Читать книгу Wege des Himmels - Juna Aveline B. - Страница 18
Sonntag, 25.November 2007
ОглавлениеHeute Morgen habe ich mich mit Magdalena gestritten. Sie meinte, dass ich mich verändert habe in den letzten Wochen. Dass ich mich nicht mehr so sehr um sie kümmern würde. Dass ich nicht mehr wirklich bei ihr bin. Aber das stimmt doch gar nicht. Natürlich habe ich im Moment viel Arbeit.
Am Freitag habe ich von Dr. Michel meine Anatomie-Ausarbeitung zurück bekommen. Er hat mehr Anmerkungen gemacht als ich gedacht habe. So habe ich den ganzen Samstagvormittag damit verbracht, die Ausarbeitung zu überarbeiten und zu verbessern. Marle war währenddessen einkaufen. Sie hat sich einen neuen Wintermantel gekauft. Vielleicht hatte sie gehofft, dass ich mitgehe, aber bisher hatte sie doch auch immer Verständnis dafür, dass mein Studium vorgeht. Gestern Mittag habe ich dann noch einige Male wegen der anstehenden Weihnachtsfeier vom Tischtennisclub telefonieren müssen, so dass der Samstag im Nu vorbei war. Schließlich waren wir abends mit Alex, Robin und Miriam im Kino und anschließend noch auf ein Bier in einer Kneipe. Ich war schon ziemlich müde und irgendwie kam mir immer wieder Frau Sommer in den Sinn.
Die Behandlung am Donnerstag war gut verlaufen – fast zu gut. Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist. Normalerweise erzähle ich Patienten sehr wenig über mich, im Gegenteil, ich versuche ja immer, sie zum Reden zu bringen, versuche ein Thema zu finden, über das sie gerne sprechen. Aber bei Frau Sommer war das anders. Auch wenn ich zu Beginn meine Professionalität wahren konnte - als sie mir erzählte, dass es ihr zurzeit nicht so gut gehe, musste ich mich schon ziemlich am Riemen reißen, um sie nicht zu bitten, mir einfach alles zu erzählen. Ich merkte richtig, wie sie mit sich rang – auf der einen Seite hätte sie sich wohl gerne jemandem mitgeteilt, andererseits bin ich ihr Zahnarzt, was sie wohl davon abhält, mir ihr Herz auszuschütten. Außerdem ist ein Zahnarzttermin alles andere als eine gute Möglichkeit, zu reden, wobei dazu ja auch immer noch meine Assistentin anwesend ist.
So fing ich an, ruhig und konzentriert zu arbeiten. Frau Sommer macht es mir irgendwie immer leicht, ruhig und konzentriert zu arbeiten. Ich weiß nicht wie sie das macht, aber es ist immer so eine angenehme Atmosphäre wenn sie da ist. Als ob sie trotz ihrer Angst Stress und Hektik aus dem Behandlungszimmer verbannt, vor der Tür auf den Fluren und Gängen der Klinik zurücklässt. Im Hintergrund lief wie immer ein wenig Musik, auf einmal kam der Song „Everlasting love“, den ich unvermittelt anfing mit zu summen. Und ich merkte gar nicht, dass ich sagte, was ich dachte, dass es das Lied doch auch mal in einer Version von Take That gegeben hatte. Als mich Frau Sommer prompt verbesserte und meinte, dass das nicht Take That sondern Worlds Apart gewesen wäre, war ich im ersten Moment völlig perplex. Frau Sommer, die sonst immer nur das Nötigste sprach, schien auf einmal richtig entspannt.
„Und von Gloria Estefan gibt’s auch eine Version. Von dem Song gibt’s so viele Coverversionen.“, redete sie weiter.
Als ich meinte, dass sie sich gut auskenne mit Musik, schien ihr das allerdings irgendwie peinlich, denn sie wendete sofort den Blick von mir ab während ihre Wangen leicht rot wurden. Sofort war ihr die Anspannung wieder ins Gesicht geschrieben. Also wendete ich mich auch ab, um sie nicht noch mehr unter Druck zu setzen. Aber warum sollte ihr das peinlich sein? Vielleicht weil sie mich – ihren Zahnarzt – verbessert hatte? Wohl kaum. Einerseits kam ich ins Grübeln, andererseits musste ich innerlich immer wieder lächeln. Frau Sommer schien genauso musikbegeistert zu sein wie ich.
Das ließ ich mir aber nicht anmerken sondern erzählte weiter ein wenig über Musik und Coversongs. Zufällig lief auch noch „Jessie“ von Joshua Kadison, was Frau Sommer offensichtlich genauso gern mochte wie ich auch.
„Schade, dass man von dem Sänger nichts weiter gehört hat“, meinte ich.
„Doch, von ihm gibt’s doch auch noch andere Songs. Picture postcards from L.A. zum Beispiel. Aber am Schönsten finde ich Beautiful in my eyes. Kennen Sie die Songs nicht?“
Ich musste verneinen. Ich kenne zwar viele Soulmusiker und ihre Lieder, aber die genannten Songs von Joshua Kadison kenne ich nicht.
