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Kapitel 3 Eine neue Aufgabe

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Als das Wochenende anbrach und Bill Turner seiner Schwester freitags zuvor gezwungenermaßen in die örtliche Shopping-Mall gefolgt war, musterte Stella ihren Bruder am Samstagnachmittag in dessen Ankleidezimmer.

„Gut schaust du aus. Der dunkelgraue Anzug und das hellblaue Hemd stehen dir ausgezeichnet. Und die knallgelb gemusterte Krawatte ist ebenfalls der letzte Pfiff.

Damit wirst du heut’ Abend Eindruck machen – glaub’s mir ruhig. Auch wenn der von mir ausgesuchte schwarze Smoking nach meiner Meinung die bessere Wahl gewesen wäre. Aber auch so bist du recht präsentabel.“

„Recht präsentabel? Ich glaub’, ich spinne! Schließlich hast du mich gestern durch fünf Bekleidungsgeschäfte geschleift. Ich bin doch keine Modepuppe, die du heute Abend deiner Freundin vorführen musst. Ist sie wenigstens hübsch, deine Annabelle?“

„Warts doch erstmal ab, mein Lieber. Du wirst Annabelle sogar ohne mein Zutun erkennen. Und dann kannst selbst entscheiden, ob du sie hübsch findest, oder nicht.

Du bist mit deinen 29 Jahren ein sehr attraktiver Mann und Annabelle Junot ist gerade Mal fünf Jahre jünger als du.“

„Aha, du willst mich anscheinend mit deiner Annabelle verkuppeln, daher weht also der Wind. Stimmt doch – oder etwa nicht?

Wahrscheinlich ist sie so hässlich, dass sie bisher noch keinen Mann abgekriegt hat. Und da hast du dir so eben mal gedacht, dass ich als Notnagel gerade recht komme. Stimmt’s, meine Liebe?“

„Spinner – das glaubst du doch wohl nicht wirklich. Außerdem – Anna Junot ist bildschön und hat genügend Verehrer, auch wenn sie anscheinend den Richtigen bis heute noch nicht getroffen hat. Mach also mal halblang und benimm dich heute Abend ausnahmsweise wie ein Gentleman – okay?“

„Ja, ja Stella – ich hab’s ja kapiert. Tut mir leid. Ich wollte dich mit meinem blöden Gerede von eben nicht verletzen. Also werde ich mich heute Abend von meiner besten Seite zeigen. Großes Ehrenwort.

Außerdem danke ich dir, dass du dich schon die ganze Zeit über so für mich einsetzt. Bin nur etwas nervös, weil ich ja eigentlich kein Date, sondern ein Bewerbungsgespräch mit deiner Freundin führen möchte.“

„Gut. Wir werden ja sehen, was am Ende daraus wird. Und ein bisschen Nervosität deinerseits kann heute Abend eigentlich nur nützlich sein. Dann sieht Annabelle zumindest, dass du kein kaltschnäuzig um sich ballernder Militär mehr bist.“

Kurz vor 18:00 Uhr kamen an diesem zweiten Augustabend des Jahres 1950 die ersten Geburtstagsgäste im Anwesen der Familie Morgan an.

Und obwohl sich Bill Turner zunächst beobachtend im Hintergrund hielt, traf es ihn wenig später, wie ein Blitz.

Denn die langhaarige, mit allen Vorzügen einer attraktiven Lady ausgestattete Blondine, die da in einem sündhaft schulterfreien Modellkleid die zur Geburtstagsfeier umgestaltete Terrasse des Hauses ein bisschen verspätet betrat, weckte sofort seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Ist sie das?“, konnte Bill Turner seiner Schwester gerade noch zuflüstern, ehe die äußerst anziehende junge Frau ohne langes Zögern mit einem Geschenkpäckchen in der Hand auf Stella zueilte und ihr die andere Hand zur Gratulation schüttelte.

„Das ist für dich, Schatz. Hab‘ ich persönlich für dich ausgesucht. Wundere dich nicht, dass dein Geburtstagsgeschenk diesmal etwas größer als sonst ausgefallen ist. Schließlich gehört Morgan Import & Export Enterprises zu meinen wichtigsten Kunden.

