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Kapitel 2 Heimkehr nach Oregon

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Gerne dachte Bill Turner an diese spontane Flucht mit seiner Mutter zum Anwesen ihrer Eltern, Sheila und Michael Morgan im Frühjahr 1942 zurück.

Vor allem, weil seine Mutter und er am Ende der langen Reise von seiner Schwester und seinen Großeltern überaus warm und ohne langes Federlesen in deren überaus schicken, aus Natursteinen und Holz erbauten Landhaus aufgenommen worden waren.

„Du bist dir sicher, dass du das machen willst, Bill?“, hatte ihn seine Schwester kurz vor Ostern 1942 am Flughafen in Portland gefragt, von wo Bill nach Hawaii fliegen wollte, um rechtzeitig an Bord des Trägers USS Enterprise zu gehen.

„Bin ich, Schwesterchen. Keine Angst, mir wird schon nichts passieren. In der Zwischenzeit passt du gut auf unsere Mutter und unsere Großeltern auf. Jills Scheidung von unserem Rabenvater wird sicher ziemlich schmutzig werden. Und dazu braucht sie jeden Beistand, den sie kriegen kann.

So, und jetzt wünsch’ mir Glück, dann wirst du mich am Ende dieses vermaledeiten Krieges auch ganz sicher wiedersehen.“

Da der Pazifikkrieg erst im September 1945 zu Ende ging, als die Waffen in Europa schon monatelang schwiegen, dauerte es doch noch einige Monate bis zu diesem Wiedersehen.

Wie sich direkt nach Bills Abmusterung als Navy Offizier im Jahr 1946 zeigte, waren seine Heldentaten, die ihm schon im Alter von 21 Jahren nach einer Verwundung während der verlustreichen Schlacht um Midway das Purple Heart und zum Kriegsende sogar die Medal of Honor des Kongresses eingetragen hatten, nicht mehr viel wert. In einer wieder auf Frieden gestimmten Öffentlichkeit brauchte man den Kampfpiloten Bill Turner nicht mehr.

Was ihn daran vor allem schmerzte war, dass er inzwischen als in der Truppe zum Staffelchef beförderter Navy Commander keine Chance gegen die geleckten Offizierskameraden hatte, die vor dem Krieg noch die seinerzeit übliche Militärakademieausbildung der U.S. Navy in Annapolis absolviert hatten.

Daher beschloss Bill Turner, sich nach seiner erzwungenen Entlassung eine neue Arbeit zu suchen, in der er seine Qualifikation als erfahrener Pilot würde einbringen können. Denn etwas Anderes hatte er schließlich nicht gelernt. Und sein nur gerade mal zu 10 Prozent absolviertes Jurastudium lag letztendlich auch bereits ein paar Jahre zurück.

Außerdem hatte Bill ohnehin nicht mehr vor, in die Fußstapfen seines ungeliebten Vaters zu treten. Der Anwaltsberuf war für ihn letztlich auch deshalb inzwischen keine Option mehr, obwohl ihn seine ausgezeichnete Collegeausbildung und sein vor dem Krieg begonnenes Harvard-Studium dazu berechtigt hätten.

Auch wenn er das vielleicht nicht wahrhaben wollte, hatte das sicher auch ein Stückweit damit zu tun, dass sich sein als skrupelloser Anwalt tätiger Vater, sozusagen als früherer juristischer Sponsor, komplett von ihm abgewandt hatte.

„Er hat mir nie verziehen, dass ich zur Navy gegangen bin, anstatt in seine Fußstapfen zu treten“, dachte der schnöde von seinem Vater abgewiesene Sohn, als er zur Kenntnis nehmen musste, dass er als Erstgeborener a) enterbt und b) auch im Haus seines Vaters in Monterey nicht mehr erwünscht war.

Bill Turner hatte nach seiner Entlassung aus der Navy deswegen nur noch einen Wunsch – nämlich den, dass ihn seine Vergangenheit endlich in Ruhe ließ.

