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NEUN
ОглавлениеSeit vier Wochen bin ich in Österreich.
Rechtsanwalt Hoffmann hat einen wundervollen Ort für uns gefunden. Das Haus liegt sehr abgelegen und ist von einem weitläufigen Grundstück umgeben. Der kleine Ort trägt den Namen Glanz, und liegt so entlegen, dass er nur auf wenigen Karten verzeichnet ist. Obwohl sich dieser Ort im Nationalpark Hohe Tauern befindet, ist der Tourismus noch nicht bis hier her vorgedrungen. Glanz ist eine Ansiedlung von einigen wenigen Bauernhöfen sowie zwei Ferienhäusern, unweit zum Großglockner und dem dazugehörigen Hohe Tauern Gebirge. Zum Einkaufen muss man in die, wenige Kilometer entfernte, Stadt Matrei, fahren, Gaststätten und Lebensmittelgeschäfte sucht man vor Ort vergebens.
Das Grundstück liegt einige hundert Meter hinter dem Ort Glanz und ist nur über einen privaten Schotterweg zu erreichen, es führen keine weiteren Straßen oder Wanderwege am Anwesen vorbei, ferner ist das Grundstück von Feldern und Wiesen umgeben, sodass jeder Besucher bereits von Weitem gesehen werden kann. Fährt man aus Glanz heraus auf das Grundstück zu, hat man das Gefühl, das Haus würde direkt am Fuße des Großglockners stehen, in Wirklichkeit sind es allerdings noch mehrere Kilometer. Bei guter Sicht meint man fast einzelne Felsvorsprünge erkennen zu können, so nah erscheint dieser gewaltige Berg, der mit 3798 m der Höchste Österreichs ist.
Ich habe mich sofort in den Ort und das Haus verliebt, als ich vor vier Wochen hier angekommen bin. Die Lage ist geradezu ideal, kaum anzunehmen, dass uns hier jemand finden oder vermuten wird. Das Gebäude ist sehr großzügig und modern geschnitten, von außen wirkt es eher wie ein typisches Bauernhaus, mit den grünen Fensterläden und den Balkonen aus dunklem Holz, innen erwartet einen jedoch eine modern geschnittene Wohnfläche. Das ca. 40 qm große Wohnzimmer, ist zum Garten hin mit einem, über die gesamte Breite reichenden Panoramafenster ausgestattet, dadurch wirkt es sehr hell und freundlich, ein großer offener Kamin gegenüber, bildet einen gemütlichen Blickfang, doch die Aussicht durch die Glasfront, auf den Großglockner ist das Highlight des Zimmers, der Blick ist einfach atemberaubend.
Ich habe immer davon geträumt, eines Tages in der Nähe von Bergen zu wohnen, wären die Umstände anders, könnte ich mein Glück kaum fassen. Es ist mir jedoch immer noch nicht möglich, wirklich Freude zu empfinden, die Tränen sind zwar inzwischen versiegt, irgendwann hat man einfach keine Tränen mehr, aber an ihre Stelle ist eine ständige Traurigkeit getreten, die ich nur sehr schwer ertrage.
Meiner Mutter würde es hier sehr gut gefallen. Sie ist in der Schweiz aufgewachsen und vielleicht liegt die, mir immer unerklärliche Sehnsucht nach Bergen, deshalb in meinen Genen. Meine Eltern sind einfach viel zu früh von mir gegangen. Mit Ende und Anfang 50 denkt doch niemand ans Sterben. Klar habe ich schon mal daran gedacht, wie es ohne meine Eltern sein könnte, aber in meinen Gedanken hatten sie ein langes erfülltes Leben hinter sich. Auch kam mir schon in den Sinn, dass sie vielleicht krank werden könnten, ich hätte sie mit Freude gepflegt. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, ich könnte sie so plötzlich und unerwartet verlieren.
Sicher sie waren in Krisengebieten unterwegs, was auch nicht immer ungefährlich war, doch niemals wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass ich sie so jung und auf so grausame Art verlieren könnte.
