Читать книгу Vertrauen Sie mir, Mylady - Julie Bloom - Страница 12
Оглавление8. Kapitel
Im Stadthaus von Tante Feodora, Harrys derzeitigem Zuhause angekommen, verabschiedeten sich die Brüder vorerst voneinander und jeder begab sich in seine Privaträume. Bei einem gemeinsamen Abendessen würden sie einander wiedersehen und weitere Pläne und Maßnahmen besprechen.
Harry suchte wie immer, wenn er nachdenken wollte, sein Arbeitszimmer auf. Er ging ein paar Male auf und ab, setzte sich dann aber in seinen bequemen Sessel hinter dem Schreibtisch. Harry lehnte sich zurück und starrte ins Leere. Vor seinem inneren Auge ging er Phils Erzählungen noch einmal durch. Er sah Clara vor sich, wie sie fast leblos in ihrem Bett lag und zur Decke hinaufblickte. Was war bloß geschehen? Dieses Bild entsprach so überhaupt nicht seiner geliebten, lebhaften und warmherzigen Clara. Was war ihr zugestoßen?
Die Unwissenheit machte Harry fast wahnsinnig. Wie konnte er herausfinden, was passiert war? Und war es tatsächlich so schrecklich, dass keiner darüber reden wollte? Offenbar. Harry wurde ganz übel, denn er befürchtete allmählich die schlimmsten Dinge. Es konnte alles Mögliche sein. Jemand konnte ihr Gewalt angetan haben, ein schrecklicher Unfall konnte ihr passiert sein oder eine Entführung. Harry musste aufhören, darüber nachzudenken, bevor er sich ganz verrückt machte. Halte dich vorerst an die Fakten, sagte er zu sich selbst.
Also, Clara befand sich nun in Sicherheit in ihrem Zuhause. Niemand hielt ihn, Harry, absichtlich von ihr fern. Clara dürfte sich offensichtlich nicht in der Verfassung befinden, auszugehen oder jemanden zu treffen. Es hatte also nichts mit ihm persönlich zu tun. Im Gegenteil, Claras Tränen wiesen vermutlich darauf hin, dass sie ihn sehr wohl immer noch liebte und vermisste.
Bei diesem Gedanken wurde Harry warm ums Herz und nun musste auch er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. Doch warum nahm Clara diese Medizin ein? Gut, er wusste nun, dass sie ohne das Medikament nicht mehr schlafen konnte. Wie furchtbar! Was war der armen Clara nur zugestoßen, dass solch eine Maßnahme nötig war? In Harry erwachte ein noch nie gekannter Beschützerinstinkt. Er wollte sich auf der Stelle zwischen das, was Clara passiert war, und sie - seine geliebte Clara - werfen, um sie zu beschützen. Das war aber nicht mehr möglich, denn es war bereits geschehen.
Harry sank mutlos in seinem Sessel zusammen und legte seinen Kopf auf die am Tisch verschränkten Arme. Irgendeine Lösung musste es doch geben. Er musste doch etwas für Clara tun können, wenn sie ihn noch liebte und er sie sowieso. Doch was konnte das sein? Wie konnte er zu ihr durchdringen? Noch dazu kam, dass sie wohl ständig von diesem Medikament betäubt zu sein schien. Oder vielleicht nicht ständig? Vielleicht war es nur abends vor dem Zubettgehen nötig? Vielleicht hatte Phil diesbezüglich noch etwas herausgefunden und Harry würde ihn beim Abendessen danach fragen.
Harry saß vor seinem Teller und stocherte in dem Stück Fleisch mit Gemüse herum. Phil hatte offensichtlich einen hervorragenden Appetit und verlangte bereits nach einer weiteren Portion.
“Kopf hoch, Harry. Wir finden eine Lösung. Aber du solltest etwas essen. Ein geschwächter Retter hat noch keinem etwas gebracht.”
Wieder dieser unbändige Humor seines Bruders. Harry liebte das an Phil. Er konnte ihn dadurch stets erneut aufheitern.
“Du hast ja recht.” Harry schob sich einen Bissen Fleisch in den Mund. “Sag Phil - konntest du auch herausfinden, wie oft Clara dieses Tonikum einnehmen muss?”
“Ihre Zofe sagte etwas von zwei Mal täglich und bei Bedarf. Ich schätze, das würde bedeuten, morgens und abends auf jeden Fall. Wieso fragst du?”
“Weil ich einen Weg finden möchte, zu Clara durchzudringen. Wenn es wahr ist, dass sie noch etwas für mich empfindet, müsste ich ihr doch irgendwie helfen können. Liebe kann Wunder bewirken, hat Mutter früher immer zu mir gesagt. Ich hoffe, sie behält damit recht.”
Harry lehnte sich zurück und schnaubte. Momentan schien ihm alles hoffnungslos, weil er noch keine Ahnung hatte, wie er Clara begegnen könnte. Er konnte sich schließlich nicht verkleiden und in das Haus der Wintersfields eindringen. Ihn kannte man bereits.
“Ich weiß leider auch gerade nicht weiter. Sobald mir aber etwas einfällt, werde ich es dich sofort wissen lassen”, versprach Phil seinem jüngeren niedergeschlagenen Bruder.
“Und Harry. So leid es mir tut, ich werde in zwei Tagen bereits wieder abreisen müssen. Ich werde in Schottland gebraucht. Ich kann zu eurem Besuch bei Alex und Lucy am nächsten Wochenende leider nicht mitkommen. Aber vielleicht können dir ja dann Tante Feodora und die beiden irgendwie weiterhelfen. Mehr könnte ich momentan ohnehin nicht für dich tun, befürchte ich.”
Harry war klar gewesen, dass Phil nicht allzu lange in London verweilen würde. Er war ständig auf Reisen und nie lange an einem Ort. Deshalb konnte er sich vermutlich auch seine Scherze erlauben, weil man ihn einfach nirgendwo so richtig kannte. Bei dem Gedanken daran durchströmte Harry wieder ein schlechtes Gewissen.
“Du Phil, ich möchte, dass du über diese Kostümierungsaktion Stillschweigen bewahrst. Davon darf niemals jemand etwas erfahren! In Ordnung?”
“Aber natürlich, kleiner Bruder. Versteht sich von selbst.”
Und damit stand Phil auf und verabschiedete sich von Harry, denn er wollte an diesem Abend noch mit einigen Kumpanen eine Spielhölle aufsuchen und sein Glück versuchen. War ja klar. Aber Harry gönnte es seinem Bruder ein wenig Spaß zu haben. Wobei er sich sicher war, dass Phil voraussichtlich mehr als nur ein wenig Spaß haben würde.