Читать книгу Tage des Traders - Kaas Koop - Страница 7
GAU im TV
Оглавление11. März: Du glaubst es kaum, bin auf dem Weg ins Büro auf interessanten Zeitschriftenartikel gestossen. So produziert unser Gehirn einen automatisch ablaufenden inneren Monolog, einen Strom aus Erinnerungen, Bewertungen und kleinen Geschichten, in dem wir uns viele Male am Tag verlieren und aus dem wir manchmal nur mit Mühe wieder herausfinden. Dieses innere Plappern wir u.a. mit Kreativität und der Verarbeitung von Erfahrungen in Verbindung gebracht. Doch es hat auch Kosten: Die Aufmerksamkeit wird gestört, die Leseleistung beeinträchtigt, das Konzentrationsvermögen geschmälert. Es ist, als riefen uns ständig halbfertige Gedankenfetzen zu: „Denk mich!“. Zur Mentalen Autonomie gehört es auch, einmal nein zu sagen, den Gedankenfetzen zu bescheiden: „Nein, dich denk‘ ich nicht!“. Konnte gestern leider meine innere Schwatzhaftigkeit nicht zähmen. Unkonzentriertheit war die Folge – zu meinem Leidwesen. Durfte bei Bloomberg-TV ein Kurzkommentar über die Marktverfassung und meinen Ausblick für die weitere Zinsentwicklung abgeben – und das „live“. Chef gab mir die Chance. Sollte endlich flügge werden und meine Marktvisibility erhöhen. Dies ist mir wahrlich gelungen! Interview fand zur frühabendlichen Stunde im fast leeren Handelsraum vor unserer Kameraeinheit statt. Wurde in das Bloomberg-TV-Studio zugeschaltet. War rechtzeitig dort. Zog das Headset an. Begab mich auf die markierte Position und blickte starr in die Kamera. Aufkommende Nervosität liess mich die zur Feier des Tages angelegte Krawatte zum x-ten Mal richten. Häufig huschte der Blick über die frisch polierten Manschetten. Glänzten sie wohl noch? Konnte nur mit Mühe ein ausuferndes Schlottern meiner Knie verhindern. Plötzlich durchbrach eine Stimme im Ohr die innere Unruhe – die Stimme der Interviewerin. Und was war das für eine Stimme – wie Joan Baez. Verlor ganz die Fassung. Anders ausgedrückt: Im Inneren begann eine rege Quatscherei. Auf dem TV-Bildschirm neben der Kamera flimmerte das Live-Bild aus dem Bloomberg-TV Studio. Musste kurz den Blick von der Kamera nehmen. Musste Interviewerin sehen. Wow! Erste Frage zur Markteinschätzung holte mich kurz zurück. Dumm nur, das lange Schachtelsätze, die im Nichts endeten, meinem Bestreben, eine klare, konzise Antwort zu geben, zu wieder liefen. Mitten in die Aufnahme und die zweite Interviewfrage hinein, drängelte sich plötzlich Putztruppen staubsaugend an mir vorbei, wodurch mir gänzlich der Konzentrationsfaden riss. Hatte die Frage auch in der ganzen Konfusion nicht ganz richtig verstanden. Verzweifelt nach einer Antwort suchend, handelte ich aktionistisch, löste mich vom rationalen Handelskalkül und sang einfach: „the answer, my friend, is blowin’ in the wind. The answer is blowin’ in the wind.” Mir ist weiter nur noch in Erinnerung geblieben, dass daraufhin der Bloomberg-TV-Bildschirm plötzlich schwarz wurde und aktuelle (Schluss-)stände diverser Aktienmärkte eingespielt wurden.
24. April: Habe Blamage noch immer nicht ganz verdaut. Bin zudem zum Gespött der Kollegen geworden, die mich nur noch Caruso nennen. Schlimmer noch, Wouter: Chef entzog mir vorerst die Erlaubnis, in öffentlichen Medien für die Firma in Erscheinung zu treten. Soll mich stattdessen stärker intern engagieren. Hierzu übergab er mir – auch als Rehabilitierungschance – noch das griechische High-Yield-Portfolio. Meinem Vater fiel dazu als Kommentar nur ein legendärer Satz des österreichischen Kaisers Franz I. ein. Dieser hatte den 1832 vollzogenen Karrieresprung des Wittelsbacher Verwandten Otto – Sohn des bayrischen Königs Ludwig I. –, der erst siebzehnjährig von den europäischen Grossmächten Grossbritannien, Frankreich und Russland im Anschluss an den griechischen Freiheitskampf zum König Griechenlands bestimmt wurde, mit den Worten kommentiert: „Mei, der arme Bua!“. Hoffe inständige darauf, dass er nicht so hellseherisch begabt ist, wie Kaiser Franz damals war.
27. April: Habe mich in emotional aufgewühlter Gefühlslage kurzentschlossen für hiesigen Sommer-Triathlon angemeldet. Dank Dir, Wouter, für den Tipp. Neue Reize gesetzt, sportliche Ablenkung gesucht. Hoffe fest, dass Mukibuden-Abo Früchte trägt. Gleichwohl Trainingsplan für ambitionierte Triathlonisten aus dem Netz heruntergeladen. Zudem mehrfachen Triathlonfinisher als Coach engagiert. Spiel mit Gedanken später noch Mentaltrainer hinzunehmen. Bin ganz euphorisch und berste voller Elan für das neue Projekt. Spüre bei Susi hingegen wenig Begeisterung wegen bevorstehender Vernachlässigung. Auch stösst die erforderliche Zubereitung des auf mich individuell zugeschnittenen Ernährungsplans, aufgrund der bei ihr dadurch entstehenden Mehrbelastung, auf wenig Verständnis.
1. Mai: Feiertag gleich zum Einstieg in mein Triathlon-Training genutzt – am Morgen 15 Minuten Schwimmen, über Mittag 90 Minuten Radfahren, am Nachmittag dann nochmals 20 Minuten Joggen. Bin völlig am Ende, jedoch – Adrenalinschub sei Dank – glücklich über das Geleistete. Der Anfang ist gemacht. Susi erneut etwas böse wegen fehlender Bereitschaft mit ihr zur 1.Mai-Demo zu gehen.