Wenn man über den Tod und das Sterben grübelt, denkt man doch meist, dass dies nach langer Krankheit passiert. Man stellt sich vor, man könnte sich dann darauf ein-stellen. Aber ist das wirklich so? Wird der Verlust geliebter Menschen einfacher, nur dadurch dass man vorher weiß, dass derjenige sterben wird? Gerade die letzten Wochen waren sehr schwer für mich. Obwohl ich mit der Einrichtung des Hauses sehr viel zu tun habe, es handelt sich sämtlich um die Möbel aus meinem Elternhaus, die ich mir habe nachsenden lassen, bleibt mir doch immer noch sehr viel Zeit, vor allem in den Abendstunden, über die Geschehnisse der letzten Wochen nach zudenken.
Entgegen meiner ersten Reaktion, es wäre für mich zu schmerzhaft, die Möbel meiner verstorbenen Eltern um mich zu haben, habe ich mich dazu entschieden, das Haus damit einzurichten und es war eine gute Entscheidung. Meine Eltern sind mir dadurch nahe und manchmal glaube ich fast noch den Geruch von ihnen in manchen Gegenständen wahrnehmen zu können.
Ich kann es kaum noch erwarten, bis mein „Onkel“ endlich nachkommt, die Einsamkeit beginnt mich langsam zu erdrücken und vor allem möchte ich ihm die Überraschung zeigen, die ich für ihn vorbereitet habe.
Der Professor konnte nicht sofort mit mir nach Österreich reisen, da er noch Vorlesungen an der Ludwig-Maximilian-Universität halten muss, die er nicht so kurzfristig absagen kann und dann hat er versprochen, einen Trainer für mich zu besorgen, was sich allerdings nicht so einfach gestaltet, da sich dieser in Tibet aufhält und es einige Zeit dauert, bis er alle Papiere beisammen hat, die er für die Ausreise nach Deutschland benötigt.
„Onkel“ Juan wird sicherlich total überrascht sein, wenn ich ihm die Kellerräume des Hauses zeige. Bei meiner Ankunft habe ich das Haus komplett unterkellert vorgefunden und nicht nur das, der Keller ist in drei große Räume eingeteilt, wovon einer als Heizungsraum dient, während die anderen komplett leer stehen, jedoch beheizbar sind, was mich auf die Idee brachte, aus beiden Räumen einen zu machen und für den Professor ein Labor einzurichten. Heute wurden die letzten Labortische geliefert und in den Keller gebracht, sicherlich wird noch einiges fehlen, aber ich habe mich gründlich darüber informiert, welche Geräte für ein biologisches Labor von Nöten sind und denke, dass ich an fast alles gedacht habe.
Ich freue mich schon auf sein Gesicht.
Dieser Gedanke lässt mich wieder lächeln und meine Einsamkeit für kurze Zeit vergessen. Gut gelaunt mache ich einen Rundgang durch unser neues Heim, mein „Onkel“ hat sich für morgen angekündigt und es soll alles für seine und die Ankunft seines Freundes bereit sein.
In dem weitläufigen Wohnzimmer haben die beiden Sitzlandschaften aus unserm Haus bequem Platz. Die größere der Beiden habe ich so vor dem offenen Kamin platziert, dass man es sich mit Blick auf das offene Feuer darauf gemütlich machen kann. Die etwas Kleinere stellte ich vor die große Fensterfront um die atemberaubende Aussicht auf die Berge jederzeit genießen zu können. Die kostbaren Gemälde aus unserem Haus verschönern die rau verputzen Wände, ich habe kleine Strahler anbringen lassen, die dezentes Licht auf die Kunstwerke werfen und diese dadurch gekonnt in Szene setzen. Einige wenige Regale an den Wänden, mit den Lieblingsbüchern meines Vaters, machen das Zimmer wohnlich, auf Schränke habe ich vollständig verzichtet.
Des Weiteren befinden sind im Erdgeschoss noch drei große Zimmer, eine Küche und ein Badezimmer. Die Küche verfügt ebenfalls über eine großflächige Fensterfront mit Zugang zur Terrasse. Sie ist sehr großzügig geschnitten und bei meinem Einzug fand ich bereits eine neuwertige Küchenzeile mit separater Kochinsel vor. Der riesige Küchentisch meiner Eltern und die acht dazu passenden Stühle vervollständigen die Einrichtung. Ich hoffe, dass irgendwann wieder eine Zeit kommen wird, da alle Stühle von Menschen die mir wichtig sind, besetzt sein werden.