Außerdem hat man ja nur einmal im Leben einen runden Geburtstag, bei dem noch nicht die Vier vorne steht“, grinste sie ihre Freundin jetzt umgehend an, während sie Stella das mitgebrachte Päckchen nach einem Wangenkuss und einer herzhaften Umarmung überreichte.

„Packs endlich aus – deine Mom hat mir nämlich verraten, dass du auf französische Parfüms stehst. Vor allem, wenn sie sündhaft teuer sind und du sie dir eigentlich nicht leisten möchtest. Tja, und in diesem Päckchen sind ein paar Proben davon.

Möge es der Untergang eures Handelskontors sein, wenn du anfängst diese Artikel aus Paris nachzubestellen. Dann kann ich euch nämlich endlich aufkaufen und in meinen prosperierenden Logistikladen übernehmen“, lachte Annabelle in diesem Moment, während sie den gerade zu ihrer Freundin hinzugetretenen Mann zum ersten Mal genauer musterte.

Wobei sie in seinen stahlblauen Augen überrascht einen Ingrimm über ihre gerade geäußerten Worte wahrnahm, obwohl ihr alles Übrige an dem drahtig wirkenden, adrett gekleideten Mann ausnehmend gut zu gefallen schien.

„Du musst wohl der mir schon angekündigte Bruder meiner besten Freundin sein. Jetzt guck’ mich bitte nicht mehr so böse an. Derartige Frotzeleien, wie grad’ eben, gehören bei Stella und mir schon immer zum üblichen Begrüßungsritual.“

„Ja, ich bin Stellas Bruder, da liegst du ganz richtig, fremde Freundin meiner Schwester. Und eines sag’ ich dir gleich mal vorweg – wer meiner Schwester in die Quere kommt, sei es geschäftlich, oder privat – der bekommt es ab sofort mit mir zu tun.“

„Oho, ein Kämpfer – und noch dazu ein sehr gutaussehender. Warum hast du mir dieses attraktive Mannsbild von Bruder bisher vorenthalten, Stella? Das ist unverzeihlich, meine Liebe, wo du doch weißt, wie scharf ich auf heiße Kerle stehe.“

„Du redest dich gerade mal wieder um Kopf und Kragen, Anna. Man könnte ja fast meinen, dass du dir jede Nacht einen neuen Lover in dein Bett zerrst. Aber aus gut unterrichteten Kreisen weiß ich, dass das bisher stets nur Gerüchte gewesen sind“, erwiderte die breit grinsende Stella Turner unverzüglich.

Dann fuhr sie zur Rettung der Situation augenblicklich fort:

„Vor dir steht mein Bruder Bill Turner. Er hat den Krieg als Jagdpilot und Staffelkapitän auf den Trägern Enterprise und Essex mitgemacht. Und wenn er mal gar nichts zu tun hatte, ist er in dienstfreien Zeiten auch diese Catalinas geflogen, von denen du ständig redest.

Bill ist normalerweise eher einer von der stillen Sorte, dem dein burschikoser Auftritt von eben ...“

„... nicht gerade sonderlich gefallen haben dürfte, sorry. Ich hab’s schon begriffen.“

Damit hakte sich die außergewöhnlich gut duftende Annabelle bei Bill ein, um ihn von der Schar der noch bei seiner Schwester anstehenden Gratulanten wegzuführen.

„So, und wir beide gehen jetzt mal in den Garten da draußen und unterhalten uns ein bisschen näher über Flugzeuge, ohne dass mir deine geschätzte Schwester dauernd in die Parade fährt, oder mich gar mit Blicken umbringt.

Deine Berufserfahrung als Pilot interessiert mich nämlich sehr. Rein geschäftlich – versteht sich. Obwohl du mich mit deinem guten Aussehen auch als Mann fesseln könntest“, nahm die vollbusige Blondine mit einem hintergründigen Lächeln in einiger Entfernung von ihrer Freundin Stella jetzt kein Blatt mehr vor den Mund.

