen. Genial, nicht wahr?”
Phil war offenbar äußerst zufrieden mit sich selbst und seiner Idee. Harry war sich allerdings noch nicht so sicher, ob das gut gehen würde.
“Aber Phil! Miss Wintersfield wird das doch sofort durchschauen, denn wenn Clara gegenwärtig in Behandlung eines Arztes ist, dann hat die Familie Wintersfield doch sicherlich einen ganz bestimmten Hausarzt. Man würde sofort herausfinden, ob das mit rechten Dingen zu geht oder nicht.”
“Da hast du sicherlich recht, Harry. Aber ich werde mich zuvor gut umhören und herausfinden, ob und wann Lady Wintersfield regelmäßig das Haus verlässt. Jede Dame des ton hat ständig irgendwelche gesellschaftlichen Verpflichtungen und ich werde ausfindig machen, welche es in Lady Wintersfields Fall sind. Gut, oder?”
Phil zwinkerte Harry selbstbewusst über den Tisch hinweg zu und biss in seinen fünften Toast.
Harry staunte über den Appetit seines Bruders. Und nicht zuletzt über dessen Einfallsreichtum. Aber ganz wohl fühlte er sich mit Phils Plänen noch nicht. Es könnte so viel schief gehen und Harry wollte jede mögliche Blamage verhindern. Andererseits war es wohl wahr, dass niemand aus der Familie Wintersfield Phil kannte. Keiner würde ihn also als seinen größeren Bruder erkennen. Noch dazu sahen er und Phil sich kein bisschen ähnlich. Phil hatte dunkles Haar, eher herbe Gesichtszüge und die braunen Augen ihres Vaters geerbt. Er hatte eine recht stämmige und stattliche Statur, breite Schultern und war bestimmt fast einen Kopf größer als Harry. Während Harry ganz nach seiner Mutter geraten war. Blondes Haar, dieselben türkisblauen, warmherzigen Augen, wie sie auch sein Bruder Alex hatte.
Inzwischen war auch er, Harry, zu einem breitschultrigen Mann von großer Statur herangewachsen. Wenn er auch ein paar Zoll kleiner war als seine beiden doch recht groß gewachsenen älteren Brüder.
Phils geplantes Täuschungsmanöver könnte von daher also tatsächlich funktionieren. Also stimmte Harry zu, wenn auch immer noch skeptisch. Eine bessere Idee hatte er aber momentan selbst nicht, und er war Phil sehr dankbar für dessen Bemühungen. Harry konnte nur hoffen, dass alles gut gehen würde.