Schließlich konnte ich mit der Behandlung fortfahren. Ich merkte, dass sie sich wieder ziemlich verkrampft hatte, die Hände wie immer verknotet, so fest, dass wieder die Knöchel weiß hervortraten. Und jeder einzelne Muskel in ihrem Körper schien angespannt. Aber trotzdem waren ihre Augen irgendwie ruhig. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Bei anderen Patienten sieht man die Angst in den Augen, oder ihre Augen sind erfüllt von Ärger über die Behandlung an sich oder dass sie so lange dauerte, von Unbehagen oder ähnlichem. Aber Frau Sommers Augen zeigten nichts von alldem. Sie waren ruhig und klar, geduldig abwartend, freundlich. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, ihr von mir zu erzählen, dass ich manchmal donnerstags auf die After-Work-Party ins Felix ging oder am Wochenende ab und zu auch ins Maxxim. Es ist einfach geschehen, die Worte kamen aus mir heraus, ohne dass ich darüber nachdenken konnte. Ich stellte mir einen kurzen Augenblick vor, wie es wohl sein würde, mit ihr da zu sein, mit ihr zu tanzen. Stellte sie mir vor in ihrem weiten Jeansrock, den sie das letzte Mal getragen hatte, wie er um ihre Beine schwang während sie sich bewegte. Im nächsten Moment war ich über mich selbst erstaunt und schob die Gedanken beiseite, schließlich musste ich mich auch wieder voll auf die Behandlung konzentrieren.
Am Ende ließ ich sie mit meiner Assistentin nochmals einen neuen Termin vereinbaren, da mir noch eine weitere Füllung aufgefallen war, die vielleicht gewechselt werden muss und die ich mir das nächste Mal genauer ansehen will.
Ich grübelte den ganzen Samstagabend darüber nach, was passiert war am Donnerstag. Im Großen und Ganzen war ja nicht schlimmes oder bedeutendes passiert – aber was hatte ich mir nur dabei gedacht, Frau Sommer zu erzählen, wo sie mich finden konnte am Wochenende oder Donnerstagabends? Was war nur in mich gefahren? Als ich als Zahnarzt anfing zu arbeiten, hatte ich mir vorgenommen, Berufliches und Privates so gut wie möglich zu trennen, private Kontakte zu Patienten wollte ich nicht. Und jetzt erzählte ausgerechnet ich meiner Patientin, wo sie mich antreffen konnte?
Ein Glück, dass sich Alex, Robin, Miriam und Marle so gut amüsierten, dass sie nicht zu merken schienen, dass ich mit meinen Gedanken ganz wo anders war.
Als Marle und ich schließlich zu Hause ankamen, war ich so müde und erschöpft, dass ich einfach nur noch schlafen wollte. Ich ließ meine Klamotten achtlos auf dem Boden neben dem Bett liegen, ging noch kurz ins Bad und fiel dann ins Bett, drehte mich um und schlief direkt ein.
Und heute Morgen beim Frühstück fing Magdalena echt an mich zu nerven. Andauernd fragte sie nach, was denn mit mir los sei, ob mit mir alles in Ordnung wäre, ich sei gestern Abend so still gewesen. Ich habe ihr versichert, dass es mir gut gehe, dass alles in Ordnung sei und ich nur müde gewesen war gestern Abend, aber so etwas wollen einem Frauen ja meistens nicht glauben. So auch Magdalena. Irgendwann meinte sie dann, dass ich mich verändert hätte in den letzten Wochen. Dass ich eben viel Arbeit habe wegen dem Beruf und dem Studium, wollte sie nicht gelten lassen. Was hätte ich ihr denn sonst sagen sollen? Dass ich mir Gedanken wegen einer Patientin machte, die Gedanken aber sinnlos seien, weil es der Patientin aus ärztlicher Sicht gut gehe und auch die Behandlung gut verlaufen sei.
So eifersüchtig wie Marle ist, würde sie direkt zu unserem Chef gehen und ihn so lange bearbeiten, dass er letztendlich beschließen würde, dass ein anderer Kollege die Behandlung von Frau Sommer übernehmen solle. Marle würde das auch so hinbekommen, dass unser Chef am Ende denken würde, es sei seine eigene Idee gewesen, insbesondere da ich sowieso schon Ärger mit ihm hatte, weil ich Frau Sommers Behandlung nicht in Vollnarkose hatte durchführen32 wollen. Natürlich hätte die Klinik daran mehr verdient, aber das Risiko wäre nicht zu vertreten gewesen. Und schließlich entscheide ich als Arzt unter den medizinischen Aspekten und nicht danach, wie viel an einem Patient verdient werden kann, wenn man diese oder jene Behandlungsmethode wählt.
Inzwischen ist Marle in der Schmollphase. „Du redest nicht mit mir, du erzählst mir nicht, was mit dir los ist, also rede ich auch nicht mit dir!“
Sie wird sich schon wieder beruhigen.
Ich gehe jetzt erst einmal noch ein wenig trainieren ins Fitness Studio. Dabei bekomme ich den Kopf am besten frei und kann meine Gedanken ordnen.