Schon beim ersten flüchtigen Körperkontakt hatte Bill Turner Mühe, seine widersprüchlichen Empfindungen für die neben ihm schreitende, bildhübsche Frau im Zaum zu halten.

„Meine Güte, was für ein vorlautes Vollweib. Für die würde ich bis in die Hölle fliegen“, dacht er, als ihn seine Begleiterin auch schon auf einer Gartenbank vor der Terrasse zum Hinsetzen aufforderte.

„Ich denke mal, dass du von deiner Schwester bereits ganz genau erfahren hast, wer ich bin, und was ich beruflich mache“, begann Annabella die Konversation, deren Verlauf sich Bill tags zuvor noch völlig anders vorgestellt hatte.

„Ja – Stella hat mir erzählt, dass du flugerfahrenes Personal für deine Firma suchst. Das interessiert mich zwar sehr – aber, was mich betrifft, weißt du sicher auch, dass ich nur ein abgehalfterter Marinepilot bin, der in den letzten Jahren nur zeitweise Gelegenheitsjobs gefunden hat.

Und ich glaube daher, dass ich für deine Transportfirma nur von bedingtem Wert bin, denn ich habe im Krieg hauptsächlich Jagdflugzeuge und hin und wieder auch kleinere Flugboote, aber keine großen Transportmaschinen geflogen.

Die meisten Airlines verweigern mir und meinen Kameraden schon allein deswegen eine Anstellung, weil man annimmt, wir ehemaligen Jagdpiloten würden beim Fliegen zu viele Risiken eingehen. Das ist zwar ausgemachter Unsinn, aber so ist es nun mal.“

Im gleichen Moment ergriff Annabelle Junot Bills Hand und sagte vehement:

„Dann wird’s ja so langsam mal Zeit, dass wir beide diesen Schwätzern das Gegenteil beweisen. Ich habe von deiner Schwester nämlich auch gehört, dass du früher zeitweise Catalina-Flugboote geflogen bist.

Und wie es der Zufall will, habe ich mir als vorausschauende Geschäftsfrau aus dem Ausverkauf nach dem Krieg eine PBY Catalina besorgt – und für die fehlt mir noch immer eine ausgebildete Besatzung.

Ich erklär’ dir auch gerne, warum das für mich und meine Firma so wichtig ist. Bislang bedienen wir mit unseren drei Schiffen und unseren Trucks nämlich nur über den Land- und Seeweg hauptsächlich die in Alaska nach Öl und Bodenschätzen suchenden Prospektoren mit Warenlieferungen.

Und Kunden an Kanadas zerklüfteter Westküste beliefern wir auch – die allerdings bislang ausschließlich per Schiff.

Was bei normalen Warentransporten nach Alaska immer Wochen dauert und im Winter zum Teil sogar ganz eingestellt werden muss.

Aber dringende Lieferungen, beispielsweise Medikamente, aber auch die im Winter benötigten Lebensmittel, die Post und das Geld für die örtlichen Banken müssen bei Eis und Schnee schneller und zuverlässiger dorthin gebracht werden können. Und deshalb habe ich mir die neue Sparte Lufttransport einfallen lassen.“

„Und Wasserflugzeuge willst du deshalb einsetzen, weil es in Alaska und an der kanadischen Westküste nicht allzu viele Landepisten für konventionelle Transportflugzeuge gibt“, erwiderte Bill Turner jetzt mit nachdenklichem Blick.

„Wäre dennoch gut, wenn wir noch ein oder zwei Maschinen vom Typ Douglas DC-3 Dakota hätten. Die Dakota kann zwar nicht auf dem Meer oder auf einem breiten Fluss wassern, aber sie ist im Krieg unser Allzwecktransporter gewesen und sie kann eigentlich überall und sogar auf einer Schneepiste landen und starten.“

„Hab’ ich das gerade richtig gehört und deute ich dein offensichtliches Interesse korrekt?

Du hast gerade von ‚Wir’ gesprochen. Und mit deinem Vorschlag bist du schon mittendrin in dem, was ich zukünftig vorhabe.