Einen Raum habe ich als Schlafzimmer eingerichtet, in dem zweiten, die Bibliothek meines Vaters, seinen Schreibtisch und sein geliebtes Sofa untergebracht, das dritte Zimmer, welches, wie das Wohnzimmer über eine große Glasfront verfügt steht noch leer. Im Obergeschoss befinden sich ebenfalls ein Bad und vier Zimmer, von denen ich drei mit Möbeln aus unseren Gästezimmern ausgestattet habe. Das vierte und größte Zimmer habe ich für mich eingerichtet.
Da es mit fast 50 qm eher einem Apartment gleicht, habe ich außer einem großen Bett und einem Kleiderschrank auch ein gemütliches Sofa erstanden, sodass ich das Zimmer nicht nur zum Schlafen nutzen, sondern mich auch mit einem guten Buch zurückziehen kann. Das große bodennahe Panoramafenster, welches wie im Wohnzimmer einen grandiosen Blick auf die Berge zulässt hat den Ausschlag dafür gegeben, dieses Zimmer für mich persönlich einzurichten.
Ferner verfügt das Haus über eine kleine, aber komplett separate Wohnung, die sowohl direkt durch die Küche des Hauses, als auch von außen, über das Grundstück betreten werden kann. Es handelt sich dabei um eine kleine Zweizimmerwohnung, mit einer Dusche und kleiner Küchenzeile. Da der Professor mir noch nicht sagen konnte, ob und wie lange sein Freund bei uns bleibt, habe ich darauf verzichtet, diese Wohnung einzurichten.
Nachdem ich am Ende des Rundganges durchs Haus, alles zu meiner Zufriedenheit vorgefunden habe, begebe ich mich in den Garten. Es ist ein herrlicher Sommerabend, die Luft ist noch warm, obwohl die Sonne bereits beginnt unter zu gehen. Das Grundstück hat einen sehr alten Baumbestand und der Garten sieht verdammt verwildert aus, die Zeit mich darum zu kümmern habe ich bis jetzt noch nicht gefunden und einen Landschaftsgärtner wollte ich damit nicht beauftragen. Sobald der Professor hier ist, wird sich sicher die Zeit dafür finden. Im Moment genieße ich es einfach, durch die hohe, nicht gemähte Wiese zwischen den Bäumen hindurch zu laufen. Das Anwesen ist 5000 Quadratmeter groß und von einer hohen Hecke, die dringend geschnitten werden muss, umgeben. Das ehemalige Tor aus Holz, habe ich durch ein Stahltor ersetzen lassen und es bei dieser Gelegenheit mit einer Kamera ausgestattet. Der Zutritt ist nur durch Einlass von innen, oder mittels einer Codeeingabe möglich. Darauf, das Haus mit einer Alarmanlage auszustatten, habe ich zunächst noch verzichtet, lieber würde ich mir ein paar Hunde anschaffen, möchte dies aber erst mit „Onkel“ Juan besprechen.
Ich bin so aufgeregt und freue mich so sehr, dass er morgen kommt. Der Professor war für mich schon immer ein ganz besonderer Mensch, aber seit dem Tod meiner Eltern hat sich eine ganz neue Beziehung zwischen uns entwickelt. Die Zuneigung zueinander hat sich vertieft. Hatten wir früher eher ein verwandtschaftliches Verhältnis zueinander, so sind wir in den letzten Wochen Freunde geworden, die sich mit viel gegenseitigem Respekt und Liebe begegnen.
Da es mir unmöglich ist, heute früh schlafen zu gehen, steige ich auf mein Fahrrad und fahre in den Ort zu Resi. Ich habe sie kurz nach meiner Ankunft kennen gelernt. Auf einem ziellosen Spaziergang in der Umgebung, begegnete ich ihr beim Weiden der Kühe. Resi stand in einem Alltagsdirndl, sie trägt nur dieses „Gwand“, Hosen sind ihr ein Gräuel, wie sie mir zwinkernd gesteht, zwischen ihren Kühen auf der Weide. Eine imposante Erscheinung, wir in Bayern würden sagen, eine „Bavaria“. Groß und kräftig von Statur, eine gesunde rosige Gesichtsfarbe und ein von Sommersprossen übersätes, freundliches Gesicht. Obwohl sie anfangs etwas zugeknöpft war, sie haben es hier nicht so mit „Zuagroasten“, taute Resi recht schnell auf, als sie feststellte, wie gut ich mich mit ihrem Hund und auch mit ihren Rindern verstehe.