Exakt deshalb hatte er ja mit seiner Mutter zu Beginn des Krieges das verhasste Heim seines Vaters in Kalifornien verlassen.

Doch schon die anfängliche Arbeitssuche gestaltete sich ziemlich schwierig. Entlassene Militärpiloten gab es zuhauf – und so blieben Bill Turner, statt der Anstellung bei einer Airline, nur Gelegenheitsarbeiten, die ihn letztlich immer mehr frustrierten.

Ein anerkannter Kriegsheld zu sein, der mit seinen Kameraden spätestens seit der Schlacht um Midway im Juni 1942 den Hintern vieler Amerikaner gerettet hatte, stand halt momentan – allein schon wegen der vielen Kriegsopfer – nicht mehr besonders hoch im Kurs.

In den nachfolgenden vier Jahren, in denen Bill Turner auf der Suche nach Arbeit immer wieder diverse Jobs annahm, waren für ihn eine sehr unbefriedigende Zeit gewesen. Die meisten Arbeitsverhältnisse warf er nämlich schon nach kurzer Zeit wieder hin, weil sie ihm nicht gefielen oder ihn klar unterforderten.

Und so schien genau das einzutreten, was ihm sein Vater direkt nach seinem Ausscheiden aus der Navy im Jahre 1946 am Telefon prophezeit hatte.

„Schätze, du wirst schon bald auf deinem Sixpackbauch angerobbt kommen, um mich um eine Arbeit anzubetteln.

Leider fehlt dir ja ein Studienabschluss als Jurist – deshalb kannst du dann froh sein, wenn ich dich als Büroboten einstelle“, hatte sein Vater diesen Anruf großkotzig eingeleitet, nachdem er von Bills Entlassung aus der Navy erfahren hatte.

„Da kannst du lange drauf warten, du bescheuerter Kriegsgewinnler. Meinst du Arschloch etwa, ich hätte nicht mitbekommen, was du und deine feinen Freunde aus der Kriegsindustrie an diesem Krieg, unter anderem auch mit Hilfe deiner juristischen Tricks verdient haben?“, hatte Bill seinem Vater bei diesem unerwarteten Telefonat geantwortet, wobei er sogleich wütend ergänzt hatte:

„Das waren doch Millionen von Dollars. Dein Vermögen, lieber Dad, ist mit sehr viel Blut besudelt. Und dazu gehören auch die vielen Kameraden von mir, die bei den Kämpfen im Pazifik ums Leben gekommen sind.

Unter anderem auch wegen des oft fehlerhaften Materials, das uns einige deiner Industriekumpane geliefert haben. Deshalb scheiß’ ich auf dein Geld.“

„Das war gestern, du Blödmann. Jetzt heißt es nämlich, in die Zukunft zu schauen. Heutzutage ist die Geschäftswelt eine gänzlich andere geworden. Selbst die bescheuerten Japaner und die Deutschen werden demnächst unsere Geschäftspartner sein.

Beende also deine Jammerei und mach’ was aus deinem Leben. Hier bei mir in Kaliforniern könnte ich dich nämlich, angesichts der vielen anstehenden neuen Geschäfte, als früheren Kriegshelden ganz gut gebrauchen. Das mit dem Büroboten vorhin war doch nur ein Spaß.

Hör also endlich auf, dich als heldenhafter Pilot aufzuführen. Du siehst doch, was die Navy von dir hält. Schließlich haben die dich am Ende des Kriegs einfach rausgeschmissen.

So dämlich wirst du doch hoffentlich nicht sein, dass du nicht begreifst, dass du für deine ehemaligen Befehlshaber nicht mehr von Nutzen bist. Für diese Admirale bist du doch nur ein ordensbehängter Vollpfosten mehr, den sie entlassen haben, damit sie ihn künftig nicht mehr durchfüttern müssen.“

„Nur bin ich nicht so dumm, wie du anscheinend denkst, Vater. Wobei ich mir gerade überlege, ob es dir überhaupt zusteht, so mit mir zu reden.