Wenn das nicht bedeutet, dass du ab sofort in meiner Firma mitmachen willst – na dann weiß ich’s auch nicht. Aber vielleicht hilft dir das ja bei deiner endgültigen Entscheidungsfindung.“

Bei diesen Worten rückte Annabelle Junot etwas näher an den neben ihr sitzenden Bill Turner heran, packte spontan seinen Kopf mit ihren schmalgliedrigen Händen und drückte ihm unversehens einen zuerst nur freundschaftlich sanften Kuss auf die Lippen.

Der davon förmlich überrollte Bill wusste im ersten Moment nicht, wie ihm geschah. Doch dann scherte er sich nicht mehr um etwaige Zuschauer, sondern erwiderte den Kuss jetzt seinerseits heiß und innig.

„Was für ein Wahnsinn. Ich sitze hier mit dem schönsten Mädchen der Welt – und ehe ich sie in den Arm nehmen und küssen konnte, hat sie das selber getan“, dachte Bill Turner, als er sich den immer heftiger werdenden Küssen seiner Sitznachbarin ergab und ihr dabei ebenfalls ausnehmend sanft über ihr Gesicht und ihren Blondschopf strich.

„Oh-la-la. Gott, war das schön. Wenn du auch noch genauso exzellent fliegen kannst, wie du küsst, erwarte ich dich Montag früh in meinem Büro“, flüsterte Annabelle ihrem soeben neu gewonnenen Freund im selben Moment ins Ohr, wobei sie ihn noch immer mit beiden Armen liebevoll an sich klammerte.

„Dann musst du mich nur noch loslassen, Anna. Ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll. Ich hatte nach den vermaledeiten Kriegseinsätzen schon lange keine Freundin mehr und bin deshalb ein bisschen aus der Übung.

Doch selbst wenn du mich nicht als Piloten einstellst, habe ich soeben einige der schönsten Minuten meines bisherigen Lebens erlebt.

Und das verschönt mir den Abend auf der Party meiner Schwester sehr. Obwohl sie mich dafür gestern durch echt viele Geschäfte geschleift hat, damit man mich heute Abend für einen präsentablen Verwandten hält.“

„Ich glaub’, ich muss demnächst mal ein ernstes Wort mit deiner Schwester Stella reden. Dass sie mir dich bisher verheimlicht hat, ist schändlich – und das werde ich ihr irgendwann heimzahlen.“

Als Annabelle Junot daraufhin erschreckt in die aufgebracht funkelnden Augen ihres Begleiters sah, fügte sie zu dessen Beruhigung sofort hinzu:

„Keine Sorge, Bill. Das wird kein körperliches, sondern nur ein verbales Gefecht werden. Kannst also deine bereits geschliffenen Messer zur Abwehr eines mutmaßlichen Angriffs auf deine geliebte Schwester gleich stecken lassen.“

Damit griff Annabelle Junot erneut nach der Hand des sprachlosen Bill Turner und sagte: „Komm, lass uns wieder reingehen, ehe Stellas Gäste sonst noch was von uns denken.“

Dass ihr bei dem erneuten Handkontakt schon wieder Schmetterlinge durch ihren Bauch flatterten, versuchte die junge Geschäftsfrau zwar zu überspielen – aber Stella und ihrer Mutter Jill war nach einem Blick in die Augen des gerade wieder ins Haus zurückkehrenden Paares klar, dass da draußen mehr passiert sein musste, als alle übrigen Gäste zu diesem Zeitpunkt ahnten.

„Wäre schön, wenn die beiden sich draußen im Garten nicht gezofft hätten. Immerhin sucht er ja nach einer Anstellung als Pilot. Und sie kann ihm die eventuell bieten“, meinte Stella Turner zu ihrer Mutter, als sie ihren gerade wieder ins Haus gekommenen Bruder fixierte.

„Stella, sie kann noch viel mehr, als nur das. So, wie Anna deinen Bruder bei deiner Vorstellung vorhin aus ihren grünen Augen angeguckt hat, ist da künftig noch sehr viel mehr im Busch, als nur ein bloßes Arbeitsverhältnis.

Wir müssen unseren Billy nur ein bisschen anschubsen, damit das Ganze irgendwann ernst wird und nicht im Sande, sondern in die richtige Richtung verläuft.“

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