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Montag, 20. August 2007

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Hallo liebes Tagebuch,

Hier ist wieder deine Lara. Soooo viel Streß gab‘s in den letzten Tagen. Es ist nämlich soweit: Björn und ich ziehen zusammen. Wir haben eine wunderschöne Wohnung in Berlin-Lichterfelde gefunden, 89 Quadratmeter, die sich auf ein gemeinsames Schlafzimmer, ein schönes, großes Wohnzimmer, ein Arbeitszimmer für mich und ein Arbeitszimmer für Björn, Küche und Bad aufteilen. Nachdem er jetzt schon über ein Jahr in Berlin bei der GW-Bank arbeitet, habe ich die Chance bekommen, dort meine Abschlussarbeit zu schreiben. Wegen der Abschlussarbeit war ich mir schon etwas unsicher, vielleicht hätte ich aus fachlicher Sicht besser das Angebot des Mannheimer Unternehmens annehmen sollen, aber was zählt bei der Entscheidung Björn und Berlin die fachliche Sicht? Bei mir nicht allzu viel. Es ist wahrscheinlich ein Fehler, oder zumindest eine Schwäche von mir, viel zu oft Entscheidungen mit dem Herzen zu treffen und nicht mit dem Verstand. Aber nachdem Björn jetzt ein Jahr fast jedes Wochenende von Berlin in die Pfalz gekommen ist und dadurch auch seine Arbeit vernachlässigt hat, denke ich, dass es für ihn das Beste ist, wenn ich mitgehe nach Berlin. Und für mich ist es auch gut, momentan wohl eher eine Flucht, aber ich hoffe, dass sie mir gut tun wird. Es ist so vieles passiert im letzten halben Jahr. Es war mein letztes Semester an der Fachhochschule, die letzten Klausuren, jetzt trennen sich wieder die Wege von meinen Kommilitonen, jeder geht seinen Weg. Aber vor allem schmerzt der Tod meiner Omi immer noch so sehr. Im Februar ist sie gestorben. An einem erneuten Schlaganfall. Sicherlich war es besser so, sie war nicht mehr richtig bei Bewusstsein und wäre ein Pflegefall geworden, das, was sie selbst unter keinen Umständen wollte, nämlich jemandem zur Last zu fallen. Aber erstaunlich ist, dass sie immer da zu sein scheint, wie ein zweiter Schutzengel. Es ist mir in der letzten Zeit so oft passiert, dass ich sie um Hilfe gebeten habe und bevor ich den Gedanken noch zu Ende denken konnte, war er bereits erfüllt. So war ich einmal bei einer Freundin und bin sehr spät abends bei ihr losgefahren. Ich war schon sehr müde und da ich durch ein langes Waldstück fahren musste und dort oft Wildunfälle passierten, hatte ich ein wenig Angst als ich ins Auto stieg. Ich dachte: „Bitte Omi, pass auf mich auf und lass mich heil ankommen!“ Und als ich am Ortsausgang war, bog vor mir ein weiteres Auto auf die Straße ein und fuhr den ganzen Weg durch das Waldstück vor mir her, so als ob es mich führen und sicher stellen wollte, dass der Weg frei ist.

Das ist ein sehr tröstender Gedanke – aber er hilft nicht über den Schmerz hinweg. Manchmal denke ich: „Wie soll ich mein Diplomzeugnis überreicht bekommen, ohne dass sie an diesem Moment teilhat?“, „Wie soll ich in die neue Wohnung einziehen, ohne ihr je davon berichten zu können?“ Aber vor allem „Wie kann ich je vor einem Altar stehen und meinem Mann das Ja-Wort geben, ohne sie an meiner Seite zu haben?“

Der Umzug nach Berlin ist für mich jetzt eine Gelegenheit, einfach den Schmerz zurückzulassen. In Berlin gibt es nichts, was mich an sie erinnern könnte, und ich kann meiner Mutter und meiner Tante aus dem Weg gehen. Ich weiß, dass ich ihnen damit auch weh tue, aber ich glaube, dass es für mich momentan richtig so ist.