Wundert mich sowieso, dass du mich für diesen Anruf hast ausfindig machen können. Soviel Mühe um meine Person bin ich von dir sonst ja nicht gewohnt. Läuft wohl nicht mehr ganz so rund mit deinen sogenannten Geschäften.

Ganz egal wie – nimm zur Kenntnis, dass ich nicht käuflich bin. Lass mich also für den Rest deines beschissenen Lebens in Ruhe. Ich will nämlich rein gar nichts mehr mit dir zu tun haben.

Da du meine Schwester und mich schon zu Kriegsbeginn enterbt hast, sehe ich auch nicht den geringsten Grund, dir was Anderes zum finalen Abschied zu sagen.

Werd’ also glücklich mit deinen Millionen – friss deine 100-Dollar-Scheine meinetwegen in der dir noch verbleibenden Zeit auf, oder verprass’ deine Kohle mit deinen diversen Freundinnen.

Von mir aus kannst du dein dreckiges Geld auch im Kamin deines pompösen Wohnzimmers verbrennen.

Ich jedenfalls wollte nie auch nur einen einzigen Cent von deinen, auf Mord und Totschlag basierenden Kriegsgewinnen erben. Und mit deinen bisherigen dreckigen Machenschaften will ich schon gar nichts zu tun haben – und das gilt übrigens auch in Zukunft. Ruf mich also nie wieder an.“

Nach diesem unerfreulichen Gespräch legte Bill Turner abrupt auf. Zugleich entschloss er sich, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, was ihm aber in den ersten Jahren nach dem Kriegsende nicht so recht gelang.

Deshalb entschied sich Bill Anfang 1950 zum Wohnort seiner Großeltern in Oregon zurückzukehren, um dort ein gänzlich neues Leben anzufangen.

Doch auch dorthin wurde er, trotz seiner damaligen Aufforderung, ihn endlich in Ruhe zu lassen, von gelegentlichen Anrufen seines Vaters verfolgt.

Obwohl er diese Telefongespräche immer sofort abwürgte, stand ihm seine Wut jedes Mal förmlich ins Gesicht geschrieben. Als er nach dem letzten Anruf seines Vaters ins Wohnzimmer seiner Großeltern eintrat, wartete dort bereits seine Familie auf ihn.

„Was wollte dein Vater schon wieder von dir?“, fragte ihn seine Mutter Jill sofort, als sie in das zornige Gesicht ihres Sohnes blickte.

„Na was wohl? Das, was er immer will. Mein Erzeuger begreift es einfach nicht. Er versucht ja schon seit Jahren unaufhörlich, mich als Aushängeschild für seine obskure Anwaltsfirma und deren halbseidene Mandanten anzuwerben. Da käme ich ihm als dekorierter Navypilot anscheinend gerade recht.

Aber da hat er sich verrechnet. Ich finde auch ohne ihn eine Arbeit, die mir gefällt. Die Zeiten werden ja auch hier in Oregon wirtschaftlich so langsam wieder besser.“

„Ich hätte da eine Idee“, warf an dieser Stelle Bills bisher nur zuhörende Schwester Stella in das Gespräch ein, ehe sie auch bereits in Richtung ihres Bruders fortfuhr:

„Sprich doch mal mit meiner Freundin Annabelle Junot. Sie ist gebürtige Kanadierin, lebt aber schon seit drei Jahren in den USA. Sie führt derzeit im nahegelegenen Astoria, hier gleich um die Ecke, ein Transportunternehmen, das sie demnächst erweitern will.

Ihre Firma ist die amerikanische Zweigstelle der von ihrem Großvater in Vancouver geleiteten kanadischen Mutterfirma. Soweit ich weiß, sucht sie wegen der geplante Erweiterung momentan noch Mitarbeiter. Wenn du möchtest, rufe ich sie mal an.“

„Schön – aber was soll ich denn bei ihr machen? Etwa Trucks fahren oder vielleicht Kisten in Lagerhallen stapeln?“

„Quatsch, dann hätte ich dir gar nichts davon erzählt. Annabelle hat natürlich auch eine Truckflotte und drei Transportschiffe, die drüben am Hafen von Astoria stationiert sind.

