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Fallbeispiel 5

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Die Patientin sollte zwecks einer Burn-out-Prophylaxe eine Rehabilitationsbehandlung absolvieren. Dies war fast ein Standardvorgehen nach vielen Jahren engagierter und verantwortungsvoller Tätigkeit. Dann sei es gut, einmal auszusteigen, auch etwas für den Körper zu tun und die Anzeichen von Überarbeitung ernst zu nehmen. Früher hätte man gesagt: »Sie müssen mal zur Kur.« Was sich anschließend ereignete, hatte mit Kur nicht viel zu tun. Im Laufe der stationären Rehabilitationsbehandlung brachen bei der Patientin unkontrolliert Traumaerinnerungen hervor, so heftig und so schrecklich, dass die Patientin sicher war, nun verrückt geworden zu sein. Das Erinnerungsmaterial wurde jedoch derart deutlich und bezüglich ihrer Biografie eindeutig, dass die Patientin plötzlich mit einem völlig anderen Lebenslauf konfrontiert war, anders als der, den sie bis dahin verinnerlicht hatte. Sie schien nun jemand anderes zu sein: Ein Mensch, dem diese schrecklichen, nicht aussprechbaren Dinge passiert sind. Sie war nicht mehr die Person, die mit solchen Sachen nichts zu tun hatte. Sie hatte den Eindruck, somit auch nicht mehr liebenswert zu sein und die Eigenschaften verloren zu haben, die sie sich bis dahin zugeschrieben hatte, wie mitfühlend, hilfsbereit, verantwortungsvoll, engagiert, interessiert und kreativ. Sie hatte vielmehr den Eindruck, verachtenswert und unwürdig zu sein, nicht mehr dazuzugehören, das Recht auf Gleichbehandlung und Würde verloren zu haben. Die Patientin erlebte den Ausbruch der traumatischen Erinnerungen wie eine Art doppelte Buchführung. Es gab nun zwei Lebensverläufe, zwei Entwicklungen, zwei Identitäten. Es ging hier nicht um eine dissoziative Aufteilung der Persönlichkeit, sondern um das Realisieren und die Akzeptanz einer traumatisierten Biografie sowie um den Verlust einer unversehrten Lebensgeschichte.

Verschiedene biografische Zeitpunkte, Zeiträume und Zeitebenen werden je nach Relevanz in die Behandlung einbezogen: Solche,

a)in denen Traumatisierungen stattfanden

b)in denen Patientinnen keinen Zugang zu traumatischem Material hatten und ihnen das Vorliegen einer Traumafolgestörung nicht bewusst war

c)in denen sich Patienten gegen das Vorliegen einer Traumafolgestörung innerlich wehren

d)in denen sich die Symptome der Traumafolgestörungen spürbar entwickelten, d. h., dass den Patienten klarwurde, dass eine solche Störung vorliegt

e)unbelastete Zeiten vor den Traumatisierungen

f)das gegenwärtige Erleben

g)angestrebtes Erleben (zukünftig).

Vielleicht versuchen wir es mit einigen Basics:

1)Komplexe Traumafolgestörungen haben einen Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit und können Persönlichkeitsveränderungen sowie Persönlichkeitsstörungen nach sich ziehen, das heißt verursachen.

2) Traumafolgestörungen (Typ I und Typ II) können weitere psychische und somatische Erkrankungen sowie soziale Schwierigkeiten verursachen und deren Verlauf erschweren bzw. die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass solche auftreten.

3)Psychische und somatische Erkrankungen, einschließlich der Persönlichkeitsstörungen, können die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Traumafolgestörung erhöhen und deren Verlauf erschweren.

4)Im Hinblick auf die transgenerative Weitergabe von Traumafolgestörungen haben sowohl diese als auch weitere psychische und somatische Störungen einen Einfluss auf das Auftreten und den Verlauf einer Traumafolgestörung der folgenden Generation.

5)Die Wahrscheinlichkeit der Ausprägung einer traumatischen Erkrankung steigt, je mehr sich traumatische Erfahrungen aneinanderreihen. Menschen werden nicht besser in der Bewältigung von traumatischen Ereignissen, sondern schlechter.

6)Die Frage, welcher Patient nach welchem Ereignis eine Traumafolgestörung entwickelt, ist nicht eindeutig zu beantworten.

Ego-State-Therapie bei Traumafolgestörungen

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