Ich bin schon ganz gespannt auf Berlin, die Stadt ist so unheimlich groß, auch nicht zu vergleichen mit anderen Städten, die ich kenne, Mannheim, Frankfurt oder München. Ich bin neugierig, wie es wohl sein wird, dort zu leben. Und ich freue mich auf die neuen Kollegen, die neue Arbeit und hoffe natürlich, dass ich mit meiner Abschlussarbeit gut vorankomme. Es ist aber alles viel Arbeit zurzeit, ich bin überall am Packen, in meiner Studentenbude in Ludwigshafen, und Björns Sachen in seiner Wohnung in Neustadt packe ich auch, weil er meinte, er habe soviel Arbeit und könne sich nicht mehr als ein paar Tage frei nehmen. Und die Tage, die er frei hat, brauchen wir, um die Sachen nach Berlin zu fahren und um dort die Wohnung einzurichten. Meine Eltern haben sich sogar bereit erklärt, uns zu helfen und kommen zwei Tage mit nach Berlin. Mein Papa will das Laminat verlegen, welches ins Wohnzimmer und den Flur kommen soll. Und an die tausend anderen handwerklichen Kleinigkeiten, die bestimmt auch anfallen, will ich gar nicht denken.

Ich glaube, ich werde froh sein, wenn Björn und ich endlich in Berlin leben und hoffentlich Ruhe einkehrt in unser Leben. Nicht nur, dass er immer von Berlin nach Neustadt heimgefahren ist, weil er ja da noch seine Wohnung hatte, ich bin ja auch immer zwischen Neustadt und Ludwigshafen gependelt, unter der Woche zum Studieren war ich in Ludwigshafen und am Wochenende bei ihm in Neustadt. Und dann waren da immer noch diese ständigen Besuche bei seiner Mutter oder bei seinem Bruder und den zwei Nichten einerseits und meiner Familie andererseits. Selten hatten wir ein Wochenende wirklich für uns, wobei das Wochenende auch nur aus dem Samstag und dem halben Sonntag bestand, weil Björn freitags immer erst spät abends ankam aus Berlin und Sonntagsmittags bereits wieder abreiste. Ständig hatte ich das Gefühl, als ob von allen Seiten an uns Herumgezerrt wird. Das wird es nicht mehr geben, wenn wir in Berlin sind, dort werden wir zur Ruhe kommen. Nicht, dass ich nicht gerne Zeit mit der Familie verbringe, aber seit die Zeit für uns beide schon so knapp geworden ist, sind die regelmäßigen Wochenendbesuche mehr zur Pflicht geworden.

Auch dieses ewige am Packen und Reisen sein hat mich manchmal ganz schön genervt und ausgelaugt. Freitags oder donnerstags schon musste ich immer schauen, was ich übers Wochenende brauche an Klamotten, dann ändert sich das Wetter oder meine Laune und am Ende habe ich ausgerechnet das, was ich gerne anziehen würde, doch nicht mit. Das ständige Kleider-Umräumen ist mir schon so lästig gewesen, dass ich teilweise gar nicht mehr ausgepackt habe, sondern meine Sachen gleich in der Reisetasche gelassen habe. Ich wünsche mir einfach das Gefühl, abends von der Arbeit heimzukommen, tief durchzuatmen und wirklich zu wissen, daheim, zu Hause zu sein. Diese innere Ruhe, seinen Platz gefunden zu haben, zu wissen, bei dem Partner zu Hause zu sein, in gewisser Weise die eigene Heimat im Herzen des anderen gefunden zu haben, nach diesem Gefühl sehne ich mich und hoffe, es in Berlin zu finden, wenn endlich all die störenden Faktoren, die uns hier umgeben, auf unsere Beziehung keinen Einfluss mehr haben. Außerdem denke ich, dass uns der Umzug nach Berlin auch einander näher bringt, dass wir wieder am Leben des anderen mehr Teil haben können als das momentan mit der Fernbeziehung der Fall ist.

Und am Freitag ist es soweit: Dann geht es los. Melanie, eine Freundin, leiht uns einen Anhänger, damit wir keinen Transporter mieten brauchen und auch größere Möbel gut nach Berlin bringen können. Wie wird die Wohnung wohl aussehen, wenn sie erstmal eingerichtet ist? Gut, dass sie direkt am Stadtrand liegt, mit Blick auf Wiesen und Weiden, tatsächlich stehen sogar ein paar Pferde auf der einen Koppel, da bleibt mir doch irgendwie die Dorfidylle erhalten, obwohl mich bereits das Leben in Ludwigshafen ein wenig zum Stadtkind gemacht hat. Das Dorf, indem ich groß geworden bin und in dem meine Eltern bis heute noch wohnen, vermisse ich kaum. Ich war nie in das Dorfleben, in die Dorfgemeinschaft integriert. Ich war in Neustadt im Gymnasium, und alle Klassenkameraden waren aus anderen Ortschaften. Außer meine beste Freundin Anika damals, die aber auf eine andere Schule ging und die keine fünfhundert Meter entfernt von dem Haus meiner Eltern wohnte, hatte ich keine Kontakte dort. Ich fühlte mich eher verloren und eingeengt in diesem Dorf und wollte schon immer in die Stadt, weil die Stadt früher für mich Freiheit bedeutete. Als ich noch nicht erwachsen war und noch keinen Führerschein hatte, war ich immer auf Mama und Papa angewiesen, dass sie mich dorthin und hierhin fuhren, ins Kino, zu Freunden, zum Tanzen… Ich habe es gehasst. Einen öffentlichen Personennahverkehr gibt es bis heute nicht in diesem Dorf, es gehen zwar die Schulbusse, aber mehr auch nicht, und der nächste Bahnhof liegt etwas mehr als drei Kilometer entfernt, in der nächsten Kleinstadt. Manche nennen das Idylle.