Darüber hinaus hat sie mir aber neulich erst gesagt, dass sie ihr Geschäft demnächst um eine Lufttransportsparte erweitern möchte. Dazu hat sich Anna schon drei Wasserflugzeuge gekauft und für die sucht sie noch immer nach erfahrenen Piloten.“

„Um was für Flugzeuge handelt es sich denn? Du weißt, dass ich im Krieg hauptsächlich einmotorige Jagdflugzeuge geflogen habe. Obwohl ich zeitweise auch als Kopilot auf einem PBY Catalina-Flugboot zur Aufklärung und zur Seenotrettung eingesetzt worden bin, wenn ich gerade mal wieder meine zerschossene Wildcat in den Bach geschmissen hatte.“

„Das trifft sich gut, denn den Begriff Catalina habe ich nämlich von Anna in diesem Zusammenhang ebenfalls schon mal gehört.

Ich glaube, sie hat so ein Flugzeug in ihrem Inventar. Und dazu noch zwei weitere, zu Wasserflugzeugen umgebaute zweimotorige Maschinen, die sie der kanadischen Luftwaffe abgekauft hat. Die heißen, glaub’ ich Cessna Bobcat6, und sind alle auf dem Astoria Regional Airport stationiert.“

„Das hört sich doch gut an, Schwesterlein. Ich bin sehr interessiert“, erwiderte der von der Rede seiner Schwester völlig überraschte Bill Turner, ehe er noch ergänzte:

„Wie du ja inzwischen von mir weißt, ist Fliegen für mich mehr, als nur eine Profession. Es war zwar ursprünglich in meiner Jugend nur ein Hobby, aber jetzt ist es meine Leidenschaft, die ich schon viel zu lang vermisse. Also ruf deine Freundin Annabelle ruhig mal an. Ich würde mich nämlich gerne mal bei ihr vorstellen.“

„Das, mein lieber Bruder, machen wir ganz anders. Du weißt doch, dass ich am Wochenende meine Geburtstagsparty gebe. Dazu habe ich auch Annabelle Junot eingeladen.

Das wäre doch die beste Gelegenheit, dass ihr beide euch mal ungezwungen kennenlernt und unverbindlich miteinander redet. Und vielleicht versteht ihr euch ja und es entwickelt sich eine Geschäftsbeziehung aus diesem Date, das ja eigentlich gar keins ist.“

„Von mir aus, Stella. Auch wenn ich dir für diese Gelegenheit dankbar bin, will ich deiner Freundin gegenüber nicht als Bittsteller auftreten.

Wenn du also am Telefon mit ihr über mich sprichst – und, wie ich dich kenne wirst du genau das tun – dann sag’ ihr, dass ich schon seit Jahren als entlassener Kriegsveteran erfolglos von einem Job zum anderen hampele und schon gar nicht der Supermann bin, den sie möglicherweise erwartet. Sag‘ ihr also die Wahrheit.“

„Da mach’ dir mal keine Sorgen, Bill. Annabelle kann nämlich Lügen und Aufschneider nicht leiden. Ich habe aber eine Bedingung, die du bis übermorgen erfüllen musst.“

„Die da wäre?“, fragte Bill Turner jetzt mit genervtem Blick zurück.

„Guck mich bitte nicht so böse an, Bill. Das einzige, was ich von dir erwarte ist, dass du dich zu meiner Geburtstagsfeier wenigstens ein bisschen in Schale wirfst.

Und genau deshalb, mein lieber Bruder, gehen wir beide morgen shoppen. Denn mit der nachlässigen Garderobe, in der du hier die ganze Zeit über herumläufst, kommst du mir nicht auf meine Feier“, lachte Stella Turner jetzt lauthals los, als sie gleich darauf ihren leise vor sich hin knurrenden Bruder beschwichtigend in den Arm nahm.

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