Obwohl ich in der Stadt aufgewachsen bin, sind meine Eltern, als ich noch klein war, oft mit mir aufs Land gefahren und ich liebe Tiere bis heute, dabei ist es völlig egal, ob es sich dabei um Nutz- oder Kuscheltiere handelt.
Da ich mich für ihr Leben auf dem Land interessiere, kommen wir sehr schnell ins Plaudern und ich erfahre, dass sie auf ihrem Hof einen kleinen Hofladen unterhält, hauptsächlich für die feinen Herren, die hier ihre Ferienhäuser haben, wie sie mir hinter vorgehaltener Hand erzählt, in dem ich Brot, Eier, Milch und Gemüse kaufen könnte. Das Angebot habe ich gerne angenommen und fahre seit dem mehrmals wöchentlich bei Resi vorbei, teils um etwas einzukaufen, oft aber auch einfach nur um zu „ratschen“, so wie heute.
Nach einigen Treffen wollte Resi natürlich wissen, was mich als „Städterin“ aufs Land verschlagen hat und ich blieb so gut ich konnte bei der Wahrheit. Erzählte ihr von meinem Schicksalsschlag und dass ich mich für einige Monate mit meinem „Onkel“ aufs Land zurückziehen möchte. Ich sehe wohl, dass Resi gerne noch mehr gehört hätte, aber sie ist ein sehr einfühlsamer Mensch und erkennt, dass ich nicht mehr sagen kann oder möchte und lässt es bei meiner Erklärung. Sie hat mich seither nie mehr darauf angesprochen.
Wenn wir uns treffen, erzählt sie mir den neuesten Klatsch aus dem Ort oder der „Stadt“ Matrei, während ich ihr von den Orten und Ländern berichte, die ich Dank meiner Eltern bereisen durfte.
Resi bewirtschaftet zusammen mit ihrem Mann einen kleinen Hof. Etwas Milchvieh ein paar Ochsen, ein paar Hühner und ein bisschen Land für das Futter der Tiere. Da ihr Mann und sie den Hof als Biolandwirte führen, kommen sie ganz gut zurecht. Sie haben einen Sohn, der allerdings in Salzburg als Tierarzt arbeitet, hoffen dennoch, wie sie mir seufzend gesteht, dass er sich irgendwann dazu entschließt, den Hof zu übernehmen.
Ich habe mir angewöhnt, nie das Haus ohne Perücke zu verlassen, schon im Hinblick darauf, dass ich hier mit meinem „Onkel“ wohnen werde und er eindeutig asiatisch aussieht. Da die Perücke eine Eurasierin aus mir macht, ist die Geschichte, dass sich in meiner Familie Chinesen mit Europäern mischen, glaubhafter. Da Resi noch nie, außer im Fernsehen natürlich, einen Chinesen gesehen hat, freut sie sich ganz besonders auf den Professor und bittet mich, bald mit ihm bei ihr vorbei zu kommen. Sie würde auch ihren berühmten Apfelkuchen für ihn backen, den man wirklich probieren sollte, ich liebe diesen Kuchen inzwischen sehr.
Überhaupt habe ich mich schnell mit Resi angefreundet, mit ihrer fürsorglichen und mütterlichen Art hat sie es irgendwie in der kurzen Zeit geschafft, so etwas wie ein Mutterersatz für mich zu werden. Es ist wirklich nicht meine Art, mich bei fremden Menschen auszuweinen, aber als ich Resi von Tod meiner Eltern erzählte und mir die Tränen kommen, ist sie so mitfühlend und fürsorglich zu mir, dass ich es einfach zu-lasse, als sie mich in den Arm nimmt und mich wie ein kleines Kind wiegt, bis ich mich wieder gefasst habe.