Nachdem meine beste Freundin im Alter von 16 Jahren in eine weiter entfernte Stadt zog, um dort ihre Ausbildung zu beginnen, war ich unter der Woche nach der Schule immer allein. Wie oft meinte meine Mutter: „Lara, triff dich doch mal mit deinen Klassenkameraden nach der Schule!“ Ich verstand mich zwar in der Schule gut mit meinen Klassenkameraden, aber irgendwie habe ich außerhalb der Schule nie einen weiteren Kontakt mit ihnen gesucht. Warum das so war, weiß ich bis heute nicht. Jedenfalls fühlte ich mich damals schon besser aufgehoben bei Tanja und Christine, meinen beiden besten Freundinnen zu der Zeit, neben Anika. Am Wochenende spielte sich immer das gleiche ab: Meine Eltern fuhren mich nach Neustadt, wo ich mich mit Tanja und Christine traf, und holten mich irgendwann abends wieder ab. Was mir blieb war ein Gefühl der Unselbständigkeit, gerade in diesem Alter, in dem man endlich selbständig sein möchte, in dem man selbst Entscheidungen treffen und unabhängig sein möchte.

Das änderte sich zum Glück als ich endlich meinen Führerschein hatte, endlich konnte ich fahren, wohin ich wollte, und bleiben so lange ich mochte. Trotzdem, erst als ich dann nach dem Abitur nach Ludwigshafen zog, weil ich studieren wollte, fühlte ich mich endlich richtig frei. Niemand mehr, den es kümmerte, was ich wann machte. Endlich konnte ich wirklich selbständig sein. Ich hatte zwar kein Auto mehr zur Verfügung, aber das brauchte ich in Ludwigshafen und Mannheim auch nicht. Die Straßenbahn-, Bus- und Zugverbindungen reichten mir völlig aus. Auch um am Wochenende nach Neustadt zu Björn zu fahren. Wir kamen in diesem Sommer, nachdem ich mein Abitur gemacht hatte und noch bevor ich mit dem Studium anfing, zusammen. Das ist nun ziemlich genau fünf Jahre her. Und seitdem, um auf den Punkt von oben wieder zurückzukommen, bin ich am Pendeln. Unter der Woche bin ich in Ludwigshafen und am Wochenende in Neustadt. Ich kann gar nicht sagen, wie satt ich diese Situation habe und wie sehr ich mich auf mein neues Zuhause in Berlin freue.

Zu allem Übel habe ich mir letzte Woche auch noch den kleinen Zeh gebrochen. Unglaublich echt! Es war wahnsinnig schwül in den letzten Tagen. Am Donnerstagabend war ich duschen und als ich fertig war wollte ich aus der Badewanne steigen. Ich wollte. Tatsächlich bin ich mehr gerutscht und gefallen. Und da Björns Bad recht eng ist und ich mich nirgends richtig festhalten konnte, schlug ich mit dem einen Fuß mit voller Wucht auf den Rand der Badewannne und hörte es knacken während ich mit dem anderen dann zum Glück doch sicher vor der Badewanne auf dem Boden landete.

Der Zeh war durch, er war gebrochen, das spürte ich sofort. Genau den gleichen Zeh hatte ich schon einmal gebrochen, damals war ich zehn oder elf Jahre alt. Und während ich vor Schmerz das Gesicht verzog und auf meinem einen verbliebenen, gesunden Bein hüpfte und versuchte das Gleichgewicht zu halten, fiel mir die Situation von damals ein. Es waren Osterferien. Wir hatten gepackt und nach dem Frühstück wollten meine Eltern mit meinem Bruder und mir in den Urlaub nach Wien aufbrechen. Unvernünftig wie ich schon immer war, sprang ich an diesem Morgen einmal wieder barfuss durchs Haus. Bis meine Mutter mich ermahnte, Strümpfe und Hausschuhe anzuziehen. In meinem Übermut und meiner Freude, endlich Sissis Wien, das Schloss Schönbrunn, den Tierpark, den Prater und die anderen Sehenswürdigkeiten zu sehen, rannte ich in mein Zimmer, um Socken und Hausschuhe anzuziehen. Doch genau da passierte es – ich weiß bis heute nicht, wie es überhaupt passieren konnte. Mit meinem kleinen Zeh stieß ich an das maximal einen Zentimeter hervorstehende Seitenteil meines Kleiderschranks und verspürte daraufhin einen Schmerz in ungekannter Stärke, sodass ich mit voller Lautstärke losschrie, was meine Mutter veranlasste, sofort in mein Zimmer zu eilen, um nachzusehen, was passiert war. Der Zeh stand im Neunzig-Grad-Winkel vom restlichen Teil meines Fußes ab. Es sah nicht gesund aus. Somit verfrachtete mich meine Mutter direkt ins Auto und fuhr mich zum nächsten Unfallarzt, der nach stundenlangem Warten den Fuß erst einmal röntge und damit bestätigte, was jedes Mitglied meiner Familie, nachdem der Fuß ausgiebig begutachtet worden war, vorab feststellte: Der Zeh war gebrochen. Der Arzt verordnete Schonung und das Hochlegen des Beines.

Damit konnte ich das Sightseeing in Wien abhaken. Ich konnte nicht laufen, lediglich humpeln mit dem Verband, den der Arzt anlegte.

Genauso wie damals humpelte ich nun auch vom Bad ins Schlafzimmer, nur das unkontrollierte Schreien unterdrückte ich diesmal erfolgreich. Ich warf mir ein T-Shirt über und zog mir Shorts an. Dann humpelte ich weiter ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch legte, versuchte, mich mit fernsehen vom Schmerz abzulenken und auf Björn wartete, der wegen des Umzugs bereits schon an diesem Abend von Berlin kam.

Björn war schließlich der Meinung, nachdem ich ihm das Drama geschildert hatte, dass ich auf jeden Fall am nächsten Morgen zum Arzt gehen sollte, sicher sei schließlich sicher, auch wenn ich wusste, dass der Arzt nichts weiter unternehmen würde, außer den Zeh mit Tape zu fixieren. Aber ich beugte mich seiner Meinung.

Am nächsten Morgen war es wieder so schwül. Bereits als ich mich im Bett aufsetzte, war mir etwas schwindelig. Ich stieg auf und mein erster Weg führte mich ins Wohnzimmer, wo ich mich auf der Couch wieder niederließ, kurz vor einer Ohnmacht. Mir war bereits schwarz vor Augen und ich sah nichts mehr, aber ich hatte gelernt, mich in solchen Situationen noch so lange auf den Beinen zu halten bis ich mich sicher hingelegt oder gesetzt hatte, sodass mir nichts weiter passieren konnte. So lag ich dann auf der Couch und während das Blut langsam wieder in meinen Kopf zurückfloss, schaffte ich es sogar, meine Beine mit Hilfe eines Kissens hochzulegen. Der Tag ging ja gut los! Nach einigen Minuten Ruhe startete ich einen erneuten Versuch und stand langsam auf. Diesmal gab es keine Probleme mehr. Ich humpelte ins Bad, zog mir einen luftigen Sommerrock und ein T-Shirt an und rief beim Arzt an, ob ich gleich vorbei kommen könnte. Die Arzthelferin meinte zwar, dass viel los sei, bat mich aber gleich in die Praxis zu kommen. Björn, der inzwischen auch wach und angezogen war, fuhr mich zum Arzt und begleitete mich sogar in die Praxis. Das Wartezimmer war tatsächlich bis auf den letzten Platz voll. Nachdem Björn und ich bestimmt 45 Minuten gewartet hatten, wurde ich endlich zum Röntgen gebracht. Dann mussten wir wieder warten. Irgendwann rief der Arzt uns dann doch noch ins Sprechzimmer und bestätigte, was ich bereits vermutet hatte. Der Zeh war gebrochen, zum Glück war aber nur ein kleiner Riss im Knochen. Er beschloss schließlich, dass ich mir in der Apotheke selbst Tape kaufen solle, damit ich den Zeh eigenständig fixieren konnte, denn schließlich überlebte ein Tapeverband keine Dusche. Und bei diesem schwülen Wetter wollte ich bestimmt nicht täglich in die Praxis kommen, nur um mir den Zeh erneut tapen zu lassen. Ich stimmte seiner Idee voll und ganz zu. Dann ließ er seine Arzthelferin den Zeh fixieren, was ich mir genau anschaute, damit ich es in den nächsten Tagen selbst wiederholen konnte. Mit den Worten, ich solle doch noch kurz im Wartezimmer Platz nehmen bis mein Rezept ausgestellt sei, verabschiedete sich der Arzt. Die Schmerzen, die die Arzthelferin gerade verursachte, während sie meinen Zeh gerade rückte und fixierte, ließ ich mir nicht anmerken und lächelte dem Arzt zum Abschied dankbar zu. Dann war zum Glück auch die Arzthelferin fertig.

Ich durfte aufstehen und humpelte ins Wartezimmer, das inzwischen überfüllt war. Also stellten Björn und ich uns in den Empfangsbereich, um auf das Rezept zu warten. Nach fünf Minuten fing mir an, übel zu werden.

„Mir ist übel. Ich glaube, ich muss mich setzen!“, meinte ich hilfesuchend zu Björn.

Einfühlsam wie er war, meinte er einfach „Denk an was anderes. Dann geht die Übelkeit vorbei!“

Eine Minute später war die Übelkeit aber nicht besser und da ich sah, dass gerade ein Platz im Wartezimmer frei wurde, watschelte ich ins Wartezimmer und setzte mich. Ich lehnte meinen Kopf erschöpft zurück an die Wand. Ich fing an zu fliegen, fühlte mich leicht…. Und ab dann weiß ich nichts mehr.

Das Nächste, an das ich mich erinnern kann, war, dass mir jemand mehr oder weniger sanft auf meine Wangen schlug und meinen Namen rief: „Frau Sommer! Haaaalloooo!“. Eine weitere Stimme erklang: „Sie kommt langsam wieder!“

Ich spürte, dass ich auf einmal auf dem Boden lag (Wie war ich da hin gekommen? Eben saß ich doch noch!), wie jemand unter meine Beine griff, sie auf einen weichen Gegenstand legte, und mir jemand einen nassen, kalten Lappen auf die Stirn legte. Ich schlug meine Augen auf, sah diverse Beine und dann diverse Gesichter und erschrockene Augenpaare, die alle auf mich gerichtet waren.

Ich dachte mir nur „Leute, gebt mir zwei Minuten, dann ist alles wieder gut!“, aber der Arzt und die Arzthelferinnen und auf einmal auch Björn waren der Meinung, mich direkt zum EKG zu schicken, in die Arztpraxis ein Stockwerk niedriger.

Ich kam wieder vollends zu mir, bemerkte, dass meine Beine auf einem Gymnastikball ruhten und mein Rock bedenklich weit nach oben gerutscht war, und das vor all den Menschen im voll besetzten Wartezimmer. So etwas konnte auch nur mir passieren. War eben noch zu wenig Blut in meinem Kopf, so war nun in Sekundenschnelle zu viel davon in meinem Kopf. Das Blut schoss mir geradezu in die Wangen und Ohren, sodass sich mein Kopf tomatenrot färbte. Ich bestand darauf, alleine aufzustehen und trotz mehrfacher Versicherung, dass es mir gut gehe und dass alles in Ordnung sei, wurde ich in einen Rollstuhl gesetzt und nach unten in die andere Arztpraxis gebracht. Alles Murren half nichts. Vor allem Björn war auf einmal mehr als fürsorglich.

Das EKG blieb natürlich o.B. – ohne Befund, was mir völlig klar war.

Ich hatte es echt mal wieder geschafft – die Auszeichnung für die peinlichste Aktion des Jahres ging eindeutig an mich: In Ohnmacht fallen vor versammelter Mannschaft im Wartezimmer, dazu noch einen Sommerrock anzuhaben, der mehr als bedenklich hochgerutscht war, als ich auf dem Boden lag, die Beine auf dem Gymnastikball. Ein Glück kannte mich niemand der Patienten!

Naja, sowas kommt vor in meinem Leben, sowas passiert halt schon mal. Aber jetzt ist es schon spät und morgen wird wieder ein anstrengender Tag!

Gute Nacht, Tagebuch, ich träume noch ein bisschen von Berlin…

Wege des